Afrika wird armregiert

Interview mit Volker Seitz zu seinem Buch Afrika wird arm­re­giert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in ver­schie­denen Funk­tionen für das deutsche Aus­wärtige Amt tätig, zuletzt als Bot­schafter in Kamerun, der Zen­tral­afri­ka­ni­schen Republik und Äqua­to­ri­al­guinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Ent­wick­lungs­hilfe und ist Autor des Best­sellers „Afrika wird arm­re­giert“. Die aktua­li­sierte und erwei­terte Taschen­buch­ausgabe erschien im Sep­tember 2018. Zwei Nach­auf­lagen folgten 2019. Volker Seitz publi­ziert regel­mäßig zum Thema Ent­wick­lungs­zu­sam­men­arbeit mit Afrika und hält Vorträge.

—————-

Herr Seitz, Sie ziehen in Ihrem Buch „Afrika wird arm­re­giert“ eine aus­ge­sprochen ernüch­ternde Bilanz von klas­si­scher Ent­wick­lungs­hilfe. Die vielen Mil­li­arden, die Jahr für Jahr nach Afrika fließen, sind demnach fehl­in­ves­tiert und kon­tra­pro­duktiv, um es deutlich zu formulieren…

Mit meinem Buch will ich auf­klären über die im Namen des Guten errich­teten Denk- und Dis­kus­si­ons­blo­ckade, die jeder freien Gesell­schaft und Wis­sen­schaft­lichkeit spottet. Unsere Ent­wick­lungs­hilfe beruht auf dem Trug­schluss, dass wirt­schaft­licher und sozialer Fort­schritt ohne poli­tische Ent­wicklung möglich sei. Dabei schaffen unsere Ent­wick­lungs­helfer nur wei­terhin eine Wohl­fahrts­men­ta­lität unter afri­ka­ni­schen Poli­tikern. Sie erkennen gar keine Not­wen­digkeit, selbst zu handeln, weil es immer irgend­je­manden in Berlin, Brüssel oder anderswo in Europa gibt, der das für sie tut. Und Ent­wick­lungs­helfer, die von der Hilfe leben, haben kein Interesse daran, sich über­flüssig zu machen. Ent­wick­lungs­hilfe ist zu einem Geschäft geworden, und die Bereit­schaft der Orga­ni­sa­tionen, sich auf absehbare Zeit abzu­schaffen, ist sehr gering. Deshalb stößt man bei der bisher erreichten Ent­wicklung durch unsere Hilfe in Afrika, je nach Inter­es­senlage, auf erheb­liche Wahrnehmungsunterschiede.

Hier bestellen!

Die Falle, in der sich Afrika befindet, sind ver­ant­wor­tungslose Regie­rungen, schreiben Sie. Sie würden sich nicht um Men­schen­leben scheren und nur in ihre eigenen Taschen und die ihrer Anhänger wirt­schaften. Das ist ein harter Vorwurf…

In 17 Jahren in Afrika habe ich beob­achtet, dass die afri­ka­ni­schen Länder, die am meisten Ent­wick­lungs­hilfe erhalten, am wenigsten gegen die Armut unter­nehmen. Die Ent­wick­lungs­hilfe ist eines der wich­tigsten Instru­mente, mit denen sich kor­rupte und inkom­pe­tente Regime in Afrika an der Macht halten. Warum fragt niemand Afrikas Staats­führer, weshalb sie außer­stande sind, Ver­ant­wortung für ihre Bevöl­kerung zu über­nehmen? Vielen afri­ka­ni­schen Auto­kraten sei es schlicht egal, ob ihre Bürger im Meer ertrinken würden, sagte der kenia­nische Publizist Koigi Wamwere. „Sie sind weder am All­ge­meinwohl inter­es­siert noch daran, die Lebens­um­stände ihrer Bürger zu ver­bessern, sie wollen sich nur berei­chern“, ergänzt der Ex-Minister, der für seine kri­ti­schen Über­zeu­gungen in Kenia elf Jahre im Gefängnis saß.

Die Auto­kraten, die ihr Mandat nicht als Auftrag auf Zeit, sondern als Lebens­aufgabe betrachten, glauben offenbar, dass sich die Zustände in ihren Ländern durch Igno­rieren aus der Welt schaffen lassen. Die Afri­ka­nische Union muss sich mit den Ver­hält­nissen beschäf­tigen, die Men­schen zur Flucht Richtung Mit­telmeer treiben. Dann müssten sie aller­dings über den ekla­tanten Mangel an Per­spek­tiven und Hoff­nungen für viele der jungen Men­schen, die fast überall in Afrika aus­ge­bremst werden, reden und fest­stellen, dass die herr­schenden Klassen in Afrika ihre Länder schlecht regieren und keine Politik ent­werfen, die den essen­ti­ellen Bedürf­nissen vieler Men­schen genügt.

