In Regionen mit schlafenden Vulkanen, wie die Vulkaneifel, beobachten die Geologen den Untergrund sehr genau. In den „Maaren“, den Kraterseen, steigen ständig feine Gasbläschen im Wasser hoch. Sie zeigen, dass es im Untergrund immer noch Aktivitäten gibt. Verdichten sie sich zu Blasen, heißt das Alarmstufe gelb. Und, wie man seit neuestem weiß, gibt es noch ein weiteres, dringendes Alarmsignal (außer den Messgeräten), die Flucht der Ameisen. So etwas ähnliches sehen wir gerade in den großen Städten. Die Pandemie hat viele in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit gebracht. Sie können die teuren Mieten nicht mehr zahlen. Eine Welle von Wohnungskündigungen bahnt sich an.
Ameisen bauen ihre Kolonien gern über Erdspalten, aus denen Gase entweichen. Im Sommer kühlt das den Ameisenbau, im Winter wärmt es ihn, verhindert Schimmelbildung und sorgt für frische Luft selbst tief im Bau. Sobald im Untergrund aber tektonische Veränderungen geschehen, verändert sich die Zusammensetzung und Temperatur der aus den Erdspalten aufsteigenden Gase. Es wird zu heiß im Bau und die Schwefelwasserstoffe im Gas, die für Ameisen schon in geringer Konzentration giftig sind, treiben die kleinen Krabbler in die Flucht. Der Geologe Ulrich Schreiber erforscht diese Zusammenhänge und hat einen spannenden Roman dazu geschrieben.
Auch im Wirtschaftsleben hängt alles miteinander zusammen. Ändert sich eine wichtige Komponente, betrifft es das ganze System. Ob beim Ameisenbau oder in der Volkswirtschaft. Das ist nicht neu? Stimmt. Daher ist es keine Überraschung, dass die brutalen Auswirkungen des Lockdowns sich jetzt langsam aber sicher in allen Bereichen des Lebens bemerkbar machen. Selbstmorde steigen, die Isolation der Alten ist eine Katastrophe, die Scheu der Menschen, überhaupt zum Arzt zu gehen wird viele Todesfälle erzeugen. Die Kulturszene zerfällt, die Gaststätten werden wahrscheinlich zur Hälfte nicht überleben, den Tourismus gibt es kaum noch. Der zweite Lockdown, der, wie es jetzt aussieht, bis ins Frühjahr durchgezogen werden könnte, wird sehr viele Menschen auf der ganzen Welt verarmen lassen und das wirtschaftliche Leben in den Notmodus zwingen.
Das macht sich auch auf dem Wohnungsmarkt bemerkbar. Die Direktorin des hessischen Landesverbandes des Deutschen Mieterbundes, Eva Winckelmann, ist sehr besorgt. Immer mehr Bürger sind in Kurzarbeit, arbeitslos oder auch existenziell ruiniert. Das sind keineswegs nur diejenigen, die in der Gastronomie oder im Tourismus gearbeitet haben und auch nicht nur einfache Arbeiter, Kellner oder Flughafenangestellte. Der Kahlschlag in den Einkommen fräst eine Schneise in die Gesellschaft, die immer breiter wird und immer mehr Berufsgruppen links und rechts erfasst.
Die Mieten in den Städten sind hoch und die wenigsten haben Rücklagen, die mehr als drei Monate reichen. Viele hatten ihre Rücklagen angegriffen und waren überzeugt, wenn der Lockdown in ein paar Wochen vorbei ist, dann geht es wieder weiter. Doch nun können sie ihre Miete und bald schon ihre ganz normalen Lebenskosten nicht mehr bezahlen.
Der Mieterbund vertritt allein in Hessen 100.000 Haushalte und damit etwa 200.000 Menschen. Das ist keine kleine Randerscheinung der Corona-Politik der Regierung. Eine wachsende Zahl dieser Mieter rutscht in Mietschulden und sieht keinen Ausweg mehr. „Das sind Leute, die niemals damit gerechnet haben, dass sie arbeitslos werden“, sagt Frau Winckelmann. Leider haben sie deswegen oft die Möglichkeit nicht wahrgenommen, sich im Frühjahr die Miete stunden zu lassen, wie es die Berliner Regierung für die Zeit zwischen dem ersten April bis zum 30. Juni ermöglicht hatte. In dieser Zeit durften die Vermieter nicht wegen der Mietrückstände aufgrund der Pandemie kündigen, aber die ausstehenden Mieten müssen sie so oder so bis zum 30. Juni 2022 bezahlen.
