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Cou­si­nen­heirat – ein bri­santes Thema auch im Westen! (Teil 2)

Wie Teil 1 dieses Textes gezeigt hat, sind Hei­raten zwi­schen Cousins/Cousinen ersten oder zweiten Grades, dar­unter Hei­raten zwi­schen dop­pelten Cousins/Cousinen, in ara­bi­schen und in vielen mus­li­misch geprägten Ländern weit verbreitet.

In den meisten dieser Länder werden Cou­si­ne­nehen zu ent­mu­tigen ver­sucht, weil mit ihnen – vor allem mit Hei­raten zwi­schen Cousins/Cousinen ersten Grades und noch mehr mit Hei­raten zwi­schen dop­pelten Cousins/Cousinen ersten Grades – ein  erhöhtes Risiko dafür ver­bunden ist, dass Kinder aus solchen Ehen gene­tisch bedingte Fehl­bil­dungen, Schä­di­gungen oder Krank­heiten aufweisen.

Schoner et al. (2017).

Unter diesen Fehl­bil­dungen, Schä­di­gungen oder Krank­heiten sind vor allem Lip­pen­spalten („Hasen­scharten“), der unvoll­ständige Ver­schluss des Neu­r­al­rohrs – beim Embryo ent­wi­ckelt sich aus dem Neu­r­alrohr das Gehirn und das Rückenmark –, der Fehl­bildung der Wir­bel­säule (spina bifida), Hydro­ze­phalus („Was­serkopf“) und in Ver­bindung damit Hirn­schäden ver­ur­sachen kann, Herz-Kreislauf-Erkran­kungen, dar­unter ange­borene Herz­fehler, Blu­tungs- und Blut­ge­rin­nungs­stö­rungen (wie die Blu­ter­krankheit und die von Will­brand-Krankheit) und Nie­ren­schäden (wie das nephro­tische Syndrom, die poly­zys­tische Nie­ren­er­krankung und die renale tubuläre Azidose) zu nennen. Während einige dieser Fehl­bil­dungen, Schä­di­gungen, Krank­heiten ope­rativ kor­ri­giert (wie die „Hasen­scharte“) oder die Sym­ptome durch Behandlung, oft dau­er­hafte oder gar lebens­lange Behandlung redu­ziert werden können, führen andere zu schweren Behin­de­rungen (wie die­je­nigen, die sich infolge eines unvoll­stän­di­gungen Ver­schlusses des Neu­r­al­rohrs ein­stellen,) oder zum vor­zei­tigen Tod (z.B. im Fall der Nie­ren­er­kran­kungen, die zu Nie­ren­ver­sagen führen können) (eine Über­sicht hierüber bieten u.a. Khayat et al. 2024).

Außerdem haben Kinder aus Ehen zwi­schen Cousins und Cou­sinen im Erwach­se­nen­alter deutlich häu­figer psy­chische Stö­rungen als Kinder aus Ehen zwi­schen nicht mit­ein­ander ver­wandten Eltern: Kinder aus Ehen zwi­schen Cousins und Cou­sinen ersten Grades haben eine dreimal so hohe Wahr­schein­lichkeit wie Kinder aus Ehen zwi­schen nicht mit­ein­ander Ver­wandten, im Erwach­se­nen­alter wegen affek­tiven Stö­rungen medi­ka­men­tiert zu werden und eine doppelt so hohe Wahr­schein­lichkeit, wegen Psy­chosen medi­ka­men­tiert zu werden (Maguire et al. 2018). Ein posi­tiver Zusam­menhang zwi­schen Abstammung aus einer Cou­si­nenehe und Schi­zo­phrenie wurde mehrfach belegt (Bener et al. 2012; Dobrusin et al.2009; Mansour et al. 2010). In einer pro­spek­tiven Quer­schnitts­studie, an der 1.475 Men­schen – mehr­heitlich Frauen mit relativ hohem sozio­öko­no­mi­schen und Bil­dungs­status – in Qatar teil­nahmen, beob­ach­teten Bener et al. (2016) sta­tis­tisch signi­fi­kante Unter­schiede zwi­schen Per­sonen, die aus einer Cou­si­nenehe abstammten, und solchen, deren Eltern nicht mit­ein­ander ver­wandt waren, mit Bezug auf eine ganze Reihe von psych­ia­tri­schen Stö­rungen (gemäß dem ICD-10), dar­unter Angst­stö­rungen, Phobien ver­schie­dener Art, bipolare affektive Stö­rungen (sowohl vom Typ I als auch vom Typ II), anhal­tende schwere Depres­sionen, somat­o­forme Stö­rungen und Stö­rungen der Impulskontrolle.

Es über­rascht also nicht, dass die gene­tisch bedingten Risiken für den Nach­wuchs aus Cou­si­ne­nehen in den Ländern, in denen sie ver­breitet sind, sehr ernst genommen und Cou­sinen ehen zu ent­mu­tigen ver­sucht oder bestimmte Risiken durch gene­tische Unter­su­chungen der Hei­rats­wil­ligen im Vorfeld fest­zu­stellen ver­sucht werden, um auf der Grundlage dieser Befunde ggf. den Hei­rats­wil­ligen vom Ehe­schluss abzuraten.

Im zweiten Teil dieses Textes wird nunmehr gezeigt, dass dieses Thema auf­grund der großen Migra­ti­ons­be­we­gungen der letzten Jahr­zehnte, die viele Men­schen aus ara­bi­schen oder mus­li­misch geprägten Ländern in west­liche Länder geführt hat, auch in diesen west­lichen Ländern zu einem Thema geworden ist, das zu igno­rieren ange­sichts des mensch­lichen Leids, aber auch ange­sichts der hohen Kosten für die Gesund­heits­systeme, die mit erhöhten Risiken für gene­tisch bedingte Fehl­bil­dungen, Stö­rungen und Krank­heiten wie oben genannten Krank­heiten (und weitere wie z.B. ange­borene Taubheit) ver­bunden sind, nicht anders als fahr­lässig bezeichnet werden kann.

Eine im Ver­gleich zu frü­heren Jahr­zehnten höhere oder wach­sende Anzahl von gene­tisch bedingten Fehl­bil­dungen, Stö­rungen und Krank­heiten stellt nationale Ein­rich­tungen, die mit Gesund­heits­pflege und Betreuung von Kranken und Behin­derten beschäftigt sind, unter zusätz­lichen finan­zi­ellen Druck, den auf­grund natio­naler Umla­ge­systeme bzw. von Zwangs­ver­si­che­rungs­sys­temen alle Steu­er­zahler im Land zu spüren bekommen. Und sie schafft auch zusätz­lichen per­so­nellen Druck, denn für die dau­er­hafte Behandlung und Betreuung von mehr kranken oder behin­derten Per­sonen wird mehr ent­spre­chend aus­ge­bil­detes Per­sonal benötigt. Wenn Ärzte und geschultes Pfle­ge­per­sonal in einem Land ohnehin knapp sind, dann ver­schärft eine wachsene Anzahl von gene­tisch bedingten Fehl­bil­dungen, Stö­rungen und Krank­heiten diese Knapp­heiten – zum Schaden aller in der Bevölkerung.

Nun könnte man ein­wenden, dass die­je­nigen, die aus ara­bi­schen oder mus­li­misch geprägten Ländern aus- und in west­liche Länder ein­wandern, mög­li­cher­weise eine soge­nannte selektive Popu­lation insofern seien als es sich bei ihnen um Per­sonen handeln könnte, die ver­gleichs­weise „moderne“ bzw. westlich geprägte Ein­stel­lungen haben bzw. aus Familien mit ver­gleichs­weise „modernen“ Ein­stel­lungen stammen und daher eine nied­rigere Wahr­schein­lichkeit haben, Cou­si­ne­nehen geschlossen zu haben oder schließen zu wollen, als die Bevöl­kerung in ihren Her­kunfts­ländern (oder selbst Kinder aus Cou­si­ne­nehen zu sein).