Isabel dos Santos, die Tochter des lang­jäh­rigen Prä­si­denten von Angola, die momentan in den Schlag­zeilen ist, ist also kein Einzelfall?

Das bri­tische Sta­tis­tikbüro „Africa Ranking“ hat 2016 eine Liste der acht reichsten Präsidenten/Könige in Afrika erstellt: José Eduardo dos Santos, inzwi­schen Ex-Prä­sident von Angola (20 Mil­li­arden US-Dollar Ver­mögen); Mohammed VI von Marokko (2,1 Mil­li­arden); Teodoro Obiang Nguema Mbasogo,  Äqua­torial-Guinea (600 Mil­lionen), Uhuru Ken­yatta,  Kenia (500 Mil­lionen), Paul Biya, Kamerun (200 Mil­lionen); Mswati III von Swa­siland [2018 umbe­nannt in König­reich Eswatini] (200 Mil­lionen); Idriss Déby, Tschad (50 Milionen) und der ver­storbene Robert Mugabe, Sim­babwe (10 Mil­lionen). Ich vermute, dass die Schät­zungen im Mil­lionen-Bereich, ins­be­sondere bei Mugabe, zu niedrig aus­ge­fallen sind.

Es ist erfreulich, dass der Auf­stieg von Isabel dos Santos zur reichsten Frau Afrikas, der auf engste mit der Politik des Vaters zusam­men­hängt, nun in die Schlag­zeilen gekommen ist. Aus deut­scher Sicht wäre es an der Zeit auch  die Rolle des SPD Poli­tikers und Prä­si­denten der Deut­schen Bun­desbank (1999 – 2004), Ernst Welteke in der Banco Kwanza Invest (vormals Banco Quantum Capital) in Angola und die  Ver­bin­dungen zum dos-Santos-Clan, der 37 Jahre die Politik domi­nierte, zu durch­leuchten. Welteke ist seit 2008 Direk­to­ri­ums­mit­glied dieser Bank. Erstmals am 24. Januar 2020 hat die F.A.Z. die undurch­sichtige Rolle Weltekes the­ma­ti­siert. Welteke bestreitet alle Vor­würfe und ver­teidigt gleich­zeitig den Sohn des frü­heren Präsidenten.

Die Bank wurde von José Filomeno de Sousa dos Santos, einem Sohn des ehe­ma­ligen Staats­prä­si­denten José Eduardo dos Santos gegründet. Gegen ihn läuft ein Ver­fahren wegen Kor­ruption und Geldwäsche.

Inwieweit machen sich afri­ka­nische Regie­rungen die Kolo­ni­alzeit zu Nutze und welche Rolle spielt die Geschichte bei den Geberländern?

Afri­ka­nische Poli­tiker, oft von deut­schen Gesin­nungs­ethikern unter­stützt, führen die Misere in ihren Ländern aus­schließlich auf die Kolo­ni­alzeit zurück, um als Opfer von ihrem eigenen Ver­sagen abzu­lenken. Dem­ge­genüber hat zum Bei­spiel die ältere kame­ru­nische Bevöl­kerung von der deut­schen Kolo­ni­alzeit (1884 bis 1916) ein eher undif­fe­ren­ziertes, aller­dings sehr posi­tives Bild. Die kurze deutsche Kolo­ni­al­ge­schichte war kein harm­loses Zwi­schen­spiel. Aber ich habe in vier Jahren in Kamerun häufig Men­schen getroffen, die sich gerne – ver­mutlich vom Hören­sagen in der Familie – an die auto­ritäre Ordnung der Kolo­ni­alzeit erinnern, weil sie zumindest den Schein von Gerech­tigkeit bot. Die häss­lichen Seiten des kolo­nialen Alltags mit ihren ras­sis­ti­schen Dis­kri­mi­nie­rungen, die Praxis des Arbeits­zwanges und der Straf­justiz werden aus­ge­blendet oder sind nicht mehr bekannt.

Deut­schen Poli­tikern fällt es schwer, in der so genannten Ent­wick­lungs­hilfe Irr­tümer ein­zu­ge­stehen und die Not­bremse zu betä­tigen. Das hängt ver­mutlich damit zusammen, dass all die Hilfs­werke unser schlechtes Gewissen gewinn­bringend bewirt­schaften. Die Ver­marktung der Armut ist ein Business, von dem die ver­meint­lichen Helfer selber am meisten pro­fi­tieren. Wenn wieder einmal auf­ge­deckt wird, dass “Hilfe” in die Taschen der Reichen fließen, gibt es laut­starken Protest, nicht gegen die Zustände, sondern gegen ihre Ent­hüllung, die als Munition für Kür­zungen im Ent­wick­lungs­hilfe-Haushalt gesehen werden.

