Der Spiegel barmt um die politischen Bildung der deutschen Schüler. Erschreckend wenig wisse die Jugend über Politik. Schon allein, dass es so viele Bezeichnungen für ein Fach gibt, das doch eigentlich nur Politik heißen solle, irritiert das Blatt, das sich doch einst den ehrenhaften nom de guerre „Sturmgeschütz der Demokratie“ erworben hatte, heute aber nur noch gegen seinen Untergang ins Vergessen kämpft. Und das zu Recht.
Politik? Geschichte? Sozialwissenschaft? Gesellschaftswissenschaft?
„Gemeinschaftskunde, Sozialkunde, Politik oder Gesellschaft — wie das Schulfach heißt, in dem politische Bildung vermittelt wird, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Gern wird es auch in sogenannte Sammelfächer verpackt, zum Beispiel Gemeinschaftskunde/ Rechtserziehung/ Wirtschaft in Sachsen oder Politik/ Gesellschaft/ Wirtschaft in Hamburg. Vor allem die Kopplung von Politik und Wirtschaft wird immer beliebter. Aber was bedeutet das für die Schüler? Und erfahren Sie noch genug über Demokratie?“ nörgelt das Blatt, um dann gleich zum eigentlichen Anliegen zu kommen:
„Vor wenigen Monaten hatte eine repräsentative Umfrage der Körber-Stiftung ergeben, dass vier von zehn Schülern nicht wissen, wofür Auschwitz steht.“
Weil sich dem normal Denkenden nicht gleich der direkte Zusammenhang zwischen der Politik im Allgemeinen, der Sorge um die Demokratie im Besonderen und dem Konzentrationslager Auschwitz erschließt, man aber beim Spiegel keine Zeit mit logischen Kinkerlitzchen verplempern will, wird der Leser mit einem doppelten Überrumplungs-Rittberger in die Spur geschubst:
1) Name-Dropping: Behaupte ich etwas Unlogisches und aus dem Zusammenhang Gerissenes, führe ich einen klingenden Namen, womöglich mit Professortitel als Kronzeugen an, der das Gewünschte einfach mit akademischer Bugwelle und Aplomb postuliert. In diesem Fall ist es Professor Tim Engartner, der einen Zusammenhang behauptet, wo ihn andere nicht finden: „Tim Engartner, Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt, sieht da einen Zusammenhang.“
Und also spricht der Professor: „Das ist ein klares Zeichen, dass die politische Bildung mehr Raum braucht. Politische Bildung wird zugunsten ökonomischer Bildung geopfert. Schüler sollen nur noch lernen, was einen konkreten Nutzen für ihre spätere Berufstätigkeit hat.“
Lassen wir hier einmal großzügig außer Acht, dass der Herr Professor Engartner für „Didaktik der Sozialwissenschaften am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften“ genau in einem solchen Sammelsurium-Fach tätig ist, das der Spiegel ja gerade rügt, weil es originär nichts mit Politik zu tun hat. Wir schlussfolgern also aus diesen Statements des Professors: Die Tatsache, dass vier von zehn Schülern nicht wissen, wofür Auschwitz steht, ist ein klares Zeichen für mangelnde politische Bildung.
2) Studien anführen: Die Körber-Stiftung hat vor einigen Monaten zu diesem Thema eine Umfrage unter Schülern gestartet. Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Bildung der Körber-Stiftung, bemäkelt auch ebendieses Fächer-Potpourri, in dem Herr Professor Engartner habilitiert hat: „Und es werden immer mehr Fächer gefordert, von Wirtschaft bis zu Technik oder gar Glück. Ein ‘immer mehr’ ist aber keine Lösung.” Denn jedes neue Fach heißt: weniger Zeit für ein altes.
Politische Bildung oder Geschichtswissen?
Dass es bei den Klageliedern zur mangelnden politischen Bildung dezidiert nur um „Auschwitz“ geht, und nicht um ein willkürliches herausgegriffenes Beispiel, das auch „die drei Säulen eines Rechtsstaates“ oder „Das Wahlrecht im Wandel der Zeit“ oder „Demokratie in der Antike und heute“ hätte heißen können, zeigt sich im weiteren Verlauf des Artikels.
