Verhungernde in Charkiv, Ukraine. Während der Zwangskollektivierung in der Sowjetunion (1929 — 1933) wurden die Bauern gezwungen, ihre Bauernhöfe aufzugeben und sich sozialistischen Großbetrieben anzuschließen. Das wurde gegen den erbitterten Widerstand der Bauern durchgesetzt. Viele schlachteten ihr Vieh, um es der Enteignung zu entziehen und zerstörten ihre landwirtschaftliche Ausrüstung. Obwohl die Lebensmittelproduktion einbrach, ließ Stalin große Mengen an Lebensmitteln beschlagnahmen, um diese auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Er brauchte Kapital für die Industrialisierung. 1932/33 brach dadurch eine verheerende Hungersnot aus, der 5 bis 9 Millionen Menschen zum Opfer fielen. (Bild gemeinfrei, via Wikimedia commons)
Es gibt einmal wieder einen neuen Ansatz, den Kapitalismus zu überwinden und die Welt in ein sozialistisches Paradies zu verwandeln. Thomas Piketty, der Autor des 1300 starken Wälzers „Kapital und Ideologie“ scheint seine Leserschaft in allen politischen Lagern zu vergrätzen, aber auch wieder zu bestätigen. Wie alle linken Ideologen, sieht er das Heil in einer „gerechten Gesellschaft“ und die lasse sich nur, man errät es schon, durch Umverteilung erreichen.
Die Fachblätter und Gazetten widmen seinem neuen Buch Kapital und Ideologie lange Textsäulen und arbeiten sich, je nach politischem Lager, an seinen Behauptungen ab. Die Konservativen und Libertären sehen den Gottseibeiuns „Kommunismus“ schon in der Umverteilung des Kapitals, die Linken und Grünen sehen rot, dass er das persönliche Eigentum an Produktionsmitteln ausdrücklich verteidigt. Damit sind die Fronten schon mal festgelegt und von diesen Positionen aus wird geschossen. Die neueste Forderung von Links, die „Reichen zu erschießen“, kommt ja nicht von ungefähr.
Zentrale These: Eigentum darf nicht mehr als „heilig“ angesehen werden
Soweit man das aus den Veröffentlichungen entnehmen kann – und das ist schon einiges an Lesearbeit – (Ich gestehe hiermit, das Buch nicht gelesen zu haben), ist die zentrale These des Herrn Prof. Thomas Piketty die, dass die weltweite Einkommens- und Vermögensungleichheit, jene „Schere“ zwischen arm und reich, an der „Heiligsprechung“ des Eigentums liege. Für ihn liegt diese Ungleichheit nicht an wirtschaftlichen Gegebenheiten und hat auch mit den Möglichkeiten der Technik nichts zu tun, sondern die Gründe dafür liegen in der Politik.
Dieses „heilige Eigentum“ sei ein Anachronismus. Man müsse in den Betrieben die Mitbestimmung konsequent weiter vorantreiben, die Macht verteilen und sie rotieren lassen und damit die bereits eingeschlagene Entwicklung in diese Richtung in der „Logik des 21. Jahrhunderts“ weiter forcieren. Die Zeiten, in der die Eliten alles unter sich ausmachen konnten, seien vorbei. Die Reaktion darauf könne man im „Populismus“ und spontanen Bürgerbewegungen, wie den Gelbwesten sehen.
Sozialismus ist das Heil: Die Leistungsträger enteignen und das Geld mit der Gießkanne verteilen bringt wunderbares Wachstum
Eine Vermögenssteuer von 90% werde die Unternehmer praktisch enteignen, sagen die Kritiker. Piketty findet genau das sehr hilfreich und gut. Die deutschen Familienunternehmer sollen ihre Firmenanteile den Mitarbeitern geben: „Man muss ja kein Familienmitglied sein, um gute Ideen zu haben. Der Wohlstand müsse viel schneller durch die Gesellschaft zirkulieren. Das weggesteuerte Geld möchte er als Start ins Erwachsenenleben als „einmalige Erbschaft“ von 120.000 Euro pro Kopf zukommen lassen.
Sein Beweis dafür ist das erstaunliche Wirtschaftswachstum nach dem Zweiten Weltkrieg, als die massive Umverteilung des Vermögens den Arbeitnehmern neue Rechte und eine hohe Mitbestimmung in den Betrieben gegeben habe. Das sei ein Durchbruch zur Entheiligung des Eigentums gewesen. Nur haben Pikettys Meinung nach die Sozialisten Europas die Globalisierung nicht verstanden und nicht genutzt.
