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Vom Regen in die Traufe – Merkel-Däm­merung in der CDU

Von Roger Letsch — Von allen denk­baren Rückzugs-Sze­narien hat sie das schlech­teste gewählt, unsere nun doch nicht ewige Kanz­lerin. Nicht mehr Antreten ist kein Rück­tritt. Ver­zicht auf Kan­di­datur ist nicht das­selbe wie Ver­ant­wortung tragen. Es ist lediglich die Absicht, keine neue zu über­nehmen. Den Triumph, sie zu demon­tieren und für ihre Fehler öffentlich zur Ver­ant­wortung gedrängt zu werden, gönnt sie ihrem poten­zi­ellen Nach­folger nämlich nicht. Doch anstatt zu bemerken, wie ver­giftet Merkels Ankün­digung ist, nie wieder für ein poli­ti­sches Amt zu kan­di­dieren, fällt der bei der Pres­se­kon­ferenz neben ihr ste­hende Bouffier sofort in den Modus „Lob der Lebens­leistung“. Hes­senwahl? War da nicht was? Abgehakt! Bereits bei der Pres­se­kon­ferenz deutete sich an, dass die Kanz­lerin mit den Nie­de­rungen der Tages­po­litik für­derhin nur noch wenig zu schaffen haben möchte, eine Rest­kanz­ler­schaft mit prä­si­dialem Flair viel­leicht. Nun gilt es, für das pas­sende Bild in den Geschichts­bü­chern zu sorgen und die eigene Amtszeit mit irgend­etwas zu krönen, was ihr künftige Regie­rungen nicht mehr ent­reißen können. Das Selfie mit Flüchtling taugt dazu wohl kaum. Doch schon in einigen Bemer­kungen in der PK deutete sie an, sich mit der Idee der Begrenzung der Amtszeit befasst zu haben und die Ergeb­nisse dieses Nach­denkens sollen in ihre Ent­scheidung mit ein­ge­flossen sein! Das ist mal eine Volte! Erst jede Menge Por­zellan zer­schlagen und dann mit dem erho­benen Zei­ge­finger Beschei­denheit bei der Anschaffung von Geschirr fordern. Und clever ist das auch – denn wer könnte ange­sichts der deso­laten Lage der GroKo anderer Meinung sein, als dass eine Begrenzung der Amts­zeiten dringend nötig ist! Merkels vierte Amtszeit steht geradezu arche­ty­pisch für die Not­wen­digkeit einer solchen Regelung.
Angela Merkel jedoch hat nun drei Jahre Zeit, ihr eigenes Denkmal zu polieren, während zu Füßen ihres Sockels die Kämpfe um ihre Nach­folge toben. Mutti ist raus, Mutti nur guckt zu, Mutti wird den Sieger des Erb­streites je nach Laune stärken (indem sie ihn igno­riert) oder schwächen (indem sie seine Ent­schei­dungen über­schwänglich lobt). Wer möchte ange­sichts von wei­teren drei Jahren Rest­kanz­ler­schaft Piranha in diesem Teich sein?

