Bild: Robert HAbeck, WIkimedia Commons, Heinrich -Böll-Stiftung Berlin, CC BY-SA 2.0

Habecks harte Landung

Lange Zeit hatte er idea­li­sierend über Wölfe geschrieben, nun ruft er mit ner­vösem Voka­bular „Wolf!“ und die Leute glauben ihm. Niemand war erstaunter als ich darüber, zu welcher ideo­lo­gi­schen Rosskur die Rea­lität aus­ge­rechnet der grüne Wirt­schafts­mi­nister Habeck zwang. Auch Markus Lanz konnte sein Glück kaum fassen, wie scho­nungslos der zuge­schaltete Minister seine Fragen beant­wortete, wie unge­schminkt, ja geradezu undi­plo­ma­tisch ehrlich er die Lage darlegt. Besonders dieser eine Satz nötigte mir einigen Respekt ab: „Die schiere Physik steht den makro­öko­no­mi­schen Modellen im Weg“ sagte Robert Habeck am 31.3.22 bei Lanz.

Wem der Saft ausgeht

Es ging natürlich um unsere auf Kante genähte Ener­gie­ver­sorgung und die Fragen, ob, wie und wie schnell wir uns aus der Abhän­gigkeit von rus­si­schen Ener­gie­im­porten lösen können. Der oben zitierte Satz gehört als Sinn­spruch jedem künf­tigen Par­tei­pro­gramm der Woke-Fraktion vor­an­ge­stellt. Strahlt ihn an den Reichstag, hängt ihn von Brücken, klöppelt ihn in Spit­zen­deckchen, denn dass streit­lustige Blogger wie ich diese Trommel seit Jahren schlagen, hat offen­sichtlich nichts bewirkt. Als Phy­siker, Kraft­werks­tech­niker und Wirt­schafts­wis­sen­schaftler diesen und ähn­liche Sätze sagten, wurden sie als ewig­gestrige Koh­lefans und als von der Kern­kraft­lobby bezahlt dif­fa­miert. Die Physik steht dem Modell im Weg und nachdem es jah­relang hieß „Pech für die Physik“, landet das Modell hart auf ukrai­ni­schem Boden. Es handelt sich bei diesem Bruch­pi­loten um das Modell „Kli­ma­rettung durch Energiewende“.

Es kommt in Deutschland leider nie auf Kom­petenz an oder wer etwas sagt. Es kommt vielmehr auf die Stellung an, die der Sprecher innehat. Inhalt­liche Oppo­sition zur Macht zählt da nicht viel und Ver­än­de­rungen kommen zwi­schen Rhein und Oder (bis auf eine Aus­nahme zwi­schen Elbe und Oder) stets von oben. Hier­archie schlägt Kom­petenz und der durch­schnitt­liche Deutsche hat, trotz seiner demo­kra­ti­schen und repu­bli­ka­ni­schen Lip­pen­be­kennt­nisse, ein aus­ge­prägt ser­viles Ver­hältnis zu Auto­rität, beson­deres, wenn sie ver­kleidet daher kommt. Die „Wis­sen­schaft“, der zu folgen man gern vorgibt, ist nichts als eine Maske, hinter der man sich mangels recht­fer­ti­gender Argu­mente ver­steckt. Aus Fragen und Kritik wird Kon­for­mität und Gewohnheit und ist man erst mal dort ange­langt, enden alle Fragen. Nicht nur bei der Ener­gie­wende, wie ich heute fest­stellen durfte. Ich war gerade ein­kaufen und obwohl heute die ent­spre­chenden Regeln in meinem Bun­desland aus­ge­laufen sind, war ich im Super­markt der einzige Kunde ohne Maske. Mir war wirklich zum Heulen zumute.

Doch sei’s drum, wenn es ein grüner Kin­der­buch­autor und Minister ist, der die unge­heu­er­liche Wahrheit von unserer ener­ge­ti­schen Nacktheit aus­spricht, dann ist das eben so! Zu dumm nur, dass er und seine Partei es auch waren, die seit 20 Jahren von den tollen neuen Kleidern schwärmen, die wir uns bereit­willig anzogen.

