Überall wird das Geld knapp, auch im Gesundheitswesen. Wer ein krankes Kind hat, wird es immer öfter schmerzhaft zu fühlen bekommen: Eine Kinderklinik nach der anderen schließt. In ganz Deutschland sind Kinderkliniken chronisch unterfinanziert. Den Kinderspitälern macht ein drastischer Personal- und Leistungsabbau und eine nur mangelhafte Vergütung durch das Gesundheitssystem den Garaus. Die Stiftung Kindergesundheit übt scharfe Kritik an der stationären Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendmedizin. „Seit 1991 wurde jede fünfte Kinderabteilung geschlossen. In der stationären Kinderheilkunde wurden vier von zehn Betten abgebaut“.
Nur ein kurzer Streifzug durch einige Schließungen:
Die Asklepios-Kinderklinik Parchim ist seit Monaten geschlossen. Personalkündigungen haben einen Kahlschlag geschaffen. Es waren einmal sechs Kinderärzte, heute ist nur noch eine Kinderärztin in der Klinik angestellt. Der Klinikkonzern ließ zwar verlautbaren, man wolle die Kinderstation erhalten und sie sei nur vorübergehend geschlossen, aber der Glaube an eine Wiedereröffnung schwindet. Auch deshalb, weil mittlerweile mehrere Kinderkrankenschwestern gegangen sind und sich eine neue Stelle gesucht haben — beim nächsten Krankenhausriesen „Helios“.
Der Nordkurier meldete schon im letzten Jahr, dass auch die Pläne, in der Prenzlauer Klinik eine Kinderstation wieder zu eröffnen, vom Tisch sind. Steffi Miroslau, die Geschäftsführerin der Gesellschaft für Leben und Gesundheit im Hauptausschuss der Stadt, nahm kein Blatt vor den Mund: „Das Land hat uns eine Kinderstation quasi untersagt.“ Der Finanzplan des Landes gebe nun einmal die Mittel für eine Kinderstation in der Uckermark nicht her. Kranke Kinder können also nur in Barnim oder in Meck-Vorpomm in Kinderstationen behandelt werden.
Der Betrieb einer Kinderstation erfordere im Mindestbetrieb schon sieben Kinderärzte, plus Pflegepersonal.
Das Prenzlauer Kinderspital in der Uckermark ist nicht das einzige in der Region, das aufgeben musste. Schon 2012 schloss die Kinderklinik in Schwedt die Tore. Nun müssen Eltern aus der Uckermark ihre kranken Kinder nach Eberswalde oder Pasewalk bringen. „Das ist eine Katastrophe. Mir fehlen die Worte“, sagt Michael Jürgensen, Geschäftsführer des Schwedter Asklepios Klinikums. Der Krankenhaus-Chef musste gestern bekanntgeben, dass er die Kinderklinik in Schwedt dichtmacht: „Mir bleibt keine andere Wahl.“
Auch in Sankt Augustin bei Bonn will Asklepios eine Kinderstation schließen und beantragt dazu auch noch Fördermittel. Es steht sogar die Weiterführung des gesamten Sankt Augustiner Krankenhauses in Frage. Aber zumindest sollen Fördermittel aus dem Strukturfonds des Bundes die Abschaffung des gesamten Kinderkrankenhauses abwickeln. Sollte nicht genügend Geld zur Schließung des Klinik-Standorts bewilligt werden, fordert die Geschäftsführung Fördermittel wenigstens zur Schließung des Kinder-Herz-Zentrums. Und: Asklepios will dann einen Zuschlag zur Sicherung der übrigen Abteilungen des Kinderkrankenhauses. “Wir wollen alles tun, um die Kinderklinik zu retten. Aber wir brauchen Geld vom Land”, sagt Klinik-Geschäftsführer Dr. Klaus Schmolling.
An solchen Entscheidungen hängen Schicksale. Wie bei Christian Oschem aus Troisdorf. Sein 13-jähriger Sohn hat die Glasknochen-Krankheit und ist seit vielen Jahren in der Sankt Augustiner Kinderklinik in Behandlung: „Wenn die Klinik dicht macht, müssen wir zu einem anderen Spezialisten fahren — entweder nach Hamburg oder nach Stuttgart“.
Die Kinderklinik in Siegen ist ebenfalls in arger, finanzieller Not. Träger ist hier das Deutsche Rote Kreuz. Und es handelt sich nicht um einen kurzfristigen Engpass. Das sei strukturbedingt, sagt auch hier Geschäftsführer Jochen Scheel: Das 2004 eingeführte Vergütungssystem zur Krankenhausfinanzierung sei für Kinderkliniken überall ein Problem. Die Siegener Kinderklinik hält beispielsweise für Kinder und Neugeborene zwei Intensiv-Einheiten ständig einsatzbereit. Dazu muss stets ein hoher Personalbestand vorgehalten werden, auch dann, wenn die Betten nicht belegt sind. Kinderkrankenhäuser müssen grundsätzlich wegen höherer Betreuungs- und Pflegeanforderungen mehr Personal haben – besonders auf Kinder-Intensivstationen. Das sind deutlich höhere Kosten als in einer Klinik für Erwachsene. Bei der Neugestaltung des Vergütungssystems wurden aber alle Kliniken ziemlich über einen Kamm geschert, der Mehraufwand für Kinder wird nicht finanziert – und das macht allen Kinderkrankenhäusern schwer zu schaffen.
