Der Business Insider deckte im August ein System der Vetternwirtschaft, eines Klimas der Angst und der politischen Filterung von Informationen im RBB (Rundfunk Berlin Brandenburg) auf, das die „krudesten Verschwörungstheorien“ von bösen Querdenkern noch übertrifft. Nun geraten auch der gesamte ARD ins Visier, denn nachdem immer mehr Einzelheiten ans Tageslicht kommen, rührt sich auch Unruhe unter den Mitarbeitern der anderen öffentlich rechtlichen Sendeanstalten. Möglicherweise ist der RBB kein Einzelfall. Eine Entwicklung, die weitreichende Folgen bewirken kann.
Der Intendant des NDR, Herr Joachim Knuth äußerte seine Befürchtungen offen vor den NDR-Mitarbeitern: „Dies ist eine tiefe Krise des RBB, die Auswirkungen auf den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat, die ARD und den NDR“. Er bemüht sich um Schadenbegrenzung und versucht zu retten, was zu retten ist, denn auch in den anderen Funkhäusern rührt sich nun Kritik und Misstrauen.
Es sei „vieles nicht so, wie beim RBB“, versichert Herr Knuth. Es gebe keine Boni, die Gehälter des Führungspersonals seien transparent und einsehbar, es würden keine privaten Abendessen dienstlich abgerechnet, die Dienstwagen verfügten nicht über Massagesitze und es werde auch icht ständig Geld für Schönheitsrenovierungen der Büros der Sendeleitung ausgegeben. Aber was er nicht adressierte, sind die politischen Leitplanken der Inhalte, die den Journalisten vorgegeben werden. Der Business Insider berichtete:
„Die „Berichterstattung werde teilweise verhindert und kritische Informationen heruntergespielt“, heißt es zu den Schilderungen der Mitarbeiter in einem vertraulichen Bericht aus dem September 2021. „Autoren würden abgezogen und Beiträge in den Abnahmen massiv verändert.“ Die Vorwürfe der Redakteure mündeten gar in der Behauptung, es gebe beim NDR in Kiel einen „politischen Filter“, Führungskräfte würden wie „Pressesprecher der Ministerien“ agieren, die kritischen Themen frühzeitig die Relevanz absprechen.“
Der NDR bestritt dies. Die „kritischen Schilderungen“ hätten sich als „nicht zutreffend erwiesen“. Aber: „Als Business Insider den NDR am Dienstag mit dem konkreten Inhalt vorliegender interner Dokumente erneut konfrontierte, zog der Sender sein Statement zurück: „In der Tat haben wir Anlass zur Korrektur unserer Antworten, was ich sehr bedauere“, so die Sprecherin.“
Die Zeugen, die nun im Fall RBB unter der Landesfunkhaus-Leitung Sabine Rossbach aussagen, sprechen wörtlich von einem „Klima der Angst“ und einem „Regime des Schreckens“. Brisant wurde diese Deckelung des Journalisten „Z“ im Fall des Schleswig-Holsteiner Innenministers Hans Joachin Grote (CDU). Es ging um eine ungeklärte, seltsame Sache mit Rockern, mögliches Fehlverhalten und Ermittlungen der Polizei, Geheimnisverrat und Kontakte des Herrn Grote zu einem beschuldigten Polizeigewerkschafter und einem Journalisten. Innenminister Grote verlor seinen Posten Ein NDR-Journalist bekam den Auftrag, sich dieser Sache anzunehmen und setzte sich auf die Fährte.
Er fand Brisantes und lieferte offenbar eine saubere, journalistische Recherche ab. Doch er musste feststellen, dass die Stellen, die dem Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) unangenehmen werden könnten, von der Sendeleitung einfach herausgenommen wurden. „Z“ unternahm einen zweiten Anlauf, bei dem Ex-Minister „auspackte“ – und wieder griffen die Chefs der Abteilung „Politik und Recherche“ ein. Sie cancelten gleich das ganze Interview: Es bestehe kein Verdacht gegen Ministerpräsident Daniel Günther.
Journalist „Z“ wehrte sich und wandte sich an das Gremium „Redaktionsausschuss“. Nach langen Untersuchungen bestätigte dieser die Vorwürfe von „Z“. Der NDR versuchte vergeblich zu argumentieren, dass dies nichts mit politischer Zensur zu tun habe.
