Mord­kom­plott Sarajewo 1914: Frei­mau­re­ri­sches „Logen­urteil“ gegen Franz Fer­dinand! (2)

Wenige Wochen vor dem Attentat, sagte Franz Fer­dinand d’Este, Thron­folger und Neffe Franz Joseph I., des öster­rei­chi­schen Kaisers und Apos­to­li­schen Königs von Ungarn und Kroatien aus dem Haus Habsburg-Loth­ringen zu Erz­herzog Karl, während seine Gattin die Kinder ins Bett brachte:

„Ich weiß, dass man nicht bald ermorden wird. In diesem Schreib­tisch sind Papiere, die dich angehen. Wenn es geschieht, nimm sie an dich.“ Als Karl pro­tes­tierte, diese wohl nur ein Scherz, ent­gegnete der Thron­folger: „Nein ich meine es ernst. Im Übrigen ist alles schon vor­be­reitet, die Gruft in Art­stetten ist jetzt fertig“ (Oster­rieder, S. 595).

Hier bestellen!

Doch die Sache wird noch mys­te­riöser, wie der deutsche His­to­riker Markus Oster­rieder berichtet: „Einige Jahre vor Aus­bruch des Welt­kriegs wurde ‚eines Tages in der Kabi­netts­kanzlei des Kaisers ein ver­schlos­senes Couvert grö­ßeren Formats abge­geben, dass die Auf­schrift trug: ‚An Seine Majestät Kaiser Franz Joseph, Wien Hofburg.‘ Der Absender war auf dem Umschlag nicht ver­merkt. Im Couvert befand sich ein mehrfach gefal­tetes großes Blatt mit kal­li­gra­fisch aus­ge­führten, eigen­tüm­lichen Schrift­zeichen. Der Kanzlist der Kabi­netts­kanzlei war in Ver­le­genheit, wie er dieses eigen­tüm­liche Schrift­stück in das Ein­rei­chungs­pro­tokoll ein­tragen sollte. Man half sich zunächst damit, es an die Mili­tär­kanzlei des Kaisers abzu­geben; aber auch diese wusste nichts damit anzufangen.“

Weiter: „Die Schrift­zeichen wurden mit aller lebenden Sprachen ver­glichen; es ergab sich, dass es sich nur um eine Geheim­schrift handeln könne. Da man aber ein an den Kaiser gerich­tetes Schrift­stück nicht in den Papierkorb werfen wollte, wurde es an das Chiffre-Department des Minis­te­riums des Äußeren geleitet. Dort saßen Gelehrte, die nach eigenen kunst­vollen Methoden jede Chiffre zu ent­rätseln vermochten.“

Dabei stellte sich heraus, dass das offen­sichtlich aus­län­dische Papier ame­ri­ka­ni­schen Ursprung sei. „Nach mona­te­langer Arbeit gelang es dem Chiffre-Department, die Schrift zu ent­ziffern sie hatte bei­läufig fol­genden Inhalt: Der nicht genannte Schreiber des Briefes teilte mit, das hoch­gra­du­ierte Frei­maurer in einer Geheim­sitzung, der er selbst bei­wohnte, beschlossen hätten, die Dynastie der Habs­burger und jener der Hohen­zollern zu stürzen, Öster­reich zu zer­trümmern und zur Errei­chung dieses Zieles einen Welt­krieg zu ent­zünden. Er sei zwar zur Geheim­haltung dieses Ent­schlusses ver­pflichtet, könne es aber bei der Unge­heu­er­lichkeit dieses Planes nicht über sich bringen, zu schweigen; er wolle die maß­ge­benden Stellen zumindest in dieser, viel­leicht gar nicht ver­ständ­lichen Form auf die dro­hende Gefahr auf­merksam machen.“