Gibt es Aus­nahmen in Afrika, die als Vorbild dienen könnten, und wodurch unter­scheiden sich diese Länder?

Im nach­hal­tigen Sinne positiv fallen unter den 55 afri­ka­ni­schen Nationen eher wenige auf. Doch es gibt einige Länder, die man die Mus­ter­staaten nennen könnte. Es sind Staaten, die alle ihren eigenen Weg gefunden haben, um mit den Pro­blemen Armut und poli­ti­scher wie wirt­schaft­licher Insta­bi­lität umzu­gehen. Das Mus­terland Botswana ist das wohl beste Bei­spiel. Die soge­nannte „Schweiz Afrikas“ ist nicht auf Ent­wick­lungs­hilfe ange­wiesen. Niemand dort will das Land in Richtung Europa verlassen.

Wenn man eine weitere Erfolgs­ge­schichte auf dem Kon­tinent sucht, kommt man aktuell an Ruanda nicht vorbei. Ruanda ent­spricht ganz und gar nicht dem Kli­schee des hoff­nungs­losen Kon­ti­nents. Es wurde zu einem Vor­zei­ge­bei­spiel für ein Land in Afrika, das vor­an­kommt, ein rarer Licht­blick. Gute Regie­rungs­führung hat sich zum Nutzen der Bevöl­kerung aus­ge­zahlt. Die Wirt­schaft der jungen Nation boomt, und die Lebens­er­wartung hat sich in den letzten zwei Jahr­zehnten ver­doppelt. Der Anteil der Bevöl­kerung, der unterhalb der Armuts­grenze lebt, konnte in fünf Jahren um zwölf Pro­zent­punkte auf 45 Prozent gesenkt werden. Die Lebens­qua­lität ist gestiegen, Aus­wan­de­rungs­willige sind deshalb rar.

Fri­scher Wind weht auch in dem zweit­be­völ­ke­rungs­reichsten Staat des Kon­ti­nents. Äthiopien ist eines der ärmsten und am wenigsten ent­wi­ckelten Länder der Welt. Zwi­schen 2004 und 2016 hatte das Land durch­schnitt­liche Wachs­tums­raten von über zehn Prozent. Das ist das höchste Wirt­schafts­wachstum in Sub­sahara-Afrika. Und dies ohne Roh­stoff­ex­porte wie Öl oder Mine­ralien. Grund waren hohe Inves­ti­tionen in den Infra­struk­tur­ausbau und in die Land­wirt­schaft. Äthio­piens Bil­dungs­wesen wurde in den letzten Jahren beachtlich ent­wi­ckelt. Die Ein­schu­lungsrate hat sich seit den 2000er Jahren mehr als verdoppelt.

Seit Anfang April 2018 ist Abiy Ahmed Pre­mier­mi­nister von Äthiopien. Obwohl er aus dem Apparat des vor­ma­ligen Regimes stammt, sorgt der junge Premier für eine neue Offenheit, weckt hohe Erwar­tungen und hat auch noch Frieden mit dem Erz­feind Eritrea geschlossen. Dafür hat er 2019 den Frie­dens­no­bel­preis bekommen.

Das neue positive Image des Landes, der unge­ahnte poli­tische Auf­bruch und die zupa­ckende Rolle der Regierung von Abiy Ahmed wird in den inter­na­tio­nalen Bezie­hungen hono­riert. Die Ver­söhnung mit dem Nachbarn und die vielen posi­tiven Ver­än­de­rungen könnte zum Vorbild für andere afri­ka­nische Staaten werden.

Sie fordern, dass Ent­wick­lungs­po­litik ein Bestandteil der Außen­po­litik werden müsse. Erklären Sie das bitte und was möchten Sie damit erreichen?

Wir brauchen eine gesamt­po­li­tische Ziel­setzung und deshalb eine Ein­glie­derung des BMZ in das Aus­wärtige Amt. Die Kom­petenz der Ent­wick­lungs­experten muss an die Bot­schaften ver­lagert werden. Die jetzige Trennung in zwei unter­schied­liche Minis­terien – AA und BMZ – ist von der Sache her künstlich und führt zu Kom­pe­tenz­ge­rangel. Die fran­zö­sische Regierung hat, wie alle großen Geber, diesen Schritt bereits 1998 voll­zogen und damit statt dem unsäg­lichen Zustän­dig­keits­denken eine bessere Koor­di­nation geschaffen. Das Argument, dass Ent­wick­lungs­po­litik auf diese Weise außen­po­li­tisch und außen­wirt­schaftlich instru­men­ta­li­siert wird, ist nach meinen Erfah­rungen nicht stichhaltig.

