Sexu­eller Miss­brauch im Sport – Schluss mit der Hilflosigkeit!

Doppelt soviele Fälle wie bei den Kirchen?
200.000 Betroffene im Brei­ten­sport und 114.000 jeweils in der katho­li­schen als auch in der evan­ge­li­schen Kirche: Eine bisher unver­öf­fent­lichte Studie der Uni­klinik Ulm beweist: 
Das Thema sexu­eller Miss­brauch im Sport hat in Deutschland bislang noch nicht die Auf­merk­samkeit, die es haben sollte. Und nur die Hälfte der deut­schen Vereine hätte sich bisher Gedanken über Prä­vention bei sexu­eller Gewalt gegen junge Sport­le­rinnen und Sportler gemacht, sagt der Miss­brauchs­be­auf­tragte der Bun­des­re­gierung, Johannes Wilhelm Rörig Minis­te­ri­al­di­rigent. (Seit Dezember 2011 ist er Unab­hän­giger Beauf­tragter der Bun­des­re­gierung für Fragen des sexu­ellen Kin­des­miss­brauchs.) Er dürfte also einen tiefen Ein­blick in die Pro­ble­matik haben und hat eine spe­zia­li­sierte Auf­ar­bei­tungs­kom­mission einberufen.

Kin­des­miss­brauch

Ihm geht es zu schleppend voran. Knapp zehn Jahre nach dem Bekannt­werden des Miss­brauchs­skandals in der katho­li­schen Kirche ist Rörig der Bun­des­re­gierung im Sport zum Kin­der­schutz zu wenig unter­nommen worden:
„Wenn 50 Prozent der Vereine in Deutschland sich bisher noch keine Gedanken über Prä­vention und Hilfe bei sexu­eller Gewalt gegen junge Sport­le­rinnen und Sportler gemacht haben, dann muss ich sagen, wir brauchen mehr Dynamik.“
Jörg Fegert, Ärzt­licher Direktor der Ulmer Kinder- und Jugend­psych­iatrie, hat erstmals die Angaben der Betrof­fenen in unter­schied­lichen Insti­tu­tionen ver­glichen. Fazit: „Wir haben in Deutschland ungefähr doppelt so viele Fälle im Sport wie in der katho­li­schen Kirche.“*)
Sexua­li­sierte Gewalt im Sport und im Fußball hat viele Facetten. Der Sport ist natürlich das per­fekte Umfeld für poten­zielle Täter. Eltern sind oft sorglos und denken eher, dass ihre Kinder gut auf­ge­hoben seien. Damit umzu­gehen ist für die ehren­amtlich orga­ni­sierten Vereine oft eine große Aufgabe und Belastung.
Das ist offen­sichtlich in der breiten Öffent­lichkeit noch nicht so richtig ange­kommen. Vor zwei­einhalb Jahren gab es erstmals Zahlen zum Ausmaß des sexu­ellen Miss­brauchs im Leis­tungs­sport. Da hatte das Team um Jörg Fegert 1800 Leis­tungs­sport­le­rinnen und ‑sportler befragt:
„Im Leis­tungs­sport waren wir schon ent­setzt zu merken, dass es mehr als ein Drittel ist, die sexuelle über­griffige Dinge erlebt haben. Und wenn man es sehr eng nimmt, haben drei Prozent tat­säch­liche Über­griffe mit Pene­tration, schwerste Taten erlebt, aber es kommt natürlich ein großes Feld dazu von unge­wollten Berührungen.“ 
Auf diese Mel­dungen und Daten haben Sport und Politik reagiert und Kin­der­schutz­maß­nahmen ange­mahnt. Das fand zunächst wenig Gehör. Jetzt der nächste Schritt: Es geht ans Geld. Das für den Leis­tungs­sport zuständige Bun­des­in­nen­mi­nis­terium hat die finan­zielle För­derung des Leis­tungs­sports an die Vorlage von Prä­ven­ti­ons­kon­zepten geknüpft.
Laut Staats­se­kretär Markus Kerber heißt das für den Sport: Ansprech­partner für das Thema benennen, erwei­terte Füh­rungs­zeug­nisse ihrer Mit­ar­beiter ein­holen und diese zum Thema schulen:
