Wem gehört die Stadt? Und wem gehört der Baye­rische Rundfunk?

Wem gehört die Stadt? So lautet der Slogan einer groß ange­legten Recherche, die momentan in München, Augsburg und Würzburg läuft. Und wer wüsste das nicht gern. Einfach so oder weil man gern wissen möchte, an wen man sich mit einem Miet­gesuch oder Kauf­an­gebot wenden soll. „Zusammen mit Bür­ge­rinnen und Bürgern möchten BR und Cor­rectiv den Woh­nungs­markt trans­pa­renter machen“ heißt es auf der Website der Aktion.

(von Roger Letsch)

Der Bay­rische Rundfunk und das soge­nannte „Recher­che­zentrum“ Cor­rectiv, die sich für diese Aktion zusammen getan haben, fragen weiter:

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Wem gehören die Woh­nungen in Augsburg, München und Würzburg? Wo fließt die Miete hin und wer pro­fi­tiert von den stei­genden Preisen? Zusammen mit Bür­ge­rinnen und Bürgern möchten BR und Cor­rectiv den Woh­nungs­markt trans­pa­renter machen. Lassen Sie uns gemeinsam her­aus­finden: Wem gehört die Stadt?“

Die For­mu­lierung „wo fließt die Miete hin“ winkt mit einem Gene­ral­ablass für die Politik und schiebt die Ver­ant­wortung für die stei­genden Mieten gleich zu Beginn dezent in Richtung der Inves­toren, die „pro­fi­tieren“, also irgendwie Profit machen, womit Gut und Böse in dieser Sache bereits unauf­fällig zuge­ordnet sind. Die Rolle des Staates als Miet­en­treiber wird gar nicht erst erwähnt, obwohl doch, um gleich ein­gangs ein Bei­spiel zu nennen, die Münchner Finanz­ämter gerade dadurch von sich reden gemacht haben, dass Sie Haus­ei­gen­tümern, die ihre Woh­nungen nach Ansicht der Finanz­be­amten zu billig ver­mie­teten, die Steu­er­erklä­rungen zusammen gestrichen haben.

Was bezweckt der BR, also der öffentlich-recht­liche Rundfunk dieses Landes, mit dieser seltsam selek­tiven Neugier? Und warum ist er für eine Recherche, also eigentlich dem Kern­ge­schäft jour­na­lis­ti­scher Profis, auf Cor­rectiv ange­wiesen? Welches Gebüh­rengeld fließt denn in diesem Zusam­menhang wohin? Wer pro­fi­tiert davon?

Im Rund­funk­staats­vertrag heißt es unter „Auftrag“ jeden­falls: „Die öffentlich-recht­lichen Rund­funk­an­stalten haben bei der Erfüllung ihres Auf­trags die Grund­sätze der Objek­ti­vität und Unpar­tei­lichkeit der Bericht­erstattung, die Mei­nungs­vielfalt sowie die Aus­ge­wo­genheit ihrer Angebote zu berücksichtigen“.

Und steht darüber hinaus irgendwo im Rund­funk­staats­vertrag, dass es die Aufgabe des BR oder der ARD ist, unter dem Vorwand jour­na­lis­ti­scher Bürger-Recherche die Ein­wohner seines infor­ma­tio­nellen Grund­ver­sor­gungs­ge­biets zur Aufgabe ele­men­tarer Daten­schutz­stan­dards zu bewegen?

Ver­stehen Sie mich nicht falsch, es kann natürlich eine Aufgabe des BR sein, dubiosen Prak­tiken etwa von Ver­mietern auf den Grund zu gehen, Betrü­ge­reien bei Immo­bi­li­en­ge­schäften ans Licht zu bringen und Miss­stände auf­zu­zeigen. Zu diesem Gebiet gehören aber auch Bestechung, Miet­no­maden, büro­kra­ti­scher Irrsinn, Pfusch am Bau und vieles mehr. Doch so breit gefä­chert ist die Daten­sam­melei durch Cor­rectiv ja gerade nicht, weshalb das Bild, das solche Recherchen ergeben, sehr ein­seitig bleiben muss.

