Niemand hatte die Absicht, eine Impf­pflicht zu errichten

Im November klang Alena Buyx, die Vor­sit­zende des Ethik­rates bei Lanz noch so: „Diese freie Ent­scheidung, sich nicht zu impfen, die hat eben Effekte auf uns alle. […] Das, was man jetzt machen muss, ist, dass man schritt­weise schaut, dass man es so grund­rechts­schonend wie möglich hin­kriegt, aber dennoch genug Maß­nahmen ein­führt. Und da muss man die sozu­sagen schritt­weise hoch­e­ska­lieren.“ Nicht nur Henryk Broder war ent­setzt ange­sichts dieser mecha­nis­ti­schen Sprache, die einer Anleitung zum Macht­miss­brauch gleichkam. Dies war nun die Zeit, in der die Regie­rungs­par­teien sich darauf ver­steift hatten, die Impf­pflicht ein­zu­führen, was sie noch vor der Wahl kate­go­risch aus­ge­schlossen hatten. Es stellt sich die Frage, was zuerst da war: Der Wille der Politik oder die Analyse des Ethik­rates? Ethik, so lernen wir neu­er­dings aus der Tätigkeit dieses Gre­miums, ist in Deutschland etwas Weiches, Fle­xibles. Es fun­giert als Kitt, der sich in den klaf­fenden Spalt zwi­schen Grund­rechten und Regie­rungs­handeln schmiegt.

Im Dezember jeden­falls gab der Buyx-Club eine klare Emp­fehlung für die Impf­pflicht ab. Doch nun ändert er plötzlich die Richtung. Das sei ja weniger eine Emp­fehlung gewesen als vielmehr die „Analyse rele­vanter Fragen“. Zu betonen, dass Ent­schei­dungen von der Politik und nicht vom Ethikrat getroffen werden müssen, ist so über­flüssig wie der Hinweis, in welche Richtung die Erd­an­ziehung wirkt. Das war schließlich schon immer so. Wozu also diese Aus­flüchte? Man wollte doch nur eine „Gewis­sens­schärfung“ befördern, so Buyx Anfang Januar in der BZ. Die Frage ist, bei wem? Der Volksmund hat für derlei Ethik-Akro­batik einen Begriff: mora­lische Erpressung. Denn genau so kam die Emp­fehlung bei vielen an. Zurück­rudern ist in Deutschland jedoch olym­pische Dis­ziplin, und weil die Politik dies in Sachen Impf­pflicht seit Wochen fleißig tut, muss der Nachen des Ethikrats am Schlepptau folgen. Man rela­ti­viert die eigene Emp­fehlung zur Impfpflicht.

Wenn der Ethikrat kräht auf dem Mist, ändert sich die Politik oder bleibt, wie sie ist

Solch eine Ent­scheidung zur Impf­pflicht müsse natürlich „revi­si­ons­offen“ sein (Buyx am 13.1. bei n‑tv). Geschrieben sei die Emp­fehlung des Ethik­rates noch mit Blick auf Delta, so die Begründung des Sin­nes­wandels. Nun sei die Lage mit Omikron natürlich eine ganz andere. Die Begründung des Buyx’schen Sin­nes­wandels ist aller­dings nicht ganz ehrlich, wie Norbert Häring fest­stellte. Die Emp­fehlung im Dezember zur Aus­weitung der Impf­pflicht ent­hielt nämlich sogar wört­liche Bezüge auf „anste­ckendere Vari­anten“ wie Omikron und wurde aus­drücklich auf­grund von Omikron abge­geben. Nicht Delta, Omikron-Panik lag in der Luft!

Was ist dieses Omikron doch für ein prak­ti­sches Teilchen! Es kann zur Begründung für und gegen eine Impf­pflicht her­halten, je nachdem, wie es der Politik gerade passt. Und auch als Lack­mustest unserer Insti­tu­tionen ist es nützlich. Es rüttelt und schüttelt und prüft sie auf Taug­lichkeit, das Zusam­men­leben in diesem Land zu fördern, über den Rechts­staat zu wachen und die Men­schen vor unethi­schen poli­ti­schen Ent­schei­dungen zu schützen. Der Ethikrat hat diesen Test nicht bestanden, weil er der Ver­su­chung nicht wider­stehen konnte, sich der Tages­po­litik anzu­dienen, was nicht seine Aufgabe ist. Die Erkenntnis, dass der Ethikrat offenbar völlig über­flüssig ist, ver­danken wir Omikron. Dafür kann man ruhig mal „Danke“ sagen.

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Zuerst erschienen auf achgut.com


Quelle: unbesorgt.de