Bildcollage von Niki Vogt: Hintergrund: Pixabay, Vordergrund Wolfgang Koeppen, Netzfund bearbeitet

Ulmer Leh­rerin startet wegen „rasiss­ti­scher Pflicht­lektüre“ eine Petition und schmeißt den Job hin

In Baden-Würt­temberg steht für die Abitur­klassen ein Buch auf dem Lehrplan, das die Schüler sen­si­bi­li­sieren soll, Ras­sismus zu erkennen. Das Buch „Tauben im Gras“ des Autors Wolfgang Koeppen ist ein Stück deutsche Nach­kriegs­li­te­ratur, spielt in einer nicht bezeich­neten, baye­ri­schen Groß­stadt während der Besat­zungszeit. Dem­zu­folge handeln viele Pas­sagen von US-Ame­ri­ka­ni­schen Besat­zungs­sol­daten und dar­unter eben auch ent­spre­chend schwarz­ame­ri­ka­ni­schen Sol­daten. Wie es damals, nach dem Krieg, noch voll­kommen normal war, bezeichnete der Autor Wolfgang Koeppen die Schwarz­ame­ri­kaner mit dem Wort „Neger“, das heute eine abwer­tende, respektlose und ras­sis­tische Belei­digung ist. Ein Skandal. 

Die junge Deutsch- und Eng­lisch­leh­rerin Jasmin Blunt blät­terte dieses Buch durch, das sie mit ihren Schülern durch­nehmen muss und war sofort ent­setzt, sprang ihr doch auf fast jeder Seite das inkri­mi­nierte „N‑Wort“ ins Auge.

Nun ist an den Schulen im „Ländle“ die heiße Dis­kussion ent­brannt, ob die junge, farbige Leh­rerin zu Recht gegen dieses Buch als Ras­sismus im Alltag zu Felde zieht oder, salopp gesagt, „die Nummer überzieht“.

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Der Roman „Tauben im Gras“ erschien 1951 und ist der erste aus einer Tri­logie Wolfgang Koeppens „Tri­logie des Schei­terns“. Der Lite­ra­tur­papst Marcel Reich-Ranicki nahm ihn in seinen Kanon deutsch­spra­chiger Romane auf. Er hielt das Buch für den größten und wich­tigsten Roman deut­scher Sprache nach 1945. Diese Liste von – in Herrn Reich-Ranickis Augen sehr wert­voller  – Lite­ratur umfasst nur 20 Bände.

Das Buch „Tauben im Gras“ schildert ein­zelne anfangs anscheinend völlig von­ein­ander unab­hängige Erzähl­se­quenzen in 105 Epi­soden. Doch nach und nach kris­tal­li­sie­rensich die ver­schie­denen Hand­lungs­stränge als ein unter­ein­ander ver­knüpftes Gewebe heraus. Da gibt es unter den mehr als zwei Dutzend Prot­ago­nisten bei­spiels­weise die dun­kel­häu­tigen Ame­ri­kaner Odysseus Cotton und Washington Price. Dann viele Deutsche aus ver­schie­denen gesell­schaft­lichen Schichten, Ver­lierer und Gewinner nach dem Krieg. Der Titel des Romans ist gleich­zeitig dessen Bot­schaft: Alles, was geschieht, geschieht zufällig, und die ein­zelnen Men­schen bewegen sich durchs Leben wie „Tauben im Gras“, mit Bewe­gungs­mustern, die für Außen­ste­hende keinen tie­feren Sinn erkennen lassen. Der zen­trale Satz eines der Prot­ago­nisten (Seite 171) sagt es:

„Die Vögel sind zufällig hier, wir sind zufällig hier, und viel­leicht waren auch die Nazis nur zufällig hier […] viel­leicht ist die Welt ein grau­samer und dummer Zufall Gottes, keiner weiß warum wir hier sind.“ 

Frau Jasmin Blunt hat als „People of Colour“ (POC) selbst Ras­sismus erfahren. Das ist sehr schade und bedau­erlich. Um es klar zu sagen: Ras­sismus ist dumm, weil die Natur – oder Gott — keine Fehler macht.

Jede Sorte Mensch ist für die Umwelt, in der sie sich ent­wi­ckelt hat und lebt, das Optimum. Die Haut­farbe hat genauso etwas mit der Anpassung an die Lebens­be­din­gungen zu tun, wie die Statur und die Denk­weise. Es kann gar keine min­der­wer­tigen „Rassen“ geben, weil die längst aus­ge­storben wären. Helle Haut ist kein Merkmal von „höherem Wert“, sondern kommt in den Brei­ten­graden vor, in denen es deutlich weniger Son­nen­ein­strahlung gibt. Nur dadurch kann noch genug Son­nen­licht in den Som­mer­mo­naten für aus­rei­chend Vitamin-D-Bildung sorgen. Sehr dun­kel­häutige Men­schen haben in unseren Brei­ten­graden oft mit Vitamin-D-Mangel zu kämpfen. Hell­häutige Men­schen haben ein hohes Risiko in den Äqua­tor­nahen Gebieten, auf Dauer Haut­krebs zu bekommen – das nur einmal als Beispiel.

