Die Besetzung des Hambacher Forstes hat ein ziemlich enthüllendes Nachspiel geboren. „Umweltaktivisten“, meist eine Mischung aus echten Naturschützern und Berufsrandalierern plus Antifa hatten den Wald besetzt, um zu verhindern, dass die Baggerschaufeln des RWE dort Braunkohle fördern und der Wald weichen muss. Nach langem Gerangel mit der Polizei wurde der Wald geräumt. Ministerpräsident Armin Laschet war ebenfalls vor Ort. Dabei wurde eine brisante Äußerung von ihm auf Handy aufgenommen. Der WDR sendete diese, löschte sie aber nach wenigen Stunden. Willfährige Diensteifrigkeit oder Rücknahme eines journalistischen Fehlers?
Ein Radiobeitrag des WDR aus dem September 2019 berichtete über den Zankapfel Hambacher Forst bei Düren und davon, dass Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident ebenfalls vor Ort war, um sich ein Bild über die Lage zu machen. Der Wald sollte aus Brandschutzgründen geräumt werden und die Besetzer mit Polizeigewalt vertrieben. Vor Ort gab es Diskussionen, Umweltschützer hatten den Ministerpräsidenten abgefangen und ihn zur Rede gestellt. Jemand nahm die Auseinandersetzung auf Handy auf. Auf dem Video sieht man Hosenbeine und Schuhe und hört eindeutig die Stimme des NRW-Ministerpräsidenten Laschet. Das Video wurde dem WDR-Journalisten Jürgen Döschner zugespielt. Der machte dazu einen Beitrag im Hörfunk mit dem Titel: „Hambacher Forst: Räumung brauchte Vorwand“. Der Beitrag wurde im „Morgenecho“ auf WDR 5 gesendet. Zweieinhalb Stunden später löschte der WDR die Sendung wieder aus dem Angebot.
Hier ist das besagte Video:
Die Aussage Ministerpräsident Laschets gegen Ende des Videos heißt also: „Ich brauche einen Vorwand, sonst kann man da nicht tätig werden, ich wollte den Wald räumen.“
Der Spruch zirkulierte damals im Internet und war vielen ein Beweis dafür, dass die Behauptung, man müsse leider wegen Brandschutzbestimmungen die Aktivisten mittels Polizeieinsätzen auch gewaltsam entfernen, nur ein Vorwand war, um der RWE eben doch die Rodung und Braunkohlegewinnung zu ermöglichen. Der Verdacht ist so abwegig nicht: Gerade aktuell müssen auch Dörfer den Baggerschaufeln weichen, obwohl der Ausstieg aus der Braunkohle doch eigentlich beschlossene Sache sein soll. Tausende Menschen müssen weichen, sie werden umgesiedelt, und nicht alle gehen freiwillig.
Schon damals musste sich der WDR fragen lassen, warum der brisante Ausspruch Herrn Laschets so geräuschlos wie auch kommod für den Ministerpräsidenten wieder entfernt wurde. Das Eingeständnis, er habe einen „Vorwand“ für die Räumung gebraucht, war ein Politikum. Der „Spiegel“ griff die Sache auf und unterstellte dem WDR „mangelnde Distanz“ zur Landesregierung. Es sei doch ziemlich auffällig, wie gemütlich und einvernehmlich sich die Landesregierung mit dem Sender eingerichtet habe.
Der WDR wehrt sich gegen den Vorwurf, die Sendung aus Gefälligkeit für den Ministerpräsidenten schnellstens aus der Mediathek entfernt zu haben und bezichtigt den Spiegel der falschen Berichterstattung:
„Warum hat der WDR das Video nicht gezeigt?
Das Video zirkulierte im Netz und war an mehreren Stellen bekannt. Die angebliche Kernaussage – ‚Ich brauche einen Vorwand‘ – hatte damals schon keinen Newswert mehr. Der WDR und andere hatten längst berichtet, dass die Landesregierung einen Vorwand für die Räumung des Forstes gesucht hatte. Auch NRW-Innenminister Reul hatte bereits zuvor in einem Westpol-Interview (30.08.2019) gesagt, dass es darum ging, im Brandschutz eine Rechtsgrundlage zu haben.
