Kaum einer wusste, dass es das gibt, und die es wussten, nahmen es nicht ernst. Google hat ein Frühwarnsystem ausgetüftelt, das die Vibrationen von liegenden Handys zusammenführt und miteinander abgleicht. So errechnet das System Erdbewegungen. In Bosnien warnte das System zum ersten Mal. Der Nutzen und die Reaktionen darauf sind sehr unterschiedlich.
Nach den Informationen des Seismologischen Zentrums Europa-Mittelmeer hatte das Erdbeben in Bosnien-Herzegowina die Stärke von 5,7 auf der Richterskala. Südöstlich von Mostar wurde das Epizentrum festgestellt. Dabei kam eine Frau ums Leben, als ein großer Felsbrocken auf ihr Haus stürzte. Mehrere Einwohner erlitten Verletzungen und Hauswände stürzten ein. Das Ausmaß der eingetretenen Schäden in den Dörfern rund um das Epizentrum soll ziemlich heftig sein.
Ein begeisterter Nutzer postete auf „reddit“:
„Letzte Nacht warnte mich mein Android-Telefon 10 Sekunden bevor es passierte vor starken Erdbeben und empfahl mir, Schutz zu suchen. Was für eine erstaunliche Technologie.“
Andere fanden das System eher frustrierend. Regional warnte das System erst Minuten später, als das Beben schon da war. Nun muss man aber auch sagen, es war der erste Einsatz, und das System steckt noch absolut in den Kinderschuhen — oder eher noch: in den Babysöckchen. Es ist ja eigentlich auch nicht Googles Aufgabe, Erdbebenwarnsysteme zu entwickeln.
Schon im Mai 2021 berichtete Reddit von diesem ambitionierten Programm Googles, das auf Android-Handys völlig unbemerkt im Hintergrund arbeitet. Dabei werden immer weitere Regionen mit einbezogen. Manche Länder, wie Griechenland und Neuseeland, hatten bisher keine Erdbeben-Frühwarnsysteme.
Die Idee ist brillant: Google verwendet einfach die Sensoren, die sowieso in Handys eingebaut sind und zum Beispiel dafür sorgen, dass das Handy sich einschaltet, sobald es aufgehoben wird. Das System erfasst die Sensor-Daten von eingeschalteten, aber abgelegten, also ruhig liegenden Handys und konstruiert aus all diesen Punkten die Stärke der Vibrationen durch die Erdbewegungen, die Geschwindigkeit der Ausbreitung und das Epizentrum.
Erdbeben kommen in der Regel ohne jede Vorwarnung. Es gibt Frühwarnsysteme, die ständig leichteste Erschütterungen messen, da die Erdkruste aber immer irgendwie in Bewegung ist, kann man erst Warnungen herausgeben, wenn die Untergrundaktivitäten Anlass zur Sorge geben. Wie schnell dann die Katastrophe eintritt – oder aber sich die Verschiebungen in kleinen Bebenserien entladen, ist schwer vorauszusagen. Dazu kommt, dass solche Messungen einen hohen Aufwand verlangen und diese Systeme sehr teuer sind. In der Regel installiert man solche seismographischen Messgeräte an Gefahrenpunkten wie Vulkanen, um die Bevölkerung rundherum rechtzeitig zu warnen. Vulkane „funktionieren“ aber anders und voraussehbarer. Die Magmakammern bauen sich über längere Zeit auf, und die Vorzeichen eines Ausbruchs sind deutlich.
Erdbeben ereignen sich in der Regel dadurch, dass sich große Gesteinsplatten im Untergrund verschieben und aufgrund der Reibung erst eine hohe Spannung aufbauen, die sich dann in einem Ruck entlädt. So steht San Francisco auf so einer tektonischen Plattenkante, und es ist vollkommen klar, dass sich die Spannung im Untergrund sehr wahrscheinlich eines Tages in einer Katastrophe entladen wird. Es kann morgen passieren, aber auch in hundert Jahren.
Die Frage ist, wie lange vorher kann man so eine tektonische Verschiebung oder Verwerfung entdecken? Die Warnung in Bosnien kam im Schnitt etwa 10 Sekunden vor dem Beben. Das reicht, wenn man geistig darauf eingerichtet ist, um gerade noch aus dem Haus zu rennen oder Schutz unter einem massiven Tisch zu suchen, wie es das Piktogramm von Google darstellt. Die meisten haben die Warnung überhaupt nicht bemerkt oder die wertvollen Sekunden nicht nutzen können, weil sie zu perplex waren zu begreifen, was sie da auf dem Display sehen.
Immerhin, das System funktioniert, das kann man festhalten. Sogar die ungefähre Stärke des Erdbebens, das Epizentrum sowie die Distanz dazu und das erwartete Eintreffen der Erschütterungen wurde relativ präzise angekündigt. Ob man die Vorwarnzeit erhöhen kann, wird sich zeigen.
Die knappe Zeit kann nur dann genutzt werden, wenn die Menschen wissen, was es bedeutet, wenn sie das Warnsymbol aufblitzen sehen bzw. durch Summen fühlen. Einfach ohne jede Vorinformation ein Warndreieck auf’s Display zu schalten, bringt wenig. Das zeigte sich im Nachhinein, als auf den Sozialen Medien die Leute berichteten, dass sie einfach nur irritiert und verunsichert waren und nicht wussten, was sie damit anfangen sollten. Wer genau weiß, was man im Fall eines Erdbebens zu tun hat, dass dieser Alarm ernst zu nehmen ist und nur Sekunden bleiben, der kann dadurch vielleicht sein Leben und das der Umstehenden retten. Verhindern kann man die Schäden nicht, aber die Auswirkungen und Opferzahlen zumindest begrenzen.