Schon Ende Juni 2020 war Schluss mit der Nachsicht für den Mietzahlungsrückstand. Dieser Kündigungsschutz endete mit dem Juni 2020 und seitdem gilt wieder: Geraten Mieter mit ihrer Mietzahlung zwei Monate in Rückstand, kann ihnen der Vermieter fristlos kündigen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wollte damals den Schutz der Mieter bis September ausdehnen, doch die CDU spielte nicht mit. Auch der Zahlungsaufschub für private Kredite, Strom- und Gasrechnungen endete mit dem Juni. Wer seitdem nicht zahlen konnte, musste mit Kündigung rechnen.
Der Tagesspiegel schrieb bereits im Juni:
„Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, ist entsetzt: ‘Ab Mittwoch wieder in den Normalmodus überzugehen und Mieter, die unverschuldet Einkommenseinbußen erleiden, dem Kündigungsrisiko auszusetzen, ist absolut widersinnig.‘ Die Verlängerung des Kündigungsschutzes koste nichts, schütze aber Wohnraum- und Gewerbemieter vor dem Verlust ihrer Wohnung und ihrer wirtschaftlichen Existenz, sagte der Mieterschützer am Montag. ‚Menschen ohne finanzielle Rücklagen könnten schon in zwei Monaten auf der Straße stehen‘, warnte auch Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Vor dem Hintergrund, dass mehrere Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit sind und hunderttausende Soloselbstständige dauerhafte Einkommenseinbußen haben, schaffe die Bundesregierung ‚völlig ohne Grund sozialen Sprengstoff‘.
Natürlich ist dazu anzumerken, dass es für den Vermieter durchaus auch existenzbedrohlich werden kann, wenn sein Mieter nicht mehr bezahlt. Nicht wenige Ältere haben ihre Ersparnisse in eine Immobile gesteckt, von deren Miteinnahmen sie ihre Rente aufbessern. Dass die Verlängerung des Kündigungsschutzes nichts koste, ist eine etwas gewagte Behauptung. Denn viele säumige Mieter werden auch im weiteren Verlauf der Pandemie und des Lockdowns nicht besser gestellt werden, und der Vermieter muss am Ende eine gesamte Jahresmiete als Verlust abschreiben, weil bei dem Mieter nichts mehr zu holen ist. Weil sich auch Vermieter denken können, dass sich die Lage nicht mehr so schnell verbessern wird, greifen sie seit Corona sehr viel schneller zum Mittel der Kündigung, um den Schaden zu begrenzen.
Letztendlich, das ist jetzt schon absehbar, werden die Mietpreise kräftig sinken, weil es nicht mehr genügend solvente Mieter gibt. Auch das kostet die Vermieter Einkommen, was sich in weniger Renovierungen, weniger Reparaturen und weniger Neubauten niederschlagen wird. Mancher jüngerer Alleinstehende wird wieder bei den Eltern, ältere Alleinstehende bei einem der Kinder einziehen. Junge Familien werden den Trend zu Stadtflucht ins Umland verstärken. Die fehlende Finanzkraft und Nachfrage wiederum wird sich auf die Baubranche auswirken und dort unerwünschte Effekte zeigen.
Der Druck auf Mieter wächst aber auch wegen Eigenbedarfskündigungen. Die Vermieter brauchen den Wohnraum für die eigenen Kinder, Nichten, Neffen oder alten Eltern.
Noch sind es Leute, die zur Mieterbund-Beratungsstelle kommen, denen ihre Zahlungsunfähigkeit sehr peinlich ist, sagt Frau Winckelmann. Das wird sich bald ändern. Die Entwicklung könnte durchaus zu mehr Sozialhilfeempfängern gehen, denen die Städte Wohnungen geben müssen. Das wird die Steuerzahler, die noch ein Einkommen erwirtschaften, stärker belasten und ihre Möglichkeiten, eine Wohnung zu bezahlen, weiter einengen. Auch das Mietnomadentum wird zunehmen und sehr viel Leute, die eh nichts mehr zu verlieren haben, müssen durch Klagen aus den Wohnungen zwangsgeräumt werden.
Natürlich, so schreibt die FAZ, wird jetzt nach Geld gerufen. Die landeseigenen Wohnungsbaugenossenschaften sollen nun darüber nachdenken, ob die geplanten Mieterhöhungen durchgesetzt werden sollen, Zwangsräumungen sollen ausgesetzt werden, Versorgungssperren (Wasser, Strom, Gas abdrehen) sollen ausgesetzt werden. Und ein Mietschuldenfonds unter finanzieller Beteiligung von großen Wohnungskonzernen und großen Privatvermietern müsse eingerichtet werden, um die verarmten Massen an Arbeitslosen, Kurzarbeitern und insolvent gewordenen Mittelständlern aufzufangen.
Und das ist nur ein Aspekt dessen, was uns Dank der Berliner Covid-19-Politik bevorsteht.
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