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Wir feiern ein großes Nicht-Ereignis des Jahres 2019

Das war ein Jahr voller schlechter Nach­richten. Es ist eine Jah­reszeit, die nach guten Nach­richten schreit. Viel­leicht könnte ich das Jahr also mit einer Reflexion über etwas abschließen, das für mich – in einer schwie­rigen und umkämpften Zeit – eine kleine Quelle des Opti­mismus dar­stellt. Es ist wirklich eine Geschichte über etwas, das nicht pas­siert ist. Eine Geschichte, wie Sherlock Holmes es aus­drücken würde, von dem Hund, der nicht bellt.

(von Douglas Murray)

Es ist nun mehr als ein Jahr her, dass Zayn Malik ent­hüllte, dass er sich nicht mehr als Muslim betrachtet. Einige Leser werden sich fragen, wer Malik ist. Er ist kein reli­giöser Gelehrter oder irgendeine füh­rende kirch­liche Auto­rität. Für junge Leute auf der ganzen Welt ist er jedoch weitaus berühmter. Malik ist ein junger bri­ti­scher Mann, jetzt in seinen Zwan­zigern, mus­li­mi­scher Abstammung, der als Mit­glied der bri­ti­schen Boyband ‘One Direction’ berühmt wurde. Als sich die Gruppe 2010 in der Talentshow ‘X Factor’ traf, wurde die Gruppe unter anderem für ihre Vielfalt gefeiert. Dies war aber offen­sichtlich nicht der Haupt­grund, warum sich Stadien voller über­wiegend junger Frauen heiser schrien, als die Band­mit­glieder auf den Bühnen der Welt sangen und tanzten.

Malik hat seinen Glauben nie son­derlich for­ciert, aber es gab gele­gentlich Ein­blicke. Wie ich hier bereits erwähnt habe, schickte Malik 2014, während des Israel-Gaza-Kon­flikts in jenem Jahr, einen Tweet mit dem Slogan ‘Free Pal­estine’ an seine 13 Mil­lionen Twitter-Fol­lower. Jetzt kann man natürlich auch ein Nicht­muslim sein und anfangen, ‘Free Palestine’-Nachrichten im Internet zu ver­breiten. Groß­bri­tannien wurde erst kürzlich davor bewahrt, einen Pre­mier­mi­nister zu haben, der sich einer solch pseudo-sim­plis­ti­schen, aber aktiv bigotten Rhe­torik hingibt. Aber es schien einen reli­giösen Stand­punkt von jemandem zu ver­treten, der – zu diesem Zeit­punkt – eine beträcht­liche kul­tu­relle Reich­weite hatte.

Abge­sehen von solchen Momenten wurde die Religion von Malik genauso wenig wie von anderen Band­mit­gliedern in den Vor­der­grund gerückt.

Im November 2018 jedoch, vor mehr als einem Jahr, gab Malik ein Interview mit dem, was bis vor kurzem noch als bemer­kenswert galt. In einem Interview mit der bri­ti­schen Vogue bestä­tigte er, dass er sich nicht mehr als Muslim iden­ti­fi­ziert. In dem Interview sagte er, dass er nicht mehr an ‘irgendeine’ Religion glaube. “Mir ist nicht gegeben, ein Muslim zu sein”, sagte er; und als er gefragt wurde, ob er sich selbst als Muslim betrachtete, ant­wortete er “Nein, das würde ich nicht tun”. Als er gedrängt wurde, sagte er: “Ich glaube, was auch immer die reli­giösen Über­zeu­gungen der Men­schen sind, es ist eine Sache zwi­schen ihnen und wem oder was auch immer sie prak­ti­zieren. Für mich habe ich den spi­ri­tu­ellen Glauben, dass es einen Gott gibt. Glaube ich, dass es eine Hölle gibt? Nein.”

