Deutsch­lands andau­erndes Antisemitismus-Problem

Nahezu alle im Jahr 2019 ver­übten anti­se­mi­ti­schen Straf­taten in Deutschland wurden von Rechts­extre­misten begangen, heißt es in dem kürzlich ver­öf­fent­lichten Regie­rungs­be­richt „Poli­tisch moti­vierte Kri­mi­na­lität im Jahr 2019“. In dem Bericht werden „poli­tisch moti­vierte Straf­taten“ in rechts­extreme Straf­taten, linke Straf­taten, frem­den­feind­liche Straf­taten, religiös moti­vierte Straf­taten und nicht zuge­ordnete Straf­taten unterteilt.

(Von Judith Bergmann, Über­setzung©: Andreas Ungerer)

Laut diesem Bericht sind anti­se­mi­tische Straf­taten im Jahr 2019 gegenüber dem Vorjahr mit 2.032 Fällen um 13% gestiegen und haben den höchsten Stand seit Beginn der sta­tis­ti­schen Erfassung im Jahr 2001 erreicht. Gemäß des Berichts wurden 93,4% dieser Straf­taten von Rechts­extre­misten verübt.

„Die größte Gefahr geht von rechts aus“, sagte Innen­mi­nister Horst See­hofer nach der Ver­öf­fent­li­chung des Kri­mi­nal­be­richts. „Wir müssen wachsam bleiben und sie bekämpfen. Es ist eine Grö­ßen­ordnung, die uns mit Sorge, mit großer Sorge erfüllt.“

Der neue Bericht der deut­schen Regierung steht im Wider­spruch zu wich­tigen EU-Berichten: Im November 2018 ver­öf­fent­lichte die Agentur für Grund­rechte der EU (FRA) einen Bericht mit dem Titel „Anti­se­mi­tismus – Über­sicht der in der Euro­päi­schen Union zwi­schen 2007 und 2017 erhält­lichen Daten“, in dem die Euro­päische Kom­mission gegen Ras­sismus und Into­leranz (ECRI) zitiert wird:

„Die Haupt­ver­ant­wort­lichen für anti­se­mi­tische Vor­fälle sind ‘Isla­misten’ und radi­ka­li­sierte junge Muslime, ein­schließlich Schul­kinder, sowie Neo­nazis und Sym­pa­thi­santen rechts­extremer und in einigen Fällen links­extremer Gruppen.

Deutschland gehörte mit zu den dort unter­suchten Ländern.

In einer wei­teren großen Umfrage der FRA, die im Dezember 2018 ver­öf­fent­licht wurde, „Zweite Erhebung über Dis­kri­mi­nierung und Hass­ver­brechen gegen Juden in der EU“, kam man zu dem Schluss, dass

„In Bezug auf den schwer­wie­gendsten Vorfall anti­se­mi­ti­scher Über­griffe wurden in den 12 unter­suchten Mit­glied­staaten die durch­schnittlich am häu­figsten genannten Täter­be­schrei­bungen genannt: ein Unbe­kannter, den ich nicht beschreiben kann“ (31%); „jemand mit einer extre­mis­ti­schen mus­li­mi­schen Gesinnung“ (30%); „jemand mit linker poli­ti­schen Gesinnung“ (21%); „Arbeits- oder Schulkamerad/Kommilitone“ (16%); „Teenager oder eine Gruppe von Teen­agern“ (15%); „ein Bekannter oder Freund“ (15%); „jemand mit rechter poli­ti­schen Gesinnung“ (13%).“

Auch hier war Deutschland unter den 12 befragten Mitgliedsstaaten.

Im Jahr 2017 ver­öf­fent­lichte das deutsche Innen­mi­nis­terium einen Bericht des Unab­hän­gigen Exper­ten­kreises Anti­se­mi­tismus über Anti­se­mi­tismus in Deutschland — einer Gruppe, die im Sep­tember 2009 auf der Grundlage eines Beschlusses des Deut­schen Bun­des­tages gegründet worden war . Dem Bericht zufolge hat die Unab­hängige Expertengruppe

„[In] der für den Unab­hän­gigen Exper­ten­kreises Anti­se­mi­tismus im Jahr 2016 durch­ge­führten Umfrage unter Juden in Deutschland … werden mus­li­mische Personen/Gruppen’ bei weitem am häu­figsten genannt bezüglich … ver­baler Beleidigung/Belästigung, kör­per­licher Angriffe … gefolgt von ‘Unbe­kannten’ … erst danach folgen zu gleichen Teilen links­extre­mis­tische und rechts­extreme Personen/Gruppen. Für diesen Unter­schied in der Beur­teilung der regis­trierten Ver­brechen in der PMK… [dem Jah­res­be­richt über poli­tisch moti­vierte Kri­mi­na­lität] und der Wahr­nehmung durch die Betrof­fenen gibt es derzeit keine plau­sible Erklärung.“

