NDR-Studio in Flensburg, Bild: Wikimedia Commons, Soenke Rahn, CC BY-SA 3.0

NDR-Skandal: „Klima der Angst“, Zensur und schamlose Vetternwirtschaft

Der Business Insider deckte im August ein System  der Vet­tern­wirt­schaft, eines Klimas der Angst und der poli­ti­schen Fil­terung von Infor­ma­tionen im RBB (Rundfunk Berlin Bran­denburg) auf, das die „kru­desten Ver­schwö­rungs­theorien“ von bösen Quer­denkern noch über­trifft. Nun geraten auch der gesamte ARD ins Visier, denn nachdem immer mehr Ein­zel­heiten ans Tages­licht kommen, rührt sich auch Unruhe unter den Mit­ar­beitern der anderen öffentlich recht­lichen Sen­de­an­stalten. Mög­li­cher­weise ist der RBB kein Ein­zelfall. Eine Ent­wicklung, die weit­rei­chende Folgen bewirken kann.

Der Intendant des NDR, Herr Joachim Knuth äußerte seine Befürch­tungen offen vor den NDR-Mit­ar­beitern: „Dies ist eine tiefe Krise des RBB, die Aus­wir­kungen auf den gesamten öffentlich-recht­lichen Rundfunk hat, die ARD und den NDR“. Er bemüht sich um Scha­den­be­grenzung und ver­sucht zu retten, was zu retten ist, denn auch in den anderen Funk­häusern rührt sich nun Kritik und Misstrauen.

Es sei „vieles nicht so, wie beim RBB“, ver­si­chert Herr Knuth. Es gebe keine Boni, die Gehälter des Füh­rungs­per­sonals seien trans­parent und ein­sehbar, es würden keine pri­vaten Abend­essen dienstlich abge­rechnet, die Dienst­wagen ver­fügten nicht über Mas­sa­ge­sitze und es werde auch icht ständig Geld für Schön­heits­re­no­vie­rungen der Büros der Sen­de­leitung aus­ge­geben. Aber was er nicht adres­sierte, sind die poli­ti­schen Leit­planken der Inhalte, die den Jour­na­listen vor­ge­geben werden. Der Business Insider berichtete:

„Die „Bericht­erstattung werde teil­weise ver­hindert und kri­tische Infor­ma­tionen her­un­ter­ge­spielt“, heißt es zu den Schil­de­rungen der Mit­ar­beiter in einem ver­trau­lichen Bericht aus dem Sep­tember 2021. „Autoren würden abge­zogen und Bei­träge in den Abnahmen massiv ver­ändert.“ Die Vor­würfe der Redak­teure mün­deten gar in der Behauptung, es gebe beim NDR in Kiel einen „poli­ti­schen Filter“, Füh­rungs­kräfte würden wie „Pres­se­sprecher der Minis­terien“ agieren, die kri­ti­schen Themen früh­zeitig die Relevanz absprechen.“ 

Der NDR bestritt dies. Die „kri­ti­schen Schil­de­rungen“ hätten sich als „nicht zutreffend erwiesen“. Aber: Als Business Insider den NDR am Dienstag mit dem kon­kreten Inhalt vor­lie­gender interner Doku­mente erneut kon­fron­tierte, zog der Sender sein Statement zurück: „In der Tat haben wir Anlass zur Kor­rektur unserer Ant­worten, was ich sehr bedauere“, so die Sprecherin.“ 

Die Zeugen, die nun im Fall RBB unter der Lan­des­funkhaus-Leitung Sabine Rossbach aus­sagen, sprechen wörtlich von einem „Klima der Angst“ und einem „Regime des Schre­ckens“. Brisant wurde diese Deckelung des Jour­na­listen „Z“ im Fall des Schleswig-Hol­steiner Innen­mi­nisters Hans Joachin Grote (CDU). Es ging um eine unge­klärte, seltsame Sache mit Rockern, mög­liches Fehl­ver­halten und Ermitt­lungen der Polizei, Geheim­nis­verrat und Kon­takte des Herrn Grote zu einem beschul­digten Poli­zei­ge­werk­schafter und einem Jour­na­listen. Innen­mi­nister Grote verlor seinen Posten Ein NDR-Jour­nalist bekam den Auftrag, sich dieser Sache anzu­nehmen und setzte sich auf die Fährte.

