Wollen wir subsumieren, was für eine Täterschaft von S. spricht und was dagegen.
(ein Kollegenbeitrag von Oliver Greyf, investigativer Journalist)
Da es die offizielle Darstellung ist, beginnen wir mit den Gegenargumenten.
Contra:
-S. ermordete Frauen, keine Männer/Jungen
-S. ermordete Erwachsene bzw. ältere Teenager
-S. entspricht nicht dem Phantombild des Mörders
Nun zu denen, die die Täterschaft von S. indizieren.
Pro:
-geographische Nähe
-zeitliche Nähe
-Tristans Mörder, kein Ersttäter
-Modus Operandi
Die Gegenargumente im Einzelnen:
»S. ermordete keine Männer/Jungen bzw. Kinder. «
Zumindest ist dies nicht bekannt. Anzumerken ist jedoch, dass es sein kann, dass er auf einer andere Opfergruppe auswich, vielleicht, weil sich kein passendes (also weibliches, erwachsenes) Opfer finden ließ, vielleicht auch, weil er einen neuen Kick verspüren wollte, den Kick, ein (männliches) Kind zu töten.
»S. sieht dem Phantombild des Mörders Tat nicht ähnlich.«
Ja, aber wer sagt, dass es nur einen Täter gab? Tristan wurde direkt vor seinem Tod mit zwei Männern auf einer Parkbank sitzend gesehen. Auch die Kriminalpolizei geht davon aus, S. könnte Komplizen gehabt haben.
Die Pro-Argumente im Einzelnen:
»Es besteht eine geographische Nähe zu Orten, die mit S. in Verbindung stehen und dem Fundort von Tristan.«
S. arbeitete in der mittelbaren Nähe von Tristans Fundort, außerdem lernte er dort (Arbeitsstelle) sein erstes Mordopfer kennen und beging dort auch seinen zweiten Mord.
»Es besteht eine zeitliche Nähe zu dem Mord an Tristan und anderen Morden, die von S. begangen wurden«
Knapp vier Monate nach dem Mord an Tristan beging S. einen Mord an einer Prostituierten aus dem Frankfurter Bahnhofsmilieu.
»Der Mörder von Tristan Brübach ist kein Ersttäter. Er hat eine solche oder ähnliche Tat bereits begangen und hat nachher ggf. weitere Morde begangen«
Die Ansicht, dass Tristans Mörder kein Ersttäter ist, wird auch von erfahrenen Ermittlern geteilt, insbesondere das professionelle Entnehmen von Organen und Fleisch lässt auf einen Serientäter schließen.
»Der Modus Operandi bei S.s Morden gleicht dem beim Mord an Tristan«
Die Tatbegehungen von den Morden von Manfred S. und dem an Tristan Brübach weisen eine sehr starke Ähnlichkeit auf. So entnahm S. beim ersten Mord seinem Opfer die Gebärmutter, bei Tristan wurde eine Entfernung der Hoden festgestellt. Alle Opfer S.s starben durch Erdrosseln/Erwürgen, auch Tristan wurde massiv gewürgt. In einem Fall wurden die Schuhe des Opfers auf dem Bauch des selbigen abgelegt, genau das gleiche Bild finden wir auch bei Tristan Brübach vor.
Einschätzung des Autors:
Der Spur S.s ist man nicht konsequent genug nachgegangen. Das Einzige, was wir als „Beweis“ für S.s Nicht-Schuld genannt bekommen, ist der Fingerabdruck am Schulheft Tristans, welcher unzweifelhaft vom Täter stammt, der nicht mit S.s Fingerabdruck übereinstimmt. Ferner wird auf das nicht-passende Phantombild verwiesen.
Nun ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass es zwei Täter gab, schließlich wurde Tristan direkt vor der Tat in Begleitung von zwei Männern gesehen. S. gilt für mich weiterhin als dringend tatverdächtig.
Anmerkung zu Manfred S.:
1) In Frankfurt am Main und Umgebung trieb in den 1970er und 1980er Jahre ein bis heute nicht identifizierter Serienmörder sein Unwesen, aufgrund der Tatsache, dass er seine Opfer in Kanalschächten „entsorgte“ erhielt er den Namen „Kanalmörder“. Interessant ist, dass all diese Morde in dem Zeitraum fallen, in denen S. keine Morde begangen hat/haben soll. Möglich ist, dass S. von seinem vorherigen Opfertyp abgewichen ist und auch den Modus Operandi änderte. Weitere Parallele ist, dass die meisten Opfer des Kanalmörders Stricher aus dem Frankfurter Bahnhofsmilieu waren. S.s Opfer waren bekanntermaßen (weibliche) Prostituierte, die ebenfalls dem Frankfurter Bahnhofsmilieu entstammten. Überdies weist das jüngste Opfer, ein elfjähriger Junge, durch seine Haarfarbe eine gewisse Ähnlichkeit zu Tristan auf.