Wenn Sie nun Mieter in Bayern sind, ihre Miete für zu hoch halten (wer tut das nicht) ist mit­machen ganz einfach und wird vom BR und Cor­rectiv so erklärt:

Sie können bis zum 23. Februar 2020 mit­machen: Teilen Sie Adresse und Eigen­tümer Ihrer Wohnung mit, laden Sie als Beleg zum Bei­spiel ein Foto Ihres Miet­ver­trages hoch, Ein­gaben über­prüfen und absenden. Teil­nehmen kann jeder, der in Augsburg, München, Würzburg und Umland wohnt. Je mehr mit­machen, desto aus­sa­ge­kräf­tiger werden die Recher­che­er­geb­nisse. Daten­jour­na­listen des Baye­ri­schen Rund­funks und von Cor­rectiv werten die ein­ge­henden Infor­ma­tionen laufend aus.“

Den meisten Leuten wird an dieser Stelle viel­leicht etwas mulmig. Man nimmt ja schon mal an der einen oder anderen Umfrage teil, etwa wenn Infratest wieder anruft oder die Auto­werk­statt die Kun­den­zu­frie­denheit testet. Aber einen Miet­vertrag ein­scannen und wild­fremden Leuten senden? Darf man das über­haupt? Aber da können uns Cor­rectiv und BR völlig beruhigen:

Ja, das dürfen Sie. Die Ver­ant­wortung für den sorg­fäl­tigen Umgang mit den Infor­ma­tionen im Rahmen der Recherchen liegt bei uns. Nur ein kleines Team von aus­ge­wählten Daten­jour­na­listen des Baye­ri­schen Rund­funks und von Cor­rectiv hat darauf Zugriff. Die Daten bilden für uns die Grundlage für weitere Recherchen. Namen oder Adressen werden wir nur ver­öf­fent­lichen, wenn die Recherchen ergeben, dass ein berech­tigtes, öffent­liches Interesse vorliegt.“

Na, wenn die Ver­ant­wortung beim BR und diesen anderen Leuten liegt und nur ein kleines Team aus­ge­wählter (wer wählt die aus?) Zugriff hat (sind Daten­jour­na­listen irgendwie ver­eidigt?) und Namen und Adressen nur ver­öf­fent­licht werden, wenn ein berech­tigtes (wer legt das fest?) öffent­liches Interesse besteht…!

Aber was ist mit dem Daten­schutz? Jeden Tag wird irgendwo ein neues Daten­schutz­gesetz ver­ab­schiedet, und wenn heute ein Fotograf im Kin­der­garten Bilder von den Kindern im Faschings­kostüm machen soll, rasten die Eltern aus – Per­sön­lich­keits­rechte! Daten­schutz! Doch das Sammeln von Miet­ver­trägen mit allen per­sön­lichen Daten soll pro­blemlos sein?

Aber es kommt noch besser. Sie sollen nicht nur Daten liefern, sondern die Daten­sammler wollen auch bevoll­mächtigt werden, in Ihrem Namen Daten zu sammeln:

Falls Sie den Eigen­tümer Ihrer Wohnung nicht kennen, haben Sie die Mög­lichkeit, uns eine Voll­macht für eine Anfrage beim zustän­digen Grund­buchamt zu erteilen. So können wir ver­suchen, den Eigen­tümer Ihrer Wohnung für Sie zu erfragen.“

Der Jour­nalist dein Freund und Helfer. Orga­ni­sa­tionen wie der Deutsche Mie­terbund werden dann nicht mehr gebraucht, ihre Arbeit über­nehmen künftig Cor­rectiv und der Baye­rische Rundfunk.

Die Schnüf­felei in baye­ri­schen Miet­ver­trägen ist nicht die erste Aktion dieser Art. Bereits im Jahr 2018 wollte Cor­rectiv wissen, „Wem gehört Hamburg“. Als Partner hatte man sich damals das Ham­burger Abend­blatt aus­ge­wählt. Die Aktion war so erfolg­reich, die Web­seite so voller schicker Gra­fiken und schluss­fol­gernden Texten, dass Cor­rectiv prompt eine Variante des ein­schlägig berüch­tigten „Grimme-Preises, nämlich den „Grimme Online Award 2019“ in der Kate­gorie „Infor­mation“ gewann.

