Das Ende eines Unbe­rühr­baren? IStGH erlässt Haft­befehl gegen Netanyahu!

Ein Tabu scheint gebrochen: War bisher alles, was der Israe­lische Regie­rungschef Ben­jamin Net­anyahu tat, sakro­sankt und jede Kritik als anti­se­mi­tisch verfemt, schlägt diese Nach­richt ein, wie eine Bombe: Der Inter­na­tionale Straf­ge­richtshof hat einen Haft­befehl gegen den israe­li­schen Minis­ter­prä­si­denten (75) erlassen. Der Tat­vorwurf: Ver­dacht auf Kriegs­ver­brechen im Gaza­streifen. Selbst die BILD, immer in Treue fest an der Seite Israels, berichtet das ganz sachlich, ohne die üblichen Rüffel wegen Antisemitismus.

„Ver­brechen gegen die Mensch­lichkeit und Kriegsverbrechen“

Es gibt auch Haft­be­fehle gegen den ehe­ma­ligen Ver­tei­di­gungs­mi­nister Jow Gallant (66). Gegen ihn wurde ein Haft­befehl erlassen, aller­dings auch gegen Mohammed Deif (58), den mili­tä­ri­schen Führer der Hamas-Ter­ror­gruppe. Die BILD schreibt:

„Der Haft­befehl gegen Netanjahu und Galant sei wegen Ver­brechen gegen die Mensch­lichkeit und Kriegs­ver­brechen ergangen, die im Zeitraum vom 8. Oktober 2023 bis min­destens 20. Mai 2024 begangen worden seien, so das Tribunal.“

Diese Nach­richt löste in Israel natürlich abso­lutes Unver­ständnis aus. Isaac Herzog, der Prä­sident Israels stufte diese Ent­scheidung des IStGH sofort als „absurd“ ein und teilte sofort gegen das Gericht aus, es habe sich damit „auf die Seite des Terrors und des Bösen“ gestellt, anstatt auf die der Demo­kratie und Freiheit. Und weiter warf er dem Inter­na­tio­nalen Gerichtshof vor, das Rechts­system in ein „mensch­liches Schutz­schild für die Ver­brechen der Hamas gegen die Mensch­lichkeit ver­wandelt“ zu haben.

Das ist sehr wort­ge­waltig, aber wenig ziel­führend. Hier wird mit Gut gegen Böse argu­men­tiert, der IStGH ist aber keine Reli­gi­ons­ge­mein­schaft, sondern ein Gericht, das die Tat­merkmale zu prüfen hat, die sehr genau umrissen sind – und ent­weder treffen sie zu oder nicht, oder es kann nicht nach­ge­wiesen werden. So arbeiten Gerichte. Es geht nicht um die Kate­gorien Gut und Böse und es geht auch nicht um Demo­kratie und Freiheit, sondern darum, ob die Merkmale eines Kriegs­ver­bre­chens erfüllt wurden oder nicht. Auch wenn es der Selbst­ver­tei­digung dient, sind Kriegs­ver­brechen, wenn es denn welche sind, nicht erlaubt.

Pre­mier­mi­nister Net­anyahu selbst lehnt den Haft­befehl „mit Abscheu“ ab. Ob schuldig oder nicht, kein Tat­ver­däch­tiger begrüßt einen Haft­befehl mit Freude. Und es gibt eine Menge Leute auf dieser Welt, die das für die richtige Ent­scheidung des IStGH halten.

Das ist nicht der erste Haft­befehl gegen Premier Netanyahu

In mehr als 120 Staaten drohen dem israe­li­schen Premier Ver­haf­tungen. Auch seinem ehe­ma­ligen Ver­tei­di­gungs­mi­nister Joav Gallant. Die Auswahl an Staaten, in die sie ein­reisen könnten, ohne dass sofort die Hand­schellen klicken, ist nun wieder kleiner geworden. Sogar Deutschland wäre dazu ver­pflichtet und kann nur hoffen, dass es zu diese höchst unan­ge­nehme Situation nicht kommt, dass Herr Net­anyahu eine Reise nach Berlin plant. Denn der Erlass des Inter­na­tio­nalen Straf­ge­richtshofs (IStGH) ist eigentlich auch für die Bun­des­re­publik Deutschland bindend.