So schade es für Frau Blunt ist, dass sie so scho­ckiert über das „N‑Wort“ ist, so müsste sie doch auch als Deutsch­leh­rerin ver­stehen, dass das Buch aus einer Zeit stammt, in der es noch gar nicht explizit als Belei­digung galt. Natürlich ist Frau Blunt ver­ständ­li­cher­weise nicht nur hoch sen­si­bi­li­siert darauf, sie ist ja auch Akti­vistin bei „gegen Ras­sismus im Alltag“. Für sie ist das „N‑Wort“ ein furcht­barer Schlag, ein „Aus­druck von Unter­drü­ckung und Ent­mensch­li­chung“. Man müsse sich bei dem Thema bewusst machen, „dass die Sprache tat­sächlich den Ras­sismus trans­por­tiert — und zwar in meine Lebenswelt hinein. Das ist nicht abs­trakt, sondern betrifft mich direkt. Das ist ein bru­taler Angriff auf meine Menschenwürde.“
Nun wirft sie erst einmal ihre Tätigkeit als Leh­rerin hin und lässt sich für ein Jahr beurlauben.

Man könne, so betont Jasmin Blunt, nicht von Schülern an beruf­lichen Gym­nasien erwarten, dass sie distan­ziert und sprach­sen­sibel das Thema erörtern, ohne fächer­über­greifend zu sen­si­bi­li­sieren und die Lite­ratur in ihren ent­spre­chenden Kontext zu setzen. Da hat sie recht, das Buch ist dazu auch nicht geeignet.

Insofern ist es auch Unsinn, wenn das baden-würt­tem­ber­gische Kul­tus­mi­nis­terium die Vorgabe des Buches als Pflicht­lektüre damit recht­fertigt, dass ja gerade das Thema Ras­sismus im Abitur behandelt werden solle. Der Roman wäre genau darum für den Unter­richt geeignet, weil er sich im öffent­lichen Diskurs befinde. So könne man den jungen Men­schen an einem prak­ti­schen Bei­spiel ver­mitteln, was Ras­sismus sei. Das tut es gerade nicht, denn die Figuren und Cha­raktere im Buch sehen die Dinge über­haupt nicht so. Hier gibt es Lie­bes­be­zie­hungen zwi­schen „Schwarz und Weiß“ und die schwarzen US-Trup­pen­an­ge­hö­rigen sind sich ihrer Sie­ger­rolle durchaus bewusst. Bis auf einen Vorfall, bei dem der Schwarz­ame­ri­kaner Odysseus des Dieb­stahls beschuldigt wird und von einer Meute bedrängt wird, wo es tat­sächlich um „Weiße gegen Schwarze“ geht und ein Weißer im Gemenge durch einen Steinwurf gegen den Kopf getötet wird. Ein Krieg, der sich dann auf einen von schwarz­ame­ri­ka­ni­schen Armee­an­ge­hö­rigen und  betrie­benen Jazzclub ver­lagert. Auch hier stehen Deutsche auf der Seite der schwarzen Jazz­mu­siker, weil sie die ame­ri­ka­ni­schen Werte mit ver­tei­digen wollen.

Nur, weil da das N‑Wort infla­tionär und als ganz normal benutzt wurde, ist das kein geeig­neter Stoff, um sich mit Ras­sismus aus­ein­an­der­zu­setzen. Gegen Ras­sismus auf­zu­klären ist gut und richtig, und ja, es ist hohle Über­heb­lichkeit und unter aller Kanone, Men­schen in ihren ange­bo­renen Merk­malen in wertvoll oder weniger wertvoll ein­zu­teilen (Siehe oben). Aber warum Ras­sismus Blödsinn ist, welche glas­klaren Gründe dagegen sprechen, das kann man anhand dieses Buches sicher nicht erarbeiten.

Frau Jasmin Blunt schildert selbst, sie habe das Buch nur durch­ge­blättert und min­destens Hundert Mal das N‑Wort gefunden, ohne dass es mit Fuß­noten oder Erklä­rungen aus­ge­stattet gewesen sei. Es sei einer der „schlimmsten Tage ihres Lebens“ gewesen. Das N‑Wort sei ein Aus­druck von „Unter­drü­ckung und Ent­mensch­li­chung“. Das ist es eigentlich von Natur aus nicht. Es ist dazu geworden wegen der Asso­ziation der Skla­verei und sollte deshalb wirklich nicht mehr ver­wendet werden. Aber es kommt ja nicht aus einer echten Belei­digung heraus, es ist kein bös­ar­tiger, ehren­rüh­riger Ver­gleich und ekel­hafte Unter­stellung, wie z.B. „Zie­gen­ficker“, was der Herr Böh­mermann ja im Prinzip benutzte, um den tür­ki­schen Prä­si­denten Erdogan schwer zu belei­digen. Das N‑Wort kommt schlicht vom latei­ni­schen „negra“- schwarz. Das akzep­tierte Wort  „Schwarz­ame­ri­kaner“ sagt auch nichts anderes.

Was Fuß­noten und Erklä­rungen betrifft: Frau Blunt möge bitte bedenken, dass es sich um den Ori­gi­nal­roman und Lite­ratur handelt und nicht um ein Medi­kament, dass auch haf­tungs­recht­lichen Gründen mit allen mög­lichen War­nungen und Bei­pack­zettel für den rich­tigen Gebrauch aus­ge­stattet werden muss.

Der Drang nach betreutem Denken greift leider immer weiter um sich. Und sobald jemand etwas halbwegs Geeig­netes findet und bei­spiels­weise „Ras­sismus!“ schreit, rennt alles beflissen hin­terher, um sich eben­falls am Empö­rungs­wett­bewerb zu betei­ligen und Plus­punkte zu sammeln. Diese andau­ernden Selbst­dar­stel­lungen bei den all­ge­gen­wär­tigen, hys­te­risch-mora­li­sie­renden Pflicht­kreuz­zügen gehen einem zunehmend schlicht nur noch auf die Nerven.