Die Piranhas

Die CDU hat sich mit der plötz­lichen Ankün­digung Merkels schnell abge­funden. Es war, als hätte man den Korken aus einer Flasche gezogen, so schnell warfen Merz, AKK und Spahn ihre Hüte in den Ring. Als Start­ge­schenk für ihre Favo­ritin Kramp-Kar­ren­bauer erklärte Merkel auf Nach­frage noch, diese erst sehr kurz­fristig von ihren Plänen unter­richtet zu haben, weshalb AKK auf den ersten Blick etwas bedröppelt wirkt, ver­kündete sie doch noch am Tag zuvor, die Kanz­lerin werde wieder zur Wahl für den Par­tei­vorsitz antreten. Das war ja wohl nichts! Doch dieser kleine Ver­trau­ens­bruch ist ein Pfund, mit dem AKK nun wuchern kann, um ihre Position als Kron­prin­zessin von Angelas Gnaden ver­gessen zu machen. Annegret Kramp-Kar­ren­bauers Wahl wäre jedoch ein DDR-Déjà-vu, wo man 1989 zwar Hon­necker los wurde, nur um dann noch auf den letzten Metern dessen Adlatus Krenz zu bekommen.
Friedrich Merz, der Bier­fuzzl-Finanz­fachmann von vor­gestern, will auch wieder am Tisch Platz nehmen, nachdem er jah­relang erklärt hat, dass ihm das Spiel nicht gefällt. Sein Comeback hatte ich vor etwas mehr als einem Jahr schon einmal sati­risch vor­weg­ge­nommen. Doch seitdem ist einiges geschehen. Er hat nicht nur jah­relang geschwiegen zum Kurs der CDU und spe­ziell den Kapriolen der Kanz­lerin, obwohl er kein Par­teiamt mehr hatte, das in Gefahr geraten konnte. Nun als „Ritter mit weißer Weste“ am Tag nach der Schlacht auf­zu­tauchen, um die Lor­beeren zu ernten, erscheint mir wenig glaub­würdig. Außerdem sollte die CDU doch endlich mal wieder einen wirk­lichen Kon­ser­va­tiven an ihre Spitze wählen und nicht aus­ge­rechnet jemanden, der einen Preis der Ludwig-Ehrhard-Stiftung ablehnt, weil der kon­ser­vative und kri­tische Jour­nalist Roland Tichy deren Vor­sit­zender ist. Unglaub­würdige poli­tische Gestalt­wandler hatte die CDU doch wohl fürs erste genug an der Spitze!
Bleibt vorerst noch Jens Spahn, doch dessen offen­sicht­lichen Ehrgeiz hat die Kanz­lerin vor­sorglich durch seine Abschiebung ins Gesund­heits­mi­nis­terium erfolg­reich ins Nichts umge­leitet. Ein Elefant im Por­zel­lan­laden beweist geradezu chir­ur­gi­sches Geschick im Ver­gleich zu den erra­ti­schen Vor­schlägen, die Spahn in Sachen Gesund­heits­system und Pfle­ge­not­stand gleich im Dutzend abschießt, immer in der Hoffnung, wenigstens einen Zufalls­treffer zu landen, während sich das medi­zi­nische Per­sonal in diesem Lande pau­senlos diese „miss­ver­stan­denen” Pfeile aus dem Aller­wer­testen ziehen muss.

Nichts außer Ablenkung

Das Mini­malziel, Merkel 5.0 zu ver­hindern, mag zwar erreicht sein, geholfen ist dem Land damit leider noch nicht viel. Drei Jahre Rest­laufzeit können sich noch ver­dammt lange hin­ziehen. Auch wenn nach wie vor die Hoffnung besteht, die Kanz­lerin könnte ange­sichts der einen oder anderen Kata­strophe „noch mal genauer nach­denken“, wie sie dies in Medi­tation und Selbst­be­fragung nach Fuku­shima getan hat und ein Eigen­mo­ra­torium ver­künden. Das Maxi­malziel jedoch, die Chance also, nicht durch einen frei­wil­ligen Abgang, sondern durch eine mutige poli­tische Aktion, etwa ein Miss­trau­ens­votum, den Weg wirklich frei zu machen für einen Neu­anfang – diese Chance ist unwie­der­bringlich vertan worden.
Merkel kam in einer erstarrten CDU durch poli­ti­schen Vatermord an Helmut Kohl an die Macht. So auch abzu­treten, hatte sie nicht vor. Statt­dessen könnte der nun ein­set­zende Kampf um Merkels Teil-Nach­folge so viel Staub auf­wirbeln, dass bis Dezember kaum ein anderes Thema zu den Bürgern durch­dringen wird. Es wird jedoch nicht am 8. Dezember beim CDU-Par­teitag in Hamburg über das Schicksal unseres Landes ent­schieden, sondern zwei Tage später in Mar­rakesh, wenn der „Global Compact for Migration“ unter­zeichnet werden soll. Dort würde Merkel als Kanz­lerin unter­schreiben, nicht als CDU-Chefin. Die Folgen dieser Unter­schrift könnte sie dann im Ruhe­stand in der Uckermark genießen, wo es die Migra­ti­ons­ströme aus Afrika in den nächsten Jahren noch kaum hin­ziehen dürfte.