Es ist schon spannend, auf was für Auswüchse man in der Postmoderne stoßen kann. Völlig arglos kaufte ich die Ausgabe 01.22 der Zeitschrift Spektrum GESCHICHTE, die im Spektrum der Wissenschaft Verlag erscheint, der im Besitz des Springer Verlags ist. Das Cover wies auf das Titelthema Die allererste Stadt hin, weshalb ich die Zeitschrift kaufte.
Überraschend ist, dass besagtes Titelthema gegenüber den übrigen Artikeln der Ausgabe sowohl stilistisch als in qualitativer Hinsicht nur schwerlich mithalten kann. Dennoch hält der Artikel durchaus seine Versprechen und berichtet über eine der mutmaßlich ersten Städte der Menschheitsgeschichte.
Wirklich interessant wird es dann gegen Ende des Themas, als es mit Vater, Mutter, fremdes Kind um die Steinzeitfamilie geht. Dort verwischen dann die Grenzen zwischen Archäologie, Soziologie, Woke-Ideologie und Information. Dort wird behauptet, dass Blutsverwandtschaft als Basis für familiäre Strukturen ein lediglich westliches Konzept sei, und dass in „Ethnien außerhalb des euroamerikanischen Raums oft Vorstellungen von Verwandtschaft nicht ausschließlich auf biologischer Abstammung basieren“. Die Speerspitze dieser natürlich „lupenrein“ wissenschaftlichen Argumentation gegen das klassische Familienbild stellt hier das Konzept der New Kinship Studies dar, die in der Anthropologie beheimatet sind. Der Artikel endet schließlich mit der These, dass das Konzept der Blutsverwandtschaft der komplexen Realität der frühen Gesellschaften nicht gerecht würde.
Da fragt man sich, wann progressive Wokisten diese Aussage endlich auf unsere ungleich komplexere Neuzeit übertragen werden. Wobei dies bereits in diesem Artikel geschieht, wenn man genau hinschaut. Autorin Dagmar Schediwy schreibt nämlich zum Ende: „Die Funde in den jungsteinzeitlichen Gräbern Anatoliens sprechen dafür, dass auch in der Archäologie Verwandtschaft neu gedacht werden muss.“
Mir wurde es richtig schlecht, denn was hier an Tatsachenbehauptungen aneinandergereiht wird, ist schon an und für sich kaum haltbar. Dazu muss man lediglich mal mit Menschen aus Asien, Afrika oder einem beliebigen anderen Kulturraum sprechen. Dort ist das Thema Blutsverwandtschaft mindestens so wichtig wie im angeblichen euroamerikanischen Raum. Zumindest am Ende des erwähnten Artikels geht es dann kaum noch um Wissenschaft und Fakten, sondern vielmehr um Meinung und vor allem Ideologie. Schaut man sich den Artikel ganz genau an, wimmelt es von offenbarenden Ideen: Die Durchmischung der biologischen Familien sei eine prima Strategie gegen die damaligen Stände, und generell ähnelt die Darstellung dieser Zeit bedenklich dem Bild des mythologischen Ur-Kommunismus. Selbst diese ewig gestrigen Vorstellungen bleiben uns wohl auch 2022 nicht erspart. Dies geschieht einmal mehr im Namen der Wissenschaft, die auch in der Pandemie der letzten Jahre „brilliert“ hat. Wenn das Wissenschaft ist, kann sie wohl weg…
Die Familie ist die Zielscheibe zahlreicher antiwestlicher Tendenzen gewesen, nehmen wir allein die Faschismus-Erklärungsversuche der Frankfurter Schule, die gerade und vor allem den Samen des Autoritären in der (blutsverwandten) Familie gesehen haben. Hilfreich ist natürlich, wenn man sich einfach mal den Hintergrund der Autorin des oben genannten Artikels ansieht, um die Herkunft des Angriffs zu erkennen. Dagmar Schediwy ist Psychologin, was dann schon irgendwie verwundert. Schließlich handelt sich bei dem betreffenden Artikel ja augenscheinlich um ein archäologisches Thema. Frau Schediwy schreibt ansonsten vor allem über Sozial- und Genderthemen in der Archäologie. Nähere Auskunft über die weiteren Artikel der Autorin gibt ihre Website: „Die neolithische Wahlfamilie“, „Queerness im Land der Pharaonen“, „Der Status Quo ist ziemlich sexistisch“. Da muss man dann schon nicht mehr ganz so viel zu sagen, nicht wahr?
