Nigeria ist ein Bundesstaat in Westafrika (siehe Titelbild). Es gibt mehrere Völkerschaften in diesem Staat und mehrere Sprachen. Mit einer Einwohnerzahl von 219 Millionen hat es eine ziemlich genau gleiche Dichte von Einwohnern pro Quadratkilometern wie Deutschland, aber Fläche und Einwohnerzahl sind dabei ungefähr dreimal so groß. Es gibt viele Religionen, die sich noch aus Stammestraditionen gründen. Die beiden Hauptreligionen sind Islam (50,5%) und Christentum (48,2%). Im Norden des Landes leben vor allem Muslime, Sokoto im Norden ist ein Schwerpunkt. Und dort ereignete sich auch der Mord an der Studentin.
Die bestialische Tat ereignete sich am 13. Mai auf dem Campus des Shehu Shagari College of Education in Sokoto. Muslimische Studenten jagten die junge Frau wie ein wildes Tier über’s Gelände, bis man sie ergriff und zu Tode prügelte und steinigte. Den toten Körper warfen sie dann in ein Feuer. Es gibt Fotos, der in ein pinkfarbenes Kleid gehüllte jungen Frau zwischen den Steinen, mit denen sie beworfen wurde, im Feuer liegend.
Bild, Internet, soziale Medien: Deborah Samuel, eine blühende, junge, gebildete Frau. Oben rechts ihre Leiche auf dem Stein und Feuerhaufen.
Es ist immer wieder schockierend, zu welchen grausamen Taten der Mensch fähig ist. Die Hetzjagd auf Deborah Samuel, hier ein kurzes Video auf Twitter:
Das ist in Nigeria kein Einzelfall. Im Jahr 2007 schlugen muslimische Schüler einer weiterführenden Schule im Nordosten eine Lehrerin zu Tode, nachdem sie ihr vorgeworfen hatten, den Koran entweiht zu haben.
Es gibt darüber hinaus stammesbegründete Auseinandersetzungen, Rebellenorganisationen, Entführungen mit Lösegeldforderungen. Homosexualität wird mit 5 Jahren Gefängnis bestraft, und die Menschen sind arm. Immer wieder kommt es zu Morden unter den Viehhaltern, Landstreitigkeiten, die tödlich ausgehen. Im Zentrum Nigerias schwelt eine alte Feindschaft zwischen den muslimischen Hausa-Fulani-Hirten und christlichen Bauern, die menschheitsalte Konkurrenz zwischen Vieh-besitzenden Nomaden und sesshaften Bauern. Und dann gibt es muslimische Terrorbanden, wie Boko Haram, die mit grausamen Anschlägen bis zu geschätzt 30.000 Tote auf dem Gewissen haben. Etwa 200.000 Nigerianer sind aus dem muslimischen Norden in die Nachbarländer geflohen.
In diesem Umfeld war es für Deborah Samuel ein Privileg und eine wunderbare Chance für ein gutes Leben, auf dieses College gehen zu können. Ihre Eltern sind nun am Boden zerstört, hatte sie doch alles aufgeboten, um ihrer Tochter eine gute Ausbildung und damit einen guten Start ins Leben zu geben. In der Daily Post Nigeria werden sie befragt, wie sie mit dem grausamen Tod ihres Kindes umgehen. Sie haben sich entschlossen, nichts dagegen zu tun und alles in die Hände Gottes zu legen, so tieftraurig sie auch darüber seien.
Der Vater machte sich auf, die sterblichen Reste seiner Tochter aus der Leichenhalle abzuholen, damit sein Kind ein anständiges Begräbnis bekommt. Regierungsbeamte übergaben ihm sein totes Kind, er unterschrieb die Dokumente und suchte nach einem Fahrer, der ihn und seine Tochter heimfahren würde. Doch nur ein Fahrer erklärte sich dazu bereit. Alle anderen lehnten den Transport ab. Wegen des fürchterlichen Zustandes der Toten, sagte er.
Deborah war eins von sieben Kindern: Die Eltern konnten nur eine vollumfängliche, gute Ausbildung finanzieren und hofften, Deborah könnte ihnen damit eine Stütze im Alter sein. Ihre Geschwister bekamen diese Chance nicht – und werden sie nun auch kaum bekommen. Die Mutter sagte der Daily Post: „Jetzt wird es schwer für uns werden“.
Doch was hatte Deborah getan oder gesagt? Was war ihr todeswürdiges, blasphemisches Verbrechen?
Eine Mitschülerin, „Rakia“, aus Deborahs Kurs erzählte der Daily Post Nigeria, dass Deborah ausgepeitscht, gesteinigt und verbrannt worden sei. Und ihre letzten Worte seien gewesen „Was hofft ihr damit zu erreichen?“.
Rakia erzählte weiterhin, Deborah habe sich in der schuleigenen WhatsApp-Gruppe, in der Studenten ihre Noten und Prüfungen eintragen können, für ihre gute Prüfungsnote bei Jesus bedankt und das sei der Ausgangspunkt gewesen. Sofort sorgte der Post für Aufruhr. Verschiedene Studenten forderten sie auf, ihren Chat zurückzuziehen. Aber sie wollte das nicht.
