Das “Tier 666” Aleister Crowley und der Neo­sa­ta­nismus — Teil 1

»Gnade lasst bei­seite; ver­dammt die Mit­lei­digen! tötet und quält, schont nicht. Auf sie!« 

Aleister Crowley (Mentor des Neo-Sata­nismus) (81/1)

Mit der eng­li­schen Klein­stadt Stratford-on-Avon ver­bindet sich gewöhnlich der Name William Shake­speares. Wenige Kilo­meter ent­fernt, in Leamington/Warwickshire, kam am 12. Oktober 1875 Edward Aleister Crowley zur Welt – was diesem in der ihm eigenen Arroganz rück­bli­ckend als »son­der­barer Zufall« dünkte: »… dass eine kleine Graf­schaft die zwei größten Dichter Eng­lands her­vor­bringen sollte«.

Crowleys Vater, ein wohl­ha­bender Brau­meister, war Lai­en­pre­diger der stark end­zeitlich geprägten Quä­ker­sekte Ply­mouth Brethren. Unge­filtert ätzte er auch seinem Sohn die ver­schlüs­selten Visionen der Johannes-Offen­barung ins kind­liche Gemüt.

In Crowleys aus­ge­prägter Phan­tasie nahmen die bibli­schen Alle­gorien wie  das »Tier aus der Erde« (Offb. 13), die »große Hure Babylon« oder das »Schar­lachrote Weib« (Offb. 17) schon früh kon­krete Gestalt an – aller­dings völlig anders, als die puri­ta­nisch-strenge Erziehung seiner Eltern es beab­sichtigt hatte.

Bereits vor seiner Pubertät von Sexua­lität »mächtig fas­zi­niert«, iden­ti­fi­zierte Crowley sich nach dem Tod seines Vaters mehr und mehr mit den »befrei­enden« Sym­bolen der Apo­ka­lypse: Alle Frauen, mit denen er sexuelle Bezie­hungen aufnahm, ver­klärte Crowley mit dem Titel »Frau in Scharlach« zu Spen­de­rinnen über­sinn­licher Freuden.

Er selbst sah sich später in seiner ero­to­ma­ni­schen Beses­senheit als die Inkar­nation des Anti­christen, die »Bestie«, das »Tier 666«.

Seine Mutter, die er als »dumme, bigotte Person« bezeichnete, behan­delte Crowley mit fle­gel­hafter Ver­achtung. Sie erwehrte sich seiner, indem sie ihn in ein Internat nach Malvern schickte. Mit zwanzig Jahren wurde Crowley als Student der Geis­tes­wis­sen­schaften im ange­se­henen Trinity College in Cam­bridge auf­ge­nommen, das er 1898 ohne Abschluss verließ.

Über seine wahre Berufung war sich Crowley keinen Moment im Zweifel: »Es ist meine ewige Mission, das Uni­versum zu dem Zustand trun­kener Unschuld und spi­ri­tu­eller Sinn­lichkeit zu erlösen.« (82)

Dieses Credo machte ihn für Mac­Ma­thers Her­metic Order of the Golden Dawn (Her­me­ti­scher Orden der Gol­denen Däm­merung ) inter­essant, in den er als »Bruder Per­durabo« im gleichen Jahr auf­ge­nommen wurde.

Crowley ließ sich in London nieder und begann als Magier zu prak­ti­zieren. Seine mys­ti­schen Visionen flogen dem selbst­er­nannten »Seher« indes weniger aus jen­sei­tigen Sphären als vielmehr aus den Hexen­küchen der Drogen-Che­miker zu. Opium, Haschisch und Kokain färbten die Flammen der Hölle vor Crowleys geis­tigem Auge besonders rot.

Nach Reisen durch Mexiko, Hawaii, Japan und Ceylon kam der phar­ma­zeu­tische Geis­ter­be­schwörer 1893 nach Schottland, wo er Rose Kelly, die Tochter eines alten Stu­di­en­freundes, hei­ratete. Die Flit­ter­wochen ver­brachte das Paar in Ägypten.

Inspi­riert von der mytho­lo­gisch-erha­benen Atmo­sphäre im Schatten der Pyra­miden (oder von den nied­rigen Rausch­gift­preisen, wie andere Bio­graphen argwöhnen),verewigte sich Crowley hier end­gültig als zen­trale Lehr­au­torität des Neo-Sata­nismus: Aus einer »Offen­barung«, die ihm am 8. 9. und 10. April des Jahres 1904, jeweils mittags zwi­schen 12 und 13 Uhr, von einem über­ir­di­schen Geist­wesen namens »Aiwaz« zuteil geworden sein will, for­mu­lierte Crowley sein legen­däres Liber Al vel Legis (Buch des Gesetzes).

Darin pro­kla­mierte er die Ablösung der »christ­lichen Skla­ven­moral« durch eine »Force-and-Fire« – Religion, deren Kernsatz »Tue, was du willst, soll sein das ganze Gesetz« lautet.

Ohne einer solchen Recht­fer­tigung zu bedürfen, trachtete Crowley in den fol­genden Jahren danach, die Anwei­sungen des »Liber al« in die Tat umzusetzen.

Abb.: Aleister Crowleys »Teu­fels­bibel« Liber Al vel Legis (Buch des Gesetzes)

(Quelle Screenshot/Bildzitat: https://ameth.oto-uk.org/thelema/liber-al-vel-legis/)

1907 rief Crowley zunächst den Orden Argentum Astrum (Sil­berner Stern) ins Leben, dessen rund neunzig Mit­glieder sich vor­wiegend im kol­lek­tiven Bei­schlaf übten. Während sich der 32-jährige rastlos seinen Orgien hingab, verfiel seine Frau der Trunk­sucht. 1909 ließ er sich von Rose Kelly scheiden, die zwei Jahre später in eine Ner­ven­klinik ein­ge­wiesen wurde.

Unver­drossen machte sich Crowley, der sein gesamtes Leben auf Kosten seiner Anhänger führte, auf die Suche nach einer wohl­ha­benden Geliebten, die ihn aller finan­zi­eller Sorgen ent­le­digen sollte.

So pos­tu­lierte er einmal: »Die Schar­lachrote Frau soll sich hüten! Wenn Mitleid, Bedauern und Sanftmut ihr Herz befallen! Wenn sie mein Werk ver­lässt: dann wird meine Rache offenbar werden. Ich werde mir ihr Kind erschlagen, ich werde ihr Herz ent­fremden, ich werde sie von den Men­schen aus­stoßen. Als sich ver­krie­chende Hure soll sie durch dunkle, nasse Straßen kriechen und Kälte und Hungers sterben.« (83)

FORT­SETZUNG FOLGT!


Guido Grandt — Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors www.guidograndt.de