Irgendwie haben wir‘s nicht so drauf mit den Regeln der Satire und den gesellschaftlichen Tabus. Wenn Jan Böhmermann den türkischen Staatsschef Präsident Erdoğan tödlich beleidigt, ohne dabei irgendwie lustig zu sein, ist das Satire und damit Kunst — und Herr Böhmermann kommt ungestraft davon. Auch wenn er Großmüttern pauschal Coronaleugnung unterstellt und sie in seinem „satirischen“ Song an Corona elend sterben lässt, hat der Spitzensatiriker Carte Blanche und sogar die öffentlichen Sendeanstalten hinter sich. Oder wenn die Berliner Schaubühne politische Gegner (AfD-Mitglieder) als Zombies darstellt, zu ihrer Vernichtung aufruft und behauptet, sich dabei auf einen Akt des Widerstandes zu beziehen sowie die Kunst und sich auf „satirischem Weg zu berufen und sich so mit den rechtsnationalen und religiös-fundamentalistischen Strömungen im heutigen Deutschland auseinanderzusetzen“ — und vor Gericht auch noch Recht bekommt.
Das muss man sich mal anhören:
„Meine Oma stürmt in schwarz-weiß-rot den Reichstag, den Reichstag, den Reichstag“, beginnt die vierte Strophe. „Damit ‚da oben‘ endlich einer mal Bescheid sagt. Meine Oma hustet jetzt im Widerstand.“ Und die letzte Strophe: „Meine Oma liegt seit vorgestern im Koma, im Koma, im Koma. Mit ‘nem Plastikschlauch in ihren Tracheostoma. Pandemie vorbei und meine Oma auch.“
Ist doch irre witzig und niemand fühlt sich wirklich angegriffen, oder? Wie? Finden Sie nicht? Ach? Bösartig und gemein und unwahr? Aber, aber, lieber Leser. Wie kann man denn so intolerant sein? Sehen sie, das ist Kunst. Genauer gesagt, Satire. Satire darf ätzend und gemein sein. Und muss sich auch nicht an die Wahrheit halten. Selbst, wenn sie eine Straftat ist und eine diplomatische Katastrophe heraufbeschwört, wie Herrn Böhmermanns Gedicht gegen Präsident Erdoğan, ist es Kunst und nicht strafbar.
Aber es gibt Grenzen, meinen Sie?
Hmmm … wo könnten die denn liegen?
Also offensichtlich ist die Grenze noch nicht da, wo man konkrete Menschen persönlich extrem schwer beleidigt (Präsident Erdoğan). Auch wenn man konkrete Menschen in beleidigender, widerlicher Weise darstellt und zu ihrer Vernichtung aufruft (AfD-Zombies). Ebenfalls nicht, wenn man eine definierte Gruppe von Menschen (Großmütter) als gefährliche Irre darstellt und genüsslich und ihr gewünschtes, schreckliches Ende beschreibt (Oma im Corona-Koma). Ist alles Kunst und erlaubte Satire.
Warum? Weil man sich an den gesellschaftlichen Gruppen und Personen ad libitum vergreifen darf und grenzenlos grob werden darf, die sich nicht des „Opfer“- oder „Minderheiten“-Status‘ erfreuen. Also auf AfD-Politiker einprügeln, Präsident Erdogan, Donald Trump, Großmütter, weiße Männer überhaupt, SUV-Fahrer usw. usf. ist voll okay.
Aber was GAR nicht geht, sind Witze über nicht-weiße Menschen. Auch dann, wenn die überhaupt keine Minderheit sind und auch keine Opfer von irgendwem sind, weil niemand trauen würde, ihnen vor‘s Schienbein zu treten … wie beispielsweise … Chinesen.
Herr Sonneborn, dessen satirische Kunst durchaus umstritten ist, hat nun einen handfesten Skandal am Hals. Er hat — BOAH! — einen rassistischen Witz gemacht über die „Minderheit der Chinesen“.
Die Faz schreibt:
„Dort war der Partei-Chef mit einem T‑Shirt zu sehen, dessen Schriftzug suggeriert, Asiaten könnten kein R aussprechen. Etliche Nutzer gaben an, sich rassistisch beleidigt zu fühlen.“
„… sein Witz gegen die Minderheit der Chinesen ging so daneben, dass der Kapuzenmann die PARTEI empört verlassen hat.
