- März 2021, Cellular Phone Taskforce
Im Westpazifik, zwischen Australien und dem Äquator, liegt einer der meist isolierten und am wenigsten besuchten Flecken der Erde. Die zweitgrößte Insel der Welt wird immer noch von traditionellen Volksstämmen bewohnt, die Hunderte verschiedene Sprachen sprechen. Obwohl es geographisch und kulturell ein einziges Land ist, wurde dieses tropische Paradies 1848 in einem Abkommen zwischen den Niederlanden und Großbritannien durch eine in der Mitte gezogene Linie in eine westliche und eine östliche Hälfte geteilt. Sie betrachteten die dort lebenden Schwarzen nur als mögliche Quelle billiger Arbeitskräfte für den Abbau der Ressourcen ihres Landes. Zu den Reichtümern auf und unter der Insel Neuguinea gehören Holz, Öl, Gas und Mineralien, darunter Silber und Nickel sowie die größten Gold- und Kupfervorkommen der Welt.
(von Arthur Firstenberg, Übersetzung©: Andreas Ungerer)
Die als Papua-Neuguinea bekannte östliche Hälfte der Insel ist seit 1975 unabhängig und kämpft mit der Überwindung ihrer von Gewalt geprägten Kolonialgeschichte. Der als West-Papua bekannte westliche Teil erklärte, nachdem sich die niederländische Kolonialverwaltung im Jahr 1961 zurückgezogen hatte, seine Unabhängigkeit, ist jedoch von Indonesien, das die riesigen natürlichen Ressourcen begehrte, eingenommen und im Jahr 1969 formell annektiert worden. Seit dieser Zeit hat Indonesien einen kontinuierlichen Völkermord an der heute etwa 2 Millionen Menschen zählenden Urbevölkerung verübt, von denen über 500.000 getötet und Tausende weitere vom indonesischen Militär vergewaltigt, gefoltert und inhaftiert worden sind.
Wie Paul Antonopoulos und Drew Cottle in ihrem herzzerreißenden Artikel vom August 2019, „Vergessener Völkermord in Indonesien“, schrieben: „Der Hauptgrund dafür, dass Jakarta dem indigenen Volk von West-Papua keine Selbstbestimmung zugesteht, sind die natürlichen Ressourcen im Wert von Milliarden Dollar. Obwohl die Papuas seit über einem halben Jahrhundert für ihre Unabhängigkeit kämpfen, hat Indonesien durch sein Militär seine globale wirtschaftliche Bedeutung durch die Ausbeutung der riesigen Rohstoffreserven des Territoriums gestärkt, die ihren Weg zu den Märkten in den USA, Kanada, Europa, China und Australien finden, wo die meisten Bergbauunternehmen der Welt ihren Sitz haben.“
Das SpaceX-Programm von Elon Musk spielt in diesem Völkermord eine Rolle.
Heute sieht es auf der kleinen, vor West-Papuas Nordküste gelegene Insel Biak so aus:
Wenn Elon Musk den folgenden Weg geht, wird es dort bald so aussehen:
Indonesien möchte Biak zu einer lukrativen „Weltrauminsel“ umbauen. Im Dezember 2020 bot Indonesien dem Unternehmen SpaceX die Nutzung eines Teils der Insel als Weltraumbahnhof für den Start von Satelliten an. SpaceX möchte bis zu 42.000 Satelliten starten und instand halten, um überall auf der Erde drahtloses Hochgeschwindigkeits-Internet anbieten zu können. Dafür wären in Zukunft fast tägliche Raketenstarts nötig. Bislang startet SpaceX seine Satelliten vom Kennedy Space Center in Cape Canaveral, Florida, wo auch das obige Foto aufgenommen worden ist. Der Weltraumbahnhof in Cape Canaveral ist von einem Naturschutzgebiet umgeben und hat dort bereits große Umweltschäden angerichtet.
„Dieser Weltraumbahnhof“, sagt Stammeshäuptling Manfun Sroyer zu den Plänen für die Insel Biak, „wird uns unsere traditionellen Jagdgründe nehmen, auf denen unsere Art zu leben beruht. Wenn wir jedoch dagegen protestieren, werden wir umgehend inhaftiert.“
Biaks Lage ist für SpaceX in vieler Hinsicht von Interesse. Die Nähe zum Äquator ist ideal für den Start von Satelliten, da dort weniger Treibstoff benötigt wird, um sie in eine Umlaufbahn zu bringen. Außerdem würden die umfangreichen Kupfer- und Nickelvorkommen einige der Materialien zur Verfügung stellen, die zum Bau von Raketen benötigt werden.
