Deutschland, Du arme Sau. Liegst wehrlos am Boden. Wirst von Aasgeiern angegriffen und belagert. Sie knabbern an Deinen Zitzen, reißen das Fett aus Deinen Rippen; sie lachen und schmatzen, während ihnen Dein Blut aus dem Schnabel läuft und ihr räudiges Gefieder rot färbt. Du schreist gellend um Hilfe und trittst die Geier weg. Denn noch lebst Du, weil Du ein Unikat bist: Unfassbar riesig, eine träge Riesensau, ja, eine regelrechte Wundersau. Opulent und feist, bestückt mit feinsten Schwarten. Achtzig Jahre lang wurdest Du mit edlen Spezereien gemästet, gekrault, in Sicherheit gewogen und mit fremdländischen Liedern beschallt, zu deren Takt Du Dich im wohligen Fressrausch vor dem ewig vollen Troge suhltest. Eingelullt in Ideen, Überzeugungen und hypnotische Bilder, die vollständig verrückt waren und die Du dennoch lieben lerntest.
Jedes Jahr warfst Du als fleißige Sau leckere Ferkel, die eifrig mit hüpfendem Ringelschwanz in Fabrikhallen und Großraumbüros eilten, um dort verheizt zu werden. Statt jedoch selbst neue Ferkel zu werfen, zogen es Deine Jungsäue vor, im Dreck internationaler Dax-Konzerne nach Trüffeln zu schnüffeln und sie den aggressiven Keilern in den Chefetagen eilfertig mit feucht-zittrigen Schnauzen zu überreichen. Diese warfen die mühsam erschnüffelten Trüffel sodann den Edelferkeln ihres eigenen Wildschweinrudels vor, während sie Deine Jungsäue fremden Wildsäuen zum Fraß überließen.
Nun bist Du schlachtreif und ziemlich allein auf Dich gestellt, Du deutsche Sau. Fast alle Deine Eber wurden schon verwurstet, während Deine wenigen Ferkel sich mit importierten Wildschweinen um die Essensreste im Trog streiten. Denn das Füllhorn der ewigen Dauermast wurde urplötzlich über Nacht gestoppt.
Der Bauer, der für Dich zuständig wäre und Dich retten könnte, treibt es mit der eingereisten Magd im Heu. Es wird eng für Dich, Du arme Sau. Hoffen wir, dass die Geier wegen Deiner überaus großzügigen, in achtzig Jahren angefressenen Fettberge erst einmal kräftig rülpsen und eine Weile pausieren müssen; dass der Trog, aus dem Deine Ferkel fressen, zügig leer wird und der Bauer nach dem Akt erkennt, dass der Freund der Magd schon die Messer wetzt, um seinen Hof zu übernehmen.
Deutschland, Du arme Sau. Halte durch. Die einzige, die Dir noch helfen kann, ist die Bäuerin im Schweinestall. Sie ist Mutter von 5 Kindern und eine Frau vom Land. Geboren in der Ackerfurche, tellergroß ist jede Hand. Sie weiß um den Wert von ihrer deutschen Sau und hat sich daher nie verschwendet für superreiche Keiler und ihre Trüffeldividenden in Ami- oder Chinaland.
Ihr Mann hingegen, ist dem schnellen Geld verfallen. Er hat sein fruchtbarstes Trüffelland zahllosen Rotten an Schwarzkitteln mit überaus überzeugendem Grunzen überlassen und sogar seinen Schweinstall für sie als Luxusquartier ausgebaut. Kaum war jedoch der letzte Trüffel ausgegraben, machten sich die Schwarzkittel im Dunkel der Nacht aus dem Staub und ließen den Schweinstall voll Unrat zurück. Und den mistet die Bäuerin jetzt aus. Drei ihrer fünf Kinder sind noch da, zwei hat sie als Expats an fremde Mastställe verloren. Ihr treuer Knecht ist geblieben und hilft ihr beim Ausmisten. Und das, Deutschland, Du arme Sau, ist doch schon einmal ein Anfang!
Halte durch, Deutschland. Die Bäuerin ist stark. Wo sie hinlangt, bleibt kein Auge trocken. Ihre Verwandtschaft ist auch schon auf dem Weg und mäht alles nieder, was ihr den Weg versperrt. Sogar der abgearbeitete Bauer hat inzwischen erkannt, dass die fremde, schöne Magd ihm ganz gewiss nicht wegen seines Schmerbauchs zu Willen war. Nun sucht er sein Schießgewehr, um die Aasgeier zu holen, wie einst der Jäger den Fuchs.
Hab‘ also Geduld, Du arme Sau. Die Zeit arbeitet für uns, denn schon sieht man den Boden des sich schnell leerenden Futtertrogs. Die fremden Lieder fangen an zu leiern, die bunten Bilder der Traumfabriken verblassen. Die jahrzehntelange Trance gleitet von Deiner borstigen Schwarte wie ausgelassener Speck und selbst Deine verfressenen Ferkel recken den Rüssel in die Luft und wittern den Wandel. Auch die Geier merken auf und versuchen noch, herauszureißen, was zu reißen ist. Doch es ist zu spät. Der Bauer hat sein Schießgewehr gefunden und Deine Ferkel greifen im Schweinsgalopp die Geier an. Mit wütendem Krächzen stieben sie davon und lassen sich in gebührendem Abstand auf Büschen und Bäumen nieder. Dort harren sie der Dinge, die da kommen werden.
Schwein gehabt, Du deutsche Sau. Jetzt liegt’s an Dir. Willst Du weiter am Boden liegen als arme Sau oder als Glücksschwein durch Wälder schweifen, nach Trüffeln schnüffeln und nach Herzenslust Frischlinge werfen? Du hast die Wahl. Und bevor Du Dir Deinen Schweinskopf zu sehr darüber zerbrichst, erinnere Dich daran, dass Du ein fruchtbares Edelschwein bist und beherzige folgendes Sprichwort uralter Schweinedynastien: Was schert es die deutsche Eiche, wenn sich die fremde Wildsau an ihr reibt? Alsdann: Trabe los, genieß das Leben, friss‘ Eicheln, bis sie Dir zu den Schlappohren rauskommen und scheiß‘ auf die Geier!
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Maria Schneider ist freie Autorin und Essayistin. Sie führt neben ihrer Berufstätigkeit den Blog beischneider mit einer heimatverbundenen, christlich-konservativen Ausrichtung. In ihrem Blog veröffentlicht Maria Schneider gesellschaftskritische Essays und Reiseberichte sowie Artikel unterschiedlichster Autoren. Kontakt: Maria_Schneider@mailbox.org