Szenen aus Toronto:

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Ob dies so ist oder nicht, wäre anhand von Daten zu über­prüfen. Man könnte auch die gegen­teilige Hypo­these auf­stellen, nach der Men­schen, die aus ara­bi­schen oder mus­li­misch geprägten Ländern aus- und in west­liche Länder ein­wandern, mög­li­cher­weise eine soge­nannte selektive Popu­lation insofern seien als sie häu­figer als die Bevöl­kerung in ihren Her­kunfts­ländern Cou­si­ne­nehen geschlossen haben oder schließen wollen (oder selbst Kinder aus Cou­si­ne­nehen sind). Und selbst­ver­ständlich wäre auch dies anhand von empi­ri­schen Daten zu zeigen. Solche Daten exis­tieren bislang aber in der Regel nicht.

Eben­falls keine Daten exis­tieren in west­lichen Ländern über die Anzahl von Cou­si­nen­hei­raten oder –ehen, denn sie werden als solche in west­lichen Ländern nicht erfasst. Es ist also nicht bekannt, wie viele Cou­si­nen­hei­raten in der Bevöl­kerung west­licher Länder – inklusive von Zuwan­derern und unab­hängig vom Status als In- oder Aus­länder oder vom Auf­ent­halts­status – bestehen oder geschlossen werden. Dem­entspre­chend gibt es auch keine Daten darüber, um welche Arten von Cou­si­ne­nehen es sich handelt (ein­fache oder dop­pelte) und bis in welche gene­ra­tionale Tiefe diese Cou­si­ne­nehen reichen, und diese beiden Fragen sind für die Schätzung des Risikos auf gene­tisch bedingte Schäden und Erkran­kungen des Nach­wuchses aus Cou­si­ne­nehen ja von großer Wich­tigkeit (s. Teil 1).

Für die Sammlung ent­spre­chender Daten gibt es m.W. derzeit in den west­lichen Ländern kaum einen poli­ti­schen Willen – ver­mutlich, weil jede Beschäf­tigung, die mit Zuwan­derung ver­bundene Pro­bleme betrifft, als „ras­sis­tisch“ gebrand­markt wird, so dass diese Pro­bleme de facto mit einem Dis­kus­si­ons­verbot belegt werden –, und dies, obwohl eth­no­gra­phische und Kohor­ten­studien, die in einigen west­lichen Ländern für bestimmte Gemeinden durch­ge­führt wurden, in denen mehr­heitlich oder haupt­sächlich Migranten oder bestimmte eth­nische Gruppen leben, Hin­weise darauf liefern, dass die Anzahl der Cou­si­ne­nehen in ihnen sehr groß sein kann und dass Cou­si­ne­nehen in der Migra­ti­ons­si­tuation zusätz­liche Funk­tionen zu denen, die sie in den Her­kunfts­ländern der Migranten erfüllen, haben können.

Oder anders gesagt: dass die Migra­ti­ons­si­tuation als solche einen Anreiz zur Schließung von Cou­si­ne­nehen bieten kann, was – gerade in Abwe­senheit von ent­spre­chender Beratung der Hei­rats­wil­ligen – eine höhere Wahr­schein­lichkeit des Auf­tretens gene­tisch bedingter Schäden oder Erkran­kungen in der Bevöl­kerung mit sich bringt.

Für das Ver­ei­nigte König­reich hat die Sozi­al­an­thro­po­login Katy Gardner (2013[2009]; 2006; 2002; 1995; Gardner & Ahmed 2009) in eth­no­gra­phi­schen Studien Ket­ten­mi­gration aus Ban­gladesh ins Ver­eingte König­reich unter­sucht und fest­ge­stellt, dass Cou­si­nen­hei­raten dabei eine große Rolle spielen:

„Ich habe keine sys­te­ma­ti­schen Daten, aber anek­do­tische Hin­weise deuten darauf hin, dass ein erheb­licher Teil dieser Ehen Bezie­hungen zwi­schen Cousins betreffen. Hier fes­tigen die Ehen zwi­schen bri­ti­schen Frauen und ihren ban­gla­de­schi­schen Cousins die Bin­dungen zwi­schen den Familien, die sich – während sich einige Haus­halte in Groß­bri­tannien wie­der­vereint haben – nun fast voll­ständig getrennt von­ein­ander sind. In einem Fall zum Bei­spiel haben zwei Schwestern, die seit ihrer Kindheit in Man­chester lebten, die Söhne ihrer in Ban­gla­desch lebenden väter­lichen Onkel (sas­sat­obiye) gehei­ratet, die einst innerhalb der­selben bari (aber in getrennten Haus­halten) lebten. Eine dritte Frau, diesmal eine müt­ter­liche Cousine, hat den jüngsten Bruder gehei­ratet, der kürzlich nach Groß­bri­tannien umge­zogen ist. Alle Brüder leben in der gleichen Nach­bar­schaft in Man­chester mit ihren bri­tisch-ben­ga­li­schen Frauen. Ich habe den Ein­druck, dass die Erfahrung für beide Seiten weit­gehend positiv war. Die bri­ti­schen Haus­halte behalten ihre Ver­bin­dungen zum desh (Hei­matland), indem sie ihre Töchter mit Cousins ver­hei­raten, deren Cha­raktere ihnen bereits gut bekannt sind und die sich, eng in ihr Ver­wandt­schafts­netzwerk ein­ge­bunden, wahr­scheinlich nicht aus dem Staub machen werden, wenn sie erst einmal bri­tische Staats­bür­ger­schaft erworben haben … Die in Ban­gla­desch ansäs­sigen Haus­halte knüpfen inzwi­schen ihre eigenen direkten Ver­bin­dungen mit Groß­bri­tannien mittels der Ansiedlung ihrer Söhne dort. Ins­gesamt kommen die Ehen beiden Haus­halten zugute, indem sie die Ver­wandt­schafts­be­zie­hungen zwi­schen den Orten fes­tigen und gleich­zeitig anderen Mit­gliedern des gusti (patri­li­neage) ermög­lichen, zu migrieren. In diesen Fällen führt die Ehe – ein zen­traler Punkt im Lebenslauf aller Ban­gla­de­scher – direkt zur Migration nach Groß­bri­tannien“ (Gardner 2013[2009]: o.S.; Kur­siv­set­zungen im Original).

Ori­gi­naltext:

„I do not have sys­te­matic data, but anec­dotal evi­dence sug­gests that a signi­ficant pro­portion of these mar­riages may involve rela­ti­onships between cousins. Here, mar­riages between British women and their Ban­gla­deshi cousins con­so­lidate links between families who, with some house­holds having been reu­nited in Britain, are now almost wholly apart. In one case for example, two sisters who have been living in Man­chester since they were small children have married the sons of their Ban­gladesh based paternal uncles (sas­sat­obiye), who they once lived within the same bari (but in separate house­holds). A third woman, this time a maternal cousin, has married the youngest brother, who has recently relo­cated to the UK. All brothers live in the same neigh­bourhood in Man­chester with their British-Bengali wives. My impression is that the expe­rience has been largely positive for both sides. The British house­holds maintain their links with the desh (homeland), mar­rying their daughters to cousins whose cha­racters are already well known to them and who, tied closely into their kinship network, are unlikely to abscond once they have gained British citi­zenship … Mean­while the Ban­gladesh based house­holds forge their own, direct links with Britain through the sett­lement of their sons there. Overall, the mar­riages benefit both house­holds, soli­di­fying kinship links between places while allowing for another member of the gusti (patri­li­neage) to migrate. In these cases, mar­riage – a major juncture in the life course of all Ban­gla­deshis – leads directly to migration to the U.K.“ (Gardner 2013[2009]: o.S.; Kur­siv­set­zungen im Original).

