Weiß­russland: EU-Annä­herung für ein Flüchtlingsdeal?

Im Sommer 2018 tauchte Weiß­russland als Kan­didat für ein mer­ke­li­sches Anker­zentrum für Migranten auf. Außer Visa­er­leich­te­rungen ist bis dato nicht viel pas­siert. Dennoch ist die Gefahr der Akti­vierung der Ost-Route für asia­tische Migranten kei­nes­falls gebannt. Unten werden einige Ein­drücke vom Land auf­ge­führt, die der Autor am Rande als Gast bei einer inter­na­tio­nalen Kon­ferenz in Minsk gesammelt hatte.

(Ludmiła Anan­nikova)

Wenn die PIS in Polen nicht mehr an der Macht ist…
und eine neue EU-hörige Regierung kommt, könnten wieder Scharen von Migranten aus Asien - wie 2002–2003 aus Tsche­tschenien — nach Deutschland drängen. Die Route aus Zen­tral­asien in den Gol­denen Westen führt über Russland, Weiß­russland und Polen und kann stets akti­viert werden, wenn die Tran­sit­länder es zulassen möchten. Es ist schwer vor­stellbar, dass Deutschland/die EU die neuen Migranten nicht auf­nehmen würde. Tsche­tschenen machen in Deutschland als Die­bes­banden Schlag­zeilen, das System spricht aber von „rus­si­schen Banden“. Auf der weiß­rus­si­schen Seite gibt es heute schon Hun­derte Migranten, die mit allen Mitteln den Einlass nach Polen fordern.
Ist ein Migran­ti­onsdeal zur Sperrung dieser Ost-Route mit Russland schwierig, wäre dieser mit dem nach einer EU-Annä­herung durs­tenden Weiß­russland viel „bil­liger“ zu haben – werden hohe Brüs­seler Ent­schei­dungs­träger spe­ku­liert und sich geirrt haben. Auch die Ein­schätzung, das Ostland vom „großen Bruder“ Russland zu eman­zi­pieren, das der größte Han­dels­partner, Ener­gie­garant und mili­tä­ri­scher Ver­bün­deter ist, fruchtet nicht. Weiß­russland ist für viele Russland im Klein­format. Wegen der Sprache, vor­bild­licher Ordnung und nied­ri­gerem Preis­niveau über­siedeln immer mehr rus­sische Pen­sionäre in die einstige Vor­zei­ge­re­publik des zusam­men­ge­bro­chenen Sowjet­reiches („Nost­al­gier­entner“).
Kein öko­no­mi­sches Armenhaus trotz Iso­lierung auf dem Alten Kontinent
Paar mickrige Mil­lionen Euro reichen als Preis nicht aus, denn das Land ist kein Bitt­steller. Sta­tis­tiken zeigen, dass Weiß­russ­lands Ein­woh­nerzahl (10 Mill.) höher und die Volks­wirt­schaft etwa gleich groß ist, wie die bal­ti­schen Staaten zusam­men­ge­nommen. Das BIP pro Kopf von 18.140 USD (Platz 68. weltweit) ist doppelt so hoch (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Bruttoinlandsprodukt) wie in der Ukraine. Gutes Aus­bil­dungs­niveau, Fach­kräfte, intakte Infra­struktur und gutes wirt­schaft­liches Sen­timent (Doing Buissness Index Platz 38) — besser als in Italien, Belgien oder in Ungarn — runden das Posi­tivbild ab. Wenn Weiß­russland dennoch nicht zu den auf­stre­benden Emerging Markets zählt, so liegt dieser Miss­stand an der Iso­lierung des Landes, dem Miss­trauen inter­na­tio­naler Inves­toren und auf­tre­tender Wachstumsgrenzen.
Was erwarten die Weiß­russen von der EU?
Ein vor­zeig­barer Migran­tendeal könnte als Tür­öffner für eine EU-Annä­herung gesehen werden, auch als Gegen­ge­wicht für das rasche Vor­drängen der Chi­nesen (https://ostexperte.de/belarus-zwischen-europa-und-eurasien/), deren Anwe­senheit sich bereits an den Schildern am Minsker Flug­hafen ankündigt. Die Asiaten haben Belarus in das Konzept der Neuen Sei­den­straße ein­ge­plant. Ob die „Beglückten“ auf Augenhöhe mit den roten Kapi­ta­listen sprechen werden, bleibt abzuwarten.
Von der EU erwarten die Weiß­russen neben Zoll­sen­kungen und einer Öffnung des Arbeits­marktes (https://www.dw.com/de /gastarbeiter-identit%C3% A4ts­krise-in-litau­en/a‑4554573) auch ein inves­tives Enga­gement. Theo­re­tisch wäre die Region wegen ihrer geo­stra­te­gi­schen Lage (Tran­sitland für rus­sische Pipe­lines?), den nied­ri­geren Lohn­stück­kosten als in öst­lichen EU-Bei­tritts­ländern (Visegrad), der füh­renden Position der Digi­ta­li­sierung für Werks­stätten euro­päi­scher Groß­kon­zerne gut geeignet. Das sind heute alles noch Traum­wünsche, die die kri­selnde EU nicht erfüllen kann und will.
Auch wäre ein Flücht­lingspakt mit der EU nicht von gleicher Dring­lichkeit und Gewicht, wie mit der Türkei. Das kann sich schnell ändern, wenn erste Nach­richten über die Stürmung der pol­ni­schen Grenze nach dem Vorbild von Ceuta (Spanien) und Kroatien Schlag­zeilen machen sollten.
Dr. Viktor Heese – Fach­buch­autor und Finanz­analyst, www.prawda24.de, www.finanzer.eu