Nur mal so, zur „Minderheit der Chinesen“: Schauen wir doch mal nach bei Wikipedia. Es gibt 1,4 Milliarden Chinesen. Europa hat 746 Millionen Einwohner. Und die Chinesen brauchen nun wirklich von niemandem Schutz. Eine bemitleidenswerte Minderheit sind sie wahrlich nicht. Wir werden uns noch wundern, wie schnell China die Welt beherrschen wird. Aber sobald das Etikett
„Minderheit“ dranhängt, gelten die Rassimus-Regeln.
Also, Martin Sonneborn hat mit einem „satirischen“ Spruch auf seinem T‑Shirt eine „chinesische Minderheit rassistisch beleidigt“. Weil er witzelte, Asiaten können kein „R“ sprechen. Aufregung, besonders bei seinem Parteikollegen Nico Semsrott alias „der Kapuzenmann“, ebenfalls Satiriker. Ein Twitter-Shitstorm braute sich über Herrn Sonneborn zusammen, der damit überhaupt nicht gerechnet hatte, weil er ja sonst eigentlich für jede Unverschämtheit und Geschmacklosigkeit Beifall gewohnt ist. Martin Sonneborn berief sich natürlich erst einmal auf die Freiheit der Kunst, im Besonderen der Satire. Aber nein, bei dem leisesten Verdacht auf Rassismus ist Schluss mit Lustig. Nun, was stand denn auf dem inkriminierten T‑Shirt?
„Au Widelsehern, Amlerika! Haben Sie Guter FrLug runtel! Plinted in China. Fü Die PALTEI.“
Wenn der Spruch auch nur halb so witzig wäre, wie die Aufregung darüber groß, könnte man dem ganzen hysterischen Hühnerhaufen-Gegacker ja noch halbwegs etwas abgewinnen. Irgendwie hat Herr Sonneborn auch gemerkt, dass niemand außer ihm den Witz verstanden hat. Also bemüßigte er sich einer Erläuterung, warum dieser Blödsinn Kunst und Satire sein soll. Nicht ohne vorauszuschicken: „Die Exegese von Witzen gehört eigentlich nicht zu meiner Berufsbeschreibung.“
Warum eigentlich nicht, Herr Sonneborn? Jeder, der potentiell Gefährliches oder Schädliches oder für den Laien nicht ohne Anweisung zu Verstehendes auf den Markt bringt, muss eine Gebrauchsanweisung und Warnhinweise beifügen. Gut, Herr Sonneborn hat es nachgereicht:
Hat aber nichts geholfen. Nicht einmal das beabsichtigte, „befreiende Lachen“ wollte sich einstellen. Auch die Entschuldigung kommt zu spät, denn Spaßnudel und Satiriker sowie Parteigenosse Nico Semsrott hatte wegen des rassistischen Spruches sein unvermeidliches Kaputzen-Hoody schon hingeworfen. Nico Semsrott ist, ebenfalls wie Sonneborn, Europaabgeordneter der Grünen, aber Mitglied der „Die Partei“ von Herrn Sonneborn, der seinerseits im Europaparlament fraktionslos ist. Herr Semmrott ist wegen des „chinesischen T‑Shirts“ mit Aplomb aus der „Die Partei“ ausgetreten. Sein Statement dazu:
„Wenn er Kritik keinen Raum geben könne, den gesellschaftlichen Kontext ausblende, „beleidigt seine Machtposition ausnutzt, sobald Betroffene sich gegen Beleidigungen wehren“ und den Schwerpunkt darauf lege, dass „andere nur zu doof seien, seine Kunst zu verstehen“, solle er gehen, „weil er aus der Zeit gefallen und am falschen Ort ist“. Er habe Sonneborn vor einigen Tagen gebeten, sich zu entschuldigen, schrieb Semsrott. „Er hat es nicht gemacht. Das ist also kein Versehen, er will das eindeutig so.“ Die Partei sei in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch vor allem Sonneborns Projekt. Dafür wolle er sein Gesicht nicht weiter hergeben, so Semsrott. Sein Mandat als Europaabgeordneter werde er jedoch behalten.“
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.