Diese Sache war kein Einzelfall, aber ein Zündfunke. Mittlerweile hatten sich schon acht Journalisten beim Redaktionsausschuss beschwert. Da man davon ausgehen kann, dass die meisten lieber den Mund halten, um ihren Job nicht zu riskieren, ist das eine alarmierende Zahl. Der Redaktionsausschuss zieht ein beschämendes Fazit daraus:
„Sie berichten uns, dass sie den Eindruck hätten, es gebe einen Filter in der Redaktion. Berichterstattung werde teilweise verhindert und kritische Informationen heruntergespielt. Autoren würden abgezogen und Beiträge in den Abnahmen massiv verändert. Die Stimmung in der Abteilung sei vergiftet, da Konflikte so lange schwelen. (…) Die Kolleginnen und Kollegen berichten uns von einem ‚Klima der Angst‘ und großem Druck. Es wird gezielt versucht herauszufinden, wer sich an den Redaktionsausschuss gewandt hat.“
Die Mitarbeiter sprechen sogar vom NDR als einem „Pressesprecher der Ministerien“ und einer unstatthaften Vertraulichkeit mit den Ministern. Die Sendeleitung im Haus spreche nicht vom „Ministerpräsidenten Daniel Günther“ sondern von „Daniel“ und auch nicht von seinem Stellvertreter, Herrn Garg, sondern von „Heiner“.
Das allein ist skandalös und eines demokratischen Rechtsstaates nicht würdig. Wir sprechen hier ja nicht über ein Privatunternehmen, sondern von einer (oder möglicherweise mehreren) öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt(en). All das muss von den Bürgern finanziert werden und kostet jedes Jahr Milliarden, was damit rechtfertigt wird, dass der öffentlich rechtliche Rundfunk im besonderen Maße die Verpflichtung lebt und erfüllt, die Bürger objektiv, unvoreingenommen und unbestechlich zu informieren und nicht anfällig für die Interessen Dritter zu sein, ganz besonders nicht für Bestechung oder Hofberichterstattung.
Aber genau das, so scheint es, grassiert genau hier, in der Institution der gut bezahlten, journalistischen Redlichkeit. Der Filz beschränkt sich aber nicht nur auf die dreiste Einflussnahme der Politik auf die Berichterstattung. Es geht überdies noch um Vetternwirtschaft und saftige Boni. Und das läuft schon seit Jahren. Wofür die protestierenden Bürger mit den Schildern „Lügenpresse“ ausgelacht und niedergemacht wurden, erweist sich als durchaus stichhaltig. Schlimmer kann es für den ÖRR kaum kommen. Und – auch das muss gesagt werden – die Gegenwehr kommt aus den eigenen Reihen der Sender.
Die Tagesschau berichtet jetzt selbst:
„Am 17. Juli 2017 erreicht den damaligen NDR-Pressesprecher eine Anfrage der “Hamburger Morgenpost” (MOPO). Mitarbeiter des NDR hätten sich an die Zeitung gewandt, sie berichten von einem “herrischen Führungsstil” der Landesfunkhausdirektorin Hamburg und einem “Regime des Schreckens”. Der NDR antwortete damals, “nicht konkretisierte anonyme Vorwürfe kommentieren wir nicht”.“
Die Anfrage betraf aber nicht nur Arbeitsklima und Zensur. Es wurde auch ruchbar, dass die Chefin des Landesfunkhauses RBB, Sabine Rossbach, den Sender möglicherweise als Goldgrube missbrauchte. Die jüngere ihrer Töchter hat eine gut dotierte Festanstellung im Sender erhalten. Das ist schon kein guter Stil. Doch zweifelsfrei unmöglich ist die Vetternwirtschaft mit der älteren Tochter Anna Hesse: Es steht der dringende Verdacht im Raum, dass diese in Hamburg eine PR-Agentur mit zahlreichen Premiumkunden führt, die anscheinend vom RBB deutlich begünstigt wird. So schickte die MOPO eine Anfrage an den NDR, in der zu lesen stand:
„Die Mitarbeiter, die sich an uns gewandt haben, sagen, Frau Rossbach verlange auffällig oft, dass über bestimmte Firmen oder Personen berichtet wird, die gleichzeitig Kunden der Tochter von Sabine Rossbach sind.“
„Rossbach, berichtet das NDR-Rechercheteam weiter, habe unterdessen in einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt, dass sie Angebote der Agentur ihrer Tochter weitergeleitet habe. „Sollte in der Redaktion der Eindruck entstanden sein, dass die Kunden meiner Tochter bevorzugt behandelt werden sollen, bedaure ich das”, schreibe Rossbach.“
Die MOPO hatte schon seit 2017 die „Fährte Sabine Rossbach“ aufgenommen, der NDR hatte aber die Sache abgetan. Damals reichen die Rechercheergebnisse aber nicht aus für eine „rechtssichere Berichtersattung“. Mittlerweile liegen der MOPO aber interne E‑Mails vor, die durchaus „Empfehlungen“ für die Einbeziehung der PR-Agentur von Frau Rossbachs Tochter darstellen. Die Journalisten der Redaktion „Hamburg Journal“ bestätigten, dass sie diese „Empfehlungen“ als klaren Auftrag wahrgenommen und befolgt haben, weil sie im Fall der Nichtbefolgung offenbar Nachteile fürchteten. Das wird in einem Tweet der „NDR-Recherche“ deutlich:
Dieser auf Twitter veröffentlichte Brief an den Intendanten des NDR wurde von 70 Mitarbeitern des NDR unterschrieben. Es gehört schon eine hoher Leidensdruck dazu, dass sich so viele mit Namen so energisch wehren gegen das System von Angst, Unterdrückung und Korruption. Aber dieser Aufstand der Anständigen im Funkhaus zeigt auch, dass man, wenn man zusammensteht und sich wehrt, irgendwann die kritische Masse erreicht ist und plötzlich das Unterdrückungssystem auseinanderfliegt, wie ein Kartenhaus, in das der Wind gefahren ist.
