Natürlich ist die Reise des Entwicklungsministers, Frau Svenja Schulze, nach Syrien keineswegs eine politische Unterstützung für die neuen Machthaber. Nicht doch! Aber die Geldgeschenke, die sie auf dem Buckel des deutschen Steuerzahlers verschenkt, sind es de facto schon. Nicht missverstehen: Es ist eine gute Sache, dem gequälten Volk Syriens zu helfen, das nun noch schlechteren Zeiten entgegensieht als unter dem Präsidenten Bashar al-Assad. Der übrigens im Volk nicht so verhasst war, wie in den westlichen Medien dargestellt. Insbesondere schätzten die Bürger, dass alle Religionsgemeinschaften unter dem Schutz der Regierung standen und Religionsfreiheit und Toleranz für alle Glaubensbekenntnisse herrschte.
„Wie der Westen Syrien zerstörte“ Interview mit Peter Ford (ANTIWAR.com)
Der britische Botschafter Peter Ford diente dem Außenministerium in Bahrain und anschließend in Syrien von 2003 bis 2006. Anschließend diente er als Repräsentant des Generalkommissars des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) in der arabischen Welt. In einem Interview mit Rick Sterling zeichnete dieser Kenner Syriens und Palästinas ein Bild der Lage dort. Sein Urteil lautet: Der Westen hat Syrien zerstört.
Die schnelle Flucht und der fehlende Willen der syrischen Armee zu kämpfen, hatte seinen Grund. Nämlich darin, dass über zehn Jahre lang wegen der entsetzlich schlechten wirtschaftlichen Situation aufgrund westlicher Sanktionen die Armee in einem maroden Zustand war und die Soldaten keinen Kampfesmut hatten, zumal sie weder technisch noch moralisch Kampfbereit war, sagt Peter Ford. Das Land konnte nicht einmal Waffen kaufen, um sich zu verteidigen. Die Armee bestand hauptsächlich aus Wehrpflichtigen, denen es genauso dreckig ging, wie dem Volk.
Das Volk gab natürlich der Regierung die Schuld
Das Leben war schwierig, es gab nur zwei Stunden am Tag Strom, es gab kaum Geld und keine Banken. Etwas zu kaufen war praktisch unmöglich. Peter Ford sagt glasklar: „Die westlichen Sanktionen haben das, was sie erreichen sollten, äußerst effektiv erreicht: die syrische Wirtschaft in die Knie zu zwingen. Wir müssen also sagen, und ich sage dies mit tiefem Bedauern, dass die Sanktionen funktioniert haben. Die Sanktionen haben genau das erreicht, was sie erreichen sollten: das syrische Volk leiden zu lassen und dadurch Unzufriedenheit mit dem zu erzeugen, was sie das Regime nennen.“
Die normalen Syrer verstanden die Komplexität der Geopolitik nicht und gaben der syrischen Regierung die Schuld an allem: kein Strom, keine Nahrungsmittel, kein Gas, kein Öl, hohe Inflation. Gleichzeitig war das Land Angriffen von allen Seiten ausgesetzt: Die Türkei versuchte, ganze Landstriche hinter der türkisch-syrischen Grenze zu vereinnahmen, die USA mischte sich gewaltsam ein und Israel unternahm ständige Vorstöße auf die an Israel angrenzenden Golanhöhen. Die sie auch SOFORT nach dem Sturz Präsident Assads besetzten.
Nicht genug damit, gab es auch dauernd Attentate und Angriffe von Dschihadisten. Peter Ford gibt für all das dem „Westen“, also hauptsächlich Amerika und der militärischen Regionalmacht Israel die Schuld, denn die USA und Israel, so Peter Ford, haben die Dschihadisten vom HTS ausgebildet. Er enthüllt damit auch, wer hinter der Blitzübernahme Syriens steckt:
„Der Anführer von Hayat Tahrir al Sham (HTS), Ahmed Hussein al Sharaa (früher bekannt als Mohammad abu Jolani), hat mit ziemlicher Sicherheit britische Berater im Hintergrund. Tatsächlich habe ich die Handschrift solcher Berater in einigen der in tadellosem Englisch abgegebenen Aussagen entdeckt. Die Aussagen hatten eine amerikanisierte Rechtschreibung, also ist auch die CIA dabei. Jolani ist eine Marionette, eine Marionette, die sagt, was sie von ihm hören wollen.“
Es gibt Widerstand in Syrien gegen die HTS
Natürlich wissen die Nicht-Sunniten in Syrien, was ihnen blüht. Der sunnitische Taliban-Abkömmling HTS ist nicht für seine religiöse Toleranz bekannt. Jetzt folgt die Führung des HTS noch den Befehlen der USA und Großbritanniens, weil ihre Macht noch lange nicht stabilisiert ist. Aber das wird nicht immer so weitergehen.