Indonesien hat Biak auch der russischen Weltraumbehörde Roskosmos angeboten, die plant, ihren eigenen Weltraumbahnhof auf der Insel zu errichten. Russland plant eine eigene Flotte von 640 Satelliten, um ebenfalls an jedem Punkt der Erde drahtloses Internet anzubieten.
Die Auswirkungen des Bergbaus auf West Papuas Umwelt sind gut dokumentiert. „Von der Grasberg-Mine“, schreiben Antonopoulos und Cottle, „einer der größten Kupfer- und Goldminen der Welt, verseuchen hunderttausende Tonnen Abraum jeden Tag das lebenswichtige Ajkwa-Delta-System und zerstören die Umwelt, auf die der Stamm der Kamoro für Nahrung und Handel angewiesen ist. Die Grasberg-Mine ist so verheerend für die Umwelt, dass gesehen von den 80 Millionen Tonnen Abraum, die sie jedes Jahr in das Ajkwa-Fluss-System kippt, der Tagebau aus dem Weltraum deutlich zu sehen ist.“ Was früher die Spitze eines gletscherbedeckten Berges war, ist heute ein knapp 500 Meter tiefer, 2 Kilometer breiter Krater.
Der Übertagebetrieb wurde schließlich im Jahr 2020 geschlossen, aber der Untertagebergbau in Grasberg expandiert weiter, und die Verschmutzung von Flüssen, Wäldern, Fischgründen und Küstengewässern sowie die Zerstörung von Stammesgemeinschaften hält unvermindert weiter an. In einem Bericht von Earthworks und MiningWatch Canada aus dem Jahr 2012 heißt es, dass die Minenabfälle von Grasberg „über 166 Quadratkilometer ehemals produktiver Wälder und Feuchtgebiete verschüttet haben, und Fische weitgehend verschwunden sind“. Der vergiftete Fluss kann den Dörfern der Gegend nicht mehr als Trinkwasserquelle dienen.
West-Papuas Minen werden auch zur Produktion von Teslas Elektroautos benutzt werden, wenn Musk freie Bahn hat, da Nickel und Kupfer auch für die Batterien dieser Fahrzeuge verwendet werden. Musk hat den indonesischen Behörden einen „gigantischen, langfristigen Vertrag in Aussicht gestellt, wenn das Land den Abbau von Nickel auf eine effektive und umweltschonende Weise betreibt“.
Musk und Indonesiens Regierung könnten sich über die Bedeutung des Begriffs „umweltschonender Abbau“ einigen, jedoch könnten die Ureinwohner West-Papuas sich genötigt sehen, beide um die Verhinderung des Projekts anzuflehen, da seine Umsetzung die Pulverisierung und Verarbeitung von Milliarden Tonnen Felsgestein bedeuten würde, deren Abraum irgendwo deponiert werden muss. In West-Papua bezeichnet der Begriff „irgendwo“ jungfräulichen Regenwald sowie unberührte Flüsse und Stammesgebiete.
Straßen, Elektrizität und Mobiltelefone
In Papua-Neuguinea, dem unabhängigen Staat im Osten, hat der größte Teil des riesigen Landesinneren immer noch keine Straßen oder Elektrizität – oder Mobilfunkmasten. Und das war noch vor 5 Jahren auch in West Papua der Fall. Aber in den letzten Jahren ist all diese Infrastruktur – Elektrizität für jedes Dorf, ein mit Bulldozern durch die Wildnis gezogenes modernes Autobahnsystem und ein weithin verfügbarer Mobilfunkdienst – von Indonesien errichtet worden, und das nicht zum Nutzen der einheimischen Bevölkerung, die all das ablehnt und niedergeschossen oder bombardiert wird, wenn sie dagegen protestiert.
Der Journalist David Robie nennt den 4.325 Kilometer langen Trans-Papua-Highway „West-Papuas Highway des Blutes“. Laut dem von John Martinkus im Mai vergangenen Jahres veröffentlichten Buch „The Road: Uprising in West Papua“, bringt der Highway militärische Besatzung, weiteren Erzabbau und Waldrodungen durch ausländische Konzerne, Umweltzerstörung sowie Besiedlung ehemaliger Dörfer der Ureinwohner durch indonesische Einwanderer mit sich.
