In Pyeongchang finden gerade die Olympischen Winterspiele statt. Die Welt schaut auf Südkorea. Auch wir Deutschen könnten uns etwas von den Südkoreanern abschauen: Die geben über 20% für die Bildung aus, während die GroKo eine kleine Lockerung im „Kooperationsverbot“ feiert.
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
Bevor Korea 1948 in einen kapitalistischen Süden und einen kommunistischen Norden geteilt wurde, war es eines der ärmsten Länder der Welt, vergleichbar mit Afrika südlich der Sahara – und das blieb bis Anfang der 60er-Jahre so. Heute steht das kapitalistische Südkorea mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 27.539 Dollar vor Ländern wie Spanien (26.609), Russland (8.929), Brasilien (8.727) oder China (8.113) und ist die achtstärkste Exportnation der Welt. Produkte von koreanischen Unternehmen wie Samsung, Hyundai und LG sind weltweit beliebt.
Vage Schätzungen für Nordkorea beziffern das Bruttoinlandsprodukt auf 583 Dollar pro Kopf. Immer wieder sterben Tausende Nordkoreaner bei Hungersnöten. Deutlicher kann man wohl nicht die Überlegenheit eines kapitalistischen gegenüber einem kommunistischen Wirtschaftssystem zeigen. Der Kontrast zwischen Nord- und Südkorea könnte stärker nicht sein. Nach dem Index der wirtschaftlichen Freiheit 2017 gehört Südkorea zu den 25 freiesten Ländern der Welt, es rangiert mit Platz 23 beispielsweise vor Deutschland (26) oder Japan (40). In der Kategorie „Business Freedom“ erzielt Südkorea sogar 90,6 von 100 möglichen Punkten. Zum Vergleich: Nordkorea rangiert auf Platz 180, das ist der letzte Platz in dem Ranking. Im Bereich „Business Freedom“ erhält es nur fünf von 100 möglichen Punkten.
Ausgangslage nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Ausgangslage für Südkorea nach dem Zweiten Weltkrieg war sehr schwierig: Das Land bekam zunächst keinerlei Hilfe von den USA, während Nordkorea von der Sowjetunion und China stark unterstützt wurde. Südkorea war ein reines Agrarland ohne nennenswerte Bodenschätze, während fast alle Bodenschätze der Halbinsel wie Eisenerz, Gold, Kupfer, Blei, Zink, Graphit, Molybdän, Kalkstein und Marmor in Nordkorea konzentriert sind. Die Bevölkerung Südkoreas wuchs sehr rasch, weil viele Menschen aus dem kommunistischen Norden flüchteten – allein in den Jahren 1945 bis 1947 nahm die Einwohnerzahl von 16 auf 21 Millionen Menschen zu. Viele Bewohner des Südens fristeten ein Leben am oder unterhalb des Existenzminimums.
Die japanische Regierung vertrat im Juli 1961 die Meinung, es werde für Südkorea aus sieben Gründen unmöglich sein, eine unabhängige Wirtschaft zu entwickeln: Überbevölkerung, Mangel an Ressourcen, unterentwickelte Industrie, schwere militärische Lasten, schwache politische Geschicklichkeit, Mangel an Kapital, Fehlen an administrativer Fähigkeit. In den 50er-Jahren, nach dem Koreakrieg, gab es in der Tat kaum ökonomische Fortschritte in Südkorea. Das Pro-Kopf-Einkommen war 1960 mit 79 Dollar immer noch eines der niedrigsten weltweit.
Das Wirtschaftswunder
Das änderte sich erst, als 1961 Park Chung-hee an die Macht kam. Park, der bis zu seiner Ermordung durch den eigenen Geheimdienstchef 1979 Südkorea autokratisch beherrschte, wurde zum Vater des koreanischen Wirtschaftswunders. Zunächst neigte Park einer zentralen Staatswirtschaft zu. Er wird berichtet, dass Lee Byung-chull, der Begründer der Samsung Gruppe (die heute weltweit unter anderem durch ihre Mobiltelefone bekannt ist) Park davon überzeugte, dass nur eine relativ liberale Marktwirtschaft die notwendigen unternehmerischen Initiativen und die erforderliche Kreativität freisetzen würde, um internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Versorgung der Bevölkerung mit modernen Gütern zu erreichen. Große Unternehmensgruppen wie Samsung werden in Korea als „Chaebol“ bezeichnet, was man mit „Business Family“ übersetzen kann. Es sind mächtige, meist sehr stark diversifizierte Familienunternehmen, die den entscheidenden Beitrag zum Aufstieg Koreas leisteten. Es ist kein Zufall, dass es der Gründer einen solchen Chaebols war, der Parks wirtschaftliche Linie maßgebend beeinflusste.