Cou­si­nen­heirat erfüllt in der Migra­ti­ons­si­tuation also mehrere Funk­tionen, die alle außer einer (der dritt­ge­nannten) spe­zi­fisch für die Migra­ti­ons­si­tuation sind:

  • das Ver­wandt­schafts­netzwerk trotz großer räum­licher Ent­fernung zwi­schen eines Teiles des Netz­werkes vom anderen auf­recht­zu­er­halten und zu pflegen,
  • von den Migranten, von denen man weiß oder ver­mutet, dass sie im Auf­nah­meland ein Aus­kommen gefunden haben, wirt­schaftlich zu pro­fi­tieren, indem man sie eng(er) an die Ver­wandt­schaft bindet,
  • im Auf­nah­meland lebende Töchter „gut“ zu ver­hei­raten, d.h. mit Männern zu ver­hei­raten, die Ver­wandte sind und die man deshalb mehr oder weniger gut kennt und auf die man, wenn nötig, auf­grund der Ver­wandt­schafts­ver­hält­nisse Druck ausüben kann, sich der zukünf­tigen Ehefrau gegenüber wohl­zu­ver­halten, und
  • Mög­lich­keiten zur Migration für bislang nicht-migrierte Per­sonen in der Ver­wandt­schaft zu schaffen.

Ob oder inwieweit Cou­si­nen­hei­raten Funk­tionen, die spe­zi­fisch für die Migra­ti­ons­si­tuation sind, erfüllen können, hängt auch von der Gestaltung der Migra­ti­ons­si­tuation durch ein Auf­nah­meland ab, vor allem davon, wie einfach oder schwierig die Zuwan­derung von Ver­wandten und ins­be­sondere (Ehe-/)Partnern oder sogar solchen, die das erst noch werden möchten, von der Regierung in einem Auf­nah­meland gemacht wird.

Im Ver­ei­nigten König­reich wird dies derzeit sehr einfach gemacht, denn dort gelten derzeit die fol­genden Rege­lungen:

„Per­sonen, die nicht im Ver­ei­nigten König­reich ansässig sind und im Ausland leben, können in das Land kommen und sich mit ihrem bri­ti­schen oder nie­der­ge­las­senen Ehe­partner oder einem zivilen Partner wie­der­ver­ei­nigen dank des UK Spouse Visums [(Ehe-/)Partner-Visums]. Ein solches Visum ermög­licht einen Auf­enthalt im Land für bis zu 30 Monate. Das Ehe­part­ner/­Part­ner/Heirats-Visum im Ver­ei­nigten König­reich fällt unter die Kate­gorie der Fami­li­envisa. Dieses Visum kann für weitere 30 Monate ver­längert werden, sofern bestimmte Zulas­sungs­kri­terien erfüllt sind. Eine Person mit einem bri­ti­schen Hei­rats­visum wird ein Kan­didat für einen unbe­fris­teten Auf­enthalt (ILR) und kann sich schließlich für die bri­tische Staats­bür­ger­schaft qua­li­fi­zieren. Eine der Vor­aus­set­zungen für die Bean­tragung eines Ehe-/Partner-Visums im Ver­ei­nigten König­reich und die Ein­reise in das Land ist, dass man mit einem bri­ti­schen Bürger, einer im Ver­ei­nigten König­reich ansäs­sigen Person oder einer Person ver­hei­ratet ist, die den Status eines Flücht­lings im Ver­ei­nigten König­reich hat oder huma­ni­tären Schutz im Ver­ei­nigten König­reich genießt. Das UK Ehe-/Partner-Visum wird für einen Antrag­steller aus­ge­stellt, wenn er belegt, dass er eine echte Beziehung [zu dem im Ver­ei­nigten König­reich lebenden] Partner hat und bestimmte finan­zielle Anfor­de­rungen erfüllen kann“.

Ori­gi­naltext:

„Indi­vi­duals who are not UK resi­dents and live abroad can come to the country and reunite with their British or settled spouse or a civil partner, thanks to the UK Spouse visa. Such a visa allows for staying in the country for up to 30 months. The Spouse/Parnter/Marriage visa in the UK falls under category of family-type visas. This visa can be extended for a period of another 30 months, pro­vided certain eli­gi­bility cri­teria are met. A person with a UK Mar­riage visa becomes a can­didate for Inde­finite Leave to Remain (ILR) and can even­tually qualify for British Citi­zenship. One of the con­di­tions for app­lying for the Spousal visa in the United Kingdom and becoming able to enter the country is being married to or having a civil rela­ti­onship with a UK citizen, a UK settled indi­vidual or a person who holds a UK refugee or huma­ni­tarian pro­tection status. The UK Partner visa will be issued for an applicant if they prove that they have a genuine rela­ti­onship and can meet certain financial requirements“.

Wirt­schaftlich moti­vierte Immi­gration ins Ver­ei­nigte König­reich ist auch per „Mar­riage Visitor visa“ möglich. Es handelt sich dabei um ein Visum, das eine nicht-bri­tische Person aus dem Ausland bean­tragen kann, um im Ver­ei­nigten König­reich eine Ehe oder eine ein­ge­tragene Part­ner­schaft mit einer bereits im Ver­ei­nigten König­reich ansäs­sigen Person ein­zu­gehen. Nach Ein­reise per „Mar­riage Visitor visa“ hat man sechs Monate Zeit, eine Ehe oder ein­ge­tragene Part­ner­schaft zu schließen.

Zwar ist in der derzeit gül­tigen Regelung (noch) das Element des Nach­weises einer tat­säch­lichen Beziehung ent­halten, aber wenn z.B. keine formale Hei­rats­ur­kunde oder kein Beleg einer nach Staats­recht ein­ge­tra­genen Lebens­part­ner­schaft vor­gelegt werden muss oder kann, wie das auf Per­sonen zutreffen kann, die eine reli­giöse oder tra­di­tio­nelle Ehe geschlossen haben, die keine Rechts­ver­bind­lichkeit (außer nach einem alter­na­tiven reli­giösen oder tra­di­tio­nellen Recht) hat, oder bei gleich­ge­schlecht­lichen Partner, für die eine Ehe­schließung oder ein­ge­tragene Part­ner­schaft im Her­kunftskand auf­grund eines Ver­botes gleich­ge­schlecht­licher Ehen/Partnerschaften nicht möglich ist, dann kann eine „tat­säch­liche Beziehung“ durch andere Mittel leicht belegt oder ggf. vor­ge­täuscht werden wie die fol­gende Liste der zum Nachweis akzep­tierten Unter­lagen zeigt:

„Sie können [als Beleg für eine bestehende Ehe oder Part­ner­schaft] Dinge wie verwenden:

  • eine Hei­rats­ur­kunde oder eine Partnerschaftsbescheinigung
  • einen Miet­vertrag, eine Strom­rechnung oder eine Gemein­de­steuer-Rechnung, die bestätigt, dass Sie an der­selben Adresse wohnen oder gemeinsam Rech­nungen bezahlen
  • einen Kon­to­auszug von einem gemein­samen Bank­konto oder eine Bestä­tigung, dass Sie an der­selben Adresse wohnen
  • ein Schreiben von Ihrem Arzt oder Zahnarzt, in dem bestätigt wird, dass Sie an der­selben Adresse wohnen

Wenn Sie keine Nach­weise haben, die diese Kri­terien erfüllen, können Sie statt­dessen andere Nach­weise vor­legen, darunter:

  • eine ein­malige Rechnung wie Tier­arzt­kosten oder Reparaturkosten
  • Bestä­ti­gungs­schreiben, dass Sie und Ihr Partner im Wahl­re­gister unter der­selben Adresse geführt werden
  • Unter­lagen im Zusam­menhang mit Stu­di­en­fi­nan­zierung, die bestä­tigen, dass Sie an der­selben Adresse leben

Wenn Sie nicht zusammen leben

Wenn Sie wegen Arbeit oder Studium oder aus kul­tu­rellen Gründen nicht zusam­men­leben können, dann müssen Sie belegen, dass Sie sich gegen­seitig dau­erhaft ver­pflichtet sind. Sie können dies tun, indem Sie Belege dafür liefern, dass Sie

  • regel­mäßig mit­ein­ander kommunizieren
  • sich gegen­seitig finan­ziell unterstützen
  • Kindern, die Sie zusammen haben, betreuen
  • Zeit zu zweit ver­bringen, zum Bei­spiel im Urlaub oder auf Veranstaltungen“

Ori­gi­naltext:

„You can use things like:

  • a mar­riage cer­ti­ficate or civil part­nership certificate
  • a tenancy agreement, utility bills or council tax bills con­firming that you live at the same address or pay bills together
  • a bank statement from a joint bank account, or con­firming that you live at the same address
  • a letter from your doctor or dentist con­firming that you live at the same address

If you do not have any evi­dence that meets these cri­teria, there is other evi­dence you can provide instead, including:

  • a one-off bill like vet’s fees or home repair costs
  • letters con­firming you and your partner are on the voting register for the same address
  • student finance paperwork con­firming that you live at the same address

If you do not live together

If you cannot live tog­ether because of work or study, or for cul­tural reasons, you’ll need to prove that you have an ongoing com­mitment to each other. You can do this by pro­viding evi­dence that you:

  • com­mu­nicate regu­larly with each other
  • support each other financially
  • care for any children you have together
  • spend time tog­ether as a couple, for example on holiday or at events“

Vor diesem Hin­ter­grund ver­wundert es nicht, dass die Anzahl der „family visa“ und dar­unter besonders „spouse visa“ und „UK mar­riage visa“ seit der Mitte des Jahres 2022 steil gestiegen ist, nämlich um satte 133% gegenüber dem Vorjahr.

