Der Zusammenbruch des FTX-Krypto-Imperiums brachte einige Gerüchte hervor, die sich rasch verbreiteten. Eines davon lautet, die Ukraine habe dabei Phantastilliarden versenkt. Und die US-Demokraten steckten tief drin im Sumpf. Dröseln wir das Ganze mal auf und schauen, was übrig bleibt…
Erst ist es nur ein Flüstern, nicht mehr als ein fernes Geräusch. Dann wird es lauter, schwillt an zum Gerücht. Ein süßes Gerücht zumal, dass all deine Vorurteile bestätigt. Geahnt hatte man es ja schon immer. Und zuzutrauen ist es „denen“ natürlich sowieso! Man könnte jetzt der Versuchung erliegen, mit zwei knackigen Zeilen und einigen verrauschten Bildern auf Facebook und Twitter die Empörung anzufachen und die Beweggründe von „denen“ in den dunkelsten Farben zeichnen. Doch schließlich drängt die Frage nach dem „Warum“ nach vorn, verlangt nach Plausibilitäten und Beweisen und belehrt darüber, dass eine Korrelation noch keine Kausalität ist. Der Zusammenbruch des Krypto-Imperiums von Sam Bankmann-Fried jedenfalls brachte einige Gerücht hervor, die sich rasch verbreiteten. Er sei nach Argentinien geflohen, was er dementiert. Er sei auf den Bahamas, wo seine ehemalige Firma FTX ihren Sitz hat, sagt er. Im Grunde sind zwei andere Gerüchte maßgeblicher – und die gehören zusammen. Teil eins behauptet, über FTX wurden Phantastilliarden Dollar Steuergeld ohne Wissen der Steuerzahler an die Ukraine geschickt, wo man das Geld dank alchemistischer Kryptokräfte vermehren wollte und nun alles verloren habe. Teil zwei weiß aus „sicherer“ Quelle, dass FTX einen Teil der Gelder zurück aus der Ukraine in die schwarzen Kassen der Partei der Demokraten gespült habe.
Dröseln wir das ganze mal auf und schauen, was von den Vorwürfen übrigbleibt. Aber Vorsicht! Es handelt sich hierbei lediglich um meine Interpretationen und selbst wenn ich am Ende feststellen werde, dass die Vorwürfe nicht viel Substanz haben, könnte die „Verschwörung“ natürlich längst auf das nächste Level vorgerückt sein und die mir verborgen gebliebene Absicht haben, mich – ja genau, so zielgenau und perfide gegen meine Leser gerichtet muss es dann schon sein – auf die falsche Fährte zu locken. Doch Spaß beiseite, die Angelegenheit ist wirklich nicht lustig.
Plötzlich Imperium
Zunächst müssen wir klären, was FTX eigentlich ist. Erst drei Jahre alt ist das Unternehmen, das seinen vierten Geburtstag wohl nicht mehr erleben wird. Es gehörte zu fast 100 Prozent Sam Bankman-Fried, einem MIT-Absolventen und Tech-Wunderkind von 30 Jahren, dessen Vermögen vor wenigen Tagen von 20 Milliarden Dollar (Rang 14 in den Staaten) auf ziemlich genau Null gefallen war, als seine Firmen rund um FTX Insolvenz anmelden mussten. FTX baute seit zwei Jahren auf dem höchst volatilen Markt für Kryptos ein Derivat namens FTT, also eine Art Krypto aus Kryptos zusammen und verkaufte es erfolgreich. Man musste bei FTX nicht einfach Bitcoin oder Ethereum, Theter, Solana, Polkadot, Stellar, ICON oder wie die Coins sonst hießen kaufen und verkaufen, sondern konnte auch auf den Fall oder den Anstieg der Kurse wetten.
Interessant wurde das für viele Anleger deshalb, weil FTX scheinbar einen Weg heraus aus den allgemein sinkenden Kursen der Kryptos gefunden hatte. Gegen den Trend des Marktes blieben FTT-Token vergleichsweise stabil. Um es kurz zu machen und nicht allzu sehr ins Detail gehen zu müssen – was ich mangels Insider-Wissen auch nicht leisten kann – ist dann wohl das passiert, was bei allen Ponzi-Modellen früher oder später passiert: jemand wollte sehen und ist vom Tisch aufgestanden (in dem Fall die Firma Binance, die nach einem Blick in die Bilanzen von einem Kaufangebot zurücktrat), es brach Panik aus und rasch alles zusammen.
Plötzlich alles weg?
Die scheinbare Stabilität jedoch und die Möglichkeit, alle nur denkbaren Krypto-Zahlungen zu bündeln, brachte im März 2022 das ukrainische Finanzministerium auf die Idee, mit Hilfe von FTX Spenden zu sammeln. Sam Bankman-Fried selbst legte mit einer Million in ICON-Coins den Grundstein. Unter https://donate.thedigital.gov.ua/ und dem Motto „Help Ukraine with crypto, don’t leave us alone with the enemy“ wurden schon wenige Stunden nach Start am 14.3.2022 etwa 48 Millionen Dollar eingesammelt. In Krypto-Äquivalenten zunächst, versteht sich. Allerdings war FTX nicht die einzige Krypto-Quelle, die in Richtung Kiev floss. Schon vor Beginn der FTX-Zusammenarbeit waren über andere Kanäle 80 Millionen Dollar zusammengekommen.