Er fand Bri­santes und lie­ferte offenbar eine saubere, jour­na­lis­tische Recherche ab. Doch er musste fest­stellen, dass die Stellen, die dem Minis­ter­prä­si­denten Daniel Günther (CDU) unan­ge­nehmen werden könnten, von der Sen­de­leitung einfach her­aus­ge­nommen wurden. „Z“ unternahm einen zweiten Anlauf, bei dem Ex-Minister „aus­packte“ – und wieder griffen die Chefs der Abteilung „Politik und Recherche“ ein. Sie can­celten gleich das ganze Interview: Es bestehe kein Ver­dacht gegen Minis­ter­prä­sident Daniel Günther.

Jour­nalist „Z“ wehrte sich und wandte sich an das Gremium „Redak­ti­ons­aus­schuss“. Nach langen Unter­su­chungen bestä­tigte dieser die Vor­würfe von „Z“. Der NDR ver­suchte ver­geblich zu argu­men­tieren, dass dies nichts mit poli­ti­scher Zensur zu tun habe.

Diese Sache war kein Ein­zelfall, aber ein Zünd­funke. Mitt­ler­weile hatten sich schon acht Jour­na­listen beim Redak­ti­ons­aus­schuss beschwert. Da man davon aus­gehen kann, dass die meisten lieber den Mund halten, um ihren Job nicht zu ris­kieren, ist das eine alar­mie­rende Zahl. Der Redak­ti­ons­aus­schuss zieht ein beschä­mendes Fazit daraus:
„Sie berichten uns, dass sie den Ein­druck hätten, es gebe einen Filter in der Redaktion. Bericht­erstattung werde teil­weise ver­hindert und kri­tische Infor­ma­tionen her­un­ter­ge­spielt. Autoren würden abge­zogen und Bei­träge in den Abnahmen massiv ver­ändert. Die Stimmung in der Abteilung sei ver­giftet, da Kon­flikte so lange schwelen. (…) Die Kol­le­ginnen und Kol­legen berichten uns von einem ‚Klima der Angst‘ und großem Druck. Es wird gezielt ver­sucht her­aus­zu­finden, wer sich an den Redak­ti­ons­aus­schuss gewandt hat.“ 

Die Mit­ar­beiter sprechen sogar vom NDR als einem „Pres­se­sprecher der Minis­terien“ und einer unstatt­haften Ver­trau­lichkeit mit den Ministern. Die Sen­de­leitung im Haus spreche nicht vom „Minis­ter­prä­si­denten Daniel Günther“ sondern von „Daniel“ und auch nicht von seinem Stell­ver­treter, Herrn Garg, sondern von „Heiner“.

Das allein ist skan­dalös und eines demo­kra­ti­schen Rechts­staates nicht würdig. Wir sprechen hier ja nicht über ein Pri­vat­un­ter­nehmen, sondern von einer (oder mög­li­cher­weise meh­reren) öffentlich-recht­lichen Sendeanstalt(en). All das muss von den Bürgern finan­ziert werden und kostet jedes Jahr Mil­li­arden, was damit recht­fertigt wird, dass der öffentlich recht­liche Rundfunk im beson­deren Maße die Ver­pflichtung lebt und erfüllt, die Bürger objektiv, unvor­ein­ge­nommen und unbe­stechlich zu infor­mieren und nicht anfällig für die Inter­essen Dritter zu sein, ganz besonders nicht für Bestechung oder Hofberichterstattung.