Und wie die neu­esten Zahlen, die bis ein­schließlich Juli 2024 vor­liegen, zeigen, hält der Trend an:

„Die Anträge auf Fami­li­envisa für das Jahr 2024 haben ihren höchsten Stand in den letzten Jahren erreicht und setzen einen Auf­wärts­trend seit Ende 2021 fort. In diesem Zeitraum wurden 98.906 fami­li­en­be­zogene Visum­an­träge gestellt, was einer deut­lichen Stei­gerung von 40% gegenüber dem Vorjahr ent­spricht. Sta­tis­tiken zeigen, dass Men­schen, die auf Fami­li­en­wegen ankommen, auch eher in Groß­bri­tannien bleiben und sich für einen unbe­fris­teten Urlaub zum Ver­bleiben (ILR) bewerben als die­je­nigen, die mit Arbeits- und Stu­di­envisa anreisen“.

Ori­gi­naltext:

„Family visa appli­ca­tions for the year ending June 2024 have reached their highest level in recent years, con­ti­nuing an upward trend since the end of 2021. In this period, there were 98,906 family-related visa appli­ca­tions, reflecting a signi­ficant 40% increase com­pared to the pre­vious year. Sta­tistics show that people arriving on family routes are also more likely to stay in the UK and apply for Inde­finite Leave to Remain (ILR) than those arriving on work and study visas“,

Von den 98.906 bean­tragten fami­li­en­be­zo­genen Visa waren 63.747 part­ner­be­zogene Visa, von denen wie­derum 58.022 erteilt wurden. Von allen 98.906 bean­tragten fami­li­en­be­zo­genen Visa wurden 84.403 erteilt, so dass der Anteil der bean­tragten part­ner­be­zo­genen Visa, die erteilt wurden, (mit 91 Prozent) größer ist als der Anteil der bean­tragten generell fami­li­en­be­zo­genen Visa, die erteilt wurden (mit 85,3 Prozent) (eigene Berechnung auf der Basis der Immi­gra­ti­ons­sta­tistik des Home Office).

Wie viele dieser Visa für bestehende oder noch zu schlie­ßende Cou­si­ne­nehen aus­ge­stellt wurden, wissen wir nicht, aber es ist ver­mutlich kein Zufall, dass die große Mehrheit der part­ner­be­zo­genen Visa von Per­sonen mit Staats­an­ge­hö­rigkeit aus einem der Länder Süd­asiens – für die Sta­tistik des Home Office sind das Ban­gladesh, Bhutan, Indien, die Male­diven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka – bean­tragt werden, und dar­unter mehr­heitlich von Paki­stanis. So haben im Jahr, das Ende Juni 2024 endete, ins­gesamt 9.472 Per­sonen mit Staats­an­ge­hö­rigkeit aus einem der Länder Süd­asiens ein Partner-Visum bean­tragt, dar­unter 5.692 Paki­stanis, womit 60,1 Prozent der Antrag­steller auf ein Partner-Visum auf Paki­stanis ent­fallen. 92,3 Prozent der paki­sta­ni­schen Anträge auf ein Partner-Visum in diesem Jahr wurden erteilt.

Und wie aus ent­spre­chenden eth­no­gra­phi­schen und quan­ti­ta­tiven Langzeit-Studien im Ver­ei­nigten König­reich bekannt ist, sind Cou­si­ne­nehen in paki­sta­ni­schen Gemeinden beliebt und nach wie vor weit verbreitet.

Katherine Charlsey (2007) berichtet aus ihrer achtzehn Monate wäh­renden For­schung in Pakistan und unter Men­schen paki­sta­ni­scher Her­kunft, die in Bristol, England, leben, u.a. von Shareen, die sich eine mul­tiple [nicht nur eine dop­pelte] Cou­si­nenehe gewünscht hätte:

„… Shareen, eine junge Frau aus Bristol, ver­hei­ratet mit einem Cousin aus Pakistan, beschwerte sich, dass es schade sei, dass ihr Mann ein ein­ziger Sohn war [d.h. keine  Brüder hatte], ‚weil ich meine Schwestern gebeten hätte, die Brüder meines Mannes zu hei­raten. Dann hätten sie meine Schwä­ge­rinnen sein können!‘ …“ (Charsey 2007: 16).

Ori­gi­naltext:

„… Shareen, a young woman from Bristol married to a cousin from Pakistan, com­plained that it was a pity her husband was an only son, ‘because I would have asked my sisters to marry my husband’s brothers. Then they could have been my sisters-in-law!’ …“ (Charsley 2007: 16).

Charsley fand in ihrer Studie auch Hin­weise darauf, dass die Heirat mit einem Cousin, der in Pakistan lebt, der Heirat eines Cousin, der bereits im Ver­ei­nigten König­reich lebt, vor­zu­ziehen ist, weil Letz­terer trotz der erwünschten Nähe, um derent­willen eine Cou­si­nen­heirat geschlossen werden soll, als „zu nahe“ emp­funden werden kann:

„Asma deutete an, dass sie ihren bri­ti­schen Cousin ‚zu gut‘ kannte, um ihn zu hei­raten, und führte dies auf die oben ange­deu­teten Ver­bin­dungen zwi­schen Wohnnähe, Zusam­men­leben und emo­tio­naler Nähe zurück: ‚Ich habe mit ihm gelebt, bin mit ihm in die Kin­der­krippe gegangen, in die Schule. Er ist wie dein Bruder und du bist wie, „Yeuch [‚Igitt‘; Aus­druck des Ekels], ich will dich nicht hei­raten!“‚ Dieser Gedanke kann sogar auf nicht ver­wandte Männer aus­ge­weitet werden, die vor Ort leben; eine junge Frau erklärte, dass sie keinen Jungen aus Bristol hei­raten möchte, da sie ‚zu viel über ihn weiß‘. Innerhalb von Ver­wandt­schafts- und Orts­netz­werken scheint es, dass etwas Abstand not­wendig ist, um Raum für eine ehe­liche Beziehung zu schaffen. Die in Pakistan lebenden Cousins, denen man sel­tener begegnet, scheinen nicht so pro­ble­ma­tisch ’nah‘ zu sein …“ (Charsley 2007: 13–14).

Ori­gi­naltext:

„Asma sug­gested that she knew her British cousin ‘too well’ to marry him, attri­buting this to the lin­kages between resi­dential pro­ximity, asso­ciation, and emo­tional clo­seness sug­gested above: ‘I’ve lived with him, went to nursery with him, school with him. He’s like your brother and you’re like, “Yeuch [noise of disgust], I don’t want to marry you!”’ This sen­timent may even be extended to unre­lated men living locally, so that one young woman explained that she would not like to marry a boy from Bristol as she would ‘know too much about him’. Within net­works of kin and locality, it seems that some distance is needed to create space for a marital rela­ti­onship. Less fre­quently-encoun­tered cousins living in Pakistan may not seem so pro­ble­ma­ti­cally ‘close’ …“ (Charsley 2007: 13–14).