Manche Leute mögen das als völlig normal und ereig­nislos ansehen. Aber für jeden, der mit der isla­mi­schen Geschichte ver­traut ist – und für jeden, der mit den Ereig­nissen im Westen in den letzten zwei Jahr­zehnten ver­traut ist – ist dies eine ein­zig­artige und bemer­kens­werte Aussage. In den letzten zwanzig Jahren war es für Muslime oft – und wurde sicherlich so dar­ge­stellt – außer­ge­wöhnlich gefährlich, den Islam zu apo­sta­sieren (d.h. den isla­mi­schen Glauben zu ver­lassen), besonders in der Öffent­lichkeit. Sicherlich gab es seit der Affäre um die Sata­ni­schen Verse (1989) ein wach­sendes Bewusstsein im Westen, dass der Islam in dieser Hin­sicht anders als andere Reli­gionen zu sein scheint. Während alle Reli­gionen in ihrer Geschichte den Aus­tritt erschwert haben, und auch wenn einige es immer noch gemein­schaftlich schwierig oder beschämend machen, wird der Islam zu Recht als die Religion ange­sehen, aus der aus­zu­treten am gefähr­lichsten bleibt.

Jede Schule der isla­mi­schen Recht­spre­chung hat die Ansicht ver­treten, dass es eine Strafe für den Glau­bens­abfall geben muss, und die meisten dieser Inter­pre­ta­tionen (alle nach einigen Berichten) schreiben das schlimmste aller Strafen vor – den Tod.

Das Wissen um solch schwere Strafen wurde in den west­lichen Ländern, ins­be­sondere seit 9/11, an die Öffent­lichkeit gebracht. Seit fast zwanzig Jahren hört der Westen immer wieder Geschichten von Men­schen, die zum Tode, zu Gefängnis oder anderen Strafen ver­ur­teilt wurden, weil sie den Islam ver­lassen haben oder weil sie den Ein­druck erweckt hatten, den Islam ver­lassen zu haben. Pro­mi­nente Kri­tiker des Islam wurden gezwungen, sich zu ver­stecken oder zu einem Leben hinter Sicher­heits­be­amten gezwungen. Ein all­ge­meiner Hauch von stillem Terror hat das ganze Thema beherrscht.

Man kann sehr detail­liert dar­stellen, wie die Reaktion gewesen wäre, wenn Malik seine Ankün­digung schon vor zehn Jahren gemacht hätte. Damals – im Jahr 2008 – wäre sein Interview ein rie­siger Knüller in den Medien gewesen, die eifrig Geschichten über isla­mi­schen Extre­mismus ver­breiten, aber in ihren Bemü­hungen um Soli­da­rität nach­lässig sind. Wie Nick Cohen und andere beob­ach­teten, war es damals so, dass die Medien solche Geschichten fast immer benutzten, um ihre eigene Feigheit zu decken. Sie griffen den kleinsten Bissen oder den Hauch von Apo­stasie oder anderer Kritik am Islam auf und ver­wan­delten ihn sofort in ein rie­siges Geschäft. Dann, wie die Nacht auf den Tag folgte, riefen sie den extremsten Kle­riker des Landes an und legten ihm das angeb­liche Ver­brechen vor. Immer “ihm”. In den frühen 2000er Jahren war dies Omar Bakri, aber nachdem er Mitte des Jahr­zehnts in den Libanon geflohen war, übernahm sein Schüler Anjem Choudary den Mantel des Meister-Feuerspuckers.

Im Jahr 2008 hätten die Zei­tungen einen extre­mis­ti­schen Geist­lichen ange­rufen und ihm das Malik-Zitat zuge­schrieben. Der Kle­riker hätte dafür sorgen können, dass er die auf­rüh­re­rischste und gefähr­lichste Sache sagt, während er im Großen und Ganzen innerhalb der bri­ti­schen Gesetze über Auf­wie­gelung bleibt. Er hätte zum Bei­spiel sagen können, dass die­je­nigen, die den “Kern” des Islam ver­lassen, wissen, was sie tun, und wissen, was die Strafe ist. Die Jour­na­listen könnten ihn bitten, zu bestä­tigen, dass es sich um den Tod handelt, und er könnte dies sagen, wobei er darauf achten sollte, nicht aktiv zur Ermordung von Zayn Malik auf­zu­rufen. Dann hätten die Jour­na­listen ihre Geschichte.