„Das heißt, keiner kann nachher dann sagen, wir haben uns mit dem Thema nie befassen können. Das muss auf allen Ebenen im orga­ni­sierten deut­schen Sport statt­finden. Ansonsten können wir eine För­derung ja nicht aufrechterhalten.“
(Ob und wie das Bun­des­in­nen­mi­nis­terium die Umsetzung der Kon­zepte über­prüft, konnte Kerber aller­dings nicht sagen.)
Klar ist: Sport zu orga­ni­sieren, schafft für Täter poten­zielle Räume, in denen die sich gerne bewegen. Aber nicht die Vereine sind gefährlich, sondern bestimmte Situa­tionen können Risiken schaffen. Man denke nur daran, dass Trainer Zugriff auf die Körper junger Men­schen haben – was aber keine Pau­schal­ver­däch­tigung erlaubt. Es geht um Ein­zel­fälle! Aber die Risiken müssen erkannt und benannt werden, damit man ihnen gezielter begegnen kann.
Eine neue Studie ergab: „Ath­le­tinnen und Ath­leten sind durchaus in beträcht­lichem Ausmaß von sexua­li­sierter Gewalt betroffen. In einer gemein­samen Studie des Uni­ver­si­täts­kli­nikums Ulm und der Deut­schen Sport­hoch­schule Köln haben wir 1.800 Kader­ath­leten und ‑ath­le­tinnen befragt. 54 Prozent haben ange­geben, sexua­li­sierte Gewalt­er­fah­rungen innerhalb oder außerhalb des Sports gemacht zu haben. Das ist ein recht hoher Pro­zentsatz. 37 Prozent der Befragten gaben an, sexua­li­sierte Gewalt im Kontext des Sports erlebt zu haben. 11 Prozent waren von schwerer, also kör­per­licher sexua­li­sierter Gewalt, und/oder länger dau­ernden sexu­ellen Beläs­ti­gungen im Sport betroffen. Der sport­liche ist nicht immer leicht vom pri­vaten Bereich zu trennen…“ (Bettina Ruloffs, https://www.zeit.de/sport/2017–11/sexueller-missbrauch-sport-studie)
Kin­der­schutz­kon­zepte in jedem Verein
Die ein­fachste Mög­lichkeit zur Prä­vention liegt auf der Hand: „Wir benö­tigen Kin­der­schutz­kon­zepte und ‑Regeln in jedem Verein. Dazu gehören Ansprech­partner, die sich intensiv zum Thema fort­bilden und Regeln auf­stellen etwa: Kein Trainer geht mit den Kindern duschen oder in die Umkleiden, keine Geschenke für die Kinder, immer mehrere Kinder im Auto mit­nehmen, nicht eines alleine, kein Ein­zel­training“, sagt ein erfah­rener Trainer.
Nicht nur auf Ver­trauen setzen
Sport­so­zio­login Bettina Rulofs forscht seit Jahren zum Thema sexu­eller Miss­brauch. Sie emp­fiehlt dem Bun­des­in­nen­mi­nis­terium, nicht nur auf Ver­trauen zu setzen: „Ich denke, man muss nun abwarten, ob das sozu­sagen eine Frage der Ehre und des Glaubens und des Ver­trauens bleibt, dass dies auch in den Ver­bänden dann umge­setzt wird oder ob das BMI viel­leicht zum Bei­spiel stich­pro­ben­artig auch Kon­trollen durch­führt, um zu testen, ob die Stan­dards, die vom BMI gesetzt werden, auch tat­sächlich in den Ver­bänden ein­ge­halten werden.“*)
Die Schwach­stellen im Sport­system, die sexu­ellen Miss­brauch begüns­tigen, sind noch gar nicht auf­ge­ar­beitet. Da setzt die Auf­ar­bei­tungs­kom­mission der Bun­des­re­gierung an. Seit Anfang Mai wendet sie sich gezielt an Betroffene aus dem Sport, bittet sie anonym ihre Geschichte zu erzählen. In den ver­gan­genen drei Jahren hat die Kom­mission bereits 1.700 Berichte von Betrof­fenen erhalten.
*(Alle Zitate nach Dlf 12.7.19)

Dieser lesens­werte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes – www.conservo.wordpress.com