Die taz, immer eher auf der Seite der Paläs­ti­nenser, aber eben­falls sakro­sankt, da ja links und nicht rechts, schreibt:

„Sechs Monate nach dem ent­spre­chenden Antrag des Chef­an­klägers Karim Khan und inzwi­schen über 40.000 im Krieg getö­teten Paläs­ti­nen­se­rInnen werden Netanjahu und sein frü­herer Ver­tei­di­gungs­mi­nister in eine Reihe mit den übelsten Kriegs­ver­bre­chern gestellt, Seite an Seite auch mit Wla­dimir Putin. So liege begrün­deter Ver­dacht auf das Aus­hungern als Kriegs­me­thode vor und für den vor­sätz­lichen Angriff auf die Zivil­be­völ­kerung im Gaza­streifen. An einem Tag, an dem aus dem Kriegs­gebiet erneut der Tod von über 50 Men­schen gemeldet wird, kann man der Ent­scheidung in Den Haag nur zustimmen. Misslich ist aller­dings, dass der Haft­befehl gegen Netanjahu zeit­gleich mit dem Haft­befehl gegen Mohammed Deif kommt, der Erz­ter­rorist und frühere Chef der Kassam-Bri­gaden. So ent­steht der Ein­druck einer Gleich­setzung der Hamas mit Israel. Die Gründe dafür, warum dieser Krieg über­haupt erst ange­fangen hat, rücken in den Hintergrund.“

Inter­essant, für die taz gibt es gute und schlechte Kriegs­ver­brecher? Und Mohammend Deif ist schon längst nicht mehr unter den Lebenden, weil eben von Israel getötet. Warum dann stellt das IStGH einen Haft­befehl gegen ihn aus? Viel­leicht, um gerade das zu signa­li­sieren: „Seht, wir sind unparteiisch!“?

Wenn zwei das­selbe tun, so ist es nicht das Gleiche?

Die taz merkt an: „Ein Unrecht mit einem anderen Unrecht zu rela­ti­vieren, funk­tio­niert natürlich nicht. Und wenn isla­mische Extre­misten mit ihren Grau­sam­keiten im Grunde nie­manden über­ra­schen dürften, ist die Erwartung an eine demo­kra­tisch gewählte Regierung, die enge Bezie­hungen zu den west­lichen Indus­trie­staaten unterhält, doch eine andere. Dass die Paläs­ti­nen­se­rInnen im Gaza­streifen kol­lektiv in Haft für die Gräu­el­taten der Hamas genommen werden, muss ein Ende haben. Bislang zeigen weder die innen­po­li­ti­schen Pro­teste gegen Netanjahu noch die inter­na­tio­nalen Mah­nungen Wirkung. Zum ersten Mal wird Israels Regie­rungschef mit einer für ihn per­sönlich bit­teren Maß­nahme kon­fron­tiert. Es wird ihn nicht zum Umdenken bringen, aber die Richtung stimmt.

Die Frank­furter All­ge­meine dagegen bezieht sehr ein­deutig Stellung: „Gegen Ter­ro­risten und Demo­kraten in einem Auf­wasch“ lautet die Titel­zeile. Bisher, so die FAZ, „war der den Haager Gerichtshof in der Praxis allen­falls ein Tri­bunal für afri­ka­nische Des­poten“. Ach, wirklich? Da scheint doch noch ein recht wider­stands­fä­higer Bodensatz an Rest-Ras­sismus vor­handen zu sein. Und im Subtext schwingt dann auch noch arrogant mit, dass das ja schön und gut sei, irgend­welche „afri­ka­ni­schen Des­poten“ mit Haft­be­fehlen zu pieksen, wo die ja sowieso nicht nach Europa kommen, sondern in ihren Mario­net­ten­staaten bleiben, denn woanders haben die ja eh nichts zu suchen. Aber den Regie­rungschef eines ECHTEN Staates, wie Israel, mit Haft­befehl fest­nehmen zu lassen, dahin solle sich das putzige Gericht wohl besser nicht versteigen?

