Bür­gergeld ver­stößt gegen Ab- und Anstandsgebot

Es schei­terte vorerst an den Uni­ons­ländern und der AfD — DGB: Dif­ferenz zum Lohn sei Anreiz genug zum Arbeiten — Nein: Arbeit brächte bes­ten­falls 3,28 Euro/Std. mehr

(von Albrecht Künstle)

Den Fak­ten­che­ckern zum Trotz, eine Arbeits­auf­nahme (zum Min­destlohn) lohnt sich tat­sächlich nicht! Die Medien gaben in den letzten Tagen acht Ver­gleichs­be­rech­nungen zum Besten. Focus und andere mit dem Ergebnis: „In sieben der acht errech­neten Sze­narien kommen arbei­tende Men­schen finan­ziell besser weg als Bür­gergeld-Emp­fänger. Lediglich im extremen Sze­nario einer vier­köp­figen Familie, die von einem Min­destlohn leben müsste, ist es loh­nender, das Bür­gergeld zu kas­sieren.“ Glauben ist gut, nach­rechnen aber besser – Nein, auch in den anderen Fällen ist das der Fall.

Auch der DGB bläst in dieses Horn und ver­kündet einen hohen Abstand des Bür­ger­geldes zum Min­destlohn. „Beschäf­tigte gegen Erwerbslose aus­zu­spielen, ist ver­ant­wor­tungslos“, meint die Hilfs­truppe dieser Regierung. Wer anderer Meinung ist, betreibe „Spal­tungs­pro­zesse“. Neue Berech­nungen würden zeigen, dass es in der Regel einen großen finan­zi­ellen Unter­schied beim Haus­halts­ein­kommen von Min­dest­lohn­be­schäf­tigten und Bür­ger­geld­emp­fängern gebe. Nur bei einer Gruppe sinke die Dif­ferenz deutlich. Hier die fünf Fall­bei­spiele des DGB:

  1. Kin­der­loses Paar, das 28,5 Stunden die Woche für den Min­destlohn arbeitet, 2290 Euro im Monat netto aus­ge­zahlt bekommt. Einem Paar, das Bür­gergeld erhält, stünden inklusive Warm­miete nach Arbeits­agen­tur­sta­tistik 1458 Euro zur Ver­fügung. Das macht eine Dif­ferenz von 832 Euro.“ Zitat Ende.

Diese Rechnung igno­riert: Wenn zwei je 28,5 Stunden in der Woche arbeiten, sind das im Monat 2 x 127 Arbeits­stunden. Teilt man 832 Euro durch diese 254 Stunden, ergibt das ganze 3,28 Euro mehr Geld pro zu leis­tende Stunde Arbeit. Das soll ein Anreiz sein zu arbeiten? Zumal für arbei­tende noch Kosten und Zeit für den Weg zur Arbeit und anderes dazukommen.

  1. Paar mit acht­jäh­rigem Kind, arbeitet 28,5 Stunden pro Woche für den Min­destlohn, erhält ins­gesamt 2704 Euro. Ein Paar mit acht­jäh­rigem Kind im Bür­ger­geld­bezug hätte inklusive Warm­miete 1922 Euro im Monat zur Ver­fügung. Hier liegt der Unter­schied bei 782 Euro.“ Zitat Ende.
    Gegen­rechnung: 782 EUR geteilt durch 254 Arbeits­stunden ergibt auch nur 3,08 Euro mehr pro Arbeits­stunde.
  1. Sin­gle­haus­halte: Ein Beschäf­tigter, der 38 Wochen­stunden für den Min­destlohn arbeitet, erhält im Monat 1443 Euro netto. Ein Single mit Anspruch auf Bür­gergeld würde inklusive Warm­miete 906 Euro erhalten. Die Dif­ferenz liegt bei 537 Euro.“ Zitat Ende.
    Gegen­rechnung: Teilt man diese Dif­ferenz durch die 165 Arbeits­stunden im Monat, ergibt das 3,25 Euro pro Stunde mehr. Aller guten Dinge sind drei?
  1. Kin­der­loses Paar, von dem ein Erwach­sener 38 Stunden pro Woche auf Min­dest­lohn­basis arbeitet. In diesem Haushalt stehen 1569 Euro netto zur Ver­fügung, während ein Paar in der Grund­si­cherung 1458 Euro erhält. Nur 111 Euro trennen beide Haus­halte von­ein­ander“. Zitat Ende.
    Gegen­rechnung: Nur 111 EUR mehr für 165 Stunden Arbeit macht 67 Cent pro Stunde.
  1. Haushalt mit zwei Erwach­senen und acht­jäh­rigem Kind, eine Person arbeitet 38 Wochen­stunden: Dort liegt die Dif­ferenz bei 141 Euro.“ Zitat Ende.
    Gegen­rechnung: Das ergibt ganze 85 Cent mehr pro Stunde Arbeitsmühe. Und das soll jemand dazu bewegen, sein Hin­terteil in Bewegung zu setzen?

Ein 6. Fall­bei­spiel fehlt, ein mil­lio­nen­faches: „Allein­er­zie­hende“ mit ein oder mehr Kindern. Diese 2,15 Mil­lionen des Jahres 2021 haben sich durch die Zuwan­derung aus der Ukraine auf geschätzt 2,5 Mil­lionen erhöht. Man darf gespannt sein, mit welchem Scholz-Wumms und seinem Schul­den­mi­nister dieses Problem gelöst wird. Mit einem „gehartzten“ Bür­gergeld oder Hartz V? 

