IT-Expertin ent­tarnt schlecht getarnte Bundes-Tarn­or­ga­ni­sation — zur Aus­schnüf­felung der Bürger?

Der Staat bewegt sich anscheinend immer weiter in Richtung DDR2.0. Von Trans­parenz in einer par­la­men­ta­ri­schen Demo­kratie kann man da nicht mehr sprechen. Eine IT-Expertin ist nun ganz zufällig über eine der klan­des­tinen, vor der Öffent­lichkeit gut ver­steckten Orga­ni­sation gestolpert, die unter einem nichts­sa­genden Namen total Geheimes macht und nir­gendwo zu fassen sein sollte – aber doch ent­tarnt wurde. Was macht diese Orga­ni­sation eigentlich, die offen­sichtlich zum Ver­fas­sungs­schutz gehört?

Schon die Akti­vi­täten des offi­zi­ellen Ver­fas­sungs­schutzes sind bis­weilen äußerst frag­würdig. So stellte sich ja bei den Gerichts­pro­zessen zum Verbot der rechten Partei NPD heraus, dass so gut wie alle Par­tei­mit­glieder und Akti­visten, die ver­fas­sungs­widrige bis kri­mi­nelle Akti­vi­täten ent­faltet und andere dazu ange­stiftet haben, auf der Gehalts­liste des Bun­des­ver­fas­sungs­schutzes standen. Der Prozess verlief ziemlich umgehend im Sande, weil die besagten Herr­schaften sofort von der Behörde gedeckt und aus der Schuss­linie gezogen wurden. Die NPD ist seitdem kein Thema mehr und fristet ein Schat­ten­dasein, weil natürlich niemand Interesse daran hat, unter einer Horde von Spitzeln seine patrio­tische Gesinnung zu leben. Dass neben Ver­fas­sungs­schutz und anderen deut­schen Geheim­diensten auch noch die Geheim­dienste anderer Länder in der Partei ver­treten (waren), ist ein offenes Geheimnis. Viel­leicht gibt es sogar Mehrfachagenten …

Unver­gessen bleibt auch die äußerst merk­würdige Rolle des Ver­fas­sungs­schutzes im Vorfeld des schreck­lichen Anschlages auf den Weih­nachts­markt auf dem Ber­liner Breit­scheid­platz. Der Täter Anis Amri ver­kehrte oft und gern in der Fus­silet-Moschee, einem bekannten Treff­punkt radi­kaler Isla­misten. Der Ver­fas­sungs­schutz hatte zumindest einen eigenen „V‑Mann“, der mit Anis Amri per­sönlich bekannt war, wahr­scheinlich sogar mehrere solcher Spitzel in dieser Moschee – was die Behörde immer abge­stritten hatte. Im Verlauf der Unter­su­chungen wurde immer deut­licher, dass der Ver­fas­sungs­schutz sogar von Ter­ror­plänen gewusst haben musste.

Jetzt gibt es also eine weitere, dem Ver­fas­sungs­schutz ange­hörige und sorg­fältig ver­steckte „Unter­be­hörde“, von der niemand etwas wissen soll? Wenn die „Mut­ter­be­hörde“ sich schon über den Rand des Legalen hinaus bewegt, was macht dann diese Behörde erst?

Die Geschichte der Auf­de­ckung des „Bun­des­service Tele­kom­mu­ni­kation“, wie sich der Laden nennt, wäre Stoff für einen Film. Die IT-Sicher­heits­expertin Lilith Wittmann beschreibt die span­nende und clevere Suche  auf ihrem Blog sehr aus­führlich.

Letzt­endlich ent­tarnte der Ein-Frau-Geheim­dienst „Lilith Wittmann 007“  den Spuk durch einen nächt­lichen Anruf und eine Post­sendung. Um das mal kurz zusam­men­zu­fassen … das war so:

Lilith Wittmann stö­berte im Netz, genauer gesagt, im offi­zi­ellen Ver­zeichnis des Bundes mit seinen Abtei­lungen aller Behörden. Und sie fragte sich, was denn hinter der nichts­sa­genden Behörde „Bun­des­service Tele­kom­mu­ni­kation“ stecken könnte. Da sie sich viel mit Behörden beschäftigt, stutzte sie. Sie fragte bei den zustän­digen Stellen nach. Da wollte sich aber niemand zu äußern, statt­dessen ver­schwand der „Bun­des­service Tele­kom­mu­ni­kation“ still und leise aus der Liste.