Nun zur Legende, hier wären riesige Geldmengen verdeckt geflossen, die jetzt weg seien. Die offizielle ukrainische Spendenseite ist seit der FTX-Insolvenz offline. Im Webarchiv findet sich aber das letzte Backup vom 13. Oktober 2022 und das weist eine Gesamtsumme von 60 Millionen Dollar aus. Interpretieren Sie das dort stehende „more than“ nicht zu großzügig, liebe Leser. Wären es 65 oder 70 Millionen Dollar, stünde das dort! Crypto-Hub meldete zwar, „Analysten schätzen“, dass bis zu 100 Millionen Dollar dort eingegangen sind, aber wer diese Analysten sind und worauf deren Schätzung beruht, bleibt im Dunkeln. Wie dunkel es im Dunkeln ist, belegt Yahoo-News-Taiwan, wo aus den 100 Millionen gleich mal 200 Millionen wurden. Mehr geht wohl immer.
Es scheint wohl eher so, dass die Anfangseuphorie der Kryptospender rasch nachgelassen hat und wenig spricht dafür, dass sich die Summe im letzten Monat noch wesentlich über die gemeldeten 60 Millionen erhöht hat. Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass die Ukraine die Spenden aus Spekulationsgründen auf dem Konto belassen hat. Erstens weil man immer noch einen heftigen Krieg im Lande hat und jeden Dollar braucht, zweitens weil die Krypto-Kurse weiter stabil nach Süden zeigen und die Zukunft des Landes nicht im Überübermorgenland verhandelt wird, weil man heute für Munition und Essen sorgen muss. Korruption hin oder her. Aber selbst wenn wir das Schlimmste unterstellen, wären es „nur“ verlorene 60 Millionen Dollar. Und bitte setzten wir das „nur“ ins richtige Verhältnis. Für die einen ist es mehr Geld, als sie je im Leben zu Gesicht bekommen, für die anderen reicht es gerade, um eine halbe Stunde Krieg zu führen.
Natürlich poppt hier gleich das nächste Gerücht auf, nämlich dass die Ukraine die wahre Höhe der Spenden verschleiert hat. Aber warum sollte man dies tun? In solchen Dingen gewinnt Übertreibung Informationskriege und 60 Millionen klingt angesichts der Summen, die der Krieg täglich verschlingt, eher nach der Portokasse der Pfadfinder. Vermutlich ist also bei dem Bankrott wenig bis kein Spendengeld verloren gegangen, was man vom Kapital der regulären FTX-Investoren nicht behaupten kann: Sequoia Capital, einer der größten Risikokapitalgeber der USA, schreibt seine 213 Millionen Dollar Investition komplett ab. Die Ukraine hat nie in FTX investiert, sondern die Plattform als Spendenkanal benutzt. Vermutlich ist also nichts dran an den „geheimen Überweisungen“, die ja angesichts der öffentlichen Empörungen über die echte, ganz und gar nicht geheime finanzielle Unterstützung auch gar nicht nötig wären.
Doch jetzt kommt die sinistre „Dritte Seite“ ins Spiel, der „geheime Profiteur“: die Demokratische Partei der Vereinigten Staaten. Und wie (fast) jede gute Verschwörung beginnt auch diese mit einer Wahrheit, aus der sich ein Anfangsverdacht basteln lässt. Steht nicht FTX-Gründer Sam Bankman-Fried auf der Liste der Großspender für die Biden-Partei auf Bundesebene für die gerade abgehaltenen Midterms auf Platz zwei? Mit sage und schreibe 37,7 Millionen Dollar? Gleich hinter – Trommelwirbel, eine Augenbraue hochziehen – George Soros? Na, wenn das nicht… ähm, nein, nicht unbedingt.
Minutiös listet der „Daily Caller“ alle die kleinen und großen Spenden auf, die Bankman-Fried in den letzten Jahren die verschiedensten Dems und ihre PACs, die „Political Action Committee“ genannten Lobbygruppen der Parteien gezahlt hat. Das alles ist höchst dubios, aber völlig legal. Man kann es nachlesen. Und kritisieren. Der Zweck dieser „politischen Landschaftspflege“ richtete sich vordergründig gegen die Regulierung des Krypto-Marktes ganz allgemein. Doch man kann wohl davon ausgehen, dass er eher speziell Wohlgefallen für sich und seine Firma im Sinn hatte. FTX stolperte aber nicht über zu harte oder zu schwache Regulierung, sondern weil es seine Kunden betrog und den Wert seiner Firmen aufgeblasen hatte, indem das Kapital der einen jeweils aus Anteilen an der anderen bestand. FTX und Alameda Research, seine erste Firma, waren also wie man so sagt „an der Hüfte zusammengewachsen“, gaben sich aber den Anschein, eigenständig zu sein und täuschten so die Investoren.
Aus Bankman-Frieds Affinität gegenüber den Demokraten darauf zu schließen, dass die Demokratische Partei ihn dafür benutze, ihre Kassen zu füllen, ist da nur der nächste Schritt auf der Unterstellungsleiter. Doch nirgends kann man auch nur den kleinsten Beweis dafür finden. Das muss ja nicht so bleiben und jeder, der valide Beweise dafür hat, dass stimmt, was ohnehin alle wissen, nämlich, dass Politiker korrupt sind, möge vortreten. Vielleicht wird es ja sogar eines Tages einen Untersuchungsausschuss im Kongress geben, der das unter die Lupe nimmt. Ich fürchte allerdings, dass Joe Biden da im Zeugenstand einen Vorteil beispielsweise gegenüber unserem Kanzler Olaf Scholz hätte, den man nach Wirecard fragt. Im Gegensatz zu diesem kann jener sich nämlich tatsächlich an nichts erinnern.
Zuerst erschienen auf achgut.com
Quelle: unbesorgt.de
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