Seit 2015 sind viele Zuwanderer und Asylsuchende nach Europa, besonders nach Deutschland gekommen. Viele gute Menschen, die dankbar sind, hier in Frieden leben zu dürfen. Aber auch einige, die einfach einer Inhaftierung in ihrem Heimatland entgehen wollen oder Europa als Schlaraffenland betrachten. Viele Flüchtlinge mussten in ihren Unterkünften schockiert feststellen, dass ihre Peiniger, IS-Terroristen und üble Kriminelle, mit ihnen in der Unterkunft wie Wölfe unter Schafen lebten. Das ist schon lange bekannt, hat aber in den Medien kaum Beachtung gefunden. Jetzt aber steht der oberste Verhör-Chef des Geheimdienstes Syriens in Deutschland vor Gericht und der Staatsfunk ist empört.
Jetzt mimt die ARD die Betroffenen. Wie konnte dieser Mann nur Asyl bekommen! Einfach so und ohne Anhörung! Und das Auswärtige Amt war doch gewarnt gewesen! So ein grausamer Verbrecher!
Anwar R. bekam übrigens schon 2014 sein Visum nach Deutschland und lebte schon einige Jahre hier mit seiner Familie. Er war in seinem Vorleben „Vernehmungschef“ in der syrischen Geheimdienstabteilung 251 gewesen, die berüchtigt für ihre Folterpraktiken war. Der Mann steht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Oberlandesgericht Koblenz im Saal 128 vor den Richtern. Die Bundesanwaltschaft führt die Klage gegen ihn und einen „Kollegen“, Eyad A.. Diesem wird vorgeworfen, mindestens 30 Demonstranten in das Foltergefängnis al-Khatib gebracht zu haben.
Hinten im Gerichtssaal sind Dutzende an Aktenordnern mit dem Aktenzeichen 1 StE 9/19 aufgereiht. Verhandelt wird eigentlich die persönliche Schuld der beiden Männer. Aber immer wieder klingt durch, dass es auch ein Prozess gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ist. Er ist natürlich ein „Machthaber“ und – obwohl er bei seinem Volk beliebt ist und sehr klug und geschickt seine Position in dem von den USA geplanten und durchgezogenen Krieg behaupten konnte, wird ein Seitenstrang des Prozesses auch zum „moralischen Prozess“ gegen Präsident Assad.
Es ist viel von den „Verbrechen des Regimes“ die Rede und die Presse schreibt über die „Schergen Assads“. Solche Töne hörte man nicht, als es um die Folterskandale an den Gefangenen in Abu Ghuraib unter dem Friedensnobelpreisträger, Präsident Obama, ging und immer noch geht. Da sprach niemand von den „Schergen des Machthabers“ Barack Obama.
Der Prozess gegen die beiden syrischen Geheimdienstler begann im April 2020. Die Bundesanwälte werfen den beiden vor – erstaunlicherweise findet hier der Begriff „mutmaßlich“ kaum Anwendung – für achtundfünfzig Morde und mindestens 4.000 Misshandlungen und Folterungen verantwortlich zu sein. Anwar R. bestreitet die Vorwürfe. Er war 17 Jahre lang beim syrischen Geheimdienst und war in vielen Fällen Ermittlungsleiter. Er versteckt sein Gesicht nicht im Gegensatz zu seinem Mitangeklagten. Er ist 57 Jahre alt, trägt Brille, Schnauzbart und hat eine hohe Stirn.
Er hat einen Dolmetscher und schreibt dem immer wieder etwas auf, was dann an seinen Anwalt weiter geleitet wird. Dass er in dem berüchtigten Gefängnis al-Khatib in Damaskus Ermittlungen geleitet hat, wirft ihm Oberstaatsanwalt Jasper Klinge vor. Dort soll er während ca. eineinhalb Jahren, von April 2011 bis September 2012 Tausende Menschen gefoltert oder foltern, vergewaltigen oder sexuell nötigen lassen haben. Manche sind an den Folgen dieser Bestialitäten gestorben.
Es sei das erste Mal, dass sich mutmaßliche Folterer aus Syrien vor einem Gericht verantworten müssen, heißt es in der NZZ. So ganz stimmt das nicht. Allenfalls staatlich bezahlte Folterer. Denn was manche deutsche Opfer in den letzten fünf Jahren so alles über sich ergehen lassen mussten von Landsmännern des Herrn Anwar R., das kann man ohne weiteres als Folter bezeichnen. Wahrscheinlich kann Herr Anwar R. aber nicht mit der üblichen Nachsicht der Gerichte rechnen.
Ein Absatz aus der NZZ sei hier zitiert:
„Dass Mitarbeiter des Regimes von Baschar al-Assad vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden, haben Russland und China durch ein Veto im UN-Sicherheitsrat verhindert. Deshalb bleibt nur die nationale Justiz, Deutschland ist dabei Vorreiter. Nach dem Weltrechtsprinzip im deutschen Völkerstrafgesetzbuch kann die Justiz Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann verfolgen, wenn weder Täter noch Opfer Deutsche sind. Der Prozess soll den Opfern Gerechtigkeit bringen. Und Assad zeigen: Taten werden geahndet.“
Plötzlich ist Deutschland Vorreiter und „ahndet“, und zwar strengstens, darf man vermuten. Wenn kriminelle Syrer, die nicht im Solde Assads stehen, in Deutschland Menschen – Deutsche und eigene Landsleute — bestialisch behandeln, dann sind sie durch den Krieg traumatisiert oder psychisch angegriffen und die Gerichte lassen oft große Milde walten.
