Christian Haller, Anti-IS-Kämpfer — Wie der Bun­des­staats­anwalt einen Helden zum Ter­ro­risten macht (Video)


Ein Dörfchen im Osten Syriens, es ist Mai. Ein Auto prescht durch den Staub mit größt­mög­licher Geschwin­digkeit auf das Dörfchen zu. In den Staub­wolken ist nicht viel zu erkennen, aber die Männer in den Gräben, auf die das Auto zubrettert, wissen ganz genau, was darin ist. Ein oder zwei IS-Kämpfer und eine große Ladung Spreng­stoff, die Ver­tei­diger und Atten­täter zer­fetzen wird – wenn die Ver­tei­diger die her­an­ra­sende Bombe nicht stoppen können.

Einer, der im Schüt­zen­graben der Ver­tei­diger liegt, ist Christian Haller. Er brüllt ins Funk­gerät, dass die Kame­raden mit Mörsern und Raketen den Wagen weg­fegen sollen. Es gelingt. Christian Haller und seine kur­di­schen und syri­schen Kame­raden atmen auf.

Christian Haller heißt nicht so. Er möchte seine Familie und Freunde vor irgend­welchen Rache­akten schützen. Er war schon in Deutschland ein eher ver­schlos­sener Typ, gelernter Ver­an­stal­tungs­tech­niker aus einem kleinen Eifeldorf.

Der junge Mann zog 2015 einfach über Nacht in den Krieg gegen den IS. Außer von seinem Hund hat er sich von nie­mandem ver­ab­schiedet. Seine damalige Freundin, die er „so liebte, wie keine“, bewundert zwar im Fern­sehen die Kämpfer gegen den IS, aber als Christian genau das tat, „fand sie es nicht mehr so toll“.

Die Männer in Syrien nahmen ihn sofort als Kame­raden an. Als der Frischling vor ihren Augen eine Kalasch­nikow innerhalb von 30 Sekunden zusam­men­bauen konnte, fanden sie ihn super­klasse. Haller hatte sich das von einem Youtube-Video abge­guckt. Da sage noch einer, Videos gucken lehre einen nichts. Ansonsten hatte Haller weder eine Grund­aus­bildung in der Bun­deswehr gehabt noch Kampf­erfahrung. In seinem Schüt­zen­verein war er ein guter Schütze gewesen, habe sogar Meis­ter­schaften gewonnen.

Doch hier, an der Front fragt man nach sowas nicht. Haller bewährt sich, wird respek­tiert. Es gibt nicht viele Aus­länder, die sich dem Kampf gegen den IS anschließen, aber viele, die auf Seiten des IS kämpfen. Haller ist hier, weil er dem Schlachten von Unschul­digen nicht mehr zuschauen konnte. Er konnte nicht ertragen, dass Männer, Frauen, Greise und Kinder mas­senhaft mas­sa­kriert werden. Dass das fried­liche Volk der Jesiden der Aus­rottung nahe war, dass Frauen, Mädchen ja, fast Kinder als Sex­skla­vinnen brutal miss­braucht und ver­kauft wurden. Sehr viele über­lebten das Mar­tyrium nicht. Der IS met­zelte ganze Dörfer nieder.

Meine Eltern haben sehr darauf geachtet, uns Werte zu ver­mitteln: Loya­lität, Mut“, sagt er. „Man stellt sich den Her­aus­for­de­rungen und rennt nicht davor weg. Und man lässt seine Nächsten nicht im Stich. Das sind so Dinge, die ich bis heute bei­be­halten habe“ sagt er zur Begründung, wie einer aus dem ruhigen Deutschland denn so etwas machen kann und frei­willig in den Krieg zieht.

Haller war geachtet bei seinen Kame­raden, den syri­schen Kurden. Gemeinsam mit anderen west­lichen Ver­bün­deten kämpfte er frei­willig einen Krieg, in den ihn niemand hin­ein­be­ordert hatte und der nicht seiner war.

Christian Haller kam zurück nach Deutschland. Er hielt Vor­träge und gab Inter­views. Die großen Nummern unter den Medien schrieben ein­fühlsame Berichte, teils befremdet, teils bewun­dernd. „Die Zeit“ ver­öf­fent­licht zwei große Berichte, Der „Focus“ schreibt einen langen Artikel und auch die FAZ druckt ein Gespräch mit ihm ab. Sogar im eng­li­schen Oxford hält er einen Vortrag an der Universität.

Haller schrieb auch ein Buch. Seine Schil­de­rungen gegenüber den Medien und im Buch sind unprä­tentiös und glaub­würdig. Kein Pathos, keine wilden Räu­ber­ka­nonen, kein Krie­ger­pathos. Er sei eher einer, der die Dinge mit sich selbst aus­macht, sagt er, und man glaubt ihm das. Die Kame­raden in Syrien nannten ihn “Held”, und das wahr er sicher auch.

