Es hat gedauert und Anne Spiegel, der heutige Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, trat am Wochenende zurück. Grund für den Rücktritt ist ihr Verhalten bei der Flutkatastrophe, die das Ahrtal verwüstete und offiziell 180 Todesopfer forderte (tatsächlich soll die Zahl deutlich höher liegen). Die Grünen Politikerin war damals auch Rheinland-Pfälzischer Minister für Familie und Umwelt und damit auch für Hochwasser zuständig. Zehn Tage nach den grauenvollen Auswirkungen der Flut und zu einem Zeitpunkt, als Zigtausende kein Dach über dem Kopf hatten, verzweifelt nach überlebenden oder toten Angehörigen suchten und sich ein unglaubliches Ausmaß an fehlender Katastrophen-Kompetenz offenbarte. Eine Katastrophe, deren Bewältigung Frau Ministerin Spiegels Aufgabe gewesen wäre. Doch sie ging aus persönlichen Gründen in den Urlaub.
Anders als erhofft, wuchs kein Gras darüber. Nicht nur die Menschen im Ahrtal vergaßen und verziehen ihr das nicht. Die Kritik ließ nicht nach. Dass die Politik im Allgemeinen hier ihr Versagen dokumentierte, darüber waren und sind sich die Bürger weitgehend einig. Es war ja nicht nur die Unfähigkeit, die Schäden zu beheben, die Hilfen straff und effizient zu organisieren. Baufirmen, Bauern, Freiwillige — die dann auch noch abgehalten wurden, weil sie eine unerwünschte politische Haltung hatten – haben spontan und auf eigene Kosten einen Großteil der Hilfen bewältigt, während große Gruppen an THW, Feuerwehren, Rettungsdienste ect. in Massen auf dem Gelände des Nürburgrings zum Teil Tage ausharren mussten, weil die Einsatzleitung nicht funktionierte.
Dazu kommt, dass es kein unerwartetes, unabwendbares Schicksal war. Es gab von zuständigen Wetterdiensten sehr wohl Warnungen. Als der TV-Meteorologe Karsten Schwanke einen Tag zuvor um 19.36 Uhr im „SWR Aktuell“ eine Sondersendung zur sich schon abzeichnenden Gefahr eines massiven Hochwassers in der Eifel machen wollte, lehnte der SWR ab. Obwohl Karsten Schwanke sich sehr sicher war, es sei „definitiv abzusehen“ gewesen, dass es in der Eifel „sehr schlimm“ werden würde. Das sagte Herr Schwanke im rheinland-pfälzischen Untersuchungsauschuss aus.
„Bereits am 8. Juli 2021 — sechs Tage vor der Katastrophe — hatte das Europäische Hochwasserwarnsystem eine hohe Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen vorausgesagt. Am 12. Juli 2021 informiert der Deutsche Wetterdienst (DWD) mehr als 100 Kontakte in Rheinland-Pfalz, darunter Kreisverwaltungen und Feuerwehren. Am nächsten Tag verstärkt der DWD seine Warnung: “Die nächsten Tage haben es in sich.” Am späten Nachmittag des 14. Juli gegen 17.17 Uhr misst der Pegel der Ahr 2,78 Meter. Das Landesamt für Umwelt ruft die höchste Warnstufe aus. Um 17.40 Uhr trifft sich der Krisenstab um den Landrat in der Kreisverwaltung in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Gegen 19.30 Uhr verlässt Innenminister Lewentz den Krisenstab. Tage später wird er sagen, zu dem Zeitpunkt hatte er den Eindruck, alles sei vorbereitet. Es seien dort erfahrene Leute, die auch das Hochwasser 2016 bewältigt hatten.“
Man diskutierte in den Stunden vor der Katastrophe die Pegelstände, gab aber keine Warnung an die Bevölkerung heraus: „Kurz nach 20 Uhr kündigt das Mainzer Landesamt für Umwelt (LfU) für die frühen Morgenstunden am nächsten Tag eine Flutwelle von sieben Metern an. Um 20.56 Uhr twittert der Kreis Ahrweiler, dass es Hochwasser und Starkregen an der Ahr gebe. Der aktuelle Pegelstand sei 5,09 Meter. Mit weiteren Sturzfluten sei zu rechnen.“
Der Pegelmesser wird bei einem Stand von 5,75 Metern – höher als die berühmte Jahrhundertflut – weggerissen. Und trotzdem vergehen noch einmal über zwei Stunden, bis 23:09 endlich die Aufforderung an die Anwohner entlang der Ahr erging, die Häuser 50 Meter weit rechts und links der Ahr zu räumen. Zu spät.
„Viel zu spät, sagen die Bewohner von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Zu diesem Zeitpunkt hören sie schon längst die verzweifelten Hilferufe von Nachbarn. Nicht alle werden sie später lebend wiedersehen.“
Ich selbst hatte eines meiner Kinder in dieser Nacht am Handy. Die Todesangst in der Stimme war unerträglich. Ich musste in Minutenabständen miterleben, wie die Fluten stiegen, dass es kein Entrinnen mehr gab, und ich möchte hier nicht weiter beschreiben, wie es ist, hilflos am Handy zu sitzen und zu beten, dass man nicht mit anhören muss, wie das eigene Kind, der Ehepartner und die kleinen Kinder sterben. Sie haben alle überlebt, die materiellen Schäden und die lange Zeit ohne Wasser und Strom und Heizung sind das Wenigste. Die Stunden der Todesangst bleiben.