Aber genau das, so scheint es, gras­siert genau hier, in der Insti­tution der gut bezahlten, jour­na­lis­ti­schen Red­lichkeit. Der Filz beschränkt sich aber nicht nur auf die dreiste Ein­fluss­nahme der Politik auf die Bericht­erstattung. Es geht überdies noch um Vet­tern­wirt­schaft und saftige Boni. Und das läuft schon seit Jahren. Wofür die pro­tes­tie­renden Bürger mit den Schildern „Lügen­presse“ aus­ge­lacht und nie­der­ge­macht wurden, erweist sich als durchaus stich­haltig. Schlimmer kann es für den ÖRR kaum kommen. Und – auch das muss gesagt werden – die Gegenwehr kommt aus den eigenen Reihen der Sender.

Die Tages­schau berichtet jetzt selbst:

„Am 17. Juli 2017 erreicht den dama­ligen NDR-Pres­se­sprecher eine Anfrage der “Ham­burger Mor­genpost” (MOPO). Mit­ar­beiter des NDR hätten sich an die Zeitung gewandt, sie berichten von einem “her­ri­schen Füh­rungsstil” der Lan­des­funk­h­aus­di­rek­torin Hamburg und einem “Regime des Schre­ckens”. Der NDR ant­wortete damals, “nicht kon­kre­ti­sierte anonyme Vor­würfe kom­men­tieren wir nicht”.“ 

Die Anfrage betraf aber nicht nur Arbeits­klima und Zensur. Es wurde auch ruchbar, dass die Chefin des Lan­des­funk­hauses RBB, Sabine Rossbach, den Sender mög­li­cher­weise als Gold­grube miss­brauchte. Die jüngere ihrer Töchter hat eine gut dotierte Fest­an­stellung im Sender erhalten. Das ist schon kein guter Stil. Doch zwei­felsfrei unmöglich ist die Vet­tern­wirt­schaft mit der älteren Tochter Anna Hesse: Es steht der drin­gende Ver­dacht im Raum, dass diese in Hamburg eine PR-Agentur mit zahl­reichen Pre­mi­um­kunden führt, die anscheinend vom RBB deutlich begünstigt wird. So schickte die MOPO eine Anfrage an den NDR, in der zu lesen stand:
„Die Mit­ar­beiter, die sich an uns gewandt haben, sagen, Frau Rossbach ver­lange auf­fällig oft, dass über bestimmte Firmen oder Per­sonen berichtet wird, die gleich­zeitig Kunden der Tochter von Sabine Rossbach sind.“ 

„Rossbach, berichtet das NDR-Recher­cheteam weiter, habe unter­dessen in einer schrift­lichen Stel­lung­nahme ein­ge­räumt, dass sie Angebote der Agentur ihrer Tochter wei­ter­ge­leitet habe. „Sollte in der Redaktion der Ein­druck ent­standen sein, dass die Kunden meiner Tochter bevorzugt behandelt werden sollen, bedaure ich das”, schreibe Rossbach.“ 

Die MOPO hatte schon seit 2017 die „Fährte Sabine Rossbach“ auf­ge­nommen, der NDR hatte aber die Sache abgetan. Damals reichen die Recher­che­er­geb­nisse aber nicht aus für eine „rechts­si­chere Bericht­ersattung“. Mitt­ler­weile liegen der MOPO aber interne E‑Mails vor, die durchaus „Emp­feh­lungen“ für die Ein­be­ziehung der PR-Agentur von Frau Ross­bachs Tochter dar­stellen. Die Jour­na­listen der Redaktion „Hamburg Journal“ bestä­tigten, dass sie diese „Emp­feh­lungen“ als klaren Auftrag wahr­ge­nommen und befolgt haben, weil sie im Fall der Nicht­be­folgung offenbar Nach­teile fürch­teten. Das wird in einem Tweet der „NDR-Recherche“ deutlich:

 

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Dieser auf Twitter ver­öf­fent­lichte Brief an den Inten­danten des NDR wurde von 70 Mit­ar­beitern des NDR unter­schrieben. Es gehört schon eine hoher Lei­dens­druck dazu, dass sich so viele mit Namen so ener­gisch wehren gegen das System von Angst, Unter­drü­ckung und Kor­ruption. Aber dieser Auf­stand der Anstän­digen im Funkhaus zeigt auch, dass man, wenn man zusam­men­steht und sich wehrt, irgendwann die kri­tische Masse erreicht ist und plötzlich das Unter­drü­ckungs­system aus­ein­an­der­fliegt, wie ein Kar­tenhaus, in das der Wind gefahren ist.