Im Juni 2019 ver­öf­fent­lichte der deutsche Inlands­ge­heim­dienst, das Bun­desamt für Ver­fas­sungs­schutz (BfV), eine Bro­schüre zum Thema „Anti­se­mi­tismus im Isla­mismus“, deren Ziel es war, „die Öffent­lichkeit für den isla­mis­ti­schen Anti­se­mi­tismus zu sen­si­bi­li­sieren“. In dem Bericht heißt es:

„Die Erfassung dieser Vor­komm­nisse belegt, dass anti­se­mi­tische Ereig­nisse mit isla­mis­ti­schem Hin­ter­grund in Deutschland keine Sel­tenheit sind. Allein für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2017 wurden mehr als 100 Vor­komm­nisse registriert,deren Spann­breite von anti­zio­nis­ti­schen Pre­digten über anti­se­mi­tische Graffiti bis hin zu ver­balen und kör­per­lichen Attacken gegen Ein­zel­per­sonen reicht. Wahr­scheinlich handelt es sich hierbei lediglich um die sprich­wört­liche „Spitze des Eisbergs.“

Welchen Umfragen sollte man Glauben schenken? Ist der gesamte isla­mis­tische Anti­se­mi­tismus einfach über Nacht verschwunden?

Ver­mutlich nicht. Die deutsche Anti­se­mi­tis­mus­sta­tistik steht jedoch schon seit geraumer Zeit in der Kritik. So schrieb die Die Welt im Mai 2019:

„Die Mehrheit der Fälle in Berlin wird Rechts­extre­misten zuge­ordnet – ohne Belege… Schon länger gibt es Kritik von Experten, wonach die Zuordnung der aller­meisten Fälle zu rechts­extremen Tätern nicht stimmig sei.“

In einem Artikel der deut­schen Wochen­zeitung Jüdische All­ge­meine vom März 2019 heißt es:

„Bei Umfragen unter Juden in Deutschland, die Opfer von anti­se­mi­ti­schen Taten wurden, wurden demnach bei 62 Prozent der Belei­di­gungen und 81 Prozent der kör­per­lichen Angriffe mus­li­mische Per­sonen als mut­maß­liche Täter ange­geben. Dennoch seien etwa »Sieg Heil«-Rufe bei einer anti­se­mi­ti­schen Al-Kuds-Demons­tration im Juli 2014 in Berlin in der Poli­zei­sta­tistik als poli­tisch moti­vierte Kri­mi­na­lität mit rechts­extremen Motiven gewertet worden.“

Die Zeitung hat auch Felix Klein, den Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­tragten der Bun­des­re­gierung, mit den fol­genden Worten zitiert:

„Aus den jüdi­schen Gemeinden höre ich, dass die sub­jektive Wahr­nehmung der Bedrohung durch mus­li­misch geprägten Anti­se­mi­tismus größer ist, als es in der Kri­mi­nal­sta­tistik zum Aus­druck kommt.“

Der oben erwähnte Unab­hängige Exper­ten­kreis Anti­se­mi­tismus hat die deut­schen Sta­tis­tiken in seinem bereits im Jahr 2017 erstellten Bericht „Anti­se­mi­tismus in Deutschland – aktuelle Ent­wick­lungen“ eben­falls kritisiert:

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„In der Polizei wirke wei­terhin das alte Extre­mis­mus­konzept hand­lungs­leitend, wodurch das Erkennen vor­ur­teils­mo­ti­vierter Straf­taten, die sich jen­seits »des klas­si­schen Musters rechts­extremer Tat­be­gehung bewegen«, erschwert werde. Dies betrifft v. a. die Zuordnung zum Phä­no­men­be­reich »rechts«, die vor­ge­nommen wird, sobald Bezüge zum Natio­nal­so­zia­lismus zu erkennen sind. Dies stellt nicht in Rechnung, dass NS-Symbole ein all­ge­meines, Juden­feind­lichkeit zwar indi­zie­rendes, aber auch generell dif­fa­mie­rendes Mittel sind, dessen sich auch poli­tisch nicht weit rechts ste­hende Täte­rinnen und Täter bedienen. Frem­den­feind­liche und anti­se­mi­tische Straf­taten werden grund­sätzlich immer dann dem Phä­no­men­be­reich PMK-Rechts zuge­ordnet, wenn keine wei­teren Spe­zifka erkennbar sind (z. B. nur der Schriftzug »Juden raus«) und zu denen keine Tat­ver­däch­tigen bekannt geworden sind. Damit ent­steht mög­li­cher­weise ein nach rechts ver­zerrtes Bild über die Tat­mo­ti­vation und den Täterkreis.“