Laut Peter Ford gibt es Widerstandsnester: In Latakia kämpfen die Alawiten wortwörtlich um ihr nacktes Leben. Die HTS versucht aber auch durch Überfälle, Waffen zu konfiszieren. Nicht nur die Alawiten leisten Widerstand, es gibt auch Widerstandsnester im Süden, wo es lokale drusische Milizen gibt. Die HTS hat dagegen nicht viele Kämpfer. Noch ist nicht sicher, dass sie sich halten können und tatsächlich das Land unterwerfen. Der Sieg gegen die demotivierte syrische Armee von Rekruten war leicht, sie mussten nie wirklich kämpfen. Peter Ford vermutet, dass die Mannstärke der HTS nur etwa 30.000 Kämpfer zählt — und die sind über ganz Syrien verteilt. Der kurdische Widerstand im Nordosten ist nicht zu unterschätzen, denn diese Männer sind hart und kampferprobt und wissen, dass sie um ihr Leben und das der Frauen und Kinder kämpfen.
Dennoch, so berichtet Peter Ford, führen sich die HTS und Verbündete als die Herrscher auf, hissen überall ISIS- und Al-Kaida-Fahnen, schikanieren die Syrer, bedrohen sie, plündern und konfiszieren und Schlimmeres:
„Sich ergebende christliche wie auch alawitische Soldaten werden im Schnellverfahren vor Gericht gestellt, Hinrichtungen am Straßenrand sind die Regel. Die Christen in ihren Städten und Dörfern versuchen einfach, sich zu verkriechen und zu beten. Buchstäblich. Es tut mir leid, sagen zu müssen, dass die hochrangigen christlichen Geistlichen, mit ein oder zwei edlen Ausnahmen, sich für eine Beschwichtigungspolitik entschieden und ihre Gemeinden praktisch verraten haben. Die Führungsspitze der orthodoxen Kirche, insbesondere der griechisch-katholischen Kirche, hat sich mit Würdenträgern des Dschihad-Regimes fotografieren lassen. (…) Die HTS tut so, als ob es Treffen mit Geistlichen gäbe und schlägt beruhigende Töne an.“
Und die Westpresse schreibt überwiegend, die „Übergangsregierung unter HTS-Chef Ahmed al-Scharaa“ gebe sich seither „moderat“. Was an „Hinrichtungen am Straßenrand sind die Regel“ moderat ist, erschließt sich nicht wirklich.
Hat Frau Entwicklungsministerin Svenja Schulze Kenntnis von diesen Dingen?
„Die SPD-Politikerin traf in der syrischen Hauptstadt Vertreter der Übergangsregierung, Ärzte und den De-facto-Gesundheitsminister Maher al-Scharaa, einen Bruder des neuen Machthabers Ahmed al-Scharaa. “Nach mehr als 50 Jahren Diktatur und 14 Jahren Bürgerkrieg hat Syrien jetzt die Chance auf eine friedliche und stabile Entwicklung”, sagte Schulze. “In meinen Gesprächen mit der syrischen Diaspora spüre ich eine große Motivation, sich für den gesellschaftlichen Neuanfang in Syrien zu engagieren.” Im Rahmen der Partnerschaften sollen Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland nach Syrien reisen, um dort medizinische Trainings anzuleiten. Auch Fortbildungen syrischer Ärztinnen und Ärzte in Deutschland seien möglich.