Die Papier­sach­ver­stän­digen, die darüber Bescheid wussten, erzählten hie und da von dem mys­te­riösen Schreiben. Diese Indis­kretion büßten beide mit ihrem Leben. Sie fielen binnen kurzem anscheinend zufäl­ligen Unfällen zum Opfer. „Der eine wurde auf der Straße von her­ab­fal­lenden Ziegeln erschlagen, der andere durch den Stoß eines nicht eru­ier­baren Pas­santen auf das Geleise der Stra­ßenbahn geschleudert und über­fahren. Die Warnung blieb unbe­achtet. Man glaubte nicht an den Ernst solcher geheimer Pläne von Frei­maurern, ja man hielt solche Dinge für Ammen­märchen und lachte darüber« (Oster­rieder S. 595, 596). Darüber ist in den Unver­öf­fent­lichten Erin­ne­rungen (S. 1939 ff.) von Arthur Polzer-Hoditz, Kabi­nettschef unter Kaiser Karl, zu lesen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzep­tieren Sie die Daten­schutz­er­klärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Ein wei­terer „Zeit­zeuge“ ist Dr. Paul Köthner, Pri­vat­dozent der Uni­ver­sität Berlin und ehe­ma­liges Mit­glied der Großen Lan­desloge der Frei­maurer von Deutschland (IFL, S. 480). Er schrieb dazu in der Zeit­schrift FemsternMonats­zeit­schrift des Bundes der Guten (Nr. 8, 21. Nebelung, 1915, S. 6 (100) bis S. 7 (101)): „Ich hatte in den Jahren 1911–13 – anfänglich noch gut­gläubig und arglos – in den Logen andere Städte und Länder Ent­de­ckungen gemacht, die mich aufs hef­tigste erschüt­terten und meine ganze bis­herige Auf­fassung von Frei­mau­rerei über den Haufen warfen.  Denn ich sah und hörte und erlebte, dass es neben der mir bekannten noch eine andere dieser tot­feind­lichen Frei­mau­rerei gibt, und erhielt zufällig Beweise dafür, dass diese etwas Frucht­bares gegen Deutschland plante. Aus unvor­sich­tigen ver­lo­renen Bemer­kungen und durch merk­würdige Umstände hatte ich den Plan der Ermordung des Erz­herzogs Franz Fer­dinand, zum Welt­krieg, zum Sturz der Throne und Altäre und manches, was dann bis ins Kleinste ein­ge­troffen ist, erlauscht“ (Eggert (1), S. 268).

Damit machte Ex-Logen­bruder Köthner  öffentlich, dass er in deut­schen Logen gehört hatte, dass der Thron­folger beseitigt, ein Welt­krieg ent­fesselt und in dessen Verlauf die „Throne und Altäre“ gestürzt werden sollten. Mit diesem Wissen will er zum Landes-Groß­meister (1908–1915) Graf Sta­nislaus zu Dohna-Schlodien gegangen sein und ihm unter vier Augen ent­hüllt haben, was er mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen hatte. Der Landes-Groß­meister habe darauf nur die kate­go­rische Erklärung abge­geben: „Es gibt nur eine Frei­mau­rerei“ und nichts weiter veranlasst.

Von jetzt an wird es etwas kom­pli­zierter. In ein Pri­vat­kla­ge­ver­fahren wegen Belei­digung, das der Graf vor dem Amts­ge­richt Berlin-Lich­ter­felde am 18. Juli 1927 gegen zwei Offi­ziere führte, wie­der­holte Köthner diese schwer­wie­gende Behauptung.

Das Gericht erklärte dem­ge­genüber:  „Der Versuch der Ange­klagten, die Wahrheit der von ihnen ver­brei­teten Tat­sachen ist miss­lungen. Der Zeuge K. räumte von Anfang an ein, dass er den angeb­lichen Mordplan gegen den Erz­herzog in seiner Unter­redung mit dem Pri­vat­kläger über­haupt nicht erwähnt habe; weiter gab er zu, dass seine ‚Ent­de­ckungen‘ nur in der Wahr­nehmung einer dem  Erz­herzog und dem Deut­schen Reich feind­lichen, radi­kalen und inter­na­tio­na­lis­ti­schen Stimmung im gewissen Wiener Logen (…) bestanden hatten. Bestimmte Tat­sachen habe er dem Grafen Dohna nicht angeben können, dieser habe deshalb seine Wahr­neh­mungen, die ihm sehr ernst gewesen seien, sehr wohl als ein leeres Gewäsch auf­fassen können; auch sei es möglich, dass er sei­nerzeit  aus seinen Wahr­neh­mungen noch gar nicht die Fol­ge­rungen gezogen habe, die er im Artikel ange­geben hatte, sondern, dass er erst nach den Erkennt­nissen von 1918 glaubte, er habe das alles schon vor dem  Krieg vor­aus­ge­sehen. Die nach­träg­liche schrift­stel­le­rische Ver­wertung des Vor­ganges sei dem Bedürfnis ent­sprungen, sich wichtig zu machen. Diese Aussage wird durch den per­sön­lichen Ein­druck bestärkt, den der Zeuge auf das Gericht gemacht hat, nämlich den eines ner­vösen, gedächt­nis­schwachen, phan­tas­ti­schen, aber innerlich ehr­lichen Men­schen.‘  Auch in einem wei­teren Prozess, den Graf Dohna (….) wegen ähn­licher Behaup­tungen führte (…)  spielten die Angaben von K. eine Rolle. Es wurde bei dieser Gele­genheit bekannt, dass jener mitt­ler­weile seine Beschul­di­gungen zurück­ge­zogen hatte“ (IFL, S. 480).

