Schleierzwang: Schachweltmeisterin Anna Musytschuk sagt Teilnahme in Riad ab
Es gibt Menschen, die zu ihren Prinzipien stehen, auch wenn ihnen dadurch viel Geld entgeht. „Ich hätte dort in fünf Tagen mehr Geld verdient, als in einem Dutzend anderer Veranstaltungen zusammengenommen“. Der Grund: Den Teilnehmerinnen der Blitz- und Schnellschach-WM in Saudi Arabien werden gleich bei Ankunft in Saudi-Arabien so genannte Abayas ausgehändigt, die sie zwar in den Räumen des Turniers nicht, außerhalb der Veranstaltungsräume aber verpflichtend getragen werden müssen. Abayas sind bodenlange, langärmelige Kleider, vornehmlich in schwarz, mit den Kopf umhüllenden Schleiern, die nur das Gesicht freilassen.
Die junge, zweifache Schachweltmeisterin Musytschuk weigerte sich. Auf Facebook schrieb sie:
Angst ist ihr erstes Gefühl. Als drittes Kind einer reichen algerischen Familie in Paris geboren, begreift Samia schon früh, was es heißt, ein Mädchen zu sein. Die eigene Mutter verflucht den Tag, an dem sie geboren wurde. „In wenigen Tagen werde ich zwei Weltmeistertitel verlieren, einen nach dem anderen. Nur, weil ich entschieden habe, nicht nach Saudi Arabien zu gehen. Nicht den Regeln von irgendwem zu folgen, keine Abaya zu tragen, nicht begleitet werden zu müssen, wenn ich hinausgehe und mich insgesamt als zweitklassige Kreatur zu fühlen. Genau vor einem Jahr habe ich diese Titel gewonnen und war gerade die glücklichste Person der Schachwelt, aber jetzt geht es mir wirklich schlecht. Ich bin bereit, für meine Prinzipien einzustehen und diese Veranstaltung ausfallen zu lassen, bei der ich in fünf Tagen wahrscheinlich mehr verdient hätte, als in einem Dutzend Veranstaltungen zusammen. All das ist ärgerlich, aber was am ärgerlichsten ist, dass es es fast niemanden interessiert. Das ist ein wirklich bitteres Gefühl, aber nichts, was meine Meinung und meine Prinzipien ändert. Dasselbe gilt für meine Schwester Maria – und ich bin sehr glücklich, dass wir dieselben Ansichten teilen. Und ja, für die, die es interessiert – wir kommen wieder!“
Bei der vergangenen Schach-WM in Teheran verlangte der Veranstalter noch das Tragen von Kopftüchern, allerdings keinen Schleier und verhüllende Kleidung. Dem hatte Anna Musytschuk sich noch gebeugt. Die Abaya mit dem Schleier ist dagegen bereits ein Entgegenkommen Saudi-Arabiens, das zuerst auf einer Vollverschleierung der teilnehmenden Frauen bestand. Durch Verhandlungen im Vorfeld konnte der Weltschachbund die strenge Regel noch etwas lockern. Als Stefan Bauer seinen Sanitäter-Dienst in Riad aufnimmt, trifft er auf Männer, die die medizinische Behandlung ihrer Ehefrauen verweigern und auf eine saudische Familie, die ihren eigenen Sohn enthauptet und es wie Selbstmord aussehen lassen will. Stefan Bauer kämpft um jedes Leben.Die Schachweltmeisterschaft verliert nicht nur an Kompetenz und Repräsentativität durch das Fehlen der Frauenspitzenliga der Schwestern Musytschuk. Auch Spitzen-Spieler aus Katar, Israel und dem Todfeind Saudi Arabiens, dem Iran können wegen Visa-Schwierigkeiten nicht teilnehmen. Außerdem sagte der US-Amerikanische Schachgroßmeister Hikaru Nakamura ebenfalls ab mit der Begründung „Eine Schach-Weltmeisterschaft an einem Ort auszurichten, wo grundlegende Menschenrechte nicht geachtet werden, ist Horror“. Schach, so Nakamura, sei kein Spiel, das Menschen wegen ihrer Religion oder Abstammung trennen dürfe.
Der Weltschachbund hat einen Dreijahresvertrag mit Riad geschlossen. Auch 2018 und 2019 wird die Weltmeisterschaft dort ausgetragen werden. Der Grund ist, wie allgemein vermutet wird, das Geld. Saudi Arabien stellt ein Preisgeld von zwei Millionen Dollar zur Verfügung.