Tatsächlich bringt ein Neubeginn nach Krieg oder anderen Verwüstungen immer Wirtschaftswachstum.
Piketty belege seine These durch viele Zahlen, heißt es. Er habe quer durch die Geschichte seine Theorie mit Zahlen und Fakten belegt. Wenig erstaunlich laviert er in Sachen DDR, Sowjetunion und China etwas herum.
Die Realität des Sozialismus/Kommunismus sieht anders aus
Nur, um diesen Punkt zu beleuchten: In der Sowjetunion stellten nicht die großen, sozialistischen, landwirtschaftlichen Produktionsstätten die Hauptversorgung mit Lebensmitteln. In den Sowchosen und Kolchosen herrschte chronischer Mangel. Die Traktoren standen oft lange still, weil es an Ersatzteilen oder Mechanikern mangelte oder an Motivation. Die Werktätigen auf dem Lande glänzten auch nicht durch wilden Aktivismus. Materialmangel, Geldmangel, Schlendrian und Desinteresse herrschten. Jeder pflanzte in seinem kleinen Gärtchen Gemüse und Obst, um über die Runden zu kommen, während die Brüder in der Sowjet-Führung Unsummen in Raketen und Sputnik steckten. Die privaten Kleingärten stellten den Hauptteil der Lebensmittelversorgung und brachten den Leuten mehr Geld ein, als die brüderliche Arbeit im volkseigenen Betrieb. Und trotz aller Brüderlichkeit lebte die Nomenklatura sehr kommod.
Hier kann man nur den Artikel aus dem Spiegel vom 31.05.1976 “Weltmacht UdSSR: Zu wenig zu essen” empfehlen. Er beschreibt die verhängnisvollen Folgen der sozialistischen Wirtschaft, die bis zur Hungersnot führten. Jeder schaute nur, dass er irgendwie etwas ergatterte, die Preise stiegen gnadenlos. Und um das zu illustrieren, was dann eben doch der einzige Antrieb ist, sich wieder dem Funktionieren des Systems zuzuwenden, sei hier einmal das Ende des Spiegel-Beitrages zitiert:
„Die Regierung in Moskau jedoch kaufte erst einmal, damit es nicht noch mehr fleischlose Tage fürs Volk gibt, im Ausland ein. Zu den Mammutimporten an West-Getreide treten nun Fleisch-Einfuhren, sogar 100.000 Tonnen aus dem Bruderstaat Ungarn gegen West-Devisen. Zudem soll die Bevölkerung mehr Fisch (Volksmund: “Freude für den Hund”) essen: Eilends soll die Wiesbadener Kühlfirma Linde 70 Fischgeschäfte im Sowjetland einrichten.
Und auch an den Erwerbssinn im Lande selbst wird nun appelliert: Tüchtige Treckerfahrer bekommen doppelten Lohn und eine Tonne Getreide als Deputat. Private Viehhalter in der Ukraine erhalten bereits bis zu 300 Rubel (über tausend Mark) Prämie sowie vom Kolchos Heu und Stroh.“
Sieh an, sieh an: Der kapitalistische Westen musste mit seinen ausbeuterischen Fischgeschäften des privaten Firmeneigentümers Linde ran und der ungarische Bruderstaat lieferte auch nur gegen West-Devisen.
Auch, dass sich das russisch/ukrainische Oligarchensystem nur bilden konnte, indem das Staatsvermögen aus den Händen der Bürger Stück für Stück als „Anteilsscheine“ in den Händen der Geschäftstüchtigen kumulierte, wird Herr Piketty nicht so gerne hören.
Die sozialistische, tropische Insel Kuba musste ständig mit Nahrungsmitteln und Bedarfsgütern vom großen Bruder UdSSR versorgt werden. Außer Zigarren, Rohzucker und Rum sowie eine an Wert nicht zu überschätzende geographische Lage vor der Küste des kapitalistischen Feindes USA hatte die von der Sonne verwöhnte, fruchtbare Insel nicht viel zu bieten.