Skiz­zieren uns doch bitte, soweit dies in einem Interview möglich ist, wie man Afrika am besten helfen könnte? 

Das inter­na­tionale Ent­wick­lungs­hil­fe­business ist ein lukra­tives Geschäft mit einem Jah­res­umsatz von 150 Mil­li­arden Dollar. Und das ist nur die offi­zielle Summe. Es gibt Zehn­tau­sende von Berufs-Ent­wick­lungs­helfern, die die ewige Hilfe als Brot­erwerb brauchen und nutzen. Nach wie vor haben die großen Orga­ni­sa­tionen Schwie­rig­keiten, genügend sinn­volle Pro­jekte zu finden, um die Mittel los zu werden.

Viele Afri­kaner sind, trotz staat­licher Mil­li­ar­den­hilfen, immer noch in Analpha­be­tismus gefangen, haben kein sau­beres Trink­wasser, und der Zugang zu Bildung und medi­zi­ni­scher Ver­sorgung ist ein­ge­schränkt. Ich habe in meinem Buch Bei­spiele aus den Bereichen Bildung und Gesundheit mit Vor­bild­cha­rakter skiz­ziert. Das sind Vereine, die wert­volle Pro­jekte durch­führen, für die das sehr stra­pa­zierte Schlagwort von der „Hilfe zur Selbst­hilfe“ ange­bracht ist. Denn die Men­schen, denen geholfen wird, müssen das Gefühl haben, das ihnen Mög­liche dazu­getan zu haben. Nur dann ist nach­haltige Hilfe möglich.

Mein Vor­schlag ist, dass man von den über zehn Mil­li­arden Euro, die bislang jährlich als Steu­er­gelder in die Ent­wick­lungs­hilfe fließen, besser hier lebende Afri­kaner mit Risi­ko­ka­pital ver­sorgt, um sich in ihrem Hei­matland selb­ständig zu machen. Die Gesell­schaft für Inter­na­tionale Zusam­men­arbeit könnte den Rück­kehrern helfen, einen Busi­nessplan zu ent­wi­ckeln, und die deutsche Bot­schaft vor Ort könnte das Risi­ko­ka­pital dann schritt­weise aus­zahlen.  Denkbar wäre in der ersten Zeit zwei Schlüs­sel­po­si­tionen von außen zu besetzen: den Finanz­di­rektor und den Ver­ant­wort­lichen für den Einkauf. Zumindest wäre das mal ein Pilot­projekt wert. Schlechter als die bis­herige “Hilfe“ kann es gar nicht laufen.

Die Bevöl­kerung Afrikas wird sich bis 2050 auf etwa 2,5 Mil­li­arden Men­schen ver­doppeln. Die Flücht­lings­krise 2015 könnte also nur ein Vor­ge­schmack dessen gewesen sein, was auf Europa an Migra­ti­ons­druck zukommt. Unter­schätzen oder ver­drängen deutsche und andere Poli­tiker diese Problematik?

Afrika steht vor einer Bevöl­ke­rungs­explosion, die zwangs­läufig zu einer wei­teren mas­siven Migration in Richtung Europa, aber besonders Deutschland führen wird. Das extreme Bevöl­ke­rungs­wachstum ver­eitelt Wohl­stands­ge­winne auf dem Kon­tinent. Das weiß jeder, der sich mit Afrika ein­ge­hender beschäftigt. Da hilft nicht der gebets­müh­len­artige Ruf nach der ‚Ursa­chen­be­kämpfung‘, denn das würde impli­zieren, dass die Pro­bleme Afrikas von außen gelöst werden können.

Längst hat sich in überall in Afrika die Bot­schaft ver­breitet, dass man in Deutschland bleiben kann – mit oder ohne Asyl. Die Reise lohnt sich also. Diese Politik ist auch eine Gold­grube für „Men­schen­schmuggler“, denn es sind nicht die Ärmsten, die die lebens­ge­fähr­liche Reise wagen. An der ille­galen Ein­wan­derung ver­dient die orga­ni­sierte Kri­mi­na­lität gut. Ein Schleuser kann, wie der franko-ben­i­nische Jour­nalist Serge Daniel ermittelt hat, derzeit zwi­schen 1.000 und 8.000 Euro pro Person verlangen.

Viel effek­tiver als weitere Ent­wick­lungs­hilfe zu zahlen, wäre poli­ti­scher Druck aus Europa auf die auto­ri­tären afri­ka­ni­schen Regie­rungen, damit sie dafür sorgen, dass die Jugend diese Staaten nicht mehr ver­lassen muss.

Vielen Dank, Herr Seitz.

————-

Das Interview wurde per email geführt. Die Fragen stellte Andreas Marquart.


Quelle: misesde.org