Gas- und Strom­preis: Rot sehen wegen Grün und Co. — Teil 1

Wie ein Preis unter nor­malen Umständen zustande kommt — Das Merit-Order-Prinzip ist ent­ar­teter Kapitalismus

(von Albrecht Künstle) 

Gas galt lange Zeit gegenüber dem Öl als sau­berer, weshalb ich vor zwölf Jahren ein ener­ge­tisch voll saniertes Mehr­fa­mi­li­enhaus mit einer Gas­heizung aus­rüsten ließ. Die Mieter lobten ihre nied­rigen Heiz­kosten, zumal das Warm­wasser auch mittels Son­nen­kol­lek­toren auf­be­reitet wird. Doch dann kamen die Grünen mit ihren Gesin­nungs­ge­fährten und ver­dammten nicht nur Öl, sondern auch Gas als „fossile“ Ener­gie­träger des Teufels. Gas galt nur noch als „Über­gangs­lösung“. Obwohl mit Gas nicht nur Woh­nungen geheizt werden und Strom pro­du­ziert wird, sondern ele­mentar für wichtige Betriebe unserer Wirt­schaft ist.

Schließlich wurde Gas geächtet, weil ein großer Teil unseres Bedarfs aus Russland kam. Putins Gas gilt seit diesem Jahr als blutig, obwohl weniger als ein Prozent der Über­wei­sungen in sein Militär fließt. Die neue Doktrin räumte zwar ein, dass auf Gas noch nicht ver­zichtet werden kann. Aber solches gebe es auch anderswo, wenn auch tau­sende Kilo­meter weiter weg. Noch in der Erde schlum­mernd hat Gas keinen Preis. Die Frage ist, warum kostet das Gas von unseren „Freunden“, den USA, ein Mehr­faches als das Gas des zum Feind erklärten Putin? Dafür gibt es fol­gende Erklä­rungen. Außerdem, „beim Geld hört die Freund­schaft auf“, erfahren wir nun schmerzlich.

Das sind die Ele­mente für eine Preis­bildung, wie es der Autor einmal lernte:

Objektive Wert­lehre. Der Preis eines Pro­dukts setzt sich zusammen aus der Summe sämt­licher Arbeits- und Dienst­leistung der Wert­schöp­fungs­kette und deren Ver­gütung. Sämt­liche bezahlten Löhne und Gehälter sowie die Ein­kommen der betei­ligten Unter­nehmen schlagen sich im Preis eines Pro­dukts nieder. Selbst­ver­ständlich spielen für die Höhe der Ein­künfte auch die Macht­stellung der Betei­ligten eine Rolle. In Betrieben und Branchen mit hohem gewerk­schaft­lichem Orga­ni­sa­ti­onsgrad mit bes­serer Bezahlung wirkt sich diese auf den Preis der Pro­dukte aus. Auch wenn ein Unter­nehmen kaum Kon­kurrenz hat, ein Oli­gopol bildet oder eine Mono­pol­stellung hat, kann es höhere Preise durch­setzen. Weil US- oder anderes Gas auf­wän­diger ist und die rus­sische Kon­kurrenz boy­kot­tiert wird, ist es alleine deshalb schon teurer.

Sub­jektive Wert­lehre. Hierbei spielen die obigen Fak­toren der Wert­schöp­fungs­kette keine Rolle, der Preis bestimmt sich alleine danach, wieviel jemandem ein Produkt in einer aktu­ellen Situation wert ist. Bei­spiel: Ein Kanister Wasser wird im Lebens­mit­tel­handel für rund fünf Euro gehandelt. Der­selbe Kanister Wasser kann in der Wüste unter Umständen mehr wert sein als Gold oder Dia­manten. Ein Marktwert bemisst sich aber auch nach der Ein­schätzung der Zukunft. Wenn mit offen­sicht­lichem Erfolg Angst ver­breitet wird, dass wir dem­nächst frieren, dann wird nicht nur für Gas und Öl ein Mehr­faches des realen Wertes ver­langt, sondern auch für Brennholz, das mit geschmähter fos­siler Energie nichts zu tun hat. So ent­stehen Extra­profite der Kriegsgewinnler.

Die (per­verse) Bör­sen­logik, spe­ziell an der Gas­börse. Der Bör­senwert eines Unter­nehmens oder Roh­stoffs bemisst sich nach der sub­jek­tiven Ein­schätzung der Markt­teil­nehmer. Schon der Glaube an den Erfolg einer Idee kann einen Bör­senwert von Mil­lionen und Mil­li­arden aus­lösen, obwohl außer einem Büro noch nichts besteht. Auch der Glaube an die Wirk­samkeit eines Impf­stoffs gegen Corona machte Mil­li­ardäre. Das wirklich Per­verse ist aber, dass die Preis­bildung einer Aktie oder eines Roh­stoffs kein großes Han­dels­vo­lumen benötigt. Theo­re­tisch reicht eine einzige Order bzw. Aktie aus, den Markt- oder Bör­senwert um Mil­lionen Euro zu steigern, weil alle anderen nicht gehan­delten Aktien mit der Trans­aktion ent­spre­chend auf­ge­wertet gelten.

