Der gefähr­liche neue Schwindel der EU

von Douglas Murray

  • Das erste Problem der Ent­scheidung des Euro­päi­schen Gerichtshofs für Men­schen­rechte gegen Eli­sabeth Saba­ditsch-Wolff besteht darin, dass sie bedeutet, dass die Wahrheit zumindest in Fällen von Blas­phemie zur Ver­tei­digung nicht ausreicht.
  • Ein solches Urteil über­trägt die Ent­scheidung darüber, was gesagt werden darf oder nicht, nicht an ein euro­päi­sches oder natio­nales Gericht, sondern an jeden, der plau­sibel oder ander­weitig behaupten kann, dass eine andere Person “den Frieden” gefährdet hat.
  • Es gibt ähn­liche, seit einigen Jahren erprobte Gangs­ter­tricks. Sie alle laufen auf die alte Behauptung hinaus: “Ich bin nicht selbst sauer auf dich, ich halte nur meinen Freund hier zurück.”

Zu Beginn dieses Jahr­zehnts ereignete sich eine kleine Geschichte, die den Grund­stein für die fol­genden Jahre legte. Im Jahr 2010 schrieb ein sau­di­scher Anwalt namens Faisal Yamani an die däni­schen Zei­tungen, die Car­toons über den isla­mi­schen Pro­pheten Mohammed ver­öf­fent­licht hatten. Der sau­dische Anwalt behauptete, im Namen von 95.000 Nach­kommen von Mohammed zu handeln und sagte, dass die Kari­ka­turen dif­fa­mierend seien und dass hiermit ein Gerichts­ver­fahren ein­ge­leitet werde.
Aller­dings stank alles an diesem ver­meint­lichen Rechts­an­spruch. Wie hatte Herr Yamani all diese Nach­kommen gefunden? Wie kam er auf genau 95.000 von ihnen? Und wie konnten sie behaupten, dass eine Aussage über jemanden, der vor 1.400 Jahren gestorben ist, “dif­fa­mierend” sei? Juris­tisch gesehen kann man Tote gar nicht “ver­leumden”.
Alles an der Behauptung war lächerlich, doch sie hatte die gewünschte Wirkung. Min­destens eine dänische Zeitung — Poli­tiken — ent­schul­digte sich rasch für die Wie­der­ver­öf­fent­li­chung der Car­toons. Also hat Herr Yamani bekommen, was er wollte. Er hatte (so könnte man ver­muten) eine Reihe von mut­maß­lichen Opfern beschworen und eine angeb­liche Straftat zusam­men­ge­schustert, aber es war egal, weil er auch noch eine euro­päische Zeitung dazu brachte, in Sekun­den­schnelle ein­zu­knicken. Es war eine inter­es­sante Probe aufs Exempel für das euro­päische Jus­tiz­system — und ein gutes Bei­spiel für Unter­werfung. Und ein schöner Prä­ze­denzfall für das fol­gende Jahrzehnt.
Heute, acht Jahre später, ist ein noch grö­ßerer Akt der Unter­werfung erfolgt. Diese wurde nicht von einem win­digen sau­di­schen Anwalt pro­vo­ziert, sondern vom höchsten Gericht Europas.
Ende letzten Monats hat der Euro­päische Gerichtshof für Men­schen­rechte in einem lang­jäh­rigen Ver­fahren gegen eine Öster­rei­cherin namens Eli­sabeth Saba­ditsch-Wolff ent­schieden. Im Jahre 2009 hielt Saba­ditsch-Wolff (die in meh­reren mus­li­mi­schen Ländern gelebt hat) in Wien zwei Seminare mit dem Titel “Grund­le­gende Infor­ma­tionen zum Islam”. Während dieser Vor­träge, mit den Worten des EGMR:
“…dis­ku­tierte [sie] die Ehe zwi­schen dem Pro­pheten Mohammed und einem sechs­jäh­rigen Mädchen, Aisha, die angeblich mit neun Jahren voll­zogen wurde. Unter anderem erklärte die Klä­gerin, dass Mohammed ‘es gerne mit Kindern tat’ und ‘… ein 56-Jäh­riger und eine 6‑Jährige? … Wie nennen wir das, wenn es nicht Pädo­philie ist?”
Für diese Aussage, basierend auf dem Text eines offi­zi­ellen Hadith [die Taten und Erzäh­lungen über Mohammed], Sahih-Bukhari, Bd. 5, Buch 58, Nr. 234–236, hat das Lan­des­kri­mi­nal­ge­richt Wien im Februar 2011 Saba­ditsch-Wolff wegen “Her­ab­setzung reli­giöser Lehren” ver­ur­teilt. Sie wurde mit einer Geld­strafe von 480 Euro belegt und zur Kos­ten­über­nahme ver­knurrt. In einer Berufung im fol­genden Dezember bestä­tigte das Gericht die Ent­scheidung. Im Dezember 2013 wies der Oberste Gerichtshof Öster­reichs einen Antrag auf Wie­der­auf­nahme des Ver­fahrens ab.