Von dem lieben und guten, kommunistischen Bruder Nummer 1 Pol Pot in Kambodscha berichtet der Film „The Killing Fields“. Der Massenmord der Roten Khmer an der eigenen Bevölkerung im Demokratischen Kampuchea wurde von 1975 bis 1979 begangen. Die Gesamtzahl der Opfer des Genozids in Kambodscha lag bei über zwei Millionen. Wenn damals jemand nur eine Fremdsprache kannte, war er schon Angehöriger der „Eliten“ oder „Intelligenzija“, also Verschwörer und des Todes.
Selbst das stramm kommunistische China musste Jahrzehnte nach Mao Tse Dongs Schreckensherrschaft begreifen, dass das „Umverteilen, bis alle gleich sind“-Prinzip nicht funktioniert, sondern nur Massen von Armen und einen vollkommen rückständigen Staat produziert. Heute praktiziert China eine seltsame Art von Kapitalismus. Es braucht die Unternehmer, nur wenn sie zu erfolgreich, mächtig und reich werden, drangsaliert man sie. Vielen von ihnen gelingt eine heimliche „Auswanderung“. Das offiziell kommunistische China sei „innerhalb kurzer Zeit viel ungleicher geworden als Europa, eindeutig ein Scheitern des Regimes“, gibt auch Piketty zu.
Folgen einer Enteignung und Umverteilung
Man mag jetzt die Thesen und Theorien des Herrn Piketty in den Facetten und Varianten diskutieren, er mag noch so brillant dagegen „an-denken“. Dass diese massive Umverteilung, die er anstrebt, noch ganz andere Nebenwirkungen zeigen wird, können nicht nur Ökonomen voraussagen:
- Eine dermaßen brutale Enteignung würde fraglos in einer Massenflucht von Unternehmen und Unternehmern ausarten. Niemand lässt sich das, was er jahrelang hart erkämpft und erarbeitet hat, einfach wegnehmen. Er packt seine Siebensachen und verlegt alles in freundlichere Gefilde. Erfolg: Die Arbeitsplätze brechen weg, die Industrie verlässt das Land. Also genau das, was uns heute passiert, weil den Unternehmen der Standort Deutschland zu unsicher und teuer wird. Und weil woanders die Steuern niedriger und die Arbeitnehmer weniger anspruchsvoll sind.
Im Übrigen haben sich die wirklich Reichen sowieso aus genau diesem Grund schon irgendwo auf der Welt mehrere Refugien fertig eingerichtet, damit sie im Falle eines Falles einfach nur ein Flugzeug besteigen und sich irgendwo in ein komplett eingerichtetes Luxusdomizil zurückziehen und lächelnd zuschauen, wie das sozialistische Paradies zum Armenhaus mutiert.
- Wenn all die Mitarbeiter so prima Ideen haben, warum sind sie dann immer noch „Mitarbeiter“, die keine Risiken eingehen, keine eigene Firma haben, sondern ein festes Gehalt erwarten, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Kündigungsschutz fordern? Wer freier Unternehmer ist, hat keine Sicherheiten, keine Gewerkschaft, kein Arbeitslosengeld, kein Krankengeld, keinen Kündigungsschutz. Er gewinnt, wenn er gut ist in dem was er tut. Oder er geht unter. Oder er krebst dahin. Nicht jeder ist für das anstrengende Leben in Freiheit und vollem Risiko geschaffen.
- Selbst wenn die Umverteilung gelänge: Wenn jeder 120.000 Euro „einmalige Erbschaft“ als Start ins Erwachsenenleben bekommt, bekommen viele viel Geld, aber deshalb platzen nicht gleichzeitig die Gegenwerte aus dem Boden. Dem Geldsegen stehen zu wenig Güter gegenüber und das würde durch eine massive Teuerung dieser Güter ausgeglichen, sprich „Inflation“. Wenn jeder junge Erwachsene sich im Prinzip ein Haus kaufen kann (was jetzt schon ein Mehrfaches kostet), werden die zu wenigen Häuser einfach Angebot und Nachfrage gehorchend, unverhältnismäßig teurer.
- Wo das Geld „auf der Straße“ liegt, stellen sich schnell Abzocker ein: Dann werden findige Geschäftemacher den jungen „Reichen“ das Geld wieder abluchsen, was bei so unerfahrenen jungen Leuten ein Leichtes ist. Diese werden mit den 120.000 in den seltensten Fällen dauerhafte Werte schaffen. Sie werden es einfach verpulvern. Nur werden die Geschäftemacher das gewonnene Geld nicht im Lande zirkulieren lassen, sondern – weil man ja weiß, dass es weggesteuert wird – ziemlich umgehend im Ausland in Sicherheit bringen. EGAL, welche Gegenmaßnahmen der Umverteilungsstaat dagegen ergreift. So einfach ist das.