Einen nicht (so nah) ver­wandten Partner aus Pakistan zu hei­raten, ist auch nicht unbe­dingt eine Alternative:

„Das Bedürfnis, den Cha­rakter des Ehe­partners zu kennen, ist bei trans­na­tio­nalen Ehen besonders wichtig, da befürchtet wird, dass paki­sta­nische Ehe­partner nur ‚einen Pass hei­raten‘ oder dass sich bri­tische Paki­stani, die im deka­denten Westen auf­ge­wachsen sind, inak­zep­tablem Ver­halten hin­geben könnten, wie z.B. Alko­hol­konsum oder vor­ehe­lichen Bezie­hungen“ (Charsley 2007: 6).

Ori­gi­naltext:

„The need for know­ledge of the spouse’s nature is par­ti­cu­larly important in trans­na­tional mar­riages, with the fear that Paki­stani spouses may just be ‘mar­rying a passport’, or that British Paki­stanis who have grown up in the decadent West may indulge in unac­cep­table beha­viour such as alcohol use or pre­marital liaisons“ (Charsley 2007: 6).

Auf diese Weise kann die Migra­ti­ons­si­tuation als solche (bei ent­spre­chender Gesetz­gebung, die dies ermög­licht, im Auf­nah­meland) den „Import“ von Cousins/Cousinen aus dem Ausland als Hei­rats­partner von bereits im Auf­nah­meland lebenden Per­sonen befördern (s. hierzu auch Shaw 2002; 2014).

Eben­falls im Ver­ei­nigten König­reich wurde im Jahr 2007 die „Born in Bradford“-, d.h. „Geboren in Bradford“-Kohortenstudie initiiert mit dem Ziel

„… zu unter­suchen, wie sich gene­tische, ernäh­rungs­phy­sio­lo­gische, umwelt­be­dingte, ver­hal­tens­be­zogene und soziale Fak­toren auf die Gesundheit und Ent­wicklung in der Kindheit und im spä­teren Erwach­se­nen­leben in einer benach­tei­ligten mul­ti­eth­ni­schen Bevöl­kerung aus­wirken“ (Wright et al. 2013: 978).

Ori­gi­naltext:

„… to examine how genetic, nut­ri­tional, envi­ron­mental, beha­vioural and social factors impact on health and deve­lo­pment during childhood, and sub­se­quently adult life in a deprived multi-ethnic popu­lation“ (Wright et al. 2013: 978).

Bradford, Ver­ei­nigtes Königreich;
30,5% der Ein­wohner Brad­fords sind Muslime (Census 2012).

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Per­sonen süd­asia­ti­scher Her­kunft machten damals [im Jahre 2013, heute sind es 30,5%] 20 Prozent der Bevöl­kerung von Bradford, einer Stadt in West York­shire im mitt­leren England, aus, von denen 90 Prozent paki­sta­ni­scher Her­kunft waren, und etwa die Hälfte der gesamten Bevöl­kerung süd­asia­ti­scher Her­kunft in Bradford waren Paki­stani aus dem länd­lichen Mirpuri-Distrikt in Pakistan (Wright et al. 2013: 978–979). Wright et al. (2013: 978) berichten über Bradford weiter:

„Sechzig Prozent der in der Stadt gebo­renen Babys werden in den ärmsten 20% der Bevöl­kerung von England und Wales geboren, basierend auf dem bri­ti­schen Wohn­gebiet-Index für mul­tiple Depri­vation. Die Säug­lings­sterb­lichkeit in Bradford war durchweg über dem natio­nalen Durch­schnitt und erreichte im Jahr 2003 einen Höchst­stand von 9,4 Todesfällen/1000 Lebend­ge­burten, als der nationale Durch­schnitt 5,5 Todesfälle/1000 Lebend­ge­burten betrug. Das Niveau der ange­bo­renen Anomalien und der Kin­der­be­hin­derung gehört zu den höchsten in Großbritannien“.

Ori­gi­natext:

„Sixty percent of the babies born in the city are born into the poorest 20% of the popu­lation of England and Wales based on the British government’s resi­dential area Index of Mul­tiple Depri­vation. Infant mor­tality in Bradford has been con­sis­t­ently above the national average, peaking at 9.4 deaths/1000 live births in 2003, when the national average was 5.5 deaths/ 1000 live births, and levels of con­ge­nital anomalies and childhood disa­bility are among the highest in the UK“.

Zwi­schen den Jahren 2007 und 2011 wurden 12.453 schwangere Frauen mit ins­gesamt 13.776 Schwan­ger­schaften, die das Bradford Royal Infir­matory im Rahmen der rou­ti­ne­mä­ßigen Mut­ter­schafts­pflege besuchten, und 3.448 ihrer Partner für die Studie rekru­tiert. Etwa 50 Prozent von ihnen waren süd­asia­ti­scher Her­kunft, 50 Prozent nicht-süd­asia­ti­scher Herkunft.

Die Frauen wurden während der Schwan­ger­schaft medi­zinsch unter­sucht. Weitere Daten wurden von den Frauen bzw. den Eltern jeweils per Fra­ge­bogen in dem Zeitraum gesammelt, in dem Kinder, die die Frauen geboren hatten, zwi­schen sechs und 36 Monaten alt waren, und zwar in sechs Monate umfas­senden Abständen. Daneben wurde ein All­ergie-Test an den Kindern durch­ge­führt. Mit Bezug auf das Thema „Cou­si­ne­nehen“, das uns hier inter­es­siert, waren die Haupt­er­geb­nisse dieser Studie die folgenden:

„Von 11.396 Babys, für die Fra­ge­bo­gen­daten ver­fügbar waren, hatten 386 (3%) eine ange­borene Anomalie. Die Raten für ange­borene Anomalien betrugen 305,74 pro 10.000 Lebend­ge­burten, ver­glichen mit einer natio­nalen Rate von 165,90 pro 10.000. Das Risiko war für Mütter paki­sta­ni­scher Her­kunft größer als für Mütter weißer bri­ti­scher Her­kunft … Ins­gesamt waren 2013 (18%) Babys Nach­kommen von Ehen zwi­schen Cousins/Cousinen ersten Grades. Diese Babys waren haupt­sächlich paki­sta­ni­scher Her­kunft – 1922 (37%) von 5.127 Babys paki­sta­ni­scher Her­kunft hatten Eltern in Cou­si­ne­nehen ersten Grades. Bluts­ver­wandt­schaft war mit einer Ver­dop­pelung des Risikos für ange­borene Anomalien ver­bunden …; wir stellten keinen Zusam­menhang mit zuneh­mender Depri­vation fest. 31% aller Anomalien bei Kindern paki­sta­ni­scher Her­kunft konnten auf Bluts­ver­wandt­schaft zurück­ge­führt werden. Wir stellten einen ähn­lichen Risi­ko­an­stieg bei Müttern weißer bri­ti­scher Her­kunft fest, die älter als 34 Jahre waren … Bluts­ver­wandt­schaft ist ein Haupt­ri­si­ko­faktor für ange­borene Anomalien. Das Risiko bleibt auch nach Anpassung an [wirt­schaft­licher] Depri­vation bestehen und macht fast ein Drittel der Anomalien bei Babys paki­sta­ni­scher Her­kunft aus “ (Sheridan et al. 2013: 1350).

Ori­gi­naltext:

„Of 11,396 babies for whom ques­ti­on­naire data were available, 386 (3%) had a con­ge­nital anomaly. Rates for con­ge­nital anomaly were 305,74 per 10,000 live­births, com­pared with a national rate of 165,90 per 10,000. The risk was greater for mothers of Paki­stani origin than for those of white British origin … Overall, 2013 (18%) babies were the off­spring of first-cousin unions. These babies were mainly of Paki­stani origin — 1922 (37%) of 5127 babies of Paki­stani origin had parents in first-cousin unions. Cons­an­guinity was asso­ciated with a doubling of risk for con­ge­nital anomaly …; we noted no asso­ciation with incre­asing depri­vation. 31% of all anomalies in children of Paki­stani origin could be attri­buted to cons­an­guinity. We noted a similar increase in risk for mothers of white British origin older than 34 years … Cons­an­guinity is a major risk factor for con­ge­nital anomaly. The risk remains even after adjus­tment for depri­vation, and accounts for almost a third of anomalies in babies of Paki­stani origin“ (Sheridan et al. 2013: 1350).