Mit anderen Worten: Man musste keine Ausschnitte eines offenbar verdeckt mitgeschnitten Videos veröffentlichen, um das noch zu beweisen. Wenn man sich entscheidet, solches Material zu verwenden, braucht man einen triftigen Grund und den hatten wir nicht. Also hat die Fachredaktion den angebotenen Beitrag mit Verweis auf die journalistische Sorgfaltspflicht abgelehnt.“
Der WDR setzt dann einen Ausschnitt aus einem Westpol-Interview vom 30. August 2019 dazu, der den Hintergrund dieses „Vorwandes“ erklären soll. NRW-Innenminister Herbert Reul erklärte in diesem Interview:
„Es ging am Anfang überhaupt nicht um den Brandschutz, als wir das haben prüfen lassen. Das war das Ergebnis der Prüfung, das ist zweierlei. Der Anfang war, dass der Minister für Inneres, nämlich ich, immer öfter gefragt wurde: ‘Du bist für Null-Toleranz-Strategie. Du greifst ein, wenn Clans die Regeln nicht beachten. Du greifst ein, wenn rechte Demonstranten Sprüche kloppen, die nicht erlaubt sind. Warum lässt Du eigentlich zu, dass im Hambacher Forst ungleiches Recht gilt. Dass die machen können, was sie wollen. Dass sie Recht brechen, dass sie Häuser auf fremdem Gelände bauen, dass sie Polizisten gefährden. Sachbearbeiter, die da unterwegs sind, lebensgefährlich angreifen. Warum lässt Du das zu? Das ist nicht glaubwürdig.’ Und da habe ich gesagt: Ich halte das für nicht möglich, wir müssen uns darum kümmern, und habe gebeten: Ich brauche da aber natürlich eine Rechtsgrundlage, denn ich kann ja nicht machen was ich will, so ist der Rechtsstaat.”
Das ist aus dem Blickwinkel der Politiker zwar nachvollziehbar, ändert aber nichts daran, dass der WDR den „Vorwand“-Bericht des Kollegen Jürgen Döschner stikum aus der Mediathek löschte. Was der WDR in seinem Rechtfertigungsbeitrag nämlich nicht erwähnt, ist, dass auch innerhalb des WDR dieser Schritt sehr umstritten war. Der WDR-hausinterne Schlichtungsausschuss hatte den gelöschten Radiobeitrag klar als „journalistisch einwandfrei“ bezeichnet. Bei der Löschung habe, so berichtet der Spiegel, auch der WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn „eine Rolle gespielt“, wie eine E‑Mail nahelegt.
Die Begründung, es habe den Beitrag ja auch gar nicht gebraucht, weil das Video ja sowieso im Netz kursierte, ist… zumindest sehr originell. Insbesondere in einer Medienlandschaft, in der alle Hauptmedien mehr oder weniger unisono über Ereignisse berichten, in der Regel auch dieselben Standpunkte vertreten oder auch bequemerweise gleich die Reuters, dpa- oder afp-Meldungen reihenweise abpinseln. Wäre die Einzigartigkeit der Veröffentlichung ein Kriterium, könnte man 99% der Hauptmedien gleich abschaffen. Besonders goldig ist dieser Einwand auf dem Hintergrund, dass das besagte „Vorwand“-Video bis zu der Radiosendung ja nur auf Social-Media-Plattformen und in alternativen, freien Medien kursierte. Genau deshalb wurde es ja Jürgen Döschner zugespielt. Der WDR war mit dieser Sendung das erste Hauptmedium, das diese Laschet-Äußerungen im Original brachte.
Man erinnere sich nur daran, wie ausführlich die berühmte Ibiza-Affäre mit dem böswillig zusammengeschnitten Video der österreichischen FPÖ-Politiker durch alle Hauptmedien gehechelt wurde, bis man dann am Schluss in nur wenigen Medien erfuhr, dass die Betrachtung des gesamten Films die beiden Politiker Strache und Gudenus doch entlastete.
Das herzliche Einvernehmen zwischen Landespolitikern und der WDR-Führung ist anscheinend bekannt. Die eigenen WDR-Redakteure kritisieren das laut Spiegel schon lange. Der Hamburger Journalistikprofessor Volker Lilienthal sagte dem „Spiegel“: “Landesrundfunkanstalt und Landesregierung haben sich gut eingerichtet und arrangiert.“
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.