Gefeiert und niedergemacht – die Laufbahn des Ballettdirektors Marco Goecke ist wie sein Werk: Ein Tanz der Extreme. Die Kulturjournalistin der FAZ, Wiebke Hüster, schrieb vernichtende Kritiken über seine Ballettwerke, die ihrer Ansicht nach den Zuschauer teilweise „irre machen“ oder „langweilen“. Als Marco Goecke seine Kritikerin am 11. Februar während einer Aufführung am Samstagabend hinter der Bühne zum ersten Mal persönlich traf, kam es zum Eklat: Nach einer kurzen Auseinandersetzung rastete der Ballettchef aus und schmierte Frau Hüster den Kot seines Dackels, den er beim Gassigehen eben noch in eine Tüte eingesammelt hatte auf die rechte Wange. Jetzt schlägt das Nachspiel hohe Wellen.
Marco Goecke hatte der Journalistin vorgeworfen, ihn ständig mit persönlichen, schlimmen Kritiken niederzumachen. Man habe durch ihre Berichte viele Abonnenten der Staatsoper verloren. Er habe mit ihr über die Art ihrer Kritiken sprechen wollen, sie daran erinnert, dass er auch nur ein „Mensch sei“. Doch sie habe nur „aggressiv, arrogant, herablassend reagiert“.
Frau Hüster stellte sofort Anzeige bei der Polizei wegen Beleidigung und Körperverletzung, die ermittelt bereits, Ballettchef Goecke wurde am 13. Februar suspendiert und erhielt Hausverbot in der Staatsoper. Auf Instagram rechtfertigte er sich. Das Maß sei voll gewesen, er sei jahrelang von der Dame mit „Scheiße beworfen worden“:
“Ich bitte um Verzeihung dafür, dass mir letztlich der Kragen geplatzt ist”, sagte Marco Goecke am Dienstag. “Ich bitte aber auch um ein gewisses Verständnis zumindest für die Gründe, aus denen dies geschehen ist.” Die Stellungnahme ließ Goecke über seine Management-Agentur mit Sitz in Berlin verbreiten.
„Ich arbeite seit 25 Jahren und schlechte Kritiken sind mir egal! Aber es gibt Grenzen! Das würde sich niemand, der ein Geschäft hat gefallen lassen.“ Für seine „absolut nicht gutzuheißende Reaktion“ wolle er sich „aufrichtig entschuldigen“.
Aber das lässt seine Kritikerin nicht gelten. In einem Telefonat mit dem NDR bezeichnete sie diese Stellungnahme als inakzeptabel. Das sei „keine Entschuldigung für die physisch brutale Gewalt“, die er ihr angetan habe.
Wo, bitte, ist hier noch irgendein kulturelles Niveau zu erkennen, wie man es von einem Staatsopernbetrieb, dessen international berühmten Balettchoreographen und einem Journalisten der Edelzeitung FAZ erwarten können müsste? Solche Szenen spielen sich noch nicht einmal in unseren bäuerlichen Dörfern nachts um zwei hinter den Dorf-Disco-Zelten ab.
Noch im Oktober war Marco Goecke für sein Werk mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnet worden. Eine von vielen Preisen und Auszeichnungen. Die Reaktionen sind geteilt. Viele werfen dem gefeierten Choreographen vor, er müsse als eine Person des öffentlichen Interesses auch mit vernichtender Kritik umgehen können. Goecke hält dagegen:
„Viele andere Journalisten aus anderen Bereichen, die er kenne, teilten seine Sicht, dass diese Art der Kritik zeige, dass sich Hüster für Tanz nicht interessiere, das Theater nicht liebe. Er betont, dass er viele schlechte Kritiken über sich gelesen habe. ‚Da kann ich super mit leben‘, betonte Goecke. Doch die Kritiken der Journalisten Hüster seien persönlich, und das seit 20 Jahren. Und er will nicht der einzige sein, der so denke. ‚Ich weiß von 99 Prozent der Tanzschaffenden in diesem Land, dass sie sich von dieser Frau über Jahre extrem verletzt gefühlt haben.‘”
Die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘, die das Geschehen öffentlich machte, schrieb von einem ‚demütigenden Akt‘ und einer ‚Grenzüberschreitung‘, die das ‚gestörte Verhältnis eines Kunstschaffenden zur Kritik‘ offenbare.
Nun hat sich der erste Staub wieder gelegt und die Aufmerksamkeit für den welterschütternden Skandal ließ schon fast den drohenden Dritten Weltkrieg verblassen, da berichtet die BILD davon, dass die ganze Geschichte buchstäblich „hinter den Kulissen“ wieder kleingekocht wird. Der Intendant der Staatsoper Hannover, Laura Berman wiegelt ab:
„‘Goecke ist ein Mensch, mit dem wir bisher kollegial und konstruktiv zusammengearbeitet haben. Und dann gibt es den Privatmann Goecke, den wir als rücksichtsvollen, gelegentlich sehr verletzlichen Menschen kennen und schätzen gelernt haben. Nie aggressiv! Deswegen hat sein Verhalten uns umso mehr verstört. (…) Wir haben Herrn Goecke Mittwoch privat besucht und haben uns darauf gemeinsam geeinigt. Wegen einer einzelnen Tat — so widerlich sie auch gewesen sein mag — sollten seine Stücke aber nicht komplett verbannt werden.‘ Ebenso sei eine Zusammenarbeit mit ihm zukünftig nicht ausgeschlossen.“
Die Kulturwelt will also auf jeden Fall seine preisgekrönten Werke weiterhin aufführen. Das bedeutet, dass die Tantiemen weiterhin für Herrn Marco Goecke sprudeln. Möglicherweise hat er seine Absetzung auch mit einer schönen Abfindung vergoldet bekommen. Aber darüber darf laut Auflösungsvertrag nicht gesprochen werden. Und auch das mit dem Hausverbot ist nicht so ernst gemeint. Man habe ihm ans Herz gelegt, erstmal nicht ins Haus zu kommen.
Nun, denkt man als moderner Kulturbanause (der schon lange nicht mehr in moderne Opern- oder Ballettaufführungen geht, weil man die karge Bühnenausstattung und das Gewurstel und Geschrei im Halbdunkel schon lange satt hat), welche unsterblichen Kunstschätze hat denn der Star-Choreoraph Marco Goecke der Welt geschenkt? Hier einmal ein paar Kostproben:
Das obere Video ist die Inszenierung, bei der hinter der Bühne die Dackelkacke zum Einsatz kam. Und so geht es auf den Proben mit Marco Goecke zu:
Es ist genau die Art von Aufführungen auf düsterer Bühne mit kalter Baustellenscheinwerfer-Beleuchtung, Fassadengerüst-Romantik und nur dem Eingeweihten zugänglicher Ästhetik und Botschaft. Was auch immer daran hohe Kunst ist, für das etwas konservativer gepolte Bildungsbürgertum sehen die sich krampfhaft windenden und zuckenden, halbnackten, gestählten Körper aus, als durchlitten sie entsetzliche Höllenqualen. Die Geräuschkulisse lässt auch wenig Freude aufkommen – und, mal ganz ehrlich: Hätte Herr Marco Goecke seine Auseinandersetzung mit der Journalistin und Kritikerin genauso auf der Bühne aufgeführt, inklusive Dackelkacke, hätte das Publikum das als Kunst verstanden und Beifall geklatscht.
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