Das hat auch schon vor einigen Jahren die Kinderklinik in Düren zum Aufgeben gezwungen. Das Land hat die dreißig Betten für die Kinderklinik einfach im neuen Krankenhausplan gestrichen. Die Kosten für die Kinderabteilung waren zu hoch und bei immer weniger Geburten wurden es immer weniger Patienten, es lohnte nicht mehr. Nun hat man zum Ausgleich die Kinderklinik in Birkesdorf um zehn Betten erweitert.
Die Versorgung, Pflege und Behandlung schwerkranker Kinder ist enorm kostenintensiv und beschert den Häusern Verluste. Insbesondere eine zeitintensive, liebevolle Zuwendung, um den Kindern Trost zu geben, Vertrauen aufzubauen und ihnen die Angst zu nehmen. Zudem dauert es oft länger, aus dem Verhalten des Kindes und seinen spärlichen Äußerungen zu entnehmen, was genau dem Kleinen fehlt. Erwachsene können recht schnell und klar ausdrücken, was los ist. Kinder kosten da Zeit, Einfühlungsvermögen und Geduld. Das wird aber vom deutschen Gesundheitssystem nicht bezahlt. Die Zwangsjacke der „Fallpauschalen“ wird für kranke Kinder zum lebensgefährlichen Risiko.
„Das Haunersche Kinderspital in München hat bereits seine Kinder- und Jugendpsychosomatik schließen müssen und auch die Uniklinik Würzburg hat vorübergehend einzelne Stationen geschlossen, um Kosten zu sparen, berichtet der Bayerische Rundfunk.“
Berthold Koletzko von der Stiftung Kindergesundheit warnt: „Die meisten Kinderkliniken und Fachabteilungen für Kinder- und Jugendmedizin befinden sich in einer bedrohlichen Lage. Sie werden immer häufiger zu Verlierern in einem System, das auf die Bedürfnisse ihrer kleinen Patienten aus wirtschaftlichen Gründen kaum noch Rücksicht nimmt“. Trotz weniger Mittel und weniger Personal müssten sehr unterschiedliche Anforderungen bewältigt werden: „Kinderkliniken müssen Betten für ganz unterschiedliche Patientengruppen vorhalten: Von Frühgeborenen, die weniger als 500 Gramm wiegen, bis zu Jugendlichen mit mehr als 150 Kilogramm Gewicht. Sie benötigten außerdem Betten für saisonal auftretende Infektionswellen und für Kinder mit unterschiedlichem Alter und mit stark voneinander abweichenden Bedürfnissen.“
Auch Michael Melter, Leiter der Kinderklinik in Regensburg erklärt: „Babys und Kleinkinder müssen wir 24 Stunden, sieben Tage die Woche betreuen, wickeln, füttern, begleiten. Wir müssen für alle Kinder und Jugendlichen in jedem Alter und mit jedem Gewicht das volle Vorsorgespektrum vorhalten. Beatmungsgeräte in verschiedenen Größen müssen parat liegen.“
Außerdem, so Melter, gehören Kinder mit seltenen Erkrankungen zwar nicht zum Normalfall, dennoch müssen die Kliniken jederzeit für alles gewappnet sein. Der Passauer Kindermediziner Matthias Keller vergleicht die Situation mit der Feuerwehr: „Die wird ja auch nicht nur bezahlt, wenn es brennt.“
In Berlin will man nun nachdenken. Diverse Verbände, wie der GKV-Spitzenverband (zentrale Interessensvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland) kündigte bereits Änderungen im Fallpauschalensystem an. Verschiedene Klinikverbände, wie beispielsweise die Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser (GKinD), die Kinder- und Jugendmedizinischen Fachgesellschaften (DGKJ) und der GKV-Spitzenverband haben gemeinsam ein Arbeitspapier verfasst, das Probleme und Lösungsvorschläge zur Finanzierung stationärer Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Fallpauschalensystem erarbeiten will. Das Papier liegt dem Bundesgesundheitsminister Spahn bereits vor und wird zur Zeit geprüft. Heißt es jedenfalls aus dem Ministerium. Das kann dauern.
Denn bis aus Berlin etwas kommt, könnte für viele Familien und Kinder die Zeit davonlaufen. Für manchen kleinen Patienten könnte das den Tod bedeuten. Christoph Klein, der Chef des Haunerschen Kinderspitals in München fürchtet sich vor dem Moment, an dem er den Eltern schwerkranker Kinder vielleicht sagen muss: „Tut uns leid, aber wir können Ihr Kind hier in Deutschland nicht mehr ausreichend versorgen.“
Für alles Mögliche ist Geld da. Milliarden an deutschen Steuergeldern werden in alle Herren Länder gepumpt. Milliarden ausgegeben für Leute, die aus allen Ecken der Welt hierher kommen. Aber für unsere kranken Kinder und Enkel ist das Geld nicht da. Das ist bitter. Wenn es nicht so schrecklich wäre, könnte man ja ätzen, dass die Berliner Politik sowieso alles dafür tut, die Deutschen so gut es nur irgend geht, zu schädigen. Warum sollte man bei den Kindern eine Ausnahme machen?
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