Seit 2016 wurde die Studie aus­ge­weitet: die Kinder wurden nun bis in ihre Schulzeit hinein „ver­folgt“; For­scher machten Haus­be­suche, kognitive Tests mit den Kindern wurden in der Schule durch­ge­führt, und die Ent­wicklung der Kinder – ihre Gewichts­ent­wicklung, ihr Wachstum, ihr Akti­vi­täts­niveau – wurde sys­te­ma­tisch beob­achtet, und es wurden Blut­tests von ihnen genommen (s. https://closer.ac.uk/study/born-in-bradford/). Darüber hinaus wurde zweite Kohorte von schwan­geren Frauen – ins­gesamt 2.392 Frauen mit 2.626 Schwan­ger­schaften – zwi­schen Januar 2016 und November 2019 rekru­tiert (Small et al. 2024: 4 von 18). Für diese Kohorte konnte beob­achtet werden, dass:

„… es einen erheb­lichen Rückgang von Ver­wand­the­nehen bei Frauen paki­sta­ni­scher Her­kunft gab; der Anteil der Frauen, die Cou­sinen ersten Grades des Vaters ihres Babys waren, sank von 39,3% auf 27,0%, und der Anteil der­je­nigen, die auf andere Weise bluts­ver­wandt waren, sank von 23,1% auf 19,3%… Alle bis auf eine weiße bri­tische Befragte waren in beiden Kohorten nicht mit dem Vater ihres Babys ver­wandt, und etwa 90% der ‚anderen eth­ni­schen Gruppen‘ (d.h. keine weißen Briten oder paki­sta­ni­scher Her­kunft) waren in beiden Kohorten nicht mit dem Vater des Babys ver­wandt“ (Small et al. 2024: 1–2 von 18).

Ori­gi­naltext

„[t]here had been a sub­stantial decrease in cons­an­gui­neous unions in women of Paki­stani heritage, the pro­portion of women who were first cousins with the father of their baby fell from 39.3% to 27.0%, and those who were other blood rela­tions fell from 23.1% to 19.3% … All but one White British respondent was unre­lated to their baby’s father in both cohorts, and around 90% of the ‚Other eth­ni­cities‘ (i.e., not White British or Paki­stani heritage) were unre­lated to the baby’s father in both cohorts“ (Small et al. 2024: 1–2 of 18).

Die zweite Kohorte von Frauen wurde aus ver­schie­denen Gegenden von Bradford rekru­tiert und ist insofern nicht direkt mit der ersten Kohorte ver­gleichbar, und Small et al. berichten (2024a: 13 von 20), dass sie qua­li­tative Studien durch­führen, um die Gründe für den fest­ge­stellten Rückgang von Cou­si­ne­nehen her­aus­zu­finden. Sie berichten aber auch, dass die oben zitierten Ergeb­nisse über den Zusam­menhang zwi­schen Cou­si­ne­nehen und Babys mit ange­bo­renen Anomalien weithin publi­ziert wurden und es seit 2016 lokale Initia­tiven in Bradford gab, um über das gene­tisch bedingte Risiko für Nach­wuchs aus Cou­si­ne­nehen auf­zu­klären, vor allem in Gebieten, die hiervon besonders betroffen waren (Small et al. 2024a: 13 von 20). Mög­li­cher­weise erbringen die qua­li­ta­tiven Studien Belege für die Wirkung dieser Initia­tiven; dies­be­züglich bleibt abzuwarten.

In jedem Fall haben sich in Bradford For­scher des Themas ernsthaft (und nicht in poli­ti­scher bzw. beschö­ni­gender Absicht) ange­nommen – mit wenigen Aus­nahme wie z.B. Bhopal et al. 2014, die meinen, die Befunde, dass Frauen (in Bradford) in Ver­wand­te­nehen während der Schwan­ger­schaft sel­tener rauchen als Frauen in Ehen mit einem Nicht-Ver­wandten und dass Ver­wand­te­nehen (in Bradford) sel­tener in Ehe­scheidung enden als Ehen zwi­schen Ver­wandten, recht­fer­tigten eine (pau­schale) Rela­ti­vierung der gene­tisch bedingten Risiken von Nach­wuchs aus Cou­sinen- bzw. Ver­wand­te­nehen oder der Risiken für die Frauen, die diesen Nach­wuchs aus­tragen und ggf. gebären. Und lokale Orga­ni­sa­tionen und Behörden in Bradford (ebenso wie die paki­sta­nische Gemeinde in Bradford) haben sich dem Problem gegenüber auf­ge­schlossen gezeigt und waren bereit, zu reagieren bzw. sich in die Reihe der Länder oder Regionen ein­zu­fügen, in denen Cou­si­nen­hei­raten weit ver­breitet sind und in denen Initia­tiven, Orga­ni­sa­tionen oder Behörden Ver­suche gemacht haben, Cou­si­nen­hei­raten zu ent­mu­tigen, oder ent­spre­chende gene­tische Beratung anbieten. Das ist nicht überall in Europa der Fall, so z.B. in Deutschland.

Auch in Deutschland ist es einfach, das „Angebot“ an Hei­rats­partnern, die Cousins/Cousinen sind, im Zuge von Mas­sen­ein­wan­derung sicher­zu­stellen: Bei­spiels­weise können zwei Brüder mit ihren jewei­ligen Frauen und Kindern ein­reisen. Oder der Neffe oder die Nichte einer Person, die bereits mit Ehe­partner und Kind ein­ge­reist ist (z.B. als Arbeits­mi­grant oder unter einem anderen Auf­ent­halts­titel, reist später (wie­derum unter einem Auf­ent­halts­titel wie Asylsuchende/r oder zwecks Auf­nahme einer Aus­bildung …) ein. Die Anwe­senheit von Cousin oder Cousine zwecks Ehe­schließung im Land ist aber gar nicht not­wendig, denn jemand mit einem Auf­ent­halts­recht in Deutschland kann – wie im UK – eine Ehe im Ausland, dar­unter: in seinem Her­kunftsland, schließen und den Ehe­partner dann gemäß §30 Auf­enthG (Ehe­gat­ten­nachzug) ins Auf­nah­meland holen, auch dann, wenn die Ehe­partner Cousin und Cousine für­ein­ander sind, denn Ehen zwi­schen Cousins und Cou­sinen sind auch in Deutschland nicht verboten.

Darüber sieht §36 Auf­enthG die Mög­lichkeit des Nachzugs „sons­tiger Fami­li­en­an­ge­hö­riger“ vor, womit Ver­wandte ange­sprochen sind, die nicht zur Kern­fa­milie gehören, dar­unter Onkel, Tanten, Nichten und Neffen (s. https://familie.asyl.net/ausserhalb-europas/besondere-erteilungsvoraussetzungen/nachzug-sonstiger-familienangehoeriger#c203). Zwar ist diese Mög­lichkeit an här­te­fall­be­grün­dende Umstände gekoppelt, aber die Ein­schätzung inwieweit eine Krankheit oder „psy­chi­scher Not“ Umstände sind, die einen Här­tefall begründen, kann schwerlich in stan­dar­di­sierter Weise erfolgen (und soll es auch nicht, sondern den Ein­zelfall wür­digen,) und wird deshalb immer auch von sub­jek­tiven Ein­schät­zungen von Ange­stellten an Ämtern und ggf. Anwälten und Richtern abhängen.