Und weiter: „In der Nach­kriegszeit wurde gegen Graf Dohna wie­derholt in deut­schen Adels­kreisen und von natio­na­lis­ti­schen Par­tei­gängern der Vorwurf erhoben, er hätte eine ihm 1912  zuge­gangene Warnung, dass die Frei­maurer die Ermordung des Erz­herzog Franz Fer­dinand beschlossen hätten, nicht wei­ter­ge­leitet und sei hier­durch indirekt an dem Attentat in Sarajevo und dem Aus­bruch des Ersten Welt­kriegs schuld.“ Dies führte unter anderem zu der oben genannten Pri­vat­klage. Major von Coler, ein Schwager Köthners,  der dessen Material dem Großen Gene­ralstab zur Kenntnis brachte, wurde mit einem mit­lei­digen Lächeln abge­wiesen (IFL, S. 230).

Hieraus lernen wir, wie gegen Behaup­tungen dieser Art vor­ge­gangen wird. Aber noch etwas anderes: In „gewissen“ Wiener Logen gab es wohl – nach Köthners Wahr­neh­mungen – „eine dem Erz­herzog und dem Deut­schen Reich feind­liche, radikale und inter­na­tio­na­lis­tische Stimmung …“

Wie dem auch sei, die poli­tische und mili­tä­rische Elite Öster­reich-Ungarns igno­rierte sämt­liche War­nungen. Genauso wenig haben solche bis heute Einlass in die Geschichts­bücher gefunden (in die sie zwei­fellos gehören), würden sie doch Fragen zur Rolle der Frei­mau­rerei in das Attentat von Sarajewo und damit den Aus­bruch der größten Mensch­heits­ka­ta­strophe zu dieser Zeit aufwerfen.

Auch einige der Atten­täter gaben später vor Gericht zu, man hätte ihnen vom  Todes­urteil der Frei­maurer gegen den Thron­folger erzählt. Darauf komme ich noch zurück.

In der Tat reiste Franz Fer­dinand mit dunklen Vor­ah­nungen nach Sarajewo, die sicher durch die Erkenntnis seines „Todes­ur­teils“ durch die Frei­maurer noch ver­stärkt waren. So sagte er zu seiner Gemahlin Her­zogin Sophie, nachdem bereits zu Beginn ihrer Reise die Achsen ihres Waggons, ange­koppelt an den Prager Schnellzug, heiß gelaufen waren: „Siehst du, so fängt es an, zuerst heiß gelau­fener Waggon, dann ein Attentat in Sarajevo und wenn das alles nicht hilft, eine Explosion auf dem Dampfer (…)“ (Weis­sen­steiner, S. 17, 18).

Noch eine weitere Anekdote dazu ist über­liefert: „Der Salon­wagen fing wegen eines Ach­sen­de­fekts Feuer, und das Paar musste in ein nor­males 1. Klasse-Coupè umsteigen, wobei der Thron­folger geradezu pro­phe­tisch bemerkte: ‚Nun brennt’s, und unten wird man uns mit Bomben bewerfen‘“ (Meysels, S. 30).

Im Salon­wagen des Minis­ter­prä­si­denten Karl Graf Stürgkh ver­sagte nach Wei­ter­fahrt die elek­trische Beleuch­tungs­anlage, so dass Kerzen ent­zündet werden mussten. Dar­aufhin meinte der Erz­herzog, dass er sich bereits wie in einer Gruft vor­kommen würde (Weis­sen­steiner, S. 17, 18).

Wie Recht er damit hatte, zeigt schließlich der Lauf der Weltgeschichte.


Guido Grandt — Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors www.guidograndt.de