von Wolfgang Prabel | Beim Stöbern im Internet habe ich ein Video von 1989 gefunden. Über das Kirschberg-Krankenhaus, wo meine beiden Kinder geboren wurden. Es zeigt noch einmal, dass es doch höchste Zeit war, das sozialistische Experiment zu beenden. Der Dreh geht erst bei Sekunde 20 los:
Nach 29 Jahren kommt einem alles dramatischer vor, als man es damals gesehen hat. Man war an Dreck, bauliche Mängel und Materialmangel einfach gewöhnt. Was die Filmemacher über die Küche zu berichten hatten, kann ich noch ergänzen. Als meine Freundin mit unserem Jüngsten im Kirschberg lag, rieten ihr die Ärzte wegen Eisenzufuhr Fleisch zu essen. Sie lag aber im letzten Zimmer und es gab Tage, wo das Essen nicht bis zu den Frauen im letzten Zimmer gereicht hat. Mal war der Hauptgang alle, mal nur der Nachtisch. Ich bin jeden Tag von Süßenborn nach Weimar mit dem Fahrrad 12 Kilometer über den Lindenberg hin- und wieder zurückgefahren, um gebratene Schnitzel und Obst ans Bett zu bringen.
Die Fahrt ins Krankenhaus beim Einsetzen der Wehen klappte nur, weil ein Nachbar ein klappriges Auto hatte und meine Freundin fix nach Weimar gefahren hat. Es gab ja damals noch kein Telefon, und wenn man eins gehabt hätte: Das Video behauptet ja, dass nur ein Krankenwagen da war.
Auch das Windelwaschen war lustig. Es gab in Süßenborn zwar schon eine von den Einwohnern selbst gebaute Wasserleitung, auch ein Abwasserrohr lag bereits seit Jahren, aber es gab noch kein fließendes Wasser. Alles Wasser wurde von Hand aus dem Brunnen gepumpt. Waschmaschinen gab es damals schon. Die wurde zum Brunnen geschoben, vor Ort gefüllt und zum Schluß lief die Seifenlauge auf die Gasse. Da die sowieso nicht befestigt war, versickerte alles schnell.
Wenn fast alles gleichmäßig auf dem Stand von vor 1900 ist, funktioniert es als ganzes System wieder. Bis alles als Ganzes in Frage gestellt wird.