Frau Saba­ditsch-Wolff hat ihren Fall deshalb vor den EGMR gebracht und ihren Antrag im Juni 2012 gestellt. Zu ihrer Ver­tei­digung zitierte sie Artikel 10 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­vention, der die Mei­nungs­freiheit schützen soll.
Die Räder der EGMR-Justiz drehen sich jedoch nur langsam, so dass es erst im ver­gan­genen Monat — bloße sechs Jahre nach der Ein­rei­chung des Falles — soweit war, dass das Gericht sein Urteil fällte. Gemäß dem Urteil des EGMR:
“Unter Berufung auf Artikel 10 (Mei­nungs­freiheit) beschwerte sich Frau S., dass die inlän­di­schen Gerichte den Inhalt der ange­foch­tenen Äuße­rungen nicht im Lichte ihres Rechts auf freie Mei­nungs­äu­ßerung behandelt hätten. Wenn sie es getan hätten, hätten sie sie nicht als reine Wert­ur­teile qua­li­fi­ziert, sondern als Wert­ur­teile auf der Grundlage von Fakten.”
Das Gericht ent­schied, dass das Recht der Men­schen, sich nach Artikel 10 zu äußern, nicht an die Stelle des Rechts anderer Men­schen tritt, “ihre reli­giösen Gefühle schützen zu lassen” (nach Artikel 9). Das Urteil besagt:
“Das Gericht stellte auch fest, dass der Gegen­stand der vor­lie­genden Rechts­sache besonders heikel ist und dass die (poten­zi­ellen) Aus­wir­kungen der ange­foch­tenen Erklä­rungen bis zu einem gewissen Grad von der Situation im jewei­ligen Land abhängen, in dem die Erklä­rungen abge­geben wurden, vom Zeit­punkt und vom Kontext, in dem sie abge­geben wurden.”
Das heißt, es sieht so aus, dass eine Aussage in einem euro­päi­schen Land geschützt sein könnte und in einem anderen nicht.
“Das Gericht stellte fest, dass die [öster­rei­chi­schen] inlän­di­schen Gerichte umfassend dar­legten, warum sie der Ansicht waren, dass die Äuße­rungen der Klä­gerin gerecht­fer­tigte Empörung her­vor­rufen konnten; ins­be­sondere waren sie nicht objektiv und mit einem Beitrag zu einer Debatte von öffent­lichem Interesse (z.B. über die Kin­derehe) abge­geben worden, sondern konnten nur so ver­standen werden, dass sie darauf abzielten, zu beweisen, dass Mohammed nicht der Anbetung würdig sei. Sie stimmte mit den inlän­di­schen Gerichten darin überein, dass Frau S. sich bewusst gewesen sein muss, dass ihre Aus­sagen zum Teil auf fal­schen Fakten beruhen und bei anderen Empörung her­vor­rufen können. Die natio­nalen Gerichte stellten fest, dass Frau S. Mohammed sub­jektiv als mit all­ge­meiner sexu­eller Prä­ferenz zu Pädo­philie bezeichnet hatte und dass sie es ver­säumte, ihr Publikum neutral über den his­to­ri­schen Hin­ter­grund zu infor­mieren, was eine ernst­hafte Debatte über diese Frage nicht zuließ.”
Genauso wichtig ist das Fazit des Gerichts:
“… Die [öster­rei­chi­schen] Gerichte haben das Recht der Klä­gerin auf freie Mei­nungs­äu­ßerung mit dem Recht anderer, ihre reli­giösen Gefühle zu schützen und den reli­giösen Frieden in der öster­rei­chi­schen Gesell­schaft zu bewahren, sorg­fältig abgewogen.”
Die Tat­sache, dass Frau Saba­ditsch-Wolff vom öster­rei­chi­schen Gericht ange­wiesen worden war, nur das zu zahlen, was im EGMR-Urteil als “moderate Geld­strafe” bezeichnet wurde, bedeutet, dass der EGMR die Strafe nicht als “unver­hält­nis­mäßig” ansieht.
Natürlich hat all dies eine Reihe von Reak­tionen her­vor­ge­rufen von Leuten, die sagen, dass der EGMR die Ein­führung eines neuen Blas­phe­mie­ge­setzes in Europa voll­zogen habe, bis hin zu denen, die darauf bestehen, dass es hier nichts zu sehen gibt und dass das Urteil absolut unin­ter­essant sei. Irgendwo in der Mitte gibt es eine Reihe von juris­ti­schen Stimmen, die sagen, dass alles, was der EGMR getan hat, ist, zuge­stimmt zu haben, dass die öster­rei­chi­schen Gerichte das Recht haben, ihre eigenen Ent­schei­dungen in dieser Ange­le­genheit zu fällen. Also noch einmal — es gibt hier nichts oder zumindest nicht viel zu sehen. Nichts könnte von der Wahrheit weiter ent­fernt sein.