Sieh mal an. In ein Wes­pennest gestochen? Jetzt war Agent „Lilith Wittmann 007“ scharf geschaltet. Sie fing an zu buddeln. Eine reine, ver­gessene Kar­tei­leiche war der Laden nicht, denn ein Besuch an der ange­ge­benen Adresse zeigte, dass da tat­sächlich was war und auch ein Brief­kasten vor­handen war.

Zusammen mit Kol­legen machte man sich an die Arbeit. Man schaute auf der Web­seite der Haus­ver­waltung nach, in deren Räumen in Treptow die seltsame Behörde resi­diert. Immerhin, so ergab diese Suche, mietet laut Haus­ver­wal­tungs­web­seite „ein Bun­des­mi­nis­terium“ in dem Gebäude ein Büro von 2500 Qua­drat­metern. Auch dieser Eintrag auf der Web­seite der Haus­ver­waltung war dann plötzlich weg. Ein wenig schlauer Schachzug, denn Frau Wittmann hatte natürlich einen Screenshot gemacht. Bei einer Orts­be­sich­tigung in der Tief­garage fand das Recher­cheteam einige VW T6-Busse, die man dem Ver­fas­sungs­schutz zuordnen konnte. Die gesamte Mie­ter­schaft ist ver­wun­derlich. So schreibt Lilith Wittmann:

„Und ja, einige der Firmen in dem Gebäu­de­komplex sind schon ver­dammt komisch. Da gibt es z.B. Glas­fa­ser­ka­bel­her­steller, Test­ro­boter für Geld­au­to­maten oder Firmen, bei denen man beim durch­lesen der Website über­haupt nicht ver­steht, was die denn nun tun.“ 

Aller­dings ist das in Berlin auch wieder nicht so unge­wöhnlich, räumt sie ein.

In der RIPE-Datenbank, ein Ver­zeichnis der euro­päi­schen IP-Adressen, in dem man deren Eigen­tümer fest­stellen kann, konnte man die IP-Adresse für den Anschluss dieses 2500-Qua­drat­meter-Büros einem Herrn mit einer E‑Mail-Adresse des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­riums zuordnen. Der Versuch, diese Adresse zu ent­schlüsseln und wohin sie genau führte, war nicht einfach. Denn die Behörden-E-Mail­adressen ent­halten nor­ma­ler­weise Kürzel für die kon­krete Abteilung, in der sie ange­siedelt sind. Also Abteilung, Unter­ab­teilung, Referat, Postfach. Aber die in der Mail­struktur ange­legten Kürzel führten zu keiner Abteilung des Minis­te­riums. Die war einfach nicht im Orga­ni­gramm des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­riums aufgeführt.

Es war, wie Lilith Wittman beschreibt, eine mühsame Suche und ein Durch­kämmen aller mög­lichen öffent­lichen Daten­banken. Aber dass das ominöse Trep­tower Büro zum BMI (Bun­des­in­nen­mi­nis­terium) gehört, wurde immer klarer, obwohl das BMI offi­ziell dort keinen Sitz hat. Ein wei­terer Recher­che­strang führte aber zu einem Daten­bank­eintrag nach Köln.

„Laut RIPE-Datenbank hat ein BMI in Köln (das unter poststelle@bmi-koeln.bund.de erreichbar ist) einen Tele­kom­an­schluss. Aller­dings gibt es — genau wie in Treptow — auch in Köln offi­ziell kein Büro des Innen­mi­nis­te­riums. Und in Köln sitzt auch nur eine einzige nach­ge­ordnete Behörde des BMI. Das Bun­desamt für Ver­fas­sungs­schutz.“ 

Inter­es­san­ter­weise sitzt aber ganz in der Nähe von beiden Adressen in Köln und Berlin, das Bun­desamt für Ver­fas­sungs­schutz. Und: beide Ein­träge auf RIPE weisen die gleiche E‑Mail-Struktur auf: „@bmi-orf“, die aber im Bun­des­in­nen­mi­nis­terium nir­gends benutzt wird. Das war spannend: E‑Mail-Adressen des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­riums, die es nicht gibt? Die Spur wurde heiß.

Nun wurden auch andere Jour­na­listen tätig. Der Jour­nalist Tilo Jung schnitt das Thema in einer Bun­des­pres­se­kon­ferenz an und stellte Fragen. Die natürlich nicht beant­wortet wurden.

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Auf irgendeine Aus­kunft aus dem Bun­des­in­nen­mi­nis­terium ist nun nicht mehr zu hoffen. Da wird gemauert, dass Erich Hon­ecker seine Freude hätte.