Womit lässt sich nun die Explosion des Gas- und Strom­preises erklären? Sie ist eine Mischung aus realen, wenn auch ver­meid­baren Ursachen, und einem aus Rand und Band gera­tenen Han­dels­system. Aus­löser war zuerst einmal der all­seits (?) erklärte Wille zum Aus­stieg aus der Atom­kraft und zum gleich­zei­tigen Ver­zicht auf fossile Ener­gie­träger. Gas sollte nur eine „Über­gangs­lösung“ sein, bis genügend rege­ne­rative Energie zur Ver­fügung stehe. Zwar lie­ferte Russland nur 38 Prozent des benö­tigten Gases, 62 Prozent kommt aus EU-Ländern. Der poli­tisch ver­mit­telte Ein­druck, wir seien alleine von Putin abhängig hat System, das der poli­ti­schen Kriegs­führung. Diese Irre­führung hatte den Zweck, sich noch mehr den USA an den Hals werfen zu müssen.

Die Geste­hungs­kosten für rus­si­sches und ame­ri­ka­ni­sches Gas unter­scheiden sich gra­vierend. In Russland „sprudelt“ das Gas fast von selbst aus dem Boden. In den USA dagegen ist das tech­nisch auf­wändige Fracking-Ver­fahren nötig (pro­fit­trächtig, überdies ein großer Umwelt­frevel). Schon die Gas­er­zeugung in den USA ist teurer. Dazu kommt die Ver­flüs­sigung zu LNG, denn es muss auf unter 161°C her­un­ter­ge­kühlt werden, wobei 10 bis 25 Prozent der Energie futsch ist.

Dann noch der Transport mit Schiffen, die erst noch in aus­rei­chender Zahl zusam­men­ge­schweißt werden müssen. Vor dem Ukrai­ne­krieg waren 30 solcher Schiffe im Einsatz, die aber nicht aus­reichen. Die Bau­kosten eines LNG-Tankers betragen inzwi­schen 250 Mio. USD, Hybrid­schiffe sogar 400 Mio. Die Char­ter­preise 120 000 bis 400 000 USD pro Tag! Dazu kommen die Kosten der LNG-Ter­minals. Außerdem gehen beim Transport des LNG 10 Prozent ver­lustig, was auf das gelie­ferte Gas auf­ge­schlagen werden muss. Die weit kürzere Erd­gas­leitung aus Russland kostete auf die Leis­tungs­fä­higkeit und Lebens­dauer gesehen weit weniger – wobei „Lebens­dauer“ relativ ist, siehe Sprengung von Nord Stream. Soweit zu den realen Ursachen der gestie­genen Gaskosten.

Zu allem noch die psy­cho­lo­gische Wirkung des ver­ur­sachten Energie-Hypes. Eine solche Dynamik auf­ge­zeigt an einer Metapher aus den USA. Ein „weißer Mann“ sah, wie sein benach­barter Ein­ge­borene mehr Holz machte als sonst (ein Sturm hatte einige seiner Bäume umgelegt). Sagt der Weiße zu seiner Frau, „der Winter scheint kälter zu werden, wir bestellen nochmal Heizöl.“ Als die Rothaut den Tank­wagen sah, meinte sie, „der Winter wird hart, das Bleich­ge­sicht bekommt schon wieder Öl. Er muss gut Bescheid wissen, er hat Internet“. Er macht also nochmal ein paar Ster Holz mehr, worauf der Weiße eben­falls Öl nach­be­stellt. Der Preis für Brenn­stoff stieg, obwohl nur ein paar Bäume umge­fallen waren und der Winter nicht kälter wurde als die vorigen.

Ähnlich ist es jetzt in Europa: Im Osten fallen Sol­daten und Häuser, im Westen wird Energie noch teurer – obwohl es nicht weniger Gas, Öl und Holz gibt und die Winter sogar wärmer werden. Wer alles genauer wissen will, dem sei diese Seite https://www.energie-lexikon.info/fluessigerdgas.html empfohlen.

Trotz alledem hat sich die Gas­börse wieder beruhigt, der Preis ist sogar nied­riger als vor Kriegs­beginn. Warum Gas und schließlich Strom für die Kunden dennoch so teuer gehandelt werden, liegt am Merit-Order-Prinzip, nach dem immer der Preis des teu­ersten Anbieters maß­gebend ist, der für die Bedarfs­de­ckung gebraucht wird. Auch Wiki­pedia erklärt das Kon­strukt, für das es kein Gesetz und keine Ver­ordnung gibt. Die Ener­gie­ver­sorger schufen für sich ihren eigenen Selbst­be­die­nungs­laden – verrückt!

Man stelle sich z.B. einen ent­spre­chenden Auto­markt vor, bei dem sich der Preis sämt­licher PKWs nach dem teu­ersten „Schlitten“ richten würde, der an einem bestimmten Tag bestellt oder gekauft wird. Ebenso für andere Han­dels­güter. Undenkbar. Aber so funk­tio­niert der Gas- und der Strom­markt. Nicht der güns­tigste Lie­ferant oder ein Durch­schnitts­preis ist maß­gebend, sondern immer der höchste.

Wohin das führt, beschreibt dieser Artikel. Bun­des­kanzlers „Dop­pel­wumms“ ver­sucht nun, mit aber­wit­zigen schul­den­fi­nan­zierten Mil­li­ar­den­pro­grammen diesen skan­da­lösen Effekt eines ent­ar­teten Kapi­ta­lismus auszugleichen!

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Dieser Artikel erscheint auch auf der Web­seite des Autors