Die Fakten, die Cor­rectiv und Ham­burger Abend­blatt über Hamburg zusam­men­ge­tragen haben, bestehen aus Listen mit Inves­toren und Ver­mietern, jeder Menge O‑Tönen, und es wurden auch bekla­gens­werte Zustände und Schicksale gefunden, das sei nicht in Abrede gestellt. Nur die Aus­gangs­frage wurde in Wirk­lichkeit nicht beant­wortet. Denn wem Hamburg gehört, weiß man immer noch nicht.

Hamburg hat einen Woh­nungs­be­stand von 956.500, an der Umfrage beteiligt hatten sich nur etwa 1.000 Mieter. Das sind 0,1%*. Ver­mutlich sind die denkbar unzu­frie­densten über­haupt dabei und selbst unter diesen Tausend sind noch welche, die ganz zufrieden sind mit ihren Ver­mietern, der Wohnung und dem ganzen Rest oder schlicht Eigen­tümer ihrer eigenen vier Wände. Null­kom­ma­nu­ll­null­kau­metwas über­vor­teilte Mieter… eigentlich ein ast­reines Ergebnis in Sachen Kundenzufriedenheit.

Es gibt viele Ursachen für die Woh­nungs­knappheit und die stei­genden Immo­bi­li­en­preise. Diese reichen von Euro-Debakel, Nullzins, Büro­kratie, feh­lenden Bau­ge­bieten über Dämm­ver­or­dungen, Bau­ver­or­dungen und Ener­gie­richt­linien bis hin zum nur man­gel­haften Schutz von Eigentum in diesem Land. Dazu kommen poli­tische Ent­eig­nungs­ge­lüste und offenbar auch ein bekla­gens­werter Kom­pe­tenz­verlust in der Politik.

In den Nie­der­landen kostet der Bau einer Wohnung etwa ein Drittel weniger als im BER-Land Deutschland. Außerdem zeugt es von bei­spiel­loser Rea­li­täts­ver­wei­gerung, den Mangel von güns­tigem Wohnraum nicht mit der vor fünf Jahren in Gang gesetzten Armuts­zu­wan­derung in Ver­bindung bringen zu wollen. Es gibt Ein­flüsse. Gerade in grö­ßeren Städten wie München, Augsburg, Würzburg oder Hamburg.

Die Wortwahl der Cor­rectiv-Akti­visten, die abschätzige Betrachtung von „Rendite“ oder For­mu­lie­rungen wie „wo das Geld hin­fließt“, als handele es sich um eine illegale Kloake, der pau­schale Ver­dacht, da stimme was nicht, all das weist in die Richtung, in welche bei­spiels­weise Berlin seit einiger Zeit geht. Der „gesell­schaft­liche Trend“ geht in Richtung Woh­nungs-All­mende und der Staat hat endlich ein wei­teres Betä­ti­gungsfeld, auf dem er als Für­sorger mit ange­maßtem Wissen für alle sorgen, es allen recht machen will.

Auf die Frage „Krasses Thema, Miet­wahnsinn. Wie kann der bekämpft werden?“ ant­wortete der geehrte Cor­rectiv-Jour­nalist bei der Grimme-Preis Ver­leihung „Wir sind erst mal Jour­na­listen, wir gucken natürlich erst mal, wie kriegen wir mehr Licht ins Dunkel dieses Immo­bi­li­en­marktes […] und dann können wir im zweiten Schritt fragen, wie können wir das bekämpfen.“

Damit sagt der Mann klar und deutlich, dass er sich letztlich mehr als Aktivist, denn als Jour­nalist ver­steht. Das ist sein gutes Recht. Auch Cor­rectiv ins­gesamt kann das gern so machen (man sollte sich dann aller­dings nicht als Unvor­ein­ge­nom­mener „Fak­ten­checker“ gerieren). Solange das nicht auf Kosten der All­ge­meinheit geschieht, sondern auf eigene Rechnung, sei es drumm. Der Baye­rische Rundfunk darf dies nicht. Wer von jedem Bürger zwangs­weise Geld ein­treibt, kann nicht gleich­zeitig poli­ti­scher Aktivist sein. Jeden­falls nicht in einer frei­heit­lichen Demo­kratie. In anderen Staats- und Gesell­schafts­formen ist das natürlich möglich.


Quelle: unbesorgt.de