Der zuständige Landrat Pföhler sprach am Tag danach von einer „absoluten Katastrophe“ und dass man nun Menschen retten und bergen müsse. Sprach’s – und verschwand für fast zwei Wochen aus der Wahrnehmung. Nicht ohne ein beeindruckendes Statement abzuliefern:
„Am 26. Juli 2021 äußert sich Pföhler in einem Interview mit der Rhein-Zeitung: ‚In dieser Situation sage ich ganz klar: Gegenseitige Schuldzuweisungen helfen uns überhaupt nicht weiter.‘ Und: ‚Nach meinem Eindruck reagierten alle zuständigen Behörden, der DWD, der Hochwassermeldedienst Rheinland-Pfalz, der Kreis Ahrweiler und alle Katastrophenschutzeinheiten unverzüglich und warnten die Bevölkerung zu unterschiedlichen Zeitpunkten.‘ Was sich dann entwickelt habe, sei eine Ausnahmesituation gewesen, so der Landrat.“
Das scheint die allgemeine Haltung in den Etagen der führenden Politiker gewesen zu sein. „Jaja, ist blöd gelaufen, aber Schuldzuweisungen helfen nicht“. Es geht um Verantwortung und dass man dafür geradestehen muss, wenn man in seiner Aufgabe versagt, die man übernommen hat. Insbesondere dann, wenn es Warnungen gegeben hat. Wer über eine rote Ampel fährt und dabei einen Unfall mit Sachschaden, Verletzungen oder Toten verursacht, der haftet. Punkt. Und zwar zu Recht. Da kann auch niemand sagen „Schuldzuweisungen helfen uns überhaupt nicht weiter“.
Den Sachschaden hätte man reduzieren können, die Toten vermeiden können. Aber man überließ die ahnungslose Bevölkerung ihrem Schicksal und war anschließend unfähig, die Verwüstung in den Griff zu bekommen.
„Auch Anne Spiegel (Grüne), damalige rheinland-pfälzische Umweltministerin und heutige Bundesfamilienministerin, muss sich für ihr Krisenmanagement verantworten. Nun legt ein Medienbericht nahe, dass das Umweltministerium vor der Flut im Ahrtal hätte warnen können.“
Stattdessen verschickte die Pressestelle des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums noch am Nachmittag des 14. Juli direkt vor der Flutnacht noch eine Mitteilung, dass kein Extremhochwasser drohe. Hat Frau Spiegel als zuständiger Umweltminister das nicht gewusst? Wenn nein, wie kommt es, dass sie in einer schon bekanntermaßen schwierigen Situation sich nicht ganz präsent jede noch so kleine Entwicklung der Ereignisse informieren lässt? Wenn Sie es gewusst hat, warum schlug sie dann nicht spätestens dann laut Alarm, als kurz darauf der zuständige Staatssekretär diese Mitteilung als „überholt“ bezeichnete und ein „Extremereignis“ meldete – es aber keine Warnung an die zuständigen Stellen zur Vorbereitung und Eingrenzung der Schäden gab, keine Warnung an die Ahr-Anwohner im letzten Moment, doch noch die Häuser zu räumen? Was Hat Frau Minister Spiegel damals eigentlich getan?
Sie ist zehn Tage nach der Flutkatastrophe vier Wochen lang mit Familie nach Frankreich in Urlaub gefahren. Aus persönlichen Gründen. Die Begründung: Sie und ihre Familie hätten dringend einen Urlaub gebraucht, die Arbeitsbelastung sei einfach zu hoch gewesen. Ihr Mann habe zwei Jahre zuvor einen Schlaganfall gehabt und die Kinder im Kindergarten hätten unter der Corona-Pandemie gelitten. So eine Begründung in dieser Situation bei der Verantwortung ihres Amtes? Außerdem hat sie auch noch direkt gelogen, indem sie sagte, sie habe aus dem Urlaub heraus an digitalen Kabinettssitzungen teilgenommen. Auch das musste sie zugeben, nachdem sie auch noch versuchte, sich herauszureden, das habe sie falsch in Erinnerung. Der Nachsatz, sie sei aber doch immer erreichbar gewesen, machte die Sache nicht besser. Mein Gott, wie peinlich kann es noch werden?
Wenn sie der Aufgabe, wie sie es selber vor der Kamera sagt, einfach nicht gewachsen war: Dann muss sie das Amt abgeben. So einfach ist das. Es ist schon im Vorfeld unverantwortlich, stur auf dem Ministerstuhl sitzen zu bleiben, wenn man sieht, dass man diese Aufgabe einfach nicht bewältigen kann und damit dem Land und den Menschen Schaden zufügt. Aber die Krönung ist, nach einem epochalen Versagen, wie in der Ahr-Flutkatastrophe, noch weiter bockig im Amt zu verbleiben und erst auf massiven Druck aus den eigenen Reihen zurückzutreten — und obendrein noch ein öffentliches Gegreine und Gestammel über seine persönlichen Probleme vor der Kamera abzuliefern. Wissend, wie viele Tote man auf dem Gewissen hat.
Laut Spiegel liegen der FAZ Chatprotokolle vor, dass „bei der damaligen rheinland-pfälzischen Umweltministerin Spiegel die Sorge im Vordergrund stand, ihr könnte eine Verantwortung für die Katastrophe angelastet werden.“
Ein Auszug:
„Das Blame Game könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre etc.«, zitiert die »FAZ« die Ministerin aus einem ihr vorliegenden Chatprotokoll.“
Nun, das „Blame-Game“ hat doch stattgefunden. Das erfuhr Frau Minister Anne Spiegel jetzt doch noch. Hatte sie wirklich gedacht, das alles werde mit der „Schwamm drüber“-Methode erstickt, wie so vieles, was eigentlich aufgearbeitet werden müsste? Am Sonntag ist sie zurückgetreten. Endlich.
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