Die Schlag­zeilen am nächsten Tag hätten viel­leicht gebrüllt: “Kle­riker warnen vor dem Tod für One Direction Sänger”, “Mord für Malik?” und so weiter. Sie würden von den Lesern im ganzen Land mit Beklom­menheit gelesen werden. Muslime, die selbst in irgend­einer Weise an ihrem Glauben zwei­felten, wären ängstlich. Und Nicht-Muslime würden ihre schlimmsten Befürch­tungen über den Islam bestätigt bekommen.

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Aber das ist zehn Jahre her. Seitdem ist Anjem Choudary glück­li­cher­weise ins Gefängnis gegangen und ist jetzt mit außer­ge­wöhnlich strengen Auf­lagen unterwegs.

Ich habe diesen Artikel bewusst ein Jahr lang nicht geschrieben, weil ich das Schweigen bestä­tigen wollte. Ich wollte bestä­tigen, dass es in der Nacht kein Bellen gab. Und über das Jahr 2019 hinweg gab es kein Bellen. Malik hat mit seinem Leben und seiner Kar­riere wei­ter­ge­macht. Soweit ich weiß, hat es keine ernst­hafte Bedrohung für ihn gegeben, außer durch die Horden junger Frauen auf der ganzen Welt, die oft so eifrig in ihren Gefühlen erscheinen, wie einige der eif­rigsten isla­mi­schen Kle­riker in ihren. Malik musste nicht zu Salman Rushdie werden. Er ist kein “berühmter Abtrün­niger” geworden. Jemand, der viel­leicht der berühm­teste Muslim Groß­bri­tan­niens ist, hat den Islam ver­lassen, und es ist nichts passiert.

Ich sollte klar­stellen, dass ich mit dem Aus­leuchten dieser Geschichte nicht sagen will, dass es keine Bedrohung für Muslime gibt, die den Islam irgendwo auf der Welt ver­lassen. In Pakistan, Saudi-Arabien und an vielen anderen Orten könnte fast nichts gefähr­licher sein. Ich sage auch nicht, dass es für alle Muslime wün­schenswert wäre, den Islam zu ver­lassen. Ich sage es nur, weil es möglich ist – und wenn ja, dann ist es eine sehr gute Nach­richt – dass es im Europa des 21. Jahr­hun­derts positive Bewe­gungen gibt, die wir nicht wahr­nehmen – weil es damit zu tun hat, dass eben nichts passiert.

Die Hoffnung der meisten von uns in einem Land wie Groß­bri­tannien ist nicht, dass jeder seinen Glauben ver­lässt, sondern einfach, dass die Men­schen Reli­gi­ons­freiheit haben und dass dies die Freiheit ein­schließen sollte, einen Glauben zu ver­lassen, wenn man dies wünscht, ohne dass dies Kon­se­quenzen für die eigene Person hat. Das ist, kurz gesagt, der Kern jener Auf­klärung, die Europa der Welt vor drei Jahr­hun­derten gegeben hat. Wir hören viele Nach­richten über Angriffe auf diese Auf­klärung. Aber diese Geschichte eines Nicht-Ereig­nisses lässt ver­muten, dass manche Aspekte dieser Auf­klärung solider – und attrak­tiver – sein könnten, als man uns manchmal glauben machen will.

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Douglas Murray, bri­ti­scher Autor, Kom­men­tator und Public Affairs Analyst, hat seinen Sitz in London, England. Zu seinen neu­esten Büchern, inter­na­tio­nalen Best­sellern, gehören “Der seltsame Tod Europas: Ein­wan­derung, Iden­tität, Islam” und “Der Wahnsinn von Men­schen­mengen”: Geschlecht, Rasse und Identität”.


Quelle: gatestoneinstitute.org