2) Der Mord an Olaf St. Im Oktober 1972 kommt es zu einem grausamen Mord an einem 8‑Jährigen. Die Ermittler sagten bzgl. des Fundes, „Über den Zustand des getöteten Kindes wollen wir schweigen. Es soll lediglich gesagt werden, dass der Junge offensichtlich einem sadistischen Sexualverbrecher zum Opfer gefallen ist.“.
Auffällig: Der Auffindeort des Jungen, Kelkheim Hornau, ist nur einige Kilometer vom damaligen Wohnort von Manfred S. entfernt, ebenso sind es nur einige Kilometer, die ihn vom Fundort Tristans fast 30 Jahre später entfernen.
Verbindung zum Dutroux- bzw. Zandvoort-Netzwerk?
Aufgrund meiner umfangreichen Recherchen zu beiden Netzwerken, wurde ich mehrfach gefragt, ob eine Verbindung denkbar ist.
Die Antwort ist, ja, denkbar schon, aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass eine solche besteht.
Dennoch, da es angefragt wurde und der Vollständigkeit halber, eine kurze Erklärung:
Das Dutroux-Netzwerk flog im Sommer 1996 auf, das Zandvoort-Netzwerk endete spätestens 1998 mit der Tötung des Anführers Gerrit U., dennoch sind die Angehörigen der Netzwerke nicht aus der Welt. Einige sind inhaftiert worden, aber die übergroße Mehrheit ist unbehelligt geblieben.
»Gibt es Hinweise, Indizien oder auch nur kleinste Anhaltspunkte, die für eine Verbindung zum Zandvoort-Netzwerk sprechen?«
Kurze Antwort: Nein.
»Gibt es Hinweise, die für eine Verbindung zum Dutroux-Netzwerk sprechen?«
Nein, als solches nicht. Da ich aber nichts unterschlagen möchte, ein Aktenauszug, der die Stadt Frankfurt betrifft:
24/08 Feststellungen LELIEVRE – rue Jules Destrée
Dokumente der Hausdurchsuchung vom 22/08/1996
Tel.069/20.XXX: FRANKFURTE HOF
(…)
(Anm. Rechtschreibung im Original übernommen, 069 = Vorwahl von Frankfurt)
Das war es auch schon. Eine Verbindung zum Dutroux- oder Zandvoort-Netzwerk ist mit fast 100%iger Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.
Der Täter
Wie wir wissen, ist Tristans Mörder immer noch nicht gefasst.
Was auffällt ist, dass das Profiling in so unterschiedliche Richtungen geht.
Man spricht beim Profilen häufig von Organisierten Täter oder Unorganisierten Täter. Bei Tristans Mörder gibt es Aspekte, die auf den einen als auch auf den anderen Tätertypus hinweisen.
Bspw. wurde bei der Tatbegehung professionell und umsichtig vorgegangen, der Täter wusste, was zu tun ist, Töten, Ausbluten lassen, Entfernung von Hoden und Muskelfleisch des Oberschenkels. All das scheint in aller Ruhe getan worden zu sein.
Die Tat wurde m.E. vorzeitig abgebrochen, der Täter ist also steuerungsfähig. Er tut etwas, was ihm ein Hochgefühl bereitet, kann die Tat aber sofort abbrechen, wenn er Gefahr wittert, z.B. durch herannahende Personen (während der Tat näherten sich).
Kinder der Szene, ggf. wurden sie bemerkt). Was gegen einen Organisierten Täter spricht ist u.a. dass er zum Transport seiner „Beute“ (der abgetrennten Körperteile) wahrscheinlich kein Behältnis mit sich führte, sondern wohl den Schulrucksack von Tristan verwendete. Außerdem könnte man meinen, dass der Tatort unüberlegt gewählt wurde, da er von außen teilw. einsehbar ist und alles andere als abgelegen. Hier könnte aber auch ein Fall von excitement seeking vorliegen, das heißt, der Täter wollte, durch die Gefahr, entdeckt zu werden, einen Nervenkitzel spüren.