Doch trotz pro­ble­ma­ti­scher Beweise und feh­ler­hafter Sta­tis­tiken behauptet Innen­mi­nister Horst See­hofer nach wie vor, dass prak­tisch der gesamte Anti­se­mi­tismus von der extremen Rechten ausgeht. Warum?

Der Anstieg des Anti­se­mi­tismus auf den höchsten Stand seit fast zwei Jahr­zehnten wirft auch noch eine andere Frage auf: Deutschland hat einige der strengsten Gesetze für Hassrede in Europa. Im Oktober 2017 ver­ab­schiedete Deutschland ein neues Zen­sur­gesetz, das NetzDG. Es ist eine dra­ko­nische Maß­nahme, die Social-Media-Platt­formen wie Facebook, Twitter und YouTube ver­pflichtet, ihre Nutzer im Auftrag des deut­schen Staates zu zen­sieren. Social-Media-Unter­nehmen sind ver­pflichtet, alle Online-“Straftaten“ wie Ver­leumdung, Belei­digung, üble Nachrede, üble Nachrede oder Anstiftung innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Nut­zer­an­zeige zu löschen oder zu sperren. Für kom­pli­ziertere Fälle werden den Social-Media-Unter­nehmen sieben Tage zuge­standen. Tun sie dies nicht, kann die Bun­des­re­gierung ihnen bei Zuwi­der­handlung eine Geldbuße von bis zu 50 Mil­lionen Euro auf­er­legen. Das Gesetz diente als Inspi­ration für das kürzlich in Frank­reich ver­ab­schiedete Avia-Gesetz.

Zusätzlich haben die deut­schen Exe­ku­tiv­organe, ins­be­sondere um hart gegen „Hate Speech“ vor­zu­gehen, bereits den „Fünften Akti­onstag gegen Hass­pos­tings“ ver­an­staltet.

Trotz all dieser Maß­nahmen ist die Anzahl anti­se­mi­ti­scher Ver­brechen in Deutschland so hoch wie seit zwei Jahr­zehnten nicht mehr. Allein diese Nach­richt sollte in Deutschland Anlaß zu der Besorgnis sein, dass Gesetze zur Bekämpfung von Hassrede wie das NetzDG, obwohl sie die Mei­nungs­freiheit stark ein­schränken, nicht funk­tio­nieren. Hierauf sollten auch andere EU-Länder wie Frank­reich besinnen, die Deutschland als bei­spiel­haftes Vorbild betrachten.

Das geschieht jedoch nicht. Im Januar kün­digte Deutschland, wie von Gatestone bereits dar­ge­stellt, erneut harte Ein­schrän­kungen der Rede­freiheit an, angeblich um den Anti­se­mi­tismus zu bekämpfen. Im März ver­öf­fent­lichte die Euro­päische Kom­mission gegen Ras­sismus und Into­leranz – das Men­schen­rechts­über­wa­chungs­organ des Euro­pa­rates – einen Bericht, in dem fest­ge­stellt wurde, dass Deutschland trotz seiner repres­siven Gesetze immer noch nicht genug gegen Hate Speech unter­nimmt und dass:

„…in meh­reren Bereichen Hand­lungs­bedarf besteht, um Hate Speech wirksam zu ver­hindern und zu bekämpfen. Dazu gehören Sen­si­bi­li­sierung, Prä­vention sowie Widerrede, Unter­stützung der Opfer, Selbst­re­gu­lierung, die Nutzung von Rege­lungs­be­fug­nissen und als letztes Mittel die straf­recht­liche Unter­su­chung und Bestrafung.“

Deutschland scheint unfähig zu sein, seinen Kurs zu ändern, während der Anti­se­mi­tismus eskaliert.

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Die Kolum­nistin, Juristin und poli­tische Ana­lystin, Judith Bergmann, ist aus­ge­zeichnete Senior Fellow am Gatestone Institute.


Quelle: https://www.gatestoneinstitute.org/16098/germany-antisemitism

Quelle der Über­setzung: https://giftamhimmel.de/deutschlands-andauerndes-antisemitismus-problem/