Ein großbürgerlicher, sonnendurchschienener Garten, irgendwo in Rußland in der guten, alten Zeit vor der Revolution. Eine durchaus betuchte, elegante Großfamilie platzt vor Freude, Feierlaune und Einigkeit bei Onkel Michails Geburtstagsfeier. Tische um Tische sind gedeckt, und alles wartet.
Da, endlich kommt der Höhepunkt, auf den die ganze Geburtstagsgesellschaft hinfiebert. Großmutter kommt herangeschritten, strahlend schöne, junge Enkelinnen mit weißen Spitzenkleidchen und Haarschleifen samt züchtiger Serviermamsell im Schlepptau. In den Händen trägt sie eine Silber-Etagère, auf der der … RUSSISCHER ZUPFKUCHEN! … thront. Die gesamte Gesellschaft bricht in Jubel aus.
Und der Zuschauer fragt sich beklommen: „Wie, zum Teufel, sollen sich mindestens achtzig Leute diesen einen, verdammten, mickrigen Russischen Zupfkuchen teilen?
Der unvergessene Werbespot lief 2012 im Fernsehen, und die Frage steht seither hallend im Raum, im öffentlichen, und blieb unbeantwortet.
Doch nun … NUN! … Am 11. Juli 2017, beim „Politischen Forum Ruhr“ in der Philharmonie in Essen, schenkt uns unsere geliebte Kanzlerin die Lösung. Sie ist Physikerin und Staatenlenkerin, und, wie wir ergriffen bemerken, auch noch eine große Philosophin und sehr weise, und also sprach sie:
„Je größer ein Kuchen ist, desto mehr gute Stücke sind für jeden Einzelnen da.“
Bitte, lassen Sie diesen Satz auf sich wirken. Erklärt er nicht die gesamte Tragik menschlichen Lebens und Strebens? Die Grundprinzipien der Natur? Eine gesellschaftliche Utopie in einem Satz? Enthält er nicht auch in diesem einen Satz alles, was eine Volkswirtschaft ausmacht? Ist er nicht tröstlich, beruhigend und zugleich liebevoll? Kriege können mit solchen Sätzen verhindert werden, und die gezückten Kuchengabelzinken verlieren ihre stechende Schärfe.
Ihr Kuchen-Gleichnis fegt das Platonsche Höhlengleichnis mit Schwung vom Kuchenteller und wird als das kosmische Mutti-Kuchen-Axiom in die Geschichte eingehen.
Doch gemach, das war nicht alles. Unsere geliebte Kanzlerin stellt mit ihrem Auftritt beim “Politischen Forum Ruhr” mit noch weiteren, gütigen Lehren die Bergpredigt eines gewissen Jesus C. In den Schatten. Wie in den anrührenden Katechismus-Geschichten — “als Jesus noch auf Erden weilte” — erscheint auch hier, in der Philharmonie Essen, das Böse und wirft Jesus der geliebten Kanzlerin seine geballte Schlechtigkeit entgegen.
Zitat aus dem Bericht „der Westen“: „Es kann nicht sein, dass Deutschland ganz Afrika ins Land holt“, knallte ein Herr mit wenig Haaren — nach eigener Auskunft ein Unternehmer — Angela Merkel entgegen.“
Unter dem „gewaltigen Gewitter“ von Buh-Rufen der 2500 geladenen Gästen „kauerte“ sich der Unternehmer mit rotem Kopf wieder auf seinen Sitz.
Früher wäre es nicht ein Hagel von Buh-Rufen gewesen, sondern von Steinen, und auch Jesus war schon in so einer Situation. Wer ohne Sünde sei, solle den ersten Stein werfen, forderte er damals. Frau Merkel übertrifft ihn noch mit ihrer Reaktion auf das Böse.
Zitat:
Die Kanzlerin reagierte gelassen. „Es gilt ja die Meinungsfreiheit, das ist schon in Ordnung“, sagt sie. „Wenn Würde und Wohlstand nur für Deutsche gelten und spätestens an den europäischen Grenzen aufhören sollen, dann haben wir hier kein ruhiges Leben“, so Merkel.
Irgendwie erklärt dieser wundervolle, wundervolle Satz aber nicht, warum wir hier in Europa und Deutschland, seit die europäischen Grenzen so schön offen sind — damit alle mit vom Kuchen essen können, – eben grad KEIN ruhiges Leben mehr haben. Und vorher, als wir unseren Kuchen allein hatten, aber schon.
Man grübelt noch verwirrt über diesen Widerspruch, denn das kann doch gar nicht sein, daß eine so ergreifende Ermahnung fragwürdig ist, da wirft uns die nächste Lektion unserer geliebten, mütterlichen Kanzlerin schon wieder in die Fassungslosigkeit.
Zitat:
„Wann ist denn jemand reich?“, wollte Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion, von der Kanzlerin wissen. „Reich beginnt für mich da, wenn man sich keine permanenten Sorgen um das alltägliche Leben machen muss und endet bei einer Skala, von der ich keine Vorstellung habe“, so die Kanzlerin.
Wenn man sich keine permanenten Sorgen um das alltägliche Leben machen muss, ist man demnach reich. Also, praktisch gedacht: wenn man immer wieder mal Phasen hat, wo man gerade mal nicht fürchten muss, wegen ausstehender Mieten aus der Wohnung geschmissen zu werden, wenn man durchaus auch bisweilen im Winter die Wohnung heizen kann und nicht andauernd friert, wenn man Zeiten hat, wo man Sonntags zur Abwechslung nicht die Billigspaghetti aus dem Aldi essen muss, weil sonst am Ende vom Geld noch so viel Monat übrig ist, dann ist man reich.
Ein Geniestreich. Mit wenigen Worten beseitigt Frau Kanzlerin die immer weiter fortschreitende Armut in Europa. Wenn es allen dreckig geht, sind die, die noch nicht ständig hungern, doch schon wohlhabend. Frei nach dem Motto „unter den Blinden ist der Einäugige König“.
Hier kommt der Satz Einsteins „alles ist relativ“ zu goldener Geltung. Es kann ja auch nicht sein, dass man die Grenze zwischen arm und reich an dieser Linie zwischen 1% der Reichen und 99% der mehr oder weniger Armen zieht. Ist ja mathematisch schon Unsinn. Das muss ja eo ipso etwa bei 50% liegen. Auch dann, wenn man bereits in der Mitte praktisch am Existenzminimum herumkrebst. Auch dann ist man reich, nämlich im Vergleich zu der unteren Hälfte, der es noch schlechter geht als dir, und die gar nicht überleben.
Ist doch toll! Gestern warst Du noch ein armer Schlucker, der keinen Cent auf der Naht hat, und schwupp! Über Nacht bist Du reich. Einfach so. Alles eine Frage des Blickwinkels. Fast wie ein Lottogewinn, nur ohne Geld.
Also, deutscher Michel, reiß dich gefälligst zusammen. Solange du vom russischen Zupfkuchen noch eine Scheibe in Gewebeprobe-Dicke abbekommst, bist du reich.
Dank Mutti.