Dennoch meinte DGB-Vor­stands­mit­glied Anja Piel dem RND: „Die Behauptung, niemand würde bei höheren Regel­sätzen noch zur Arbeit gehen, stammt aus dem Reich der Märchen und Legenden.“ Der Min­destlohn von 12 Euro sorge vielmehr dafür, dass die Ein­kommen in vielen Fällen viele Hundert Euro über dem geplanten Bür­gergeld liegen, „und das ist auch gut so“, betonte Piel. Wo hat diese Spit­zen­funk­tio­närin Rechnen gelernt? Und das Denken?

Rat­schläge, die man in den Qua­li­täts­medien findet – ohne welche zu suchen: 

  1. Die nach­rangige Sozi­al­leistung Bür­gergeld wird die Arbeits­agentur in vielen Fällen sowieso ablehnen.“ Mein Kom­mentar: Sollen die Leute nun Bür­gerfeld bean­tragen oder wird es ihnen ausgeredet?
  1. Sie können nicht einfach Ihren Job kün­digen und Bür­gergeld bekommen.“ Kom­mentar: Eigentlich sollte es darum gehen, Leute in Arbeit zu bekommen und nicht von der Arbeit zu ent­wöhnen. Dass Kün­di­gungen wegen des Bür­ger­geldes über­haupt erwogen werden, lässt tief blicken.
  1. Auch Bür­ger­geld­emp­fänger müssen nach­weisen, dass sie sich um einen Job bemühen.“ Kom­mentar: Wenn sie das wollten, wäre es schon jetzt möglich, dazu braucht es kein Bür­gergeld. Die Arbeits­ämter sind aber schon jetzt mit der Arbeits­ver­mittlung über­fordert, es wird nicht besser.
  1. Bür­ger­geld­emp­fänger zahlen nicht in die Ren­ten­kasse ein, jedes Jahr mindert die Rente.“ Wirklich? Falsch, keine Bei­träge mindern keine Rente, allen­falls wird sie nicht erhöht. Und „mit 63 Jahren werden sie zwangs­ver­rentet“, heißt es. 

Kom­mentar: Welch eine Drohung? Mit 63 hat man eine weitere sta­tis­tische Lebens­er­wartung von (geschlechts­neutral) 21 Jahre, d.h. 252 Monate. Teilt man 100 Prozent Ren­ten­summe durch 252 ergäben sich ver­si­che­rungs­ma­the­ma­tisch gerundet 0,4 Prozent pro Monat. Die Abschläge der Gesetz­lichen Ren­ten­ver­si­cherung betragen aber nur 0,3 Prozent. Die kumu­lierte Ren­ten­summe ist für 21 Jahre Ren­ten­bezug trotz der Abschläge höher als bei einem spä­teren Ren­ten­beginn ohne Abschlag. Die „Zwangs­ver­rentung“ mit 63 ist also kein Nachteil, weder für Bür­ger­geld­emp­fänger noch für andere.

Fazit: Arbeiten gehen rechnet sich nur, wenn Min­destlohn-Hin­zu­ver­dienste nicht ange­rechnet würden, oder beide annä­hernd voll arbeiten statt alleine oder in Teilzeit, oder die erzielten Löhne und Gehälter weit höher sind als der Min­dest­ver­dienst. Weil sich solch höheren Ent­gelte wegen der Schwäche der Gewerk­schaften und am inter­na­tio­nalen Markt kaum durch­zu­setzen lassen, lässt sich das Abstands­gebot nur rea­li­sieren, indem die Ali­men­tierung der Nicht­arbeit nicht derart erhöht wird, als ob das Geld nicht von anderen Bürgern erwirt­schaftet werden muss. Aber alle (!) Par­teien sind sich darin einig, die Sozi­al­leis­tungen (Hartz IV versus Bür­gergeld, Wohngeld mit Neben­kosten) deutlich zu erhöhen; sie ver­ringern damit die Dif­ferenz zwi­schen Arbeit und Nicht­arbeit und damit den Anreiz zur Arbeits­auf­nahme. Können so die offenen Stellen besetzt werden?

Statt­dessen tummeln sie sich auf Neben­kriegs­schau­plätzen wie „Schon­ver­mögen“. Zählen auch die Hirne der Mei­nungs­macher und Poli­tiker zum Ver­mögen das geschont werden soll? Wäre es nicht besser, alles nochmal durch­zu­rechnen, wie es hier geschehen ist? Denn ent­scheidend für die Moti­vation für eine Arbeits­auf­nahme ist der Grenz­nutzen einer zu leis­tenden Stunde, in den gehan­delten Fall­bei­spielen der Medien also 67 Cent bis 3,28 Euro pro Arbeitsstunde.

*Der Autor war DGB-Kreis­vor­sit­zender, als solcher ein alter­nie­render Vor­sit­zender eines Arbeits­amtes und qua­li­fi­zierte sich nach der Quit­tierung dieser Ämter zu einem Rentenfachmann.

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Dieser Artikel erscheint auch auf der Web­seite des Autors