Familienministerin Franziska Giffey, Bild: Olaf Kosinsky (kosinsky.eu), Bildlizenz: CC BY-SA 3.0-de https://kosinsky.eu/ https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Das bisschen Täu­schen kann so schlimm nicht sein? Kommt Fami­li­en­mi­nis­terin Giffey mit ihrer Pla­gia­t­arbeit durch?

Die Stu­denten an der Freien Uni­ver­sität Berlin sind empört: Wenn ein nor­maler Student es auch nur ein, zweimal in seiner Dok­tor­arbeit mit den Zitat­regeln nicht so genau nimmt, fällt er sofort durch. Frau Fami­li­en­mi­nis­terin Giffey dagegen kommt mit einer Rüge davon. Sie unter­liegt offenbar ganz beson­deren Regeln, oder die Uni Berlin ver­spricht sich Vor­teile davon, dass die Poli­ti­kerin viel­leicht 2021 Regie­rende Bür­ger­meis­terin Berlins werden könnte, und da kann es ja nicht falsch sein, ihr trotz allem die Dok­tor­würde nicht zu ent­ziehen? Die Ber­liner Stu­denten ver­langen ener­gisch den Entzug des Doktortitels.

Anna Müller, die Refe­rentin im AStA (All­ge­meinen Stu­den­ten­aus­schuss) der Ber­liner Hoch­schulen kann es nicht fassen: „Stu­die­rende fallen durch Prü­fungen, weil sie zwei Zitat­an­gaben ver­gessen haben“. Andere Poli­tiker wie Herr von Gut­tenberg (der den Entzug seiner Dok­tor­würde akzep­tierte und eine neue Dis­ser­tation schrieb, die mit Aus­zeichnung bewertet wurde und makellos ist) wurden wegen ihrer Pla­giate nicht so milde behandelt. Anna Müller kann sich schon vor­stellen, warum die Uni­ver­si­täts­führung nur eine „Rüge“ aus­spricht, ein Sank­tio­nie­rungs­mittel, was im Ber­liner Hoch­schul­gesetz über­haupt nicht vor­ge­sehen ist und frei­händig erfunden wurde: „Wir sehen hier kei­nerlei Ver­hält­nis­mä­ßigkeit, sondern poli­ti­sches Kalkül der FU-Führung“. Es ist bekannt, dass Frau Minis­terin Giffey (SPD) in den Ber­liner Senat gewählt werden will und das Amt des Regie­renden Bür­ger­meisters anstrebt.

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Die FU Berlin hatte die Prüfung der Dok­tor­arbeit der Fami­li­en­mi­nis­terin auf­ge­nommen, nachdem im Februar 2019 Pla­gi­ats­vor­würfe auf der Inter­net­plattform „Vro­niplag“ ver­öf­fent­licht wurden und einen Medi­en­wirbel ver­ur­sachten. Im Herbst 2019 war die Prüfung abge­schlossen und die Uni teilte der Öffent­lichkeit mit, Frau Minis­terin Giffey den Dok­torgrad nicht ent­ziehen zu wollen und statt­dessen eine Rüge aus­zu­sprechen. Denn es handle sich bei ihrer Dis­ser­tation „im Kern“ um eine „eigen­ständige, wis­sen­schaft­liche Leistung“ und „das Gesamtbild der fest­ge­stellten Mängel recht­fertigt die Ent­ziehung des Dok­tor­grades daher nicht“. Die Dis­ser­tation war damals mit der Bestnote „magna cum laude“ (mit großem Lob, also „sehr gut“) bewertet worden.

Mehr erfuhr die Öffent­lichkeit nicht. Erst einmal. Dann aber griff der AStA der Ber­liner Uni zur Selbst­hilfe, stellte einen Antrag gemäß Infor­ma­ti­ons­frei­heits­gesetz (IFG), erhielt aber erst ein Jahr später das Gut­achten zur besagten Dok­tor­arbeit und ver­öf­fent­lichte es auf seiner Seite.

