In Baden-Württemberg steht für die Abiturklassen ein Buch auf dem Lehrplan, das die Schüler sensibilisieren soll, Rassismus zu erkennen. Das Buch „Tauben im Gras“ des Autors Wolfgang Koeppen ist ein Stück deutsche Nachkriegsliteratur, spielt in einer nicht bezeichneten, bayerischen Großstadt während der Besatzungszeit. Demzufolge handeln viele Passagen von US-Amerikanischen Besatzungssoldaten und darunter eben auch entsprechend schwarzamerikanischen Soldaten. Wie es damals, nach dem Krieg, noch vollkommen normal war, bezeichnete der Autor Wolfgang Koeppen die Schwarzamerikaner mit dem Wort „Neger“, das heute eine abwertende, respektlose und rassistische Beleidigung ist. Ein Skandal.
Die junge Deutsch- und Englischlehrerin Jasmin Blunt blätterte dieses Buch durch, das sie mit ihren Schülern durchnehmen muss und war sofort entsetzt, sprang ihr doch auf fast jeder Seite das inkriminierte „N‑Wort“ ins Auge.
Nun ist an den Schulen im „Ländle“ die heiße Diskussion entbrannt, ob die junge, farbige Lehrerin zu Recht gegen dieses Buch als Rassismus im Alltag zu Felde zieht oder, salopp gesagt, „die Nummer überzieht“.
Der Roman „Tauben im Gras“ erschien 1951 und ist der erste aus einer Trilogie Wolfgang Koeppens „Trilogie des Scheiterns“. Der Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki nahm ihn in seinen Kanon deutschsprachiger Romane auf. Er hielt das Buch für den größten und wichtigsten Roman deutscher Sprache nach 1945. Diese Liste von – in Herrn Reich-Ranickis Augen sehr wertvoller – Literatur umfasst nur 20 Bände.
Das Buch „Tauben im Gras“ schildert einzelne anfangs anscheinend völlig voneinander unabhängige Erzählsequenzen in 105 Episoden. Doch nach und nach kristallisierensich die verschiedenen Handlungsstränge als ein untereinander verknüpftes Gewebe heraus. Da gibt es unter den mehr als zwei Dutzend Protagonisten beispielsweise die dunkelhäutigen Amerikaner Odysseus Cotton und Washington Price. Dann viele Deutsche aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, Verlierer und Gewinner nach dem Krieg. Der Titel des Romans ist gleichzeitig dessen Botschaft: Alles, was geschieht, geschieht zufällig, und die einzelnen Menschen bewegen sich durchs Leben wie „Tauben im Gras“, mit Bewegungsmustern, die für Außenstehende keinen tieferen Sinn erkennen lassen. Der zentrale Satz eines der Protagonisten (Seite 171) sagt es:
„Die Vögel sind zufällig hier, wir sind zufällig hier, und vielleicht waren auch die Nazis nur zufällig hier […] vielleicht ist die Welt ein grausamer und dummer Zufall Gottes, keiner weiß warum wir hier sind.“
Frau Jasmin Blunt hat als „People of Colour“ (POC) selbst Rassismus erfahren. Das ist sehr schade und bedauerlich. Um es klar zu sagen: Rassismus ist dumm, weil die Natur – oder Gott — keine Fehler macht.
Jede Sorte Mensch ist für die Umwelt, in der sie sich entwickelt hat und lebt, das Optimum. Die Hautfarbe hat genauso etwas mit der Anpassung an die Lebensbedingungen zu tun, wie die Statur und die Denkweise. Es kann gar keine minderwertigen „Rassen“ geben, weil die längst ausgestorben wären. Helle Haut ist kein Merkmal von „höherem Wert“, sondern kommt in den Breitengraden vor, in denen es deutlich weniger Sonneneinstrahlung gibt. Nur dadurch kann noch genug Sonnenlicht in den Sommermonaten für ausreichend Vitamin-D-Bildung sorgen. Sehr dunkelhäutige Menschen haben in unseren Breitengraden oft mit Vitamin-D-Mangel zu kämpfen. Hellhäutige Menschen haben ein hohes Risiko in den Äquatornahen Gebieten, auf Dauer Hautkrebs zu bekommen – das nur einmal als Beispiel.
So schade es für Frau Blunt ist, dass sie so schockiert über das „N‑Wort“ ist, so müsste sie doch auch als Deutschlehrerin verstehen, dass das Buch aus einer Zeit stammt, in der es noch gar nicht explizit als Beleidigung galt. Natürlich ist Frau Blunt verständlicherweise nicht nur hoch sensibilisiert darauf, sie ist ja auch Aktivistin bei „gegen Rassismus im Alltag“. Für sie ist das „N‑Wort“ ein furchtbarer Schlag, ein „Ausdruck von Unterdrückung und Entmenschlichung“. Man müsse sich bei dem Thema bewusst machen, „dass die Sprache tatsächlich den Rassismus transportiert — und zwar in meine Lebenswelt hinein. Das ist nicht abstrakt, sondern betrifft mich direkt. Das ist ein brutaler Angriff auf meine Menschenwürde.“
Nun wirft sie erst einmal ihre Tätigkeit als Lehrerin hin und lässt sich für ein Jahr beurlauben.