Atom­aus­stieg, Koh­le­aus­stieg, Vernunftausstieg

Natürlich ist es bequem, im Moment Putin für alles ver­ant­wortlich machen zu wollen, was schief­läuft. Der wird sich auch kaum die Mühe machen, die Anschul­di­gungen in einer aus­führ­lichen Pres­se­kon­ferenz oder bei Lanz zu wider­legen. Putins Krieg war in Beziehung auf unsere Ener­gie­ver­sorgung jedoch lediglich ein Kata­ly­sator, der eine Notlage vor­weg­nimmt, in die wir uns über viele Jahre in ver­schieden großen Schritten hin­ein­ge­wöhnen wollten. Atom­aus­stieg, Koh­le­aus­stieg, Ver­nunft­aus­stieg… Die Vor­be­reitung auf dro­hende Blackouts bestand jedoch nicht in tech­ni­schen Maß­nahmen, sondern in poli­ti­schem und medialem Feu­erwerk. Da waren Marie Antoi­nette würdige Anlei­tungen zum Ener­gie­sparen, SUV-Scham, mora­lische Erpressung in Richtung Tem­po­limit, staatlich ver­an­lasste „Koch­bücher“ für die strom­losen Momente im Leben und immer wieder Beteue­rungen, man habe die Lage im Griff, die Ener­gie­wende laufe gut, man sei breit auf­ge­stellt, Abhän­gig­keiten gäbe es nicht.

Das arro­gante Grinsen im Gesicht des Heiko Maas bei der Rede Trumps vor der UN-Voll­ver­sammlung, bei der er die deutsche Abhän­gigkeit von rus­si­schem Gas ansprach, steht mir noch deutlich vor Augen. Ja, wir leis­teten uns sogar Clowns und Jon­gleure wie Kemfert und Qua­schning, die von ihren gut dotierten Kanzeln herab die Ener­gie­wende pre­digten und das fossile Zeit­alter ins Fege­feuer ver­bannten. Und sie pre­digen immer noch! Ebenso medial-akti­vis­tische Front­ge­sichter aus der Mir-geht’s‑zu-gut-und-mir-ist-langweilig-Abteilung wie Luisa Neu­bauer, für die jedes ener­ge­tische Problem nur eine Lösung kennt: viel mehr und viel schneller Solar- und Wind­energie! Putins Krieg hat jedoch den dop­pelten Boden weg­ge­rissen, auf dem alle Zau­ber­tricks mit den erneu­er­baren Energien beruhen: reichlich bil­liges rus­si­sches Erdgas. Den Zugang wollten wir uns via Ostsee direkt in die Vene legen lassen.

Neues Vorbild: die Ener­gie­po­litik der DDR

Unsere soge­nannten Leit­medien stimmen uns nun auf die neue, mora­lisch schicke Knappheit des „weniger ist mehr“ ein und schwelgen in DDR-Nost­algie. Es war ja nicht alles schlecht, im Osten! Triste Ver­pa­ckungen und das Glätten von Geschenk­papier zwecks erneuter Ver­wendung waren laut Spiegel nicht etwa Ergebnis von Mangel und Plan­wirt­schaft, sondern Aus­druck dafür, dass die Dinge in der DDR einen „Wert an sich“ gehabt hätten. „Lernen von der DDR, wer hätte das gedacht“ lautet das merk­würdige Fazit eines Spiegel-Artikels von Sabine Rennefanz. Gelernt wurde natürlich schon damals viel. Siegen zum Bei­spiel. Und der mili­tä­rische Duktus bei „Aktuelle Kamera“ und „Neues Deutschland“ war kein Zufall. Schließlich waren es die Kon­skri­bierten Sol­daten der NVA, die in jedem Winter in Armee­stärke in die Braun­koh­le­ta­gebaue ein­rücken mussten, um die all­jähr­liche Win­ter­schlacht gegen Frost, Blackout und Man­gel­wirt­schaft mit schwerem Gerät, Mus­kel­kraft und Deputats-Schnaps zu schlagen. Die zen­trale Planung schaffte es mit Mühe, min­der­wertige und schweflige Braun­kohle aus dem Dreck zu klauben und zu ver­brennen. Erst mit dem Einzug der heute von Kli­ma­schützern ver­teu­felten Markt­wirt­schaft nach 1990 wurde die Luft besser.

Den per­manent dro­henden Ener­gie­mangel konnte die DDR nie end­gültig in den Griff bekommen und schon damals half die „brü­der­liche Ver­bun­denheit“ mit der Sowjet­union wenig. Von der DDR lernen heißt also, sich mittels Plan­wirt­schaft so in die Ecke treiben zu lassen, dass einem die Ideen aus­gehen und ener­ge­tisch alles so auf Kante zu nähen, dass sich schon ein kleines Wet­ter­ereignis zum sys­tem­be­dro­henden Ernstfall auf­schwingen konnte. Der Witz, die vier Feinde des Sozia­lismus seien Frühling, Sommer, Herbst und Winter, war ein Dauerbrenner.