Weitere Ungereimtheit:
Es spricht viel dafür, dass der Täter aus dem Wohnumfeld des Opfers stammt, also der „Mörder aus der Nachbarschaft“, aber es ist an sich undenkbar, dass bei dem Fahndungsaufwand (u.a. wurden vielen Tausend Bürger aus dem Stadteichel Höchst und Umgebung Fingerabdrücke und DNA Proben entnommen) und der medialen Aufmerksamkeit ein solcher Täter unentdeckt bleibt. Jedoch wird davon ausgegangen, dass Tristan seinen Mörder gekannt hat und er wurde Tage zuvor in Begleitung einer Person gesehen, auf die das Phantombild zutrifft.
Meine persönliche Einschätzung:
Zuvorderst möchte ich feststellen, dass ich davon ausgehe, dass Tristan von zwei Tätern ermordet wurde.
Er wurde nur Minuten vor seinem Tod mit zwei Erwachsenen gesehen.
Der Tunnel, in dem Tristan zu Tode kam, ist teilw. von außen einsehbar, es ist also denkbar, dass einer von beiden „Schmiere stand“, während der andere handelte.
Es ist für mich wahrscheinlich, dass der Mittäter der Mann ist, der auf dem Phantombild zu sehen ist, dieser wurde in der Zeit vor dem Mord in Frankfurt Höchst und Umgebung gesehen. Dieser Mittäter hatte die Aufgabe Kontakt zu den Opfern herzustellen, also eine Tatanbahnung vorzunehmen. Nachdem er diese „Vorarbeit“ geleistet hatte, trat der eigentliche Täter in Aktion.
Der Haupttäter:
-handelte nicht allein
-ist kein Ersttäter
-sozial integriert
– stammt aus der Mittelschicht/obere Mittelschicht
-lebt nach außen hin unauffällig, tritt aber bestimmend auf
-überdurchschnittliches Maß an Intelligenz und formaler Bildung
-hat Kenntnisse der menschlichen Anatomie und dem Zerlegen/Ausweidens eines Körpers
-aufgrund letzteren kommt ein Jäger oder Metzger infrage
-umsichtig planend/handelnd
-begeht selber die Tötung
Der Mittäter:
-Handlanger des Haupttäters, ihm ggü. untergeordnet
-stammt aus der sozialen Unterschicht
-kleinkriminell, interessiert an „schnellem Geld“
-niedrige Bildung, aber ein gewisses Maß an Intelligenz
-umsichtig handelnd (Planung übernahm der Haupttäter)
-assistiert bei der Tötung
Soviel zu meiner Einschätzung. Der Fall Tristan ist aufgrund der erschreckenden Tatausführung und den vielen Widersprüchen äußerst mysteriös. Im Nachgang des Mordes gab es immer wieder bemerkenswerte Vorgänge, wie ein unbekannter Anrufer, der bei der Polizei ein Geständnis ablegte, dann aber abtauchte, eine Öffnung von Tristans Grab oder auch das Auffinden von Tristans Rucksack, der eine Autokarte in tschechischer Sprache enthält und dass das erste (und einzige) Phantombild erst zehn Jahre nach der Tat veröffentlicht wurde.
Ich persönlich gehe nicht davon aus, dass die Ermittlungen bewusst behindert wurden, auch glaube ich nicht, dass ein Netzwerk hinter den Morden steckt.
Eventuell dient dieser Artikel manch interessierten Zeitgenossen als Ansporn, sich selber Gedanken über den Fall zu machen. Vielleicht hat auch jemand persönliche Kontakte zu Menschen aus der Region ‑also Frankfurt Höchst und Schwalbach- und kann sich dort umhören. Wenn Sie Ideen, Vermutungen oder einen Verdacht haben, fühlen Sie sich frei, diesen in der Kommentarspalte des Artikels zu posten.
Zum Abschluss: Wenn Sie konkrete Hinweise bezüglich des Falles Tristan Brübach haben, wenden Sie sich bitte umgehend an die nächste Polizeidienststelle oder direkt an das Frankfurter Polizeipräsidium:
Polizeipräsidium Frankfurt/Main
Fachkommissariat 11 Mordkommission
Telefon: +49 (0)69 755–51108
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Guido Grandt — Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors www.guidograndt.de
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