Man könne, so betont Jasmin Blunt, nicht von Schülern an beruflichen Gymnasien erwarten, dass sie distanziert und sprachsensibel das Thema erörtern, ohne fächerübergreifend zu sensibilisieren und die Literatur in ihren entsprechenden Kontext zu setzen. Da hat sie recht, das Buch ist dazu auch nicht geeignet.
Insofern ist es auch Unsinn, wenn das baden-württembergische Kultusministerium die Vorgabe des Buches als Pflichtlektüre damit rechtfertigt, dass ja gerade das Thema Rassismus im Abitur behandelt werden solle. Der Roman wäre genau darum für den Unterricht geeignet, weil er sich im öffentlichen Diskurs befinde. So könne man den jungen Menschen an einem praktischen Beispiel vermitteln, was Rassismus sei. Das tut es gerade nicht, denn die Figuren und Charaktere im Buch sehen die Dinge überhaupt nicht so. Hier gibt es Liebesbeziehungen zwischen „Schwarz und Weiß“ und die schwarzen US-Truppenangehörigen sind sich ihrer Siegerrolle durchaus bewusst. Bis auf einen Vorfall, bei dem der Schwarzamerikaner Odysseus des Diebstahls beschuldigt wird und von einer Meute bedrängt wird, wo es tatsächlich um „Weiße gegen Schwarze“ geht und ein Weißer im Gemenge durch einen Steinwurf gegen den Kopf getötet wird. Ein Krieg, der sich dann auf einen von schwarzamerikanischen Armeeangehörigen und betriebenen Jazzclub verlagert. Auch hier stehen Deutsche auf der Seite der schwarzen Jazzmusiker, weil sie die amerikanischen Werte mit verteidigen wollen.
Nur, weil da das N‑Wort inflationär und als ganz normal benutzt wurde, ist das kein geeigneter Stoff, um sich mit Rassismus auseinanderzusetzen. Gegen Rassismus aufzuklären ist gut und richtig, und ja, es ist hohle Überheblichkeit und unter aller Kanone, Menschen in ihren angeborenen Merkmalen in wertvoll oder weniger wertvoll einzuteilen (Siehe oben). Aber warum Rassismus Blödsinn ist, welche glasklaren Gründe dagegen sprechen, das kann man anhand dieses Buches sicher nicht erarbeiten.
Frau Jasmin Blunt schildert selbst, sie habe das Buch nur durchgeblättert und mindestens Hundert Mal das N‑Wort gefunden, ohne dass es mit Fußnoten oder Erklärungen ausgestattet gewesen sei. Es sei einer der „schlimmsten Tage ihres Lebens“ gewesen. Das N‑Wort sei ein Ausdruck von „Unterdrückung und Entmenschlichung“. Das ist es eigentlich von Natur aus nicht. Es ist dazu geworden wegen der Assoziation der Sklaverei und sollte deshalb wirklich nicht mehr verwendet werden. Aber es kommt ja nicht aus einer echten Beleidigung heraus, es ist kein bösartiger, ehrenrühriger Vergleich und ekelhafte Unterstellung, wie z.B. „Ziegenficker“, was der Herr Böhmermann ja im Prinzip benutzte, um den türkischen Präsidenten Erdogan schwer zu beleidigen. Das N‑Wort kommt schlicht vom lateinischen „negra“- schwarz. Das akzeptierte Wort „Schwarzamerikaner“ sagt auch nichts anderes.
Was Fußnoten und Erklärungen betrifft: Frau Blunt möge bitte bedenken, dass es sich um den Originalroman und Literatur handelt und nicht um ein Medikament, dass auch haftungsrechtlichen Gründen mit allen möglichen Warnungen und Beipackzettel für den richtigen Gebrauch ausgestattet werden muss.
Der Drang nach betreutem Denken greift leider immer weiter um sich. Und sobald jemand etwas halbwegs Geeignetes findet und beispielsweise „Rassismus!“ schreit, rennt alles beflissen hinterher, um sich ebenfalls am Empörungswettbewerb zu beteiligen und Pluspunkte zu sammeln. Diese andauernden Selbstdarstellungen bei den allgegenwärtigen, hysterisch-moralisierenden Pflichtkreuzzügen gehen einem zunehmend schlicht nur noch auf die Nerven.
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