Denn charakteristisch für Südkorea war die enge Verzahnung zwischen dem Staat und diesen großen Familienunternehmen. Der Staat gab zwar Pläne vor, in denen Entwicklungsziele formuliert wurden, jedoch dürfen diese nicht mit den Wirtschaftsplänen in sozialistischen Planwirtschaften verwechselt werden. Zwar machte der Staat Vorgaben für Entwicklungs- und insbesondere Produktionsziele. Aber es war grundsätzlich nicht so, dass der Staat diesen Familienunternehmen so wie in einer Planwirtschaft diktierte, was sie zu tun hatten, sondern dass das staatliche Handeln maßgeblich durch den Einfluss dieser Chaebol bestimmt wurde, wobei Bestechung an der Tagesordnung war. Als Park sein Regime errichtete, stützte er sich in erster Linie auf die mächtigen Chaebols, die sich bereits etabliert hatten: Sie waren schon vor ihm da – nur drei der heutigen 30 Spitzen-Chaebols wurden noch in der Park-Zeit oder danach gegründet.
In Südkorea wurden die Privatunternehmen – anders als in Nordkorea, wo man sie verstaatlichte – für ihre Kriegsverluste entschädigt. Der japanische Kolonialbesitz wurde privatisiert und an wenige Familienunternehmer verkauft. Diese stammten fast zur Hälfte aus Familien mittelgroßer Grundeigentümer und Großgrundbesitzer. Heute kennen Verbraucher weltweit die Unternehmen der großen koreanischen Chaebols: Samsung ist der schärfste Wettbewerber von Apple, und Fernsehgeräte und Elektronik des Unternehmens LG sind weltweit beliebt. Es handelt sich bei diesen großen Familienunternehmen um Firmengruppen, die sehr breit diversifiziert sind – so wie man es etwa in den USA nur von einem Unternehmen wie General Electric kennt. Oft besteht eine Firmengruppe aus dutzenden Unternehmen, die in den unterschiedlichsten Branchen tätig sind. Mitte der 90er-Jahre waren die fünf größten Chaebols gemessen an ihren Produktgruppen, im Durchschnitt in je 142 Märkten aktiv. Für die Chaebols auf Platz sechs bis zehn waren es im Durchschnitt je 63, auf Platz elf bis 15 je 39 Märkte, in denen sie operierten.
Kleine und mittlere Betriebe hatten es demgegenüber zunächst schwer und spielten kaum eine Rolle. Das änderte sich erst in den 80er- und 90er-Jahren. Der Prozentsatz der Beschäftigung in Klein- und Mittelunternehmen (bis zu 100 Mitarbeiter) an der Gesamtzahl der Beschäftigten erhöhte sich von 35 Prozent im Jahr 1970 auf rund 58 Prozent im Jahr 1998. Dennoch spielen die großen Chaebols auch heute noch eine entscheidende Rolle in der koreanischen Wirtschaft. Sehr viel Wert legten und legen diese Unternehmen auf Forschung und Entwicklung. Bei dem Unternehmen Hyundai etwa hat sich die Zahl der Forscher von 616 im Jahre 1980 auf 3.890 im Jahre 1994 mehr als versechsfacht. Bei Samsung stieg das Forschungspersonal von 690 auf 8.919 um das 13-fache.
Die Chaebols – Samsung, LG & Co.
Die Entwicklung verlief nicht ohne zahlreiche Brüche, von denen die Finanzkrise 1997/98 der heftigste war. Die Krise traf Korea schwer. Das durchschnittliche Gesamteinkommen nahm von 1996/97 auf 1997/98 um ein Viertel ab. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Reallöhne sanken. Ökonomen schätzen die negativen Wohlfahrtseffekte für die privaten Haushalte in diesem Zeitraum auf 45 Prozent. Solche Krisen werden von Kapitalismus-Kritikern gerne als Beleg für die Schwäche des kapitalistischen Systems angeführt. Tatsächlich sind sie notwendig und haben oft eine reinigende Wirkung, weil nicht mehr profitable Unternehmen vom Markt verschwinden.