Dennoch versuchte die Leitung des NDR, auch diese internen Berichte zu unterdrücken. Noch vor wenigen Tagen, als ein Beitrag mit Recherchen zu den Vorwürfen gegen Frau Rossbach auf der Webseite „tagesschau.de“ erschien, wurde dieser stantepede vom Justiziar des NDR gelöscht. Man begründete dies vom Sender damit, dass ein Wort hätte geändert werden müssen. In dem Satz „Den möglichen Interessenkonflikt hat die Landesfunkhauschefin [Rossbach] nach Recherchen der NDR-Investigativeinheit aber nie gegenüber ihren Mitarbeitern ausdrücklich offengelegt oder transparent gemacht.“ musste angeblich das „nie“ aus juristischen Gründen durch ein „nicht“ ersetzt werden.
Alle Bemühungen, den Skandal doch noch zu vertuschen oder klein zu reden sind vergeblich. Jetzt zeigt sich, dass auch das NDR-Sendehaus in Kiel kritische Beiträge zensiert und entschärft – oder gar nicht gesendet hat, wie das Magazin Stern recherchierte. Journalisten bekamen „Maulkörbe verpasst“, andere machten „Wahlkampf für Poitiker“ … die Enthüllungen kommen erst richtig in Fahrt: Das alles aber war in der Hamburger NDR-Zentrale schon lange bekannt. Auch hier kocht der Verdacht hoch, dass Vorgesetzte die Berichterstattungen gezielt beeinflusst haben. Auch hier wird von einem „politischen Filter“ gesprochen und auch hier fordern die Journalisten Aufklärung der Vorgänge. Nun traten drei Chefs des Kieler NDR-Senders „vorläufig von ihren Posten zurück“: Chefredakteur Norbert Lorentzen, Politikchef Julia Stein und Funkhauschef Volker Thormählen.
Das hauseigene NDR-Investigativteam brachte ans Tageslicht, dass der Sender die Vorwürfe und Hinweise zum „System Rossbach“ seit 2017 kannte, aber den „Verdacht auf sich beruhen“ ließ. NDR-Intendant Joachim Knuth kann nun aber nicht mehr anders und muss zusehen, dass er nicht mit in den Strudel gezogen wird. Jetzt lässt der NDR durch eine Anti-Korruptionsbeauftragte prüfen, wie die „empfohlenen“ Themen ihren Weg in das NDR-Programm gefunden haben. Dann wird geprüft, ob Frau Rossbach gegen Korruptionstatbestände oder die „Compliance-Regeln“ des NDR verstoßen hat.
Diese Aufklärungs- und Investigationsarbeit aufrechter Journalisten im NDR könnte die Keimzelle dafür sein, dass diese unerträgliche, dichte, erstickende Decke von Meinungsmanipulation, Vertuschung und Filz mit der herrschenden Politik zerrissen wird. Die Staatssender stehen schon lange dafür bei den Bürgern in der Kritik. Bisher wurde das immer empört ins rechtsextreme Spektrum verwiesen. Wie sich zeigt, zu Unrecht. Es ist höchste Zeit für eine Generalreinigung, bevor sich die ÖRR selbst vollkommen ins Abseits bewegen
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