Die Entwertung der Blutsverwandtschaft hört sich im ersten Moment wie eine Dystopie an, wie sie sich selbst eine Margaret Atwood nicht besser ausdenken könnte. Immer lauter wird über Geschlechtergerechtigkeit lamentiert, damit endlich gleichgeschlechtliche und transgender Paare mit heterosexuellen Familien gleichgestellt werden können. Da setzt die Natur natürlich biologische Grenzen, man forscht jedoch bereits eifrig an künstlichen Gebärmüttern, in denen Föten auf künstliche Weise herangezüchtet werden können. Im Experiment mit Tieren haben sich bereits sogenannte Bodybags bewährt, in denen entnommene Föten weiterwachsen können. Und spätestens hier sollte man hellhörig werden. Im Bereich der Humanmedizin tun sich dann ungeahnte Möglichkeiten auf, denn abgetriebene Kinder sind ja durchaus lebensfähig und könnten dann in eben jenen Bodybags großgezogen und zur Adoption freigegeben werden. Ein Recht auf Tötung gäbe es ja schließlich nicht, behaupten bereits einige glühende Pro Choice-Aktivisten. Der nächste und letzte Schritt wären dann Geburtsmaschinen und vielleicht eine nur noch künstliche Produktion von Menschen. Natürliche Geburten sind schließlich viel zu gefährlich und versauen oftmals die mühsam „geshapeten“ Frauenkörper. Das kann eigentlich niemand wirklich wollen, oder?
Ich empfinde das als Horrorszenario, aber die Familie steht ja gleich mehreren Kräften im Weg. Zuerst ist da der Neoliberalismus zu nennen, der Menschen ja gerne als rein betriebswirtschaftliche Verfügungsmasse ansieht. Verwurzelungen und Identität stehen dem ungezügelten Expansionsdrang im Weg. Warum nicht heute in Bottrop und morgen in einem Vorwort von Peking arbeiten, dem Konsum stünden keine Grenzen mehr im Wege? Außerdem wäre da noch der Kommunismus, der immer noch vom „Neuen Menschen“ träumt, mit dem das kommunistische Weltreich endlich zur Realität werden kann. Last but not least scharren natürlich auch faschistische Kräfte mit den Hufen, die endlich ein genetisch reines Volk aus der Retorte produzieren lassen könnten. Ein (Alb)Traum, nicht wahr?
Jeder normaldenkende Mensch muss sich ganz entschieden gegen diesen Angriff auf die grundsätzlich biologisch definierte Familie wehren. Natürlich gab es immer Adoptionen, stellen sie jedoch in Wirklichkeit eine klare Seltenheit dar. Ich möchte an dieser Stelle definitiv keine Stimmung gegen die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare machen. Es gibt viel zu viele Kinder in Kinderheimen, warum sollten dies nicht von verantwortungsbewussten Menschen aufgezogen werden? Das Rückgrat unserer Gesellschaft ist und bleibt allerdings weiterhin die biologische Familie. Wird dieses Prinzip angetastet, öffnen wir die Büchse der Pandora und werden sie nicht mehr schließen können. Vielleicht ist dann auch das Ende der Zivilisation angebrochen, wie wir sie kennen und wir erwachen vollends in einem transhumanistischen Albtraumland…
Benutzte Quellen:
Spektrum der Geschichte, Heft 01/22 S.26 – 30
„Wie eine künstliche Gebärmutter unsere Gesellschaft verändern könnte“
Über den Autor: Stefan Müller (*1978), Publizist und Autor; Buchtitel u.a.: Gefährlich, Gefährlich Band 2, Linksversifft