Das Geld würde schnell verbraucht und außer Landes gehen, die wirklich erfolgreichen Unternehmer auswandern, es gäbe keine Investoren mehr für wichtige Großprojekte, Wohnungsbau, neue Produktentwicklungen und die Wirtschaft würde auf Klein-Klein-Mini-Unternehmen zusammenschnurren.
Professor Piketty ist sicher ein hochintelligenter Mann, er will bestimmt das Beste für alle. Man sollte ihm zugestehen, dass er integer und aufrichtig ist. Das sind viele aus dem linken Lager und feine Menschen. Aber …
Egal, welche Gesellschafts-Ideologie — Der Mensch ändert sich nicht
Aber: Auch Herr Piketty begeht einen grundsätzlichen Fehler. Er hält, wie alle „Progressiven“, den Menschen für eine beliebig formbare Masse. Man sei doch heutzutage soweit, dass man die Strukturen einer neuen Gesellschaft quasi gemeinsam vollkommen neu und besser aufsetzen könne und das Alte hinter sich lassen. Er ist der Meinung, eine gut ausgedachte Ideologie könne eine neue, bessere Gesellschaft mit neuen, besseren Menschen erschaffen.
Solche hochherzigen Ideologien und Pläne zur Befreiung der Menschheit und dem Aufbruch in eine neue Gesellschaft waren immer schon der Beginn menschenverachtender Regimes gewesen. Ob Kommunismus, Sozialismus, Nationalsozialismus und diverse Religionen: Sie wollen immer den „neuen Menschen“, der doch endlich seine schlechten, „archaischen Verhaltensmuster“ ändern muss, um ein neuer und besserer Mensch zu werden. Ja, sie sind archaisch. Sie haben sich als ideale Überlebensstrategien in Jahrhunderttausenden herausgebildet. Eigentum gehört dazu.
Sicher vermag man bestimmte Verhaltensweisen aus eigener Überzeugung an sich selbst ändern, aber nicht komplett die gesamte Grundstruktur. Die Natur des Lebewesens Mensch bricht immer wieder durch. Man kann sie auf Dauer nur mit Gewalt unterdrücken. Was dann auch geschieht.
Wie schnell der dünne Lack der Zivilisation ab ist, wurde vor kurzem in Australien sichtbar. Aufgrund des Corona-Virus-Hypes kam es auch da zu „Hamsterkäufen“. In einem Supermarkt geriet eine Kundin mit einem anderen Kunden aneinander, wer die letzten Packungen Toilettenpapier für sich beanspruchen kann. Die Frau zog ein Messer und stach auf ihren Kontrahenten ein. In Deutschland kam es nicht so drastisch, aber in der Presse wurden auch aus unserem Gutmenschenland tätliche Kämpfe um Konserven, Desinfektionsmittel und Toilettenpapier berichtet.
Leseempfehlungen:
https://www.n‑tv.de/wirtschaft/Star-Okonom-fordert-120–000-Euro-fuer-jeden-article21626627.html
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d‑41238448.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Zwangskollektivierung_in_der_Sowjetunion
https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/thomas-pikettys-zweites-buch-der-star-oekonom-der-jedem-franzosen-120–000-euro-schenken-will/25005412.html
https://www.blaetter.de/ausgabe/2014/november/thomas-piketty-und-das-maerchen-vom-gleichheitskapitalismus
https://www.handelsblatt.com/arts_und_style/literatur/buchtipp-capital-et-ideologie-7-lehren-aus-1248-seiten-der-neue-piketty-fuer-lesefaule/25048878.html?ticket=ST-4468695-LxqDoOdB76uCk9RJgED3-ap2
https://www.handelsblatt.com/politik/international/buch-capital-et-ideologie-mit-seinem-neuen-werk-macht-sich-oekonom-piketty-alle-zum-feind-linke-wie-rechte/25003506.html
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/piketty-hat-dazugelernt
https://www.op-marburg.de/Mehr/Welt/Wirtschaft/Star-Oekonom-Piketty-fordert-120.000-Euro-fuer-alle
https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Piketty
https://de.wikipedia.org/wiki/Killing_Fields
https://www.welt.de/politik/ausland/article121423723/Pol-Pots-Brueder-treffen-auf-ihre-Richter.html
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.