Karoshi: Sterben für den Arbeit­geber – eine Drei­vier­tel­million sterben weltweit jedes Jahr

In Ost­asien gibt es dafür feste Begriffe. In Japan heißt das Phä­nomen, dass Men­schen im besten Alter und ohne Vor­er­kran­kungen wegen Über­ar­beitung einfach tot umfallen „Karoshi“, in Süd­korea heißt es „Kwarosa“ und in China „Guòláosi“. Die Todes­ur­sache ist in den meisten Fällen ein durch Stress und Dau­er­über­ar­beitung aus­ge­löster Herz­in­farkt oder Schlag­anfall. Das pas­siert in zuneh­mendem Maße überall auf der Welt. Etwa eine Drei­vier­tel­million trifft der Tod durch Über­ar­beitung jedes Jahr.

Ver­gleichen wir einmal die Zahlen von Coro­na­toten und Karoshi-Toten weltweit, wird es schon seltsam. Von Herbst 2019 bis heute gibt es 3,39 Mil­lionen Coro­natote ins­gesamt. Das sind etwa ein­einhalb Jahre Corona-Pan­demie und daher pro Jahr ganz grob etwas über zwei Mil­lionen Coro­natote pro Jahr (wobei sehr viele davon nur MIT und nicht AN Covid gestorben sind).

Etwa die Hälfte der Menschheit ist berufs­tätig. Diese Hälfte pro­du­ziert in einem Jahr eine Drei­vier­tel­million Tote durch Über­ar­beitung. Analog zur halben Menschheit, die arbeitet, nehmen wir auch die Hälfte der Corona-Toten, also ungefähr eine Million. Zwar stammen die meisten Coro­na­toten aus der Alters­klasse über siebzig Jahre, aber es geht jetzt eigentlich nur um die schieren Zahlen. Der Tod durch Über­ar­beitung fordert gerade in den Reihen der Jün­geren und Leis­tungs­fä­higen sowie Leis­tungs­wil­ligen also fast genauso viele Opfer weltweit, wie die Covid-Pan­demie. Es inter­es­sierte nur keinen, bis die UN jetzt plötzlich darauf auf­merksam macht. Eine Studie der UN zeigt, dass im Jahr 2016 weltweit ungefähr 398.000 Men­schen an Schlag­an­fällen und etwa 347.000 an koro­narer Herz­er­krankung (Herz­in­farkt) starben. Fast alle litten unter über­mä­ßiger Arbeits­be­lastung und Stress. Seit 2016 sollen die Zahlen sogar noch deutlich gestiegen sein.

Das Sterben für den Arbeit­geber ist etwas, das man irgendwie so als gegeben hin­nimmt. In Japan galt das lange Zeit sogar als ehrenvoll. Heute können in Japan die Familien von Karoshi-Opfern den Arbeit­geber auf Ent­schä­digung verklagen.

Laut den Wis­sen­schaftlern der UN-Studie sind es weltweit etwa neun Prozent der Welt­be­völ­kerung, die über 55 Wochen­ar­beits­stunden ableisten. Ganz vorne in den Zahlen liegen Ost­asien, Süd­ost­asien, Indien und Pakistan, aber auch in Afrika und Süd­amerika arbeiten viele unge­wöhnlich schwer und lange. Vor allem dort, wo viele Men­schen ohne gere­gelte Arbeits­ver­träge, Arbeit­neh­mer­schutz­ge­setze und unge­re­gelte Arbeits­zeiten beschäftigt sind. Dem­entspre­chend liegt die Zahl in Europa und USA/Kanada auf­grund des besser gere­gelten gesetz­lichen Arbeit­neh­mer­schutzes deutlich niedriger.