Das schmälert keinesfalls die Verwerflichkeit dessen, was Anwar R. getan haben soll, (wenn er es getan hat, was wahrscheinlich ist, denn hochrangige Geheimdienstler sind keine Ministranten). Es bedeutet auch überhaupt nicht, dass alle Syrer Folterer und Verbrecher sind. Aber ich spare mir jetzt einfach mal eine Aufzählung der Fälle, die hier als Beispiel dienen könnten.
Anwar R. hat einen sehr angesehenen Zeugen gegen sich in diesem Prozess. Riad Seif, ein syrischer Landsmann, war ein sehr erfolgreicher Unternehmer in Syrien, ein ehemaliges Parlamentsmitglied und ein Regierungskritiker. Er saß dreimal im Gefängnis, bevor er 2012 aus Syrien floh. Per Videozuschaltung aus Berlin sagt Herr Riad Seif in dem Koblenzer Prozess aus. Er spricht arabisch und eine Dolmetscherin übersetzt seine Aussage. Er sagt auf Wunsch des Koblenzer Gerichts aus, aber erstaunlicherweise auch auf Wunsch des Hauptangeklagten Anwar R.
Riad Seif hat dem Angeklagten geholfen und seine guten Beziehungen ins Ausland spielen lassen, um Anwar R. über das deutsche Auswärtige Amt als „besonders Schutzbedürftigen“ im Rahmen eines Aufnahmeprogramms nach Deutschland zu bringen. Die „taz“ schreibt dazu:
„Anwar R, der Mann, den die Bundesanwaltschaft angeklagt hat, flog mit Hilfe der Bundesregierung von Amman direkt nach Berlin-Tegel. Und lebte mit seiner Familie als anerkannter Flüchtling in einer ruhigen Neubausiedlung im Nordosten Berlins. Bis er im Februar vergangenen Jahres festgenommen wurde. (…) ‚Woher kennen sie Anwar R.?‘, fragt der Richter jetzt. Seif antwortet, er habe ihn persönlich gar nicht gekannt, bis R. ihn in Berlin besucht habe. Auch habe er nicht viel über Anwar R.s Arbeit gewusst. Ein Freund seines Schwiegersohns habe darum gebeten, dass er sich für einen desertierten Oberst des Geheimdienstes einsetze, der nach Jordanien geflohen sei und vom syrischen Regime mit dem Tod bedroht werde. Ein weiterer Grund: ‚Wir wollten die Unterstützung der Abtrünnigen und Informationen über das System.‘ Von dem hochrangigen Überläufer habe man sich viel erhofft. ‚Aber da kam nichts, kein Wort.‘ Und je länger Seif aussagt, desto mehr Zweifel klingen durch, ob Anwar R. nach seiner Desertion wirklich gemeinsame Sache mit der Opposition gemacht hat.“
Herr Riad Seif hat sich in der syrischen Exilgesellschaft in Deutschland mit seiner Hilfe für Anwar R. bei einigen unbeliebt gemacht und scharfe Kritik einstecken müssen. Nur weil der Geheimdienstmann nach vielen Jahren treuer Dienste für die Regierung auf einmal desertierte, nachdem in seiner Heimatstadt al Haula ein Massaker durch regierungstreue Milizen verübt worden war, könne dies seine Verbrechen nicht auslöschen. Herr Seif hatte, wie er mehrfach betonte, aber die Hoffnung, von dem hochrangigen Mann wichtige Informationen zu bekommen, was sich aber nicht erfüllte.
Anwar R. stellt seine Desertion natürlich auch in den Kontext der Geschehnisse in Syrien. Er habe ein Problem damit gehabt, dass auf einmal ab Ende 2010 jeder harmlose Demonstrant im Gefängnis landen konnte, lässt er seinen Anwalt vortragen. Er habe schon im April 2011 aus Syrien weg gewollt. Im Juni 2011 sei er degradiert worden, weil er Inhaftierten geholfen habe. September 2012 habe man ihn in eine andere Abteilung versetzt, noch vor Weihnachten 2012 sei er dann mit seiner Familie aus Syrien geflohen. Eine Mitarbeiterin des deutschen Auswärtigen Amtes bestätigte, dass Anwar R. später als Mitwirkender der syrischen Opposition aktiv an den Friedensgesprächen in Genf teilgenommen habe.
Was das Gericht von den vielen Zeugen über die „gängigen Foltermethoden“ anhören muss, ist entsetzlich und kaum auszuhalten. Vierundzwanzig Fälle, die von glaubwürdigen Zeugen vorgebracht werden, was Menschen anderen Menschen an Grausamkeiten anzutun in der Lage sind. Die Beweislage ist „dicht“. Anwar R. könnte einer lebenslänglichen Haftstrafe entgegensehen.
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