Es wird sogar ganz offen gesagt: „Verdrängen also Aktiensparpläne Auschwitz vom Stundenplan? Dieser Frage geht ein Forscherteam der Uni Bielefeld nach. Die Wissenschaftler untersuchen bundesweit den Stellenwert politischer Bildung im Schulunterricht.“
In der Folge werden die Ergebnisse eines Forscherteams der Uni Bielefeld aufgezählt. In jedem Punkt geht es stets um „politische Themen“, „politische Positionen“, „Fach Politik“ und das fachfremde Lehrer das Fach „Politik“ lehren. Die Überschrift des Beitrags lautet auch dementsprechend: „Wissenslücken bei Jugendlichen — Warum deutsche Schulen so wenig Politik lehren“.
Was also ist Politik?
Laut Wikipedia bezeichnet „Politik“ die “Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens durch verbindliche Entscheidungen. Sehr allgemein kann jegliche Einflussnahme, Gestaltung und Durchsetzung von Forderungen und Zielen in privaten oder öffentlichen Bereichen als Politik bezeichnet werden. Zumeist bezieht sich der Begriff nicht auf das Private, sondern auf die Öffentlichkeit und das Gemeinwesen im Ganzen.”
Das Themenfeld „Auschwitz“ gehört also demzufolge heute eigentlich nicht mehr zu „Politik“, sondern zu „Geschichte“. Politik sind die aktuellen, aktiven Entscheidungen einer Regierung, im Hier und Jetzt das Gemeinwesen oder Staatswesen zu gestalten, Probleme zu beheben, praktische Entscheidungen für eine gute Zukunft des Landes zu fällen.
Bezeichnet man nun den Themenkomplex „Auschwitz“ als Politik, macht man damit deutlich, dass man ihn nicht im geschichtlichen Kontext behandelt, sondern im Hier und Heute als Grundlage politischer Entscheidungen und Entwicklungen für die Zukunft einsetzt.
Die Nutzung der Geschichte als politisches Instrument?
Übertragen wir diese Vorgehensweise einmal auf ein anderes Beispiel: Würde eine Riege von Professoren und Umfrageinstituten die mangelnden Kenntnisse der deutschen Schülerschaft zu den Verwüstungen der schwedischen Landsknechts-Scharen im Dreißigjährigen Krieg unter Gustav Adolf II. beklagen oder die Wissenslücken zur Belagerung Wiens durch die Türkenheere und deren Abschlachtereien unter der österreichischen Zivilbevölkerung anprangern, und würde dieser Wissensmangel als mangelnde politische Bildung klassifiziert – die Verwunderung wäre groß. Man würde — nicht ohne Grund — vermuten, es gehe darum, politischen Druck aufzubauen. Deshalb reagierte zum Beispiel die Türkei bei dem Thema „Massaker an den Albaniern“ höchst aufgeregt und empfindlich.
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Umgang des „Spiegels“ mit der genannten Umfrage der Körber-Stiftung unter den Schülern an deutschen Schulen. Bei Veröffentlichung der Umfrageergebnisse im September betitelte der Spiegel seinen Bericht dazu noch mit „Umfrage zu Geschichtsunterricht — Vier von zehn Schülern wissen nicht, wofür Auschwitz steht“.
Im Artikel wird das Thema auch durchgehend als ein geschichtliches behandelt: „Schüler haben große Defizite in Geschichte. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung hervor. Demnach wissen nur 59 Prozent der befragten Schüler, dass Auschwitz-Birkenau ein Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis im Zweiten Weltkrieg war.“
Derselbe Sven Tetzlaff , der im neuen Spiegel-Artikel die mangelnde politische Bildung rügt, beklagt in diesem Beitrag aus dem September das „Defizit bei der Vermittlung von Geschichtswissen: In immer weniger Bundesländern sei Geschichte ein eigenständiges Schulfach.“
Wie kommt es, dass ein Vierteljahr später, derselbe Sachverhalt als fehlende politische Bildung apostrophiert wird? Geht es jetzt nicht mehr um Geschichtswissen und Fakten, sondern um die politische Verwertung des Themas zur Volkserziehung?
Die Umfrage der Körber-Stiftung
Das ist bemerkenswert. Und noch etwas verstärkt diesen Eindruck: Die besagte Umfrage im September 2017 bei 1.009 deutschen Bundesbürgern über 14 Jahren und 502 Schülern ab 14 Jahren, misst das Geschichtswissen der Befragten ausschließlich und nur an der Frage, was sie über Auschwitz wissen. (Es gab in dieser Umfrage keinerlei Fragen zu griechischer, römischer, ägyptischer Geschichte, nichts zum gesamten Themenkomplex deutscher oder europäischer Geschichte, usw. usf.).