„Am 1. Dezember 2018, an dem in West-Papua die Unabhängigkeit von den Niederlanden gefeiert wird“, schreibt Robie, „endete eine Zeremonie, bei der – wie jedes Jahr – die Morning Star Flagge für ein freies Papua gehisst worden ist, in einem Blutbad.“ In all den Jahren zuvor nahm diese Zeremonie, insbesondere in der abgelegenen Region Nduga, einen friedlichen Verlauf und ist von den Indonesiern ignoriert worden. Aber in diesem Jahr sind Straßenbauarbeiter und Soldaten auf dem neugebauten Highway nach Nduga gekommen und haben Photos und Videos von der Versammlung mit ihren Mobiltelefonen aufgenommen. Bei dem anschließenden Konflikt verloren 19 Bauarbeiter und ein Soldat das Leben. Seitdem zwangen Vergeltungsschläge des indonesischen Militärs 50.000 Menschen, aus ihren Dörfer zu fliehen und zu Flüchtlingen zu werden. Zum „Schutz des Highways“ werden zweitausend Soldaten, Hubschrauber und 650 Kommandoeinheiten eingesetzt. „Die Hubschrauber sind am schlimmsten“, schreibt Martinkus. „Sie werden als Plattformen für Schützen oder zum Abwurf von Phosphor- und Splitterbomben eingesetzt, die bei der Bevölkerung schreckliche Verletzungen hinterlassen.“ Und durch den Weltraumbahnhof werden sich, nach den Worten des Stammeshäuptlings Manfun Sroyer, sowohl die Umweltzerstörung als auch der andauernde Völkermord endlos fortsetzen. Abgesehen von dem mit den Raketenstarts verbundenen Lärm Licht und den Erschütterungen, zerstören all die weltweit zunehmenden Weltraumbahnhöfe die sie umgebende Umwelt.
Eine Rakete vom Typ Falcon 9 – mit der für gewöhnlich die Satelliten in die Umlaufbahn gebracht werden – verbraucht bei vollem Schub über eine Tonne Treibstoff pro Sekunde. Anders als Feststoffraketen, verbrennt die Falcon 9 zwar Kerosin und verschmutzt Böden und Gewässer nicht mit Schwermetallen, was jedoch nur bei einem erfolgreichen Start der Fall ist. Jedesmal, wenn eine Rakete abstürzt oder explodiert, verursacht das riesige Schäden. Als zwei Raketen während der Teststarts auf der abgelegenen Insel Kodiak Island in Alaska abgestürzt sind, wurden 230 Tonnen Erdboden kontaminiert. Und Abstürze ereignen sich an Weltraumbahnhöfen regelmäßig. Eine Studie russischer und belgischer Wissenschaftler aus dem Jahr 2013 ergab eine Absturzquote von 4% bis 10% an allen Weltraumbahnhöfen der Welt seit 1975.
Was sich auf West-Papua ereignet, ist möglicherweise der schlimmste heute stattfindende Völkermord auf der Welt, und über ihn wird kaum berichtet. Jedoch ist es nicht nur ein Völkermord, sondern eine Kollision – eine Kollision zwischen Leben und Technologie, eine Kollision, die uns in Gesicht starrt, wohin immer wir gehen, und es wird nicht darüber berichtet, weil alle die Augen davor verschließen. „Die Menschen auf West-Papua setzen bei der Verteidigung unserer Wälder, Berge und Flüsse täglich ihr Leben aufs Spiel“, sagt der Anführer der dortigen Unabhängigkeitsbewegung, Benny Wenda. „Wir sind der Ground Zero im Kampf zum Schutz unser aller natürlichen Umwelt auf dem Planeten.“
West Papua ist der letzte Ort auf der Erde, an dem „primitive“ menschliche Wesen es wagen, nein zu Autobahnen und Elektrizität zu sagen. Der Trans-Amazon Highway wurde 1975 fertiggestellt. Das Himalaya-Königreich Bhutan wurde bis 2010 vollständig elektrifiziert. Die Old Order Amish benutzen heute Handys. Im Jahr 2021, in dem die Menschheit sich darauf vorbereitet, den Mars zu kolonisieren, gibt es in der Vorstellungswelt der meisten Menschen keinen Platz für die Existenz von Menschen, die Teil der natürlichen Welt sind. Ihre Existenz anzuerkennen, würde voraussetzen, sich im Widerspruch zwischen Leben und Technologie zu befinden. Zwischen Realität und Fantasie.
Aber es gibt die Papuanesen. Und sie sind wichtig.
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Arthur Firstenberg
Author, The Invisible Rainbow: A History of Electricity and Life
P.O. Box 6216
Santa Fe, NM 87502
USA
phone: +1 505–471-0129
arthur@cellphonetaskforce.org
17. März 2020
Die letzten 16 Newsletter, einschließlich diesem, stehen auf der Newsletter-Seite der Cellular Phone Task Force zu Download und Verbreitung bereit. Einige von ihnen wurden auch auf deutsch, spanisch, italienisch und ins Französische übersetzt.
Quelle: https://www.cellphonetaskforce.org
Quelle der Übersetzung: https://wp.me/pbtLuz-5z4I
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