Schulzes Ministerium sieht enorme Herausforderungen im traditionell eigentlich sehr starken syrischen Gesundheitswesen. Zur Zeit des Regimes des syrischen Diktators Baschar al-Assad seien viele Krankenhäuser in den Rebellengebieten gezielt bombardiert worden. Mehr als ein Drittel der Krankenhäuser ist demnach nicht mehr funktionstüchtig. Hinzu komme, dass mehr als die Hälfte des Gesundheitspersonals aus dem Land geflohen sei.
Daher hat Frau Schulze auch gleich mal ein bisschen Handgeld für die plötzlich so zahm und höflich, in dunklen Anzügen mit Hemd und Krawatte, ganz westlich auftretenden Taliban im Gepäck: 60.000.000 € – in Worten: Sechzig Millionen Euro – bringt sie lächelnd mit und freut sich, dass man ihr sogar zur Begrüßung die Hand reicht. Ist nicht selbstverständlich für Islamisten, einer Frau die Hand zu geben. Aber man muss Kompromisse machen. Frau Minister muss herunterschlucken, dass für die HTS-Taliban Frauen eigentlich unwürdig sind, die Hand gereicht zu bekommen und die Taliban, dass sie es doch müssen, sonst kommt der Zaster nicht.
Der deutsche Geldsegen soll nur an UN-Hilfswerke und andere Nicht-Regierungsorganisationen fließen, unter anderem für Sanierungen von Schulen. Das werden wir dann in einigen Berichten auch gut in Szene gesetzt sehen. Aber sehr wahrscheinlich werden die 60 Millionen wohl nicht nur und ausschließlich für medizinische und soziale Anschaffungen ausgegeben, sondern unter anderem durch Leaks in den Organisationen für Waffen, die gegen die Zivilisten und Andersgläubige, wie gegen Alawiten, Drusen, Schiiten und Kurden eingesetzt werden.
Solche „Deals“ gab und gibt es ja auch im Ukrainekrieg en masse. Nicht alle gelieferten Waffen und Munition kamen in der ukrainischen Armee an. Es gab genügend Berichte, wo die höheren Militärs davon einiges abgezweigt und in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Das liegt in der Natur des Menschen.
Zugleich deutete Syriens Außenminister Asaad al-Schaibani am Rande seines Treffens mit Schulze an, dass er keine Notwendigkeit für eine rasche Rückkehr seiner Landsleute aus Deutschland in die alte Heimat sieht. “Sie sind dort in Sicherheit”, sagte er der Nachrichtenagentur dpa.“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) machte den (weltfernen) Vorschlag, syrischen Flüchtlingen eine einmalige Reise nach Syrien zu erlauben – ohne dass, wie gesetzlich vorgesehen, – sie deshalb ihren Schutzstatus in Deutschland verlieren. Damit soll den Geflüchteten die Chance gegeben werden, zu erkunden, wie die Lebensverhältnisse in der alten Heimat sind – etwa, ob die alte Wohnung noch existiert und Verwandte noch leben und ob sie zurückkehren wollen. Lustig. Natürlich nicht! Wer will schon in ein von westlichen Sanktionen ausgehungertes und von Taliban schikaniertes Land zurück?
Keine Rückkehr der geflüchteten Syrer, aber syrische Ärzte schon?
Lieber Leser, also nochmal zum mitmeißeln: Syriens neuer Außenminister Asaad al-Schaibani sagt dem deutschen Entwicklungsminister Sveanja Schulze, dass er Keine Notwendigkeit für die Rückkehr der Syrer und syrischen Ärzte sieht. Und Frau Schulze sagt dazu:
„Ich verstehe, dass die neuen syrischen Machthaber die geflohenen Fachkräfte möglichst zurückgewinnen wollen“, erklärte die Ministerin. „Aber auch Deutschland hat ein Interesse, diese Menschen zu halten, auf die wir gerade in unserem Gesundheitssystem angewiesen sind.“ Die Bundesregierung werde solchem Personal das Angebot machen, dass sie „von Deutschland aus über vielleicht kurzfristige Reisen nach Syrien unterstützen können beim Wiederaufbau, ohne dass wir sie hier auf Dauer verlieren“, sagte der Ministeriumssprecher.