Das heißt doch nicht anderes, als dass die Faz sich anmaßt, das IStGH als eine Folklore-Ein­richtung und Alibi-Bude von Hobby-Juristen herunterzuputzen:

„Ein Haft­befehl gegen den israe­li­schen Minis­ter­prä­si­denten stößt da in eine andere Dimension vor. Netanjahu ist Regie­rungschef eines demo­kra­ti­schen Rechts­staats, der den Straf­ge­richtshof ablehnt – über dessen Zustän­digkeit für den „Staat Palästina“ man im Übrigen streiten kann.“

Ach, sieh an, aber dass der IStGH auch einen Haft­befehl gegen Prä­sident Putin erwägt, das wie­derum findet die FAZ aber durchaus in Ordnung. Stellt Russland und Prä­sident Wla­dimir Putin auch so einen nicht ernst­zu­neh­menden Staat und Prä­si­denten dar, wie die „afri­ka­ni­schen Des­poten“? Welche Arroganz dieser auf­la­gen­schwä­chelnden Papier­zeitung. Etwas mehr Beschei­denheit und Objek­ti­vität täte dem Ver­fasser des Artikels, Herrn Reinhard Müller, gut.

Viele Men­schen, Staaten und Regie­rungen, die keine Ter­ro­risten sind, kri­ti­sieren Net­an­yahus Vor­gehen im Gaza

Und im Fol­genden ver­heddert er sich ziemlich, der Herr Müller:

„Vor allem Deutschland, wich­tiger Geburts­helfer des Nach­folgers des alli­ierten Nürn­berger Mili­tär­tri­bunals, ist jetzt gezwungen, Flagge zu zeigen. Es steht zwi­schen der Pflicht, den Haft­befehl voll­strecken zu helfen, und seiner selbst erklärten Staats­räson. Die umfasst sicher nicht die Duldung mög­licher israe­li­scher Ver­brechen, die bei Weitem nicht nur Den Haag in dem Vor­gehen gegen Zivi­listen erkennt.“

Das stimmt zwar, aber warum darf dann das IStGH zwar gegen Prä­sident Putin, gegen „afri­ka­nische Des­poten“ aber nicht gegen die mög­li­cher­weise ver­ant­wort­lichen Israe­li­schen Beschul­digten einen Haft­befehl erlassen? Dass Deutschland da ein Problem mit hat, aus nach­voll­zieh­baren Gründen, ist richtig und wir können ziemlich sicher davon aus­gehen, dass Her Prä­sident Net­anyahu hier nicht auf­kreuzen wird. Aber wozu gibt es denn einen Inter­na­tio­nalen Straf­ge­richtshof, wenn der keine Haft­be­fehle erlassen kann? Ob Israel den Haag aner­kennt oder nicht, ist dabei zweit­rangig. Gerichte haben einen Wir­kungs­be­reich, und wer sich in ihren Wir­kungs­be­reich begibt, unter­liegt den Regeln des dort aner­kannten Gerichtes.

„Gezielte Tötung, Aus­hungern, sowie Ver­nichtung und/oder Mord“

Ein UN-Bericht bescheinigt Israel, dass seine Methoden in Gaza einem Völ­kermord gleich­kommen. Und wir, im Rest der Welt, sehen ja auch diese Bilder.

Daher hatte IStGH-Chef­an­kläger Karim Khan in seinem Antrag Premier Netanjahu und Ex-Ver­tei­di­gungs­mi­nister Gallant den Ver­dacht der „gezielten Tötung, Aus­hungern sowie Ver­nichtung und/oder Mord” im Zuge des Gaza-Krieges vor­ge­worfen. Und noch schlimmer: Die deutsche Bun­des­re­gierung und weitere west­liche Staaten unter­stützten die mut­maßlich von Netanjahu und Gallant began­genen Kriegs­ver­brechen im Gaza­streifen auch noch durch Waf­fen­lie­fe­rungen. Dass Deutschland sich aus diesen Dingen wei­test­gehend her­aus­hielte, wäre ver­ständlich. Aber noch die Tötungs­ma­schi­nerie füttern …

Letzt­endlich muss man natürlich sagen, dass diese Haft­be­fehle sinnlos sind, da sie der Tat­ver­däch­tigen ja gar nicht habhaft werden können. Der Straf­ge­richtshof verfügt über keine Exe­kutive, also Polizei oder UN-Sol­daten, die den Haft­befehl umsetzen könnten. Weder Pre­mier­mi­nister Net­anyahu noch Ex-Minister Gallant werden sich stellen. Aber dieser Haft­befehl hat wahr­scheinlich im Inneren Israels auch die Kri­tiker Net­an­yahus wieder geschlossen hinter ihm vereint und damit eine Lösung der kata­stro­phalen Situation in Gaza wieder in weite Ferne gerückt.