Weiterhin hochinteressant: Die Umfrage enthält auf knappen 15 Seiten (davon 3 Vorseiten incl. Inhaltsangabe und Vorbemerkung, also nur 12 Seiten faktischer Inhalt) acht Punkte, von denen sieben Punkte die Ergebnisse der Umfrage zu Interesse der Schüler, Wichtigkeit des Geschichtsunterrichtes, Wichtigkeit verschiedener Inhalte des Geschichtsunterrichtes, Vermittelte Inhalte des Geschichtsunterrichtes Gestaltung des Geschichtsunterrichtes usw. betreffen.
Der achte Punkt (Seite 15) ist ausschließlich dem Thema „Bekanntheit von Auschwitz-Birkenau“ gewidmet.
Das weckt Vermutungen, dass dieses Thema das eigentliche Anliegen der ganzen, konzertierten Aktion war, und nicht Erkenntnisse darüber zu erhalten, welches Allgemein-Geschichtswissen die Bundesbürger und Schüler ab 14 Jahren haben.
Die Untersuchung spricht von der ersten bis zur letzten Seite stets und nur von „Geschichtsunterricht“, „Geschichte“ und „Geschichtsinteresse“. Von politischer Bildung (noch) kein Wort. Wird mit dem neuen Spiegel-Artikel die Antriebsstufe 2 gezündet?
Die Körber-Stiftung im Spinnennetz der NGOs
Die genannte Umfrage wurde – laut Vorbemerkung (Seite 3) – vom Umfrageinstitut Forsa im Auftrag der Körber-Stiftung durchgeführt. Diese Stiftung wurde von dem Unternehmer und Stifter Kurt A. Körber als gemeinnützige Stiftung ins Leben gerufen. Die Finanzierung ist laut Wirtschaftswoche etwas unübersichtlich, wird aber freundlich mit „Formal fehlt ein Stück Kontrolle“ vom Tisch gewischt. Hauptsache man ist sich einig: „Wir agieren alle wie Eigentümer und diskutieren, bis sich alle einig sind.“
Nach eigener Auskunft unterhält die Körber-Stiftung als „Partner der Zivilgesellschaft […] strategische und langfristige Partnerschaften mit verschiedene Bündnissen und Dachverbänden für Engagement. Sie begleitet diese Bündnisse operativ und beratend, zum Beispiel im Hinblick auf Tagungen, Fortbildungen, Strategieentwicklung oder Kommunikation.“
Betrachten wir diese strategischen und langfristigen Partnerschaften und Bündnisse, werden wir bei den Partnerschaften des Vorsitzenden des Vorstandes der Körber-Stiftung, Herrn Dr. Lothar Dittmer fündig. Wieder sehen wir ein Musterbeispiel der NGO-Vernetzungen. Er ist zum Beispiel Dozent und stellvertretender Leiter an der Politischen Akademie Biggesee, die ihrerseits aufs Beste verpartnert ist mit der dem Innenministerium zugeordneten Bundeszentrale für Politische Bildung. Weiterhin ist Herr Dr. Dittmer Vorsitzender des Vorstands der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung: „Ausschließlicher und unmittelbarer Zweck der Stiftung ist, das Wirken der demokratischen Opposition im Exil gegen die totalitäre Herrschaft Hitlers sowie der Folgen dieses Wirkens für Deutschland nach dem Kriege in Erinnerung zu rufen und diese Erinnerung für künftige Generationen zu bewahren.“ (§ 2, Abs. 1 der Satzung der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung)
Darüberhinaus ist Herr Dr. Dittmer Mitglied im Stiftungsrat der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, die nicht nur neben vielen anderen Stiftungen wiederum die Körber Stiftung als Förderer hat, sondern auch die uns wohlbekannte Freudenberg-Stiftung, womit wir wieder bei George Soros und der Amadeu Antonio Stiftung landen.
Es wird interessant sein zu beobachten, ob das NGO-Netzwerk mit diesem Vorstoß eine Langzeitstrategie verfolgt, was sich daraus entwickelt und was damit möglicherweise bezweckt wird.
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