Martin Sonneborn, wikimedia commons, Tiki, Bildlizenz: CC BY-SA 4.0

Hyper­moral goes wild: Wenn ein Sati­riker (Semsrott) einen Sati­riker (Son­neborn) wegen Satire atta­ckiert (+Video)

Irgendwie haben wir‘s nicht so drauf mit den Regeln der Satire und den gesell­schaft­lichen Tabus. Wenn Jan Böh­mermann den tür­ki­schen Staatsschef Prä­sident Erdoğan tödlich beleidigt, ohne dabei irgendwie lustig zu sein, ist das Satire und damit Kunst — und Herr Böh­mermann kommt unge­straft davon. Auch wenn er Groß­müttern pau­schal Coro­na­leugnung unter­stellt und sie in seinem „sati­ri­schen“ Song an Corona elend sterben lässt, hat der Spit­zen­sa­ti­riker Carte Blanche und sogar die öffent­lichen Sen­de­an­stalten hinter sich. Oder wenn die Ber­liner Schau­bühne poli­tische Gegner (AfD-Mit­glieder) als Zombies dar­stellt, zu ihrer Ver­nichtung aufruft und behauptet, sich dabei auf einen Akt des Wider­standes zu beziehen sowie die Kunst und sich auf „sati­ri­schem Weg zu berufen und sich so mit den rechts­na­tio­nalen und religiös-fun­da­men­ta­lis­ti­schen Strö­mungen im heu­tigen Deutschland aus­ein­an­der­zu­setzen“ — und vor Gericht auch noch Recht bekommt.

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Das muss man sich mal anhören:

„Meine Oma stürmt in schwarz-weiß-rot den Reichstag, den Reichstag, den Reichstag“, beginnt die vierte Strophe. „Damit ‚da oben‘ endlich einer mal Bescheid sagt. Meine Oma hustet jetzt im Wider­stand.“ Und die letzte Strophe: „Meine Oma liegt seit vor­gestern im Koma, im Koma, im Koma. Mit ‘nem Plas­tik­schlauch in ihren Tra­cheo­stoma. Pan­demie vorbei und meine Oma auch.“

Ist doch irre witzig und niemand fühlt sich wirklich ange­griffen, oder? Wie? Finden Sie nicht? Ach? Bös­artig und gemein und unwahr? Aber, aber, lieber Leser. Wie kann man denn so into­lerant sein? Sehen sie, das ist Kunst. Genauer gesagt, Satire. Satire darf ätzend und gemein sein. Und muss sich auch nicht an die Wahrheit halten. Selbst, wenn sie eine Straftat ist und eine diplo­ma­tische Kata­strophe her­auf­be­schwört, wie Herrn Böh­mer­manns Gedicht gegen Prä­sident Erdoğan, ist es Kunst und nicht strafbar.

Aber es gibt Grenzen, meinen Sie?

Hmmm … wo könnten die denn liegen?

Also offen­sichtlich ist die Grenze noch nicht da, wo man kon­krete Men­schen per­sönlich extrem schwer beleidigt (Prä­sident Erdoğan). Auch wenn man kon­krete Men­schen in belei­di­gender, wider­licher Weise dar­stellt und zu ihrer Ver­nichtung aufruft (AfD-Zombies). Eben­falls nicht, wenn man eine defi­nierte Gruppe von Men­schen (Groß­mütter) als gefähr­liche Irre dar­stellt und genüsslich und ihr gewünschtes, schreck­liches Ende beschreibt (Oma im Corona-Koma). Ist alles Kunst und erlaubte Satire.

Warum? Weil man sich an den gesell­schaft­lichen Gruppen und Per­sonen ad libitum ver­greifen darf und gren­zenlos grob werden darf, die sich nicht des „Opfer“- oder „Minderheiten“-Status‘ erfreuen. Also auf AfD-Poli­tiker ein­prügeln, Prä­sident Erdogan, Donald Trump, Groß­mütter, weiße Männer über­haupt, SUV-Fahrer usw. usf. ist voll okay.

Aber was GAR nicht geht, sind Witze über nicht-weiße Men­schen. Auch dann, wenn die über­haupt keine Min­derheit sind und auch keine Opfer von irgendwem sind, weil niemand trauen würde, ihnen vor‘s Schienbein zu treten … wie bei­spiels­weise … Chinesen.

Herr Son­neborn, dessen sati­rische Kunst durchaus umstritten ist, hat nun einen hand­festen Skandal am Hals. Er hat — BOAH! — einen ras­sis­ti­schen Witz gemacht über die „Min­derheit der Chinesen“.

Die Faz schreibt:
„Dort war der Partei-Chef mit einem T‑Shirt zu sehen, dessen Schriftzug sug­ge­riert, Asiaten könnten kein R aus­sprechen. Etliche Nutzer gaben an, sich ras­sis­tisch beleidigt zu fühlen.“

Heise schreibt:

„… sein Witz gegen die Min­derheit der Chi­nesen ging so daneben, dass der Kapu­zenmann die PARTEI empört ver­lassen hat.