Auf die Frage, wie man denn wissen könne, dass man auf der „rich­tigen Seite“ kämpfe, räumt er ein, dass sub­jektiv sicher jeder denke, er stehe auf der rich­tigen Seite. Aber objektiv sei die Trenn­linie da, wo man prin­zi­piell Unschuldige und Unbe­tei­ligte nicht angreife oder töte.

Er war müde geworden von all dem Kämpfen und Sterben und den vielen Leichen und wollte zurück nach Deutschland. Doch er stellte fest, dass er da irgendwie fremd geworden war. Seine Freundin von damals hatte sich von ihm getrennt und seine Sachen aus der Wohnung geräumt und irgendwo gelagert. Die alten Freunde hielten ihn für einen Verrückten.

Er ging im Winter 2016 wieder zurück nach Syrien und schloss sich einer Scharf­schüt­zen­einheit an: „Es ist richtig und wichtig, nach Syrien zu gehen. Irgend­jemand muss ja gegen ISIS kämpfen und den Men­schen da unten helfen. Und die Anschläge in Europa machen es umso wich­tiger, den Ter­ro­risten noch ent­schie­dener ent­ge­gen­zu­treten und sie vor Ort zu bekämpfen.“

Er hat auch mit den Bildern und Erfah­rungen zu schwer zu tun. Es hat ihn ver­ändert. „Ein Ame­ri­kaner, auch ein Frei­wil­liger, wurde ein richtig guter Freund von mir. Eines Tages saß er in einem Auto, als eine Spreng­falle explo­dierte, ihn ein Splitter genau am Kopf traf. Er war sofort tot. Aber was soll man da groß hin­ter­fragen. Man kann nur wei­ter­machen. Es bringt ja auch nichts, wenn dann alle einfach nach Hause gehen.“

Als Scharf­schütze liegt Haller Stunde um Stunde mit seinem Dra­gonov-Sniper-Gewehr da und beob­achtet den Feind durch’s Ziel­fernrohr, um die Infor­ma­tionen an andere Truppen wei­ter­zu­geben. Musste er abdrücken? Das ist heute, wo er wieder nach Deutschland zurück­ge­kehrt ist, ein Problem.

Nach neun wei­teren Monaten in Syrien hat Christian Haller einfach genug von Luft­schlägen, zer­trüm­merten Städten und Dörfern, von der bit­teren Armut, dem Leid, der Ver­wüstung, den Bomben, den Toten. Es gibt Kon­flikte zwi­schen ihm und seinen Kom­man­deuren und zwi­schen den ein­zelnen kämp­fenden Truppen der Kurden und der Araber. „Dieser Krieg ist so schmutzig. Und er macht müde“, sagt Haller.

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Er steigt in ein Flugzeug nach Bonn. Kaum betritt er deut­schen Boden, erwarten ihn Poli­zisten. Sie nehmen seine Besitz­tümer an sich. Handy und Laptop werden zur Beweis­si­cherung beschlag­nahmt. Er kämpfte gegen die Isla­misten, was so ziemlich jeder heute für sich in Anspruch nimmt, auch die, die genau diese Isla­misten groß­zügig mit Waffen aus­rüsten. Dabei schloss er sich den Kurden an, was die Bun­des­staats­an­walt­schaft auf den Plan ruft, denn die syri­schen Kurden, mit denen Haller zusammen kämpfte, erhalten teil­weise Unter­stützung durch die PKK, der kur­di­schen Arbei­ter­partei. Diese ist in Deutschland ver­boten. Er habe sich einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­nigung ange­schlossen, lautet der Vorwurf, und dabei womöglich getötet.

Eine inter­es­sante Logik: Wenn als Ter­ro­risten ein­ge­stufte Orga­ni­sa­tionen die­je­nigen unter­stützen, die aner­kann­ter­maßen auf Seiten des Rechts gegen Ter­ro­risten kämpfen, so sind diese recht­mäßig Kämp­fenden dennoch im Unrecht und selbst Ter­ro­risten. So geschehen im Fall Christian Haller.
Wenn aber als unta­delig ange­sehene Orga­ni­sa­tionen direkt Ter­ro­risten unter­stützen und bewaffnen, so dass diese mit den Waffen unschuldige Zivi­listen ter­ro­ri­sieren und mas­sa­krieren, so bleiben die Unter­stützer dennoch unta­delig. So vielfach geschehen durch US-ame­ri­ka­nische und andere west­liche Regie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen und Waf­fen­her­steller im Nahen Osten und in der Ukraine.

Haller kann es nicht fassen. „Das ist voll­kommen ver­rückt. In Deutschland laufen Hun­derte Gefährder frei herum, Ter­ro­risten konnten aus Syrien mit gefälschten Pässen nach Europa reisen. Und gegen mich wird ermittelt – weil ich mit den kur­di­schen Volks­ver­tei­di­gungs­ein­heiten, die immerhin von den Ame­ri­kanern aus­ge­stattet und mit Luft­schlägen unter­stützt werden, gekämpft habe.“