Dass Syrien, wie Frau Schulze sagt, nun eine Chance auf „eine friedliche und stabile Entwicklung“ hat, setzt schon enormen Optimismus oder wenig Ahnung von den dort jetzt herrschenden Verhältnissen voraus.
Deutschland beherbergt die größte syrische Diaspora-Gemeinschaft in Europa. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums befanden sich Stand Ende Oktober 974.136 Menschen mit syrischer Staatsbürgerschaft in Deutschland. Bei mehr als zwei Drittel der Menschen handelt es sich um Schutzsuchende.
Gruselgeschichten vom grausamen Diktator Assad aufgebauscht, HTS-Taliban verharmlost?
Lassen wir hier noch einmal Peter Ford, den US-Botschafter, der jahrelang in Syrien seinen Dienst tat, zu Wort kommen. Präsident Assad sei „mit heiler Haut davongekommen“ nach Russland, doch ihn als gewissenlosen und grausamen Diktator hinzustellen, das sei geschmacklos, sinnlos und falsch. Peter Ford nennt diese Gruselmärchen über Assad „eine neue Art politischer Pornografie, Assad-Porno“:
„… den Foltergeschichten, der aufgebauschten Erzählung über Gefängnisse und geöffnete Gräber. Tatsächlich sind in den meisten dieser Gräber übrigens Kriegstote. Es waren keine Menschen, die zu Tode gefoltert wurden, wie die Medien vorgeben. Hunderttausende Menschen starben in dem Konflikt über mehr als ein Jahrzehnt, und viele von ihnen wurden in unmarkierten Gräbern begraben. Aber die westlichen Medien schwelgen in dieser neuen Art von Assad-Porno. Das alles wird aufgebauscht, um das westliche Publikum toleranter gegenüber der Art und Weise zu machen, wie der Westen mit Al-Qaida ins Bett geht. Je mehr sie Assad dämonisieren und auf den Missetaten des Assad-Regimes herumreiten, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir die abscheulichen Gräueltaten, die gerade begangen werden, schlucken und uns davon ablenken lassen.
Westliche Staatschefs küssen einem Mann die Füße, der immer noch ein gesuchter Terrorist ist und, um Himmels Willen, Gründungsmitglied des IS und von Al-Kaida in Syrien war. Das ist moralisch verwerflich und beschämend.“
Peter Ford gibt eine interessante Lage-Beurteilung und einen Ausblick
Der HTS-Führer Jolani benutze seine Position als Marionette des „Westens“ ganz bewusst, um Sanktionen abzubauen und viel Geld vom Westen für den Wiederaufbau Syriens zu bekommen. Denn das Öl muss wieder fließen, das Land braucht Strom, denn wenn Jolani das nicht gelingt, würde ihm das gleiche Schicksal wie Assad bevorstehen. Wenn die syrische Wirtschaft weiter erodiert, werde Jolani in „relativ kurzer Zeit ein toter Mann sein“. Er sei gezwungen, sehr schnell einen massiven Wirtschaftsaufschwung zu erreichen, „um als Staatschef zu überleben“.
Das Öl in Syrien ist aber immer noch in den Händen der USA, und das muss Jolani dringend in seine Verfügungsgewalt bekommen und die Sanktionen beseitigen. Sein Problem ist, so sagt Peter Ford, dass Israel das Öl nicht kauft. Israel traue Jolani nicht über den Weg.
Am Ende des Interviews sagt Peter Ford noch etwas sehr Interessantes: In seiner ersten Amtszeit versuchte der jetzt wiedergewählte Präsident Donald Trump, alle US-Truppen aus Syrien abzuziehen, schaffte es aber nicht. Dann hätte Syrien die Ölquellen wieder unter seiner Gewalt gehabt, hätte es kein Treibstoff- und kein Stromproblem gegeben und das Land wäre nicht so bettelarm auf einen Dritte-Welt-Status gesunken. Es hätte keine Unruhen gegeben, die Armee wäre gut ausgerüstet, ausgebildet und zahlreich genug gewesen, mit den HTS-Taliban fertig zu werden. Es hätte die Region retten können. Leider kam das nicht zustande. Und in der jetzigen Lage ist sehr ungewiss, wie es weitergehen wird.
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