Es gibt ein Audio mit ihrer Stimme, wo sie auf die Aufforderung, ihren Post zurückzuziehen sagt, dass ihr schon nichts passieren werde, dass diese WhatsApp-Gruppe vom College dafür eingerichtet wurde, dass dort Noten, Arbeiten, Abschlüsse, Eintragungen zu Kursen usw. gepostet werden können und dass religiöse Inhalte, wie sie die muslimischen Mitstudenten ständig darauf posteten, dort nichts zu suchen hätten. Dieses Audio postete sie in der Gruppe und daraufhin ging die Hexenjagd los. Hier das original Audio und eine Übersetzung.
Sie muss dabei kritische Bemerkungen gegen Mohammed gemacht haben. Denn in der Vorbemerkung zum Video heißt es „In dieser Übersetzung haben wir die beleidigenden Kommentare herausgenommen, denn wir haben Respekt vor Prophet Mohammed.“
Am Ende lesen wir in der Übersetzung: „Beim Feuer des Heiligen Geistes, mir wird nichts geschehen. Diese Gruppe hier wurde nicht geschaffen, um so einen Unsinn zu verbreiten (gemeint sind religiöse Posts der muslimischen Studenten) Sie wurde eingerichtet, um Nachfragen zu posten, ob ein Test ansteht, oder ob wir uns eintragen können – nicht all diese unsinnigen Dinge. Was für ein ***“
Diese drei Sternchen waren wohl die Herabsetzungen, die sie das Leben kosteten. Ein anderer Zeuge fasste es laut dem britischen Guardian so zusammen: „Es gibt eine WhatsApp-Gruppe, die von den Studenten genutzt wird, und ihre muslimische Kollegin hat einen islamischen Beitrag gepostet. Sie (Deborah) hat dieses Posting kritisiert“, sagte einer der Zeugen, der nicht genannt werden wollte.“
Schnell sprach sich herum, dass junge Männer von außerhalb des Colleges im Anmarsch waren. „Ich war im Unterricht, als einige unserer Kurskameraden hereinstürmten und sagten: ‚Auf dem Berg brennt es‘, berichtet Rakia – und dann hätten die muslimischen Schüler diese Fremden zum Klassenraum geführt, um Deborah zu suchen. Klassenkameraden versuchten, Deborah zur Flucht zu verhelfen, ein Taxi war gerufen worden, um sie direkt zur Polizeistation zu fahren, aber leider habe „der Mob alle überwältigt, die versuchten, ihr zur Hilfe zu kommen“. Studenten riefen Dozenten an, dass sie eingreifen und die Situation retten — vergeblich. Rakia hat immer noch ihren flehentlichen Gesichtsausdruck vor Augen. Sie rief um Hilfe und flehte um Gnade, vergeblich. „Was für eine grausame Art zu sterben“, sagt Raika.
Die Jagd auf Deborah war gnadenlos. Der Sicherheitsdienst der Schule und die Polizei versuchten, das Mädchen zu retten, wurden jedoch vom Mob überwältigt, sagten die Zeugen.
„Die Polizei schoss Tränengas auf die Studenten … und dann feuerten sie Schüsse in die Luft, um die Studenten zu zerstreuen, aber die setzten sich zur Wehr“, sagte laut Guardian Summayya Usman Inname, eine Studentin im zweiten Jahr. „Die Polizei gab es auf (Deborah Samuel), der Frau zu helfen, nachdem die Studenten begannen, Stöcke und Steine auf die Polizisten zu werfen, dann benutzten die Schüler die Steine und Stöcke, um auf die Frau ein zu schlagen. Nachdem sie erschlagen worden war, wurde sie angezündet.“
Mittlerweile sind zwei Verdächtige im Zusammenhang mit dem Mord an Deborah Samuel festgenommen worden, sagte ein Sprecher des Staatskommandos von Sokoto. Für Ruhe und Stabilität sorgt das jedenfalls nicht. Sofort gingen wütende Muslime auf die Straße und forderten entweder deren Freilassung oder beklagen sich, dass Muslime mit Terroristen gleichgesetzt werden.
Ein Tweet geht herum in Nigeria und der Welt: „Eilmeldung? Das geschieht jetzt Sokoto, Staat Nigeria, sie ermorden genau jetzt Christen, wenn Du Deine Verwandten in Sokoto hast, benachrichtige sie, damit sie da weggehen. Das heutige Biafra ist der 14.05.2022. Sie zerstören Häuser von Christen und brennen sie nieder – furchtbar.
Demonstranten stürmten den Palast des Sultans von Sokoto, zündeten ein Feuer vor dem Gebäude an und forderten die Freilassung der beiden Inhaftierten. Um mal den hiesigen Politikern zu zeigen, was eine „Demonstration“ anderswo bedeutet, verlinke ich hier mal ein Bild. Ich sehe hier keine Luftballons, liebe, ältere Damen, die die Polizei sofort zu Fall bringen kann. Keine freundlichen, jungen Familien mit Babys im Kinderwagen, keine Rosen, keine Musikgruppen …
Die „Demonstranten“ griffen Kirchen an, verbrannten Katholiken und plünderten Geschäfte. Ein Evangelisches Zentrum wurde in Brand gesteckt, es brannte komplett nieder. Es gab viele verletzte Christen. Die „wütenden Jugendlichen“ zerstörten auch Autos von Geschäftsleuten. Im Stadtzentrum brennen ebenfalls seitdem Geschäfte nieder, nachdem sie geplündert wurden.
Gleichzeitig hielten Protestler Transparente hoch, auf denen zu lesen steht: „Lasst unsere muslimischen Brüder frei! Muslime sind keine Terroristen! Friedlicher Aufstand! Prophet Mohammed, der Beste!“
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