„Lilith Wittmann 007“ kommt auf ein simple, aber geniale Idee. Am 18. Januar in der Nacht  (bzw. um 01:58 Uhr früh­morgens) wählt sie einfach eine der Tele­fon­nummern aus der RIPE Datenbank und ruft da an. Und trotz der Uhrzeit geht ein Mann ans Telefon. Er meldet sich unter dem in der Datenbank ein­ge­tra­genen Namen. Lilith Wittmann redet bicht um den heißen Brei herum. Bevor der Mann auch nur ahnt, wen er dran hat, setzt sie ihm die Pistole auf die Brust: „Spreche ich mit dem Verfassungsschutz?“

Kalt erwischt. Der Mann sagt nur noch „Wir hören jetzt mal auf zu reden“ und hängt auf.

Es wird also immer kon­kreter. Lilith Wittmann fackelt nicht lange und schreibt dem „Mann“ eine Mail. Nicht nur eine, sondern sehr viele. Zwar nur eine Nach­richt, aber die an alle E‑Mailadressen, die in Frage kommen könnten. Fast alle kommen als unzu­stellbar zurück. Bis auf eine, die mit dem Namen und @bfv. Bfv ist das Emailfach „Bun­des­ver­fas­sungs­schutz“.

Erwischt. Aber noch nicht überführt.

Recherchen in Köln ver­laufen ergeb­nislos, da ist keine heiße Spur aus­zu­machen. Aber wie bei James Bond, auf­geben gibt’s nicht.

Jetzt greift „Agent Lilith Wittmann 007“ selbst zu einem kleinen, tech­ni­schen Spitzel, dem Airtag von Apple, ein kleines, schei­ben­för­miges Ortungs­ge­rätchen, dass so funk­tio­niert, wie ein Schlüs­sel­finder. Es wird mittels Ultrab­reitband-Technik gefunden. Nutzer können damit Gegen­stände, an denen das Scheibchen ange­bracht ist über UWB mit „Genauer Suche“ auf­spüren. Den ver­steckt Frau Wittmann in einer Zeitung und sendet ihn an das Postfach des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­riums in Köln. Der Chip verrät: Es kommt im Gebäude des Ver­fas­sungs­schutzes in Köln-Chor­weiler an. Da, wo es eigentlich gar keine Behörde des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­riums geben dürfte, in direkter Nähe aber der Ver­fas­sungs­schutz residiert.

„Wir wissen jetzt also sicher: Das BMI Köln ist im Gebäude des Ver­fas­sungs­schutzes. Der ‚Ver­fas­sungs­schutz‘ ver­wendet das BMI also als Tarnung. Und da das ‚BMI-Köln‘ nach dem gleichen Schema wie das ‚BMI-Treptow‘ auf­gebaut ist, trifft das aus meiner Per­spektive auf beide Standorte zu.“

Auf ihrer Web­seite zeigt Lilith Wittmann detail­liert auf, wie sie der Sache immer näher auf die Spur kam und ihre Schluss­fol­gerung lautet:

1) BMI-Köln und BMI-Treptow sind Tarn­be­zeich­nungen für das Bun­desamt für Verfassungsschutz.

2) Der Bun­des­service Tele­kom­mu­ni­kation teilt sich eine Adresse mit dem Ver­fas­sungs­schutz in Berlin. Es ist daher anzu­nehmen, dass der Bun­des­service also in irgend­einer Weise mit dem Bun­desamt für Ver­fas­sungs­schutz ver­bunden ist. Oder einfach nur eine weitere Iden­tität des Ver­fas­sungs­schutzes ist.

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Natürlich muss die Regierung zu Geheim­diensten, deren Arbeit und deren Auf­ent­halts­orten keine Aus­kunft geben.

„Agent Lilith Wittmann 007“  gibt aber zu bedenken:

„Diese Recherche war nicht son­derlich schwierig. Eigentlich nur öffent­liche Infor­ma­tionen struk­tu­riert aus­werten und kom­bi­nieren. Wir haben eigentlich genau das gemacht, was der Job des ‚Ver­fas­sungs­schutz‘ ist.

Wenn die aber wirklich so schlecht darin sind, sich vor Methoden, die sie selbst anwenden können müssten, zu ver­stecken. Dann lässt das für mich eigentlich nur einen Schluss zu: Die sind unglaublich inkom­petent. Oder wir wirklich gut — hat ja auch min­destens ein Jahr­zehnt lang geklappt.“