Anders als das Ver­ei­nigte König­reich befinden sich Regie­rungen und Ver­wal­tungen in Deutschland aber derzeit – zumindest offi­ziell – (noch?) in einem naiven Zustand was die impor­tieren Cou­si­ne­nehen bzw. den Nach­wuchs aus Cou­si­ne­nehen betrifft: sie sind sich über die ent­spre­chenden Risiken nicht im Klaren bzw. rela­ti­vieren die Risiken durch Verweis auf andere Befunde wie z.B. auf den oben berich­teten aus der Bradford-Studie, nach dem das ent­spre­chende Risiko für Nach­wuchs aus Cou­si­ne­nehen nicht höher sei als für nicht-ver­wandte Eltern­paare, bei denen die Mutter älter als 34 Jahre alt ist – ganz so, als würde das eine Risiko durch die Existenz des anderen auf irgendeine Weise zu einem weniger ernst­zu­neh­menden mit weniger ernst­zu­neh­menden Folgen. Oder es wird ver­sucht, dem Thema von Anfang an aus dem Weg zu gehen, indem ver­sucht wird, jeden, der es anspricht, als „ras­sis­tisch“ zu brand­marken – so geschehen z.B. in Deutschland im Zusam­menhang mit dem auf­fällig erhöhten Säug­lings­sterben in Neu­kölln im Jahr 2018.

Damals haben Teile der main­stream-Presse gemeint, vom „Mythos Ver­wand­tenehe“ schreiben zu müssen (ohne zu erklären, worin genau der dies­be­züg­liche „Mythos“ bestehen sollte) und allerlei Dinge vor­ge­schlagen, die zum erhöhten Säug­lings­sterben in Neu­kölln geführt haben könnten, so z.B. in der Ber­liner Mor­genpost vom 07.10. 2018, wo – allen Ernstes – über­lastete Bera­tungs­stellen als Grund für das erhöhte Säug­lings­sterben vor­ge­schlagen wurden, ebenso wie die (zu) späte Ent­de­ckung von Kom­pli­ka­tionen – die bis hin zum spon­tanen Verlust des Fötus reichen können – während der Schwan­ger­schaft, die jedoch ihrer­seits bei Frauen, die ein Kind von einem Cousin im Leib tragen, erhöht sind (Choudry et al. 2020; Jaber et al. 2023; Magh­soudlou et al. 2015; Warsy et al. 2020). Kom­pli­ka­tionen während der Schwan­ger­schaft sind – unab­hängig vom Zeit­punkt ihrer Ent­de­ckung – also nicht unab­hängig davon, ob die Eltern des Fötus mit­ein­ander ver­wandt sind oder nicht, so dass es irre­führend ist, wenn Kom­pli­ka­tionen während der Schwan­ger­schaft als zur Ver­wandt­schaft der Eltern alter­native Erklärung für Säug­lings­sterben oder das Sterben von Föten dar­ge­stellt wird.

Der Tages­spiegel hat den „Mythos Ver­wand­tenehe“ in einem Artikel vom 22.06.2018, ver­fasst von Susanne Donner, zu dis­kre­di­tieren ver­sucht, indem er die Aussage von Falko Liecke, dem dama­ligen Gesund­heits­stadtrat von Neu­kölln, von der CDU, nach der in diesem Zusam­menhang von einer „… Häufung von Ver­wand­te­nehen“ zu denken sei, nicht sachlich, sondern ideo­lo­gisch qua­li­fi­zierte als etwas, das „in die gleiche Richtung [gehe] wie eine Anfrage der AfD im Bun­destag im April, wie sich ‚die Zahl der Behin­derten seit 2012 ent­wi­ckelt habe“. Und weil das nicht genügte, musste Frau Donner im Artikel zudem ein Zitat von Bittles ver­ar­beiten, in dem Bittles bemerkte, dass „‚[d]ie Dis­kussion um die Ver­wand­tenehe ‚leider ras­sis­tisch und anti­mus­li­misch auf­ge­laden‘ sei, nicht ohne anzu­fügen, dass Bittles eine „Koryphäe auf dem Gebiet“ sei, was seine Beob­achtung, die mit seiner fach­lichen Kom­petenz nichts zu tun hat, anscheinend glaubhaft machen sollte

Aber auch dann, wenn zutrifft, dass das Thema „Ver­wand­tenehe“ von manchen ideo­lo­gisch statt sachlich behandelt wird – so z.B. von Frau Donner im Artikel aus dem Tages­spiegel –, bedeutet dies nicht not­wen­di­ger­weise, dass die Dis­kussion (deshalb) unter­drückt werden müsste, denn bei der Dis­kussion geht es um die Lebens­qua­lität von Men­schen, den Kindern aus Cou­si­ne­nehen, ihren Eltern, den Ver­wandten, wenn nicht um das Leben der Kinder aus diesen Ehen schlechthin. Deshalb ist es men­schen­ver­achtend und zynisch, die Dis­kussion um Cou­si­ne­nehen mit Verweis auf All-Zweck-Floskeln wie „ras­sis­tisch“ oder „anti-mus­li­misch“ unter­drücken zu wollen. Wenn diese Dis­kussion Men­schen aus bestimmten Ländern oder eth­ni­schen Gruppen oder Men­schen bestimmter Reli­gi­ons­an­ge­hö­rigkeit stärker betrifft als anderen, dann hat dies z.B.

„… kei­nerlei Relevanz für die Beur­teilung der objek­tiven Vor­teile, die sich aus einem Verbot der Cou­sinehe ergeben“ (Nash 2024: 12),

Ori­gi­naltext:

„… no rele­vance wha­tever to an assessment of the objective benefits acc­ruing from a ban on cousin mar­riage“ (Nash 2024: 12).

geschweige denn für die bloße Dis­kussion des Pro­blems. Und wenn diese Dis­kussion „ras­sis­tisch“ oder „anti-mus­li­misch“ wäre, dann müsste man not­wen­di­ger­weise schließen, dass die Leute in Saudi-Arabien, in Pakistan und vielen anderen Ländern, in denen Cou­si­nen­heirat häufig oder die prä­ge­rierte Form der Ehe­schließung ist, „ras­sis­tisch“ gegen sich selbst sind bzw. selt­sa­mer­weise als Muslime „anti-mus­li­misch“ ein­ge­stellt sein müssen, denn wie oben berichtet, findet dort nicht nur eine Dis­kussion statt, sondern es werden auch Kon­se­quenzen aus ihr gezogen. Ver­weise auf „Ras­sismus“ u.ä.m. sind also unsinnig.

Dennoch hat der „Mythos Ver­wand­tenehe“ die Leute beim Tages­spiegel nicht ruhen lassen: Im Jahr 2020 war Neu­kölln dort immer noch bzw. wieder ein Thema, und unter dem Titel „Säug­lings­sterb­lichkeit in Neu­kölln[.] Zusam­menhang mit Ver­wand­te­nehen lässt sich nicht belegen“ wird dort – diesmal unter Autoren­schaft einer Madlen Haarbach – berichtet:

„Nun liegen die Ergeb­nisse der von Liecke [vom Neu­köllner Stadtrat für Jugend und Gesundheit] ange­regten Unter­su­chung vor. Der Bericht, der dem Tages­spiegel vor­liegt, zeigt vor allem: Um die Ursachen der erhöhten Säug­lings­sterb­lichkeit zu klären, fehlen schlichtweg Daten. Und: Lieckes These zu den Ver­wand­te­nehen lässt sich weder bestä­tigen noch widerlegen“,

wobei das „noch wider­legen“ im Titel des Artikel unter­schlagen wurde, was das Anliegen, das mit der Ver­öf­fent­li­chung dieses Artikel ver­bunden war, hin­rei­chend deutlich macht.

Es sei angefügt, dass die zitierten Artikel (und viele mehr) ohne jeden Verweis auf die Vielzahl der Studien aus­kommen, die belegen, dass das Risiko für Kinder aus Cou­si­ne­nehen, an einer schweren Krankheit zu leiden, deutlich erhöht ist.