Tedros Ghe­breyesus, der WHO-Gene­ral­di­rektor, enga­giert sich jetzt eben­falls in dieser Frage und kon­sta­tiert fei­erlich: „Regie­rungen, Arbeit­geber und Arbeit­nehmer müssen sich gemeinsam auf Limits zum Schutz der arbei­tenden Men­schen einigen.“ Und setzt hinzu, dass kein Job dieses Risiko wert sei. Durch Über­ar­beitung – so die UN-Analyse — seien 2016 zirka 23 Mil­lionen gesunde Lebens­jahre der Men­schen ver­loren worden. Und plötzlich gibt es auch Experten und Zahlen. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkran­kungen steige ab 55 Arbeits­stunden pro Woche steil an. Dazu kommen noch schäd­liche Gewohn­heiten, wie Alkohol, Rauchen, zu wenig kör­per­liche Akti­vität, Schlaf­mangel und sehr wahr­scheinlich auch Medi­ka­men­ten­konsum, um das Ganze durch­zu­stehen.  Es geht aber auch stark um Stress, also psy­chische Belastungen.

Ein Mit­autor der Studie, Jian Li von der Uni­ver­sität von Kali­fornien in Los Angeles, sagt, dass die sys­te­ma­ti­schen Unter­su­chungen und Hoch­rech­nungen ein Problem von glo­balem Ausmaß offen­baren. Die sta­tis­ti­schen Zahlen von 154 Ländern wurden aus­ge­wertet, die ermit­telten Daten wurden mit bereits vor­han­denen Studien zu Schlag­an­fällen (Apoplex) und Herz­krank­heiten abge­glichen. Die ver­schie­denen Studien wurden mit ins­gesamt 1,6 Mil­lionen Pro­banden durchgeführt.

Tedros Ghe­breyesus sieht die Covid-Pan­demie mög­li­cher­weise als weitere Ver­schärfung auf diesem Gebiet. Das nun durch die Lock­downs weit ver­breitete Home­office lasse Arbeit und Freizeit immer mehr inein­ander ver­schwimmen. Die wirt­schaft­lichen Schwie­rig­keiten vieler Unter­nehmen und die Stel­len­kür­zungen erhöhten den Stress und die Belastung für die Mit­ar­beiter. Die WHO und ILO fordern deshalb, die bestehende Arbeits­zeit­regeln auch kon­se­quent umzu­setzen und da, wo solche Vor­schriften fehlen, diese Gesetze einzuführen.

Eine groß­artige Idee. Anwe­sen­heits­zeiten im Unter­nehmen lassen sich ja sogar durch behörd­liche Über­prü­fungen erfassen, aber gerade bei Home­office lässt sich das kaum nach­prüfen. Wer um seine Existenz fürchtet, beutet sich frei­willig aus – in keinem Fall wird er sich über zu lange Arbeits­zeiten beschweren. Aus­ge­rechnet die WHO, die das ganze Pan­de­mie­monster mit Lockdown und allem geschaffen hat, beklagt jetzt dessen Folgen.

Dass das tat­sächlich so ist, belegt eine Microsoft Studie. Es gibt dieser Unter­su­chung nach deutlich mehr Burnout-Anzeichen, weil die „Work-Life-Balance“ sehr viel schlechter geworden ist. Als „Burnout“ gilt ein Befind­lich­keits­zu­stand, der eine Über­ar­beitung und tiefe Erschöpfung bezeichnet, ohne dass der Betref­fende vom Herz­in­farkt oder Schlag­anfall schon ereilt worden ist, aber so über­lastet und leer­ge­brannt, dass er arbeits­un­fähig wird. Das der Studie zugrun­de­lie­gende Zah­lenwerk hat Microsoft seiner haus­ei­genen Anwendung „Microsoft Teams“ für den Zeitraum von Januar bis August 2020 ent­nommen. Bei Nutzern, die „Microsoft Teams“ — eine Chat­mög­lichkeit unter Kol­legen — ver­wenden, zeigte sich auch eine Ver­schiebung der Arbeitszeit auf nach 17 Uhr. Fast 70 Prozent der Befragten Microsoft-Teams“-User tauschten sich noch nach dem offi­zi­ellen Fei­er­abend in Arbeits-Chats aus. Ins­gesamt wurden die Teams-Chats zu 48 Prozent mehr genutzt und die vir­tu­ellen Mee­tings nahmen um 55 Prozent zu.

Um Stress­sym­ptome zu mildern, emp­fiehlt der Bill-Gates-Konzern unter anderem Meditationen.