Im Zuge der öffent­lichen Dis­kussion der Nicht-Ent­ziehung hatte der AStA FU eine Ver­öf­fent­li­chung des Bericht des Prü­fungs­gremium gefordert und eine ent­spre­chende Anfrage im Aka­de­mi­schen Senat gestellt. Sowohl diese als auch die dar­auf­fol­gende Anfrage nach IFG hatte das Prä­sidium abge­lehnt. Dem Wider­spruch des AStA FU gegen diese Ent­scheidung wurde jedoch im Sep­tember 2020 schließlich statt­ge­geben. Der lang­wierige Ablauf ist auf der Plattform FragDenStaat.de nach­zu­lesen.“

So wurde bekannt, dass es nicht nur ein paar zu bean­stan­dende Stellen, sondern 27 Stellen in der Dis­ser­tation gab, an denen die Regeln ein­deutig ver­letzt worden waren. Sie­ben­und­zwanzig Text­stellen in der 260seitigen Arbeit, die den Tat­be­stand der „objek­tiven Täu­schung“ erfüllen, stellten die Gut­achter fest:

„In dem Dokument wird klar, dass Giffey bei min­destens 27 Text­stellen vor­sätzlich getäuscht hat: Fünf Mal übernahm Giffey in der Arbeit ganze Sätze aus anderen Arbeiten, ohne sie als Zitat zu kenn­zeichnen und die Quelle zu nennen. An wei­teren 22 Stellen wurden “deut­liche Text­über­nahmen oder Para­phrasen aus­ge­macht, bei denen keine Quelle genannt wurde”, heißt es in dem Gut­achten. In diesen Pas­sagen sei “der Tat­be­stand der objek­tiven Täu­schung” erfüllt, so die Prüfer der Uni­ver­sität weiter. Weitere 29 gering­fügige Mängel listet das Gut­achten eben­falls auf. Hier waren Zitate erst spät genannt oder gering­fügige wört­liche Über­nahmen nach­ge­wiesen worden.“

Der wis­sen­schaft­liche Betrug ist also massiv. Und jetzt stellt sich die Frage: Durfte es die FU Berlin über­haupt bei einem harm­losen Tadel belassen? Die Pro­mo­ti­ons­ordnung der Uni und auch das Ber­liner Hoch­schul­gesetz kennen keine Sank­tio­nierung durch Rüge. Liegt eine Täu­schung vor – und das tut sie –, muss der Dok­torgrad ent­zogen werden. Oder es ist nicht so, dann ist die Arbeit auch nicht zu rügen.

So sah das auch der Wis­sen­schaft­liche Par­la­ments­dienst des Ber­liner Abge­ord­ne­ten­hauses, der auf Antrag der AfD-Fraktion tätig wurde. Ende Juli und nach Prüfung der Sachlage, stellte der Dienst unmiss­ver­ständlich fest: „Die Erteilung einer Rüge findet im Ber­liner Pro­mo­ti­ons­recht keine Rechts­grundlage“.

Am 22. Sep­tember beauf­tragte die FU Berlin, FU-Prä­sident Günter Ziegler, einen Juristen, ein Gut­achten zur Recht­mä­ßigkeit der Erteilung einer Rüge zu erstellen. Der beauf­trage, eme­ri­tierte (im Ruhe­stand befind­liche) Rechts­wis­sen­schafts­pro­fessor der Hum­boldt Uni­ver­sität soll mit seiner Expertise bis Ende November fertig werden.

Janik Besendorf, Referent im AStA FU: “Das Prä­sidium muss jetzt erneut ent­scheiden und Giffeys Dok­tor­titel ent­ziehen, da die Rüge rechts­widrig war. Sollte Giffey nicht nur das Amt der Bürgermeister*in von Michael Müller über­nehmen, sondern auch das der Wissenschaftssenator*in, wäre das eine Bank­rott­erklärung für den Wis­sen­schafts­standort Berlin.”

Frau Bun­des­mi­nis­terin Giffey selbst gibt sich voll­kommen gelöst und unbe­schwert. Sie sieht hier über­haupt keine „neue Sachlage“:

Die Uni­ver­sität hat das Ver­fahren abge­schlossen. Es gibt jetzt noch mal ein Prüf­ver­fahren über das Ver­fahren.“ Das sei Sache der Uni­ver­sität. „Für mich ändert sich an der bis­he­rigen Sachlage gar nichts“.