Pixabay und Google Screenshot, Fotomontage

Googles Erd­beben-Früh­warn­system durch Handys hatte seine Feuertaufe

Kaum einer wusste, dass es das gibt, und die es wussten, nahmen es nicht ernst. Google hat ein Früh­warn­system aus­ge­tüftelt, das die Vibra­tionen von lie­genden Handys zusam­men­führt und mit­ein­ander abgleicht. So errechnet das System Erd­be­we­gungen. In Bosnien warnte das System zum ersten Mal. Der Nutzen und die Reak­tionen darauf sind sehr unter­schiedlich. 

Nach den Infor­ma­tionen des Seis­mo­lo­gi­schen Zen­trums Europa-Mit­telmeer hatte das Erd­beben in Bosnien-Her­ze­gowina die Stärke von 5,7 auf der Rich­ter­skala. Süd­östlich von Mostar wurde das Epi­zentrum fest­ge­stellt. Dabei kam eine Frau ums Leben, als ein großer Fels­brocken auf ihr Haus stürzte. Mehrere Ein­wohner erlitten Ver­let­zungen und Haus­wände stürzten ein. Das Ausmaß der ein­ge­tre­tenen Schäden  in den Dörfern rund um das Epi­zentrum soll ziemlich heftig sein.

Ein begeis­terter Nutzer postete auf „reddit“:
„Letzte Nacht warnte mich mein Android-Telefon 10 Sekunden bevor es pas­sierte vor starken Erd­beben und empfahl mir, Schutz zu suchen. Was für eine erstaun­liche Technologie.“

Andere fanden das System eher frus­trierend. Regional warnte das System erst Minuten später, als das Beben schon da war. Nun muss man aber auch sagen, es war der erste Einsatz, und das System steckt noch absolut in den Kin­der­schuhen — oder eher noch: in den Baby­söckchen. Es ist ja eigentlich auch nicht Googles Aufgabe, Erd­be­ben­warn­systeme zu entwickeln.

Schon im Mai 2021 berichtete Reddit von diesem ambi­tio­nierten Pro­gramm Googles, das auf Android-Handys völlig unbe­merkt im Hin­ter­grund arbeitet. Dabei werden immer weitere Regionen mit ein­be­zogen. Manche Länder, wie Grie­chenland und Neu­seeland, hatten bisher keine Erdbeben-Frühwarnsysteme.

Die Idee ist brillant: Google ver­wendet einfach die Sen­soren, die sowieso in Handys ein­gebaut sind und zum Bei­spiel dafür sorgen, dass das Handy sich ein­schaltet, sobald es auf­ge­hoben wird. Das System erfasst die Sensor-Daten von ein­ge­schal­teten, aber abge­legten, also ruhig lie­genden Handys und kon­struiert aus all diesen Punkten die Stärke der Vibra­tionen durch die Erd­be­we­gungen, die Geschwin­digkeit der Aus­breitung und das Epizentrum.

Erd­beben kommen in der Regel ohne jede Vor­warnung. Es gibt Früh­warn­systeme, die ständig leich­teste Erschüt­te­rungen messen, da die Erd­kruste aber immer irgendwie in Bewegung ist, kann man erst War­nungen her­aus­geben, wenn die Unter­grund­ak­ti­vi­täten Anlass zur Sorge geben. Wie schnell dann die Kata­strophe ein­tritt – oder aber sich die Ver­schie­bungen in kleinen Beben­serien ent­laden, ist schwer vor­aus­zu­sagen. Dazu kommt, dass solche Mes­sungen einen hohen Aufwand ver­langen und diese Systeme sehr teuer sind. In der Regel instal­liert man solche seis­mo­gra­phi­schen Mess­geräte an Gefah­ren­punkten wie Vul­kanen, um die Bevöl­kerung rund­herum recht­zeitig zu warnen. Vulkane „funk­tio­nieren“ aber anders und vor­aus­seh­barer. Die Mag­ma­kammern bauen sich über längere Zeit auf, und die Vor­zeichen eines Aus­bruchs sind deutlich.

Erd­beben ereignen sich in der Regel dadurch, dass sich große Gesteins­platten im Unter­grund ver­schieben und auf­grund der Reibung erst eine hohe Spannung auf­bauen, die sich dann in einem Ruck entlädt. So steht San Fran­cisco auf so einer tek­to­ni­schen Plat­ten­kante, und es ist voll­kommen klar, dass sich die Spannung im Unter­grund sehr wahr­scheinlich eines Tages in einer Kata­strophe ent­laden wird. Es kann morgen pas­sieren, aber auch in hundert Jahren.

Die Frage ist, wie lange vorher kann man so eine tek­to­nische Ver­schiebung oder Ver­werfung ent­decken? Die Warnung in Bosnien kam im Schnitt etwa 10 Sekunden vor dem Beben. Das reicht, wenn man geistig darauf ein­ge­richtet ist, um gerade noch aus dem Haus zu rennen oder Schutz unter einem mas­siven Tisch zu suchen, wie es das Pik­to­gramm von Google dar­stellt. Die meisten haben die Warnung über­haupt nicht bemerkt oder die wert­vollen Sekunden nicht nutzen können, weil sie zu perplex waren zu begreifen, was sie da auf dem Display sehen.

Immerhin, das System funk­tio­niert, das kann man fest­halten. Sogar die unge­fähre Stärke des Erd­bebens, das Epi­zentrum sowie die Distanz dazu und das erwartete Ein­treffen der Erschüt­te­rungen wurde relativ präzise ange­kündigt. Ob man die Vor­warnzeit erhöhen kann, wird sich zeigen.

Die knappe Zeit kann nur dann genutzt werden, wenn die Men­schen wissen, was es bedeutet, wenn sie das Warn­symbol auf­blitzen sehen bzw. durch Summen fühlen. Einfach ohne jede Vor­in­for­mation ein Warn­dreieck auf’s Display zu schalten, bringt wenig. Das zeigte sich im Nach­hinein, als auf den Sozialen Medien die Leute berich­teten, dass sie einfach nur irri­tiert und ver­un­si­chert waren und nicht wussten, was sie damit anfangen sollten. Wer genau weiß, was man im Fall eines Erd­bebens zu tun hat, dass dieser Alarm ernst zu nehmen ist und nur Sekunden bleiben, der kann dadurch viel­leicht sein Leben und das der Umste­henden retten. Ver­hindern kann man die Schäden nicht, aber die Aus­wir­kungen und Opfer­zahlen zumindest begrenzen.