Dennoch ver­suchte die Leitung des NDR, auch diese internen Berichte zu unter­drücken. Noch vor wenigen Tagen, als ein Beitrag mit Recherchen zu den Vor­würfen gegen Frau Rossbach auf der Web­seite „tagesschau.de“ erschien, wurde dieser stan­tepede vom Jus­tiziar des NDR gelöscht. Man begründete dies vom Sender damit, dass ein Wort hätte geändert werden müssen. In dem Satz „Den mög­lichen Inter­es­sen­kon­flikt hat die Lan­des­funk­haus­chefin [Rossbach] nach Recherchen der NDR-Inves­ti­ga­tiv­einheit aber nie gegenüber ihren Mit­ar­beitern aus­drücklich offen­gelegt oder trans­parent gemacht.“ musste angeblich das „nie“ aus juris­ti­schen Gründen durch ein „nicht“ ersetzt werden.

Alle Bemü­hungen, den Skandal doch noch zu ver­tu­schen oder klein zu reden sind ver­geblich. Jetzt zeigt sich, dass auch das NDR-Sen­dehaus in Kiel kri­tische Bei­träge zen­siert und ent­schärft – oder gar nicht gesendet hat, wie das Magazin Stern recher­chierte. Jour­na­listen bekamen „Maul­körbe ver­passt“, andere machten „Wahl­kampf für Poi­tiker“ … die Ent­hül­lungen kommen erst richtig in Fahrt: Das alles aber war in der Ham­burger NDR-Zen­trale schon lange bekannt. Auch hier kocht der Ver­dacht hoch, dass Vor­ge­setzte die Bericht­erstat­tungen gezielt beein­flusst haben. Auch hier wird von einem „poli­ti­schen Filter“ gesprochen und auch hier fordern die Jour­na­listen Auf­klärung der Vor­gänge. Nun traten drei Chefs des Kieler NDR-Senders „vor­läufig von ihren Posten zurück“: Chef­re­dakteur Norbert Lorentzen, Poli­tikchef Julia Stein und Funk­hauschef Volker Thormählen.

Das haus­eigene NDR-Inves­ti­ga­tivteam brachte ans Tages­licht, dass der Sender die Vor­würfe und Hin­weise zum „System Rossbach“ seit 2017 kannte, aber den „Ver­dacht auf sich beruhen“ ließ.   NDR-Intendant Joachim Knuth kann nun aber nicht mehr anders und muss zusehen, dass er nicht mit in den Strudel gezogen wird. Jetzt lässt der NDR durch eine Anti-Kor­rup­ti­ons­be­auf­tragte prüfen, wie die „emp­foh­lenen“ Themen ihren Weg in das NDR-Pro­gramm gefunden haben. Dann wird geprüft, ob Frau Rossbach gegen Kor­rup­ti­ons­tat­be­stände oder die „Com­pliance-Regeln“ des NDR ver­stoßen hat.

Diese Auf­klä­rungs- und Inves­ti­ga­ti­ons­arbeit auf­rechter Jour­na­listen im NDR könnte die Keim­zelle dafür sein, dass diese uner­träg­liche, dichte, ersti­ckende Decke von Mei­nungs­ma­ni­pu­lation, Ver­tu­schung und Filz mit der herr­schenden Politik zer­rissen wird. Die Staats­sender stehen schon lange dafür bei den Bürgern in der Kritik. Bisher wurde das immer empört ins rechts­extreme Spektrum ver­wiesen. Wie sich zeigt, zu Unrecht. Es ist höchste Zeit für eine Gene­ral­rei­nigung, bevor sich die ÖRR selbst voll­kommen ins Abseits bewegen