screenshot youtube

Zur öffent­lichen Rhe­torik auf die Kem­merich-Wahl in Thüringen

Die erneute Wahl von Bodo Ramelow zum Minis­ter­prä­si­denten von Thü­ringer wäre schon rech­ne­risch schwierig gewesen, denn seine rot-rot-grüne Koalition hat bei der letzten Wahl die Mehrheit im Landtag ver­loren. Die stärkste Kraft wurde die LINKE, die aber mit den dor­tigen Split­ter­par­teien SPD und Bündnis-Grüne mit nur 8 und 5 Sitzen gemeinsame Sache machen will. Die dritt­stärkste Partei CDU könnte den Minis­ter­prä­si­denten stellen, gäbe es nicht ihren Beschluss „nicht mit den Rändern“. Das Problem ist, dass die CDU aus­ge­rechnet die beiden stärksten Par­teien LINKE und AfD zu den Rändern erklärt hat, nicht etwa die Split­ter­par­teien SPD, FDP und Bündnis-Grüne. Alle drei zusammen bringen es auf weniger Stimmen als die AfD.

(von Albrecht Künstle)

NEU!!! Hier bestellen!

Insofern war die Wahl des FDP-Kan­di­daten Kem­merich nicht weniger aus­ge­fallen, weil diese Partei wie die Bündnis-Grünen die kleinste Fraktion stellt. Und so kam es, dass die Wahl im dritten Wahlgang auf Kem­merich fiel – und die unter­le­genen Frak­tionen aus allen Wolken.

Von dieser Minute an nahm die mediale Schmutz­kam­pagne ihren Lauf. Und die Steig­bü­gel­hal­terin von Ramelow warf dem gewählten Minis­ter­prä­si­denten ihren Blu­men­strauß vor die Füße. So ein Benehmen kennt man eigentlich nur aus den USA, wo die Rede des Prä­si­denten von der Chefin der „Demo­kraten“ vor lau­fender Kamera demons­trativ zer­rissen wurde.

Hier soll aber der Sprach­ge­brauch hin­ter­fragt werden, zu dem sich die Medien und die selbst­er­nannten Sau­ber­männer der Nation hin­reißen lassen:

Tabu­bruch. Soll heißen, von bestimmten Abge­ord­neten lässt man sich nicht wählen? Dann könnte man diesen doch ein­facher das Wahl­recht ent­ziehen? Oder noch ein­facher wie es Hitler machte, geg­ne­rische Partei ver­bieten? Oder solche Leute wie in Indien zur Kaste der Unbe­rühr­baren erklären?

Unver­zeihlich. So ein Vorwurf könnte z.B. nicht aus einer „christ­lichen“ Partei kommen, da Ver­gebung zu deren Anspruch gehört. Aus welcher Partei kam das noch und von wem?

Füh­rungs­mangel. Der Ruf nach Führung macht nur Sinn, wenn einem selbst nichts mehr ein­fällt und man sich lieber führen lassen will. Ist es wieder soweit, dass wir einen Führer/in brauchen?

Krise. Dieses Wort wird geradezu infla­tionär für alles gebraucht. Brauchen wir denn wieder einmal eine wirk­liche Krise, um wieder ange­mes­sener mit diesem Begriff umzugehen?

Kata­strophe. Kinder und Jung­wähler, die in der Zeitung im Zusam­menhang mit Wahl­er­geb­nissen solche Titu­lie­rungen lesen, könnten den Respekt vor einer wirk­lichen Kata­strophe verlieren.

Erd­beben. Ist es ein Erd­beben, wenn eine Wahl anders ausgeht als die Par­tei­stra­tegen aus Berlin das vorher abge­sprochen hatten? Dann könnte man doch einfach die Wäh­lerei abschaffen?

Faschisten. Seit ein Rich­terlein (nicht in einem Haupt­sa­che­ver­fahren, sondern im Rahmen einer Einst­wei­ligen Anordnung, näheres https://www.danisch.de/blog/2020/02/09/fake-news-das-gerichtsurteil-jemanden-als-faschisten-zu-bezeichnen/#more-34025 ) Demons­tranten erlaubte, bestimmte Per­sonen einer bestimmten Partei Faschisten zu nennen, wird davon hem­mungs­loser Gebrauch gemacht. Jetzt gibt es anscheinend für „jedermann“ eine rechts­si­chere Lizenz zum Rufmord. Kaum ein Poli­tiker und Mei­nungs­macher der Medien lässt diese neue Gele­genheit aus, ihr ver­bales Gift zu verspritzen.

Bisher hatte ich Angst vor Faschismus, war bis vor wenigen Jahren eher links ori­en­tiert und ein Gegner dieser Herr­schaftsform, dem Schre­ckens­regime der Natio­nal­so­zia­listen. Wenn nun auch AfD-Leute zu Faschisten erklärt werden, laufe ich Gefahr, die Angst vor wirk­lichem Rechts- oder Links-Faschismus zu ver­lieren. Damit stehe ich ver­mutlich nicht alleine.