Nur mal so, zur „Min­derheit der Chi­nesen“: Schauen wir doch mal nach bei Wiki­pedia. Es gibt 1,4 Mil­li­arden Chi­nesen. Europa hat 746 Mil­lionen Ein­wohner. Und die Chi­nesen brauchen nun wirklich von nie­mandem Schutz. Eine bemit­lei­dens­werte Min­derheit sind sie wahrlich nicht. Wir werden uns noch wundern, wie schnell China die Welt beherr­schen wird. Aber sobald das Etikett

„Min­derheit“ dran­hängt, gelten die Rassimus-Regeln.

Also, Martin Son­neborn hat mit einem „sati­ri­schen“ Spruch auf seinem T‑Shirt eine „chi­ne­sische Min­derheit ras­sis­tisch beleidigt“. Weil er wit­zelte, Asiaten können kein „R“ sprechen. Auf­regung, besonders bei seinem Par­tei­kol­legen Nico Semsrott alias „der Kapu­zenmann“, eben­falls Sati­riker. Ein Twitter-Shit­storm braute sich über Herrn Son­neborn zusammen, der damit über­haupt nicht gerechnet hatte, weil er ja sonst eigentlich für jede Unver­schämtheit und Geschmack­lo­sigkeit Beifall gewohnt ist. Martin Son­neborn berief sich natürlich erst einmal auf die Freiheit der Kunst, im Beson­deren der Satire. Aber nein, bei dem lei­sesten Ver­dacht auf Ras­sismus ist Schluss mit Lustig. Nun, was stand denn auf dem inkri­mi­nierten T‑Shirt?

„Au Widel­sehern, Amlerika! Haben Sie Guter FrLug runtel! Plinted in China. Fü Die PALTEI.“

Wenn der Spruch auch nur halb so witzig wäre, wie die Auf­regung darüber groß, könnte man dem ganzen hys­te­ri­schen Hüh­ner­haufen-Gegacker ja noch halbwegs etwas abge­winnen. Irgendwie hat Herr Son­neborn auch gemerkt, dass niemand außer ihm den Witz ver­standen hat. Also bemü­ßigte er sich einer Erläu­terung, warum dieser Blödsinn Kunst und Satire sein soll. Nicht ohne vor­aus­zu­schicken: „Die Exegese von Witzen gehört eigentlich nicht zu meiner Berufsbeschreibung.“

Warum eigentlich nicht, Herr Son­neborn? Jeder, der poten­tiell Gefähr­liches oder Schäd­liches oder für den Laien nicht ohne Anweisung zu Ver­ste­hendes auf den Markt bringt, muss eine Gebrauchs­an­weisung und Warn­hin­weise bei­fügen. Gut, Herr Son­neborn hat es nachgereicht:

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Hat aber nichts geholfen. Nicht einmal das beab­sich­tigte, „befreiende Lachen“ wollte sich ein­stellen. Auch die Ent­schul­digung kommt zu spät, denn Spaß­nudel und Sati­riker sowie Par­tei­ge­nosse Nico Semsrott hatte wegen des ras­sis­ti­schen Spruches sein unver­meid­liches Kaputzen-Hoody schon hin­ge­worfen. Nico Semsrott ist, eben­falls wie Son­neborn, Euro­pa­ab­ge­ord­neter der Grünen, aber Mit­glied der „Die Partei“ von Herrn Son­neborn, der sei­ner­seits im Euro­pa­par­lament frak­ti­onslos ist. Herr Semmrott ist wegen des „chi­ne­si­schen T‑Shirts“ mit Aplomb aus der „Die Partei“ aus­ge­treten. Sein Statement dazu:

„Wenn er Kritik keinen Raum geben könne, den gesell­schaft­lichen Kontext aus­blende, „beleidigt seine Macht­po­sition aus­nutzt, sobald Betroffene sich gegen Belei­di­gungen wehren“ und den Schwer­punkt darauf lege, dass „andere nur zu doof seien, seine Kunst zu ver­stehen“, solle er gehen, „weil er aus der Zeit gefallen und am fal­schen Ort ist“. Er habe Son­neborn vor einigen Tagen gebeten, sich zu ent­schul­digen, schrieb Semsrott. „Er hat es nicht gemacht. Das ist also kein Ver­sehen, er will das ein­deutig so.“ Die Partei sei in der öffent­lichen Wahr­nehmung jedoch vor allem Son­ne­borns Projekt. Dafür wolle er sein Gesicht nicht weiter her­geben, so Semsrott. Sein Mandat als Euro­pa­ab­ge­ord­neter werde er jedoch behalten.“