Besonders dreist ist dabei die Unter­schlagung der Studie von Becker et al. aus dem Jahr 2015, die auf einer Stich­probe just aus Berlin beruht: Sie basiert auf sono­gra­phi­schen Unter­su­chungen, die im Verlauf von 20 Jahren in einem spe­zia­li­sierten Refe­renz­zentrum in Berlin (genau: vom 2. Januar 1993 bis zum 30. Dezember 2012) an ins­gesamt 35.391 Föten in 34.256 Schwan­ger­schaften ab der 10. Schwan­ger­schafts­woche vor­ge­nommen wurden. 675 (oder 1,9%) der unter­suchten Föten hatten Eltern, die mit­ein­ander ver­wandt waren, und 307 (oder 45,5%) Eltern­paare waren Cousin und Cousine ersten Grades. 61,5 Prozent aller Frauen in Ver­wand­te­nehen waren tür­ki­scher Abstammung, 33,6 Prozent gehörten eth­ni­schen Gruppen oder Natio­na­li­täten aus dem öst­liche Mit­tel­meerraum oder dem Maghreb an (wor­unter die Autoren Men­schen aus dem Iran, Irak, Israel, Kuwait, dem Libanon, Oman, Pakistan, Palästina, Syrien, Saudi Arabien, Yemen, Ägypten, Algerien, Libyen, Marokko, Tunesien und dem Sudan fassen), 1,6 Prozent süd‑, südost- oder ost­asia­ti­scher Abstammung und 3,3 Prozent waren euro­päi­scher Abstammung.

Becker et al. (2015: 81) berichten:

„Die Gesamt­prä­valenz schwer­wie­gender Anomalien bei Föten mit nicht bluts­ver­wandten Eltern betrug 2,9% (Bluts­ver­wandte: 10,9%; Cousin/Cousine ersten Grades: 12,4%; jen­seits einer Ver­wandt­schaft über Cousin/Cousine ersten Grades hinaus: 6,5%). Bereinigt um die Gesamtzahl der Fälle, die auf­grund eines frü­heren Index­falls über­wiesen wurden, betrugen die Prä­va­lenzen 2,8% (nicht bluts­ver­wandt) und 6,1% (bluts­ver­wandt) (Cousin/Cousine ersten Grades, 8,5%; über den ersten Cousin hinaus, 3,9%).

Ori­gi­naltext:

„Overall pre­va­lence of major anomalies among fetuses with non-cons­an­gui­neous parents was 2.9% (cons­an­gui­neous, 10.9%; first cousins, 12.4%; beyond first cousins, 6.5%). Adjusting the overall numbers for cases having been referred because of a pre­vious index case, the pre­va­lences were 2.8% (non-cons­an­gui­neous) and 6.1% (cons­an­gui­neous) (first cousin, 8.5%; beyond first cousin, 3.9%)“.

Ange­sichts dieser Ergeb­nisse aus Berlin haben sich die Autoren in ihrem Text, also bereits im Jahr 2015, dafür aus­ge­sprochen, gene­tische Beratung bereit­zu­stellen, die über die erhöhten Risiken von Ver­wand­te­nehen aufklären,

„… ins­be­sondere in mul­ti­eth­ni­schen und mul­ti­re­li­giösen Gemeinden, damit Paare dazu befähigt werden, infor­mierte Ent­schei­dungen zu treffen“ (Becker et al. 2015: 81).

Ori­gi­naltext:

„… espe­cially in multi-ethnic and multi-reli­gious com­mu­nities, to enable couples to make informed decisions“ (Becker et al. 2015: 81),

Die Zeit­schrift, in der diese Studie gedruckt wurde, nennt bis heute lediglich 20 Texte, die diese Studie ihrer­seits zitiert haben, keine davon mit direktem Bezug auf Cou­si­ne­nehen in der Bevöl­kerung mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in Deutschland (s. https://obgyn.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/pd.4487 unter „Citing Lite­rature“). Sucht man in der Such­ma­schine „Startpage“ nach – auf Deutschland beschränkten – Nen­nungen von „Becker“ gemeinsam mit dem Titel der Studie, dann findet man zwei Ein­träge; beide ver­weise auf jeweils eine der Seiten der Mit­au­toren von Becker.

Offenbar gibt es kei­nerlei Interesse auf Seiten von For­schern oder von Behörden in Deutschland, die gene­ti­schen Risiken von Cou­si­ne­nehen anzu­er­kennen und darüber zu infor­mieren. Vielmehr ist man gewillt, die­je­nigen, die unmit­telbar von diesen Risiken betroffen sind – Kinder und Eltern in Cou­si­nen­hei­raten – ihrem „Schicksal“ zu über­lassen, und sie finan­ziell auf alle (Zwangs-)Versicherten in der Kranken- und Pfle­ge­ver­si­cherung Deutsch­lands umzuverteilen.

Zutreffend ist, dass diese Risiken (auch) in Deutschland – in Abhän­gigkeit der vari­ie­renden Anzahl von Cou­si­ne­nehen – an ver­schie­denen Orten und für ver­schiedene eth­nische oder reli­giöse Gruppen ver­schieden sein dürften. Aber genau dies wäre durch ver­ant­wort­liche Politik und For­schung her­aus­zu­finden und öffentlich zu machen, um auf dieser Infor­ma­ti­ons­basis den Umgang mit diesen Risiken ver­nünftig dis­ku­tieren zu können.

Statt dessen ist das Thema – bislang jeden­falls – in Deutschland ein Tabu-Thema und wird, falls es auf­tauchen sollte, wie damals in Neu­kölln, im Keim zu ersticken ver­sucht, indem die Beschäf­tigung damit als „ras­sis­tisch“ bezeichnet wird. Einmal mehr sorgen Men­schen, die meinen, gute Men­schen zu sein (in ihren Augen jeden­falls bessere als all ihre „ras­sis­ti­schen“ Mit­men­schen), für reale Sorgen und reales Leid realer Men­schen. Die­selben Men­schen sollen durch Tabui­sierung dieser Fakten vor „Ras­sismus“ o.ä. angeblich geschützt werden. Aber den Preis für diese sym­bo­lische Politik zahlen reale Men­schen in „harter“ Währung, nämlich mit ihrer Gesundheit oder gar ihrem Leben (wobei die finan­zi­ellen Auf­wen­dungen, die alle Kranken-und ‑Pfle­ge­ver­si­cherten erbringen müssen, hier nur am Rande genannt seien.

Die sym­bo­lisch „gute“ Gesell­schaft ist in der Rea­lität allzu oft eine men­schen­ver­ach­tende Gesell­schaft, in der alles tabui­siert oder zen­siert wird, was der Ideo­logie oder Politik der – in unüber­trof­fener Ironie so bezeich­neten – „Eliten“ widerspricht.


Lite­ratur

Becker, Rolf, 2015: Cons­an­guinity and Pregnancy Out­comes in a Multi-ethnic, Metro­po­litan European Popu­lation. Pre­natal Dia­gnosis 35(1): 81–89

Bener, Abdulbari, Abou-Saleh, Mohammad T., Mohammad, Ramzi M., et al., 2016: Does Cons­an­guinity Increase the Risk of Mental Ill­nesses? A Popu­lation-based Study. Inter­na­tional Journal of Culture and Mental Health 9(2): 172–181

Bener, Abdulbari, Dafeeah, Elnour E., & Samson, Nancy, 2012: Does Cons­an­guinity Increase the Risk of Schi­zo­phrenia? Study Based on Primary Health Care Centre Visits. Mental Health in Family Medicine 9(4): 241–248

Bhopal, Raj. S., Petherick, Emily, Wright, John, & Small, Neil, 2014: Potential Social, Eco­nomic and General Health Benefits of Cons­an­gui­neous Mar­riage: results from the Bon in Bradford Cohort Study. European Journal of Public Health 24(5): 862–869

Charsley, Katherine A. H., 2007: Risk, Trust, Gender and Trans­na­tional Cousin Mar­riage among British Paki­stanis. Peer reviewed version, author accepted manu­script. Open access via the Uni­versity of Bristol. https://research-information.bris.ac.uk/files/81596864/charsleyersrevised.pdf; published in: Ethnic and Racial Studies 30(6): 1117–1131

Choudry, Abeera, Habib, Maria, Shamem, Zainab, et al., 2020: Effect of Cons­an­gui­neous Mar­riages on Peri­natal Out­comes. Pakistan Armed Forces Medical Journal 70(3): 727–733

Dobrusin, Michael, Weitzman, Dahlia, Levine, Joseph, et al., 2009: The Rate of Cons­an­gui­neous Mar­riages among Parents of Schi­zo­phrenic Patients in the Arab Bedouin Popu­lation in Sou­thern Israel. World Journal of Bio­lo­gical Psychiatr 10(4): 334–336.

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Zuerst erschienen bei ScienceFiles.org.