Nun, da sind wir ja fast wieder, ange­sichts des medialen Auf­atmens bei nied­rigem Füll­stand der Gas­ka­vernen und dem milden März­wetter. Doch dann schickte Putin (wer denn auch sonst!) am 1. April Win­ter­kälte mit Schnee und erin­nerte uns daran, dass wir ange­sichts der begin­nenden Ener­gie­knappheit aus­ge­rechnet die globale Erwärmung als Ver­bün­deten ansehen müssen, statt uns künftig noch kli­ma­ge­rettete weiße Weih­nachten wün­schen zu dürfen. Die ener­ge­tische Anämie der Bun­des­re­publik wird aber sicher ange­nehmer ver­laufen, weil der Spiegel sie in velin­schönes, glatt­ge­stri­chenes Geschenk­papier aus Worten zu kleiden weiß. Aus Spar­sam­keits­gründen dann aber nur noch online und im wöchent­lichen Wechsel mit dem Focus, ver­steht sich! Opfer müssen gebracht werden für den Sieg!

Die immer wieder lokal auf­tre­tenden Strom­aus­fälle (heute würde man wohl Brownout dazu sagen) bekam man im ener­ge­ti­schen Arbeiter- und Bau­er­pa­radies DDR übrigens erst eini­ger­maßen in den Griff, als das Kern­kraftwerk bei Greifswald in Betrieb ging. Hierzu emp­fehle ich dringend die Schil­de­rungen von Manfred Haferburg, der dort mal Schicht­leiter war. Wir hin­gegen sind heute drauf und dran, auch noch die letzten Kern­kraft­werke abzu­schalten. Diese DDR-Lektion heben wir uns wohl für später auf.

Die man­gel­hafte Resi­lienz unseres Strom­netzes – von den Strom­kosten ganz zu schweigen – wächst sich immer schneller zum Stand­ort­nachteil aus. Und hier kommen wir zu den ent­schei­denden Fehl­schlüssen grüner Politik, unseres geläu­terten Wirt­schafts­mi­nisters und auch des Spiegel-Artikels, weil die private Ent­scheidung zu Spar­samkeit und Ver­zicht, die selbst in der Summe kaum noch Spar­po­tenzial haben, mit absolut not­wen­diger Prozess-Energie gleich­ge­setzt wird. Chemie, Metall­urgie, die Her­stellung von Zement, Kupfer, Alu­minium – übrigens alles Dinge, die auch für Wind­rädchen in großer Menge benötigt werden – lassen sich nicht spar­samer gestalten, indem man das Geschenk­papier weg­lässt oder die Ver­pa­ckungs­folie in den gelben Sack steckt. Der Gipfel der Ironie: die zur Schmelze von Metallen nötige Energie kommt hier­zu­lande ange­sichts der hohen Strom­kosten bei vielen Firmen aus Erdgas. Die Umstellung von teurem Strom auf „bil­liges“ Gas ist vie­lerorts gerade voll­zogen worden. Man hat also, auf die poli­ti­schen Ver­sprechen bauend, den Teufel gegen den Beel­zebub getauscht.

Wer übrigens aus den Worten Habecks schließt, die Grünen und das sie tra­gende Milieu wären nun aus ihrem para­die­si­schen Traum in der phy­si­ka­li­schen Rea­lität erwacht, liegt leider falsch. Die Ursachen für unser Dilemma bleiben uner­kannt und die Schuld­zu­wei­sungen sind so falsch wie immer. Rennefanz schreibt:

„Wenn Unab­hän­gigkeit von Russland und Öl und Gas den meisten Wählern wichtig gewesen wäre, dann hätten die Grünen doch schon 2017 eine absolute Mehrheit gewinnen müssen.“

Soll heißen, wenn statt Nordstream2 einfach ein paar Wind­räder mehr gebaut worden wären, hätte uns der schnelle Ausbau der „Erneu­er­baren“ längst in die Aut­arkie geführt. Das ist leider kom­pletter Unsinn! Man sieht nicht oder will nicht sehen, dass unsere Erd­gas­ab­hän­gigkeit direkt und unmit­telbar die Folge des exten­siven Zubaus von Solar- und Wind­energie, also gewis­ser­maßen deren dunkle und ver­leugnete Seite ist.