Das erste Problem, das sich aus der Ent­scheidung des EGMR zur Auf­recht­erhaltung des Urteils des öster­rei­chi­schen Gerichts gegen Saba­ditsch-Wolff ergibt, besteht darin, dass die Wahrheit zumindest in Fällen der Blas­phemie zur Ver­tei­digung nicht aus­reicht. Es gibt — wie jeder isla­mische Gelehrte weiß — signi­fi­kante Beweise aus dem Hadith, die es jemandem ermög­lichen, einen durchaus plau­siblen Fall nach dem Vorbild von Saba­ditsch-Wolff zu ver­treten. Aber die Gerichte gingen noch weiter. Sie behaup­teten, dass ihre Aus­sagen auf “fal­schen Fakten” basierten — was auch immer diese sein mögen. Wie ich bereits an anderer Stelle erwähnt habe, stellt dies für Europäer ein ernst­haftes Problem dar. Es sagt uns, dass Worte, die wir mit eigenen Augen lesen können und die in Büchern stehen, die überall auf der Welt frei erhältlich sind, nicht die Worte sagen, die sie sagen. Was sollen wir also tun? Lügen? Anscheinend schon.
Das zweite Problem ist, dass es eine Debatte über Fakten in eine Debatte über den “Ton” ver­wandelt. Wurden bestimmte Dinge auf “objektive” Weise gesagt oder nicht? So könnte in Zukunft ein Europäer etwas in einem Tonfall und ein anderer das­selbe in einem anderen Tonfall sagen — und dazu könnte eine Straf­ver­folgung ein­ge­leitet werden. Während der erste Ange­klagte damit rechnen kann, vor Gericht geschleppt zu werden, kann dem zweiten erlaubt werden, wei­terhin intel­lek­tuell und phy­sisch frei zu wandeln. Wer soll das entscheiden?
Das dritte Problem besteht natürlich darin, dass ein solches Urteil die Ent­scheidung darüber, was gesagt werden darf oder nicht, nicht an ein euro­päi­sches oder natio­nales Gericht über­trägt, sondern an jeden, der plau­sibel oder ander­weitig behaupten kann, dass eine andere Person “den Frieden” gefährdet hat.
Was uns zum Bei­spiel der 95.000 Nach­kommen Mohammeds zurück­führt. Es gibt ähn­liche, seit Jahren erprobte Gangs­ter­tricks. Sie alle laufen auf die alte Behauptung hinaus: “Ich bin nicht selbst sauer auf dich, ich halte nur meinen Freund hier zurück.” Im öster­rei­chi­schen wie im däni­schen Fall scheint sie auf ver­stö­rende Weise zu funk­tio­nieren. Doch im Uni­versum der Schwin­de­leien, muss dieses unter den kühnsten und schlimmsten sein.
Wenn eine Gruppe von Leuten sieht, dass das Spiel funk­tio­niert, warum sollten dann nicht auch alle anderen es spielen? Warum sollte keine andere Gruppe in Öster­reich als die Muslime rou­ti­ne­mäßig behaupten, dass ihre Gefühle ver­letzt wurden, und den Gerichten mit­teilen, dass dadurch der “Frieden” gefährdet wurde? Wenn ich ein öster­rei­chi­scher Christ fun­da­men­ta­lis­ti­scher Abstammung wäre, könnte ich durchaus daran denken, an ver­schie­denen Vor­trägen und Pre­digten in einer Reihe von öster­rei­chi­schen Moscheen teil­zu­nehmen und darauf zu warten, dass einer der Redner die Gött­lichkeit und Auf­er­stehung Christi leugnet und dann damit direkt vor Gericht zu rennen. Schließlich könnte eine Leugnung der Auf­er­stehung Christi durch einen Moslem als ernsthaft belei­digend für einen Christen ange­sehen werden, und wer mag schon sagen, dass der “Frieden” dadurch nicht gefährdet wird?
Es gibt eine Selbst­ge­fäl­ligkeit, die sich in ganz Europa aus­ge­breitet hat. Diese Selbst­ge­fäl­ligkeit wird von den­je­nigen, die gerne sagen, dass das, was gerade im EGMR geschehen ist, nichts wirklich Wich­tiges ist, ein­drucksvoll unter Beweis gestellt. Sie liegen falsch. Es ist äußerst wichtig. Nicht nur, weil es ein schreck­liches Bei­spiel für das mora­lisch ver­wirrte Jahr­zehnt ist, in dem wir uns befinden, sondern weil es schreck­liche Vor­aus­set­zungen — für Muslime und Nicht-Muslime — für die kom­menden Jahr­zehnte schafft.


Quelle: Gatestone Institute