Ich rede hier gar nicht vom Aus­stieg aus Kern­kraft und Kohle, sondern vom akuten Bedarf an elek­tri­scher Regel­arbeit als Lücken­büßer für den bekann­ter­maßen vola­tilen Ener­gie­wen­de­strom. Die schnell regel­baren Gas­kraft­werke sind es, die die halbwegs gere­gelte Ein­speisung von Solar- und Wind­strom erst möglich machen. Da wir keine nen­nens­werten Ener­gie­speicher haben und wohl auch nie haben werden, sind Gas­kraft­werke die einzige ver­fügbare Tech­no­logie, die dazu in nen­nens­wertem Umfang in der Lage sind – und die brauchen nun mal Gas. Kohle und Kern­kraft sind wun­derbar stabil grund­last­fähig, aber völlig unge­eignet, den Zap­pel­strom zu glätten. Statt also das Hei­zungs­ther­mostat zuzu­drehen und auf der Autobahn aus Protest gegen Putin 100 zu fahren, müsste sich der Volkszorn sinn­voller gegen Wind­räder und Solar­an­lagen richten.

Und wenn sie mal wieder unter einem sich dre­henden Windrad stehen, liebe Leser, dann lau­schen sie! Hören Sie nicht auch die Stimme Putins, die im Takt der Wind­rad­flügeln „zehn Cent, zehn Cent, zehn Cent, zehn Cent…“ flüstert? Er kann ja Deutsch, der Putin. Kurz: die deutsche Ener­gie­wende ist es, die Putin bei der Finan­zierung seines Kriegs gegen die Ukraine hilft. Für ihn hätten es ruhig schon mehr Wind­räder sein können, die sich in Deutschland drehen und im Gesicht Robert Habecks bei Lanz war abzu­lesen, dass er dies nun auch weiß. Es jedoch aus­zu­sprechen, so weit geht sein erwachter poli­ti­scher Rea­lismus dann leider nicht.

Angebot, Nach­frage, Gelegenheit

Ein Bisschen sparen, ein Bisschen Flüs­siggas, ein Bisschen Last­abwurf und Triage beim Ener­gie­bedarf – das scheint die Stra­tegie Deutsch­lands zu sein, um aus der selbst­ver­schul­deten Abhän­gigkeit von Russland her­aus­zu­kommen. Alles Mög­liche wurde schon erwogen. Habeck reiste nach Qatar, eine US-Dele­gation nach Vene­zuela, Energie-Hilfs­pakete werden geschnürt und Biden gibt einen beträcht­lichen Teil der stra­te­gi­schen Ölre­serve ab. Wie schon seit zwei Dekaden ver­sucht man, jedes Problem mit Geld zuzu­schütten und Unsi­cher­heiten mit den Werk­zeugen der Plan­wirt­schaft zu bear­beiten. Nur eines wurde noch nicht in Betracht gezogen, weil es immer noch eine heilig ideo­lo­gische Kuh gibt, die nicht ange­rührt werden darf: die längst obso­leten „Pariser Klimaziele“.

Weder in den Ver­ei­nigten Staaten noch in Deutschland wird erwogen, die hei­mische Ener­gie­pro­duktion wie­der­zu­be­leben und – statt der seit Jahren üblichen Ver­schiebung von CO2-Emis­sionen ins Ausland, um die eigene Bilanz auf­zu­hüb­schen – sich ehrlich zu machen und sich zum Bei­spiel mit Hilfe von Kern­kraft und Schie­fergas-Fracking mög­lichst unab­hängig von rus­si­schem Öl und Gas zu machen. Die Grünen wollen eine „Was­ser­stoff­wirt­schaft“ ankurbeln? Nur zu! Doch dafür braucht es die Kern­energie! Die Wind­räder sollen sich weiter drehen? Bitte, dann brauchen wir Gas für die Flau­ten­schie­ber­kraft­werke! Nur auf der Ange­bots­seite lässt sich der Preis mit­tel­fristig sta­bi­li­sieren und uner­wünschte Abhän­gig­keiten beenden. Nur so lässt sich tat­sächlich wirksam Druck auf Putin ausüben, nur so zieht man bei einem Gas-Boykott – von welcher Seite auch immer der aus­gehen mag – nicht das kürzere Streichholz. Nur so bleibt auch in der Krise genug Wirt­schafts­leistung übrig, um Freunden zu helfen.


Quelle: unbesorgt.de