Ein Beispiel dafür ist der Zusammenbruch der Unternehmensgruppe Daewoo, die von dem extrem erfolgreichen Unternehmer Kim Woo-choong gegründet worden war. Er kam aus der Textilindustrie und wurde nacheinander in der Schwerindustrie, dem Autobau und der Elektronikbranche aktiv. Infolge der Finanzkrise von 1997/98 ging das Unternehmen 1999 bankrott. Die viertgrößte Unternehmensgruppe Südkoreas brach auseinander. Die daraus entstandenen einzelnen Unternehmen, die etwa in der Stahlverarbeitung, im Schiffsbau oder im Finanzgeschäft tätig sind, operieren heute als eigenständige Firmen und sind teilweise sehr erfolgreich.
Die heftige 1997/98er-Krise führte dazu, dass Südkorea vorübergehend unter das Kuratel des IWF gestellt wurde. Obwohl dessen strenge Auflagen oft kritisiert wurden, hatten sie schon rasch positive Auswirkungen und die Krise wurde erstaunlich schnell überwunden. Wichtiger noch waren die langfristigen positiven Auswirkungen der Reformauflagen des IWF. Denn die in den 80er- Jahren begonnene Liberalisierung des koreanischen Wirtschaftssystems gewann nun erst richtig an Tempo. Zahlreiche Chaebols wurden zerschlagen oder auf das Kerngeschäft reduziert. Zudem wurde die südkoreanische Wirtschaft in einem bis dahin nicht gekannten Maß für ausländische Investoren geöffnet. Auch der Geldmarkt wurde 1998 vollkommen liberalisiert, Fusionen mit und Unternehmensübernahmen durch ausländische Firmen, selbst feindliche, wurden ermöglicht.
Samsung verkaufte damals Dutzende von Unternehmenseinheiten, die nicht zum Kerngeschäft gehörten, und entließ rund ein Drittel der verbliebenen Beschäftigten. Diese Maßnahmen sollten sich auszahlen, denn Samsung wurde nach der Krise zu einer der am schnellsten wachsenden Marken. Heute gehört das koreanische Unternehmen zu den 15 größten Firmen der Welt und rangiert direkt hinter dem US-Riesen General Electric und vor AT&T.
Der Aufstieg Koreas erfolgte zwar unter marktwirtschaftlichen Vorzeichen, aber zunächst nicht im Rahmen einer Demokratie. Erst ab dem Jahr 1987 kann man von Südkorea als demokratischem Land sprechen. Marktwirtschaftliche Modernisierung und Demokratie können zusammenfallen, müssen es jedoch nicht, wie auch das Beispiel Chinas zeigt. Die zunächst starke Rolle des Staates in der Wirtschaft wurde schon seit Beginn der 80er-Jahre reduziert. Eine wichtige Maßnahme war die Privatisierung der Banken. Und während 1979 noch 25 Prozent aller Kredite über den Nationalen Investitionsfonds gelenkt wurden, waren es 1991 gerade noch fünf Prozent. 1980 wurde unter einem neuen Anti-Monopolgesetz die Wettbewerbsbehörde Korea Fair Trade Commission eingerichtet. In den 90er- Jahren setzte sich die Liberalisierung fort, was 1996 den Beitritt Südkoreas zur OECD möglich machte.
Südkorea gibt 20 Prozent für Bildung aus
Das Beispiel Südkoreas zeigt, gerade im Vergleich mit dem kommunistischen Nordkorea, die Kraft und Überlegenheit des Kapitalismus. Aber andererseits wird an diesem Beispiel deutlich, dass das Wirtschaftssystem nur eine Voraussetzung für den Aufstieg ist. Die kapitalistische Struktur der Wirtschaft war eine Basis für den Erfolg, doch dass dieser Erfolg so grandios war und ist, hängt stark mit kulturellen Faktoren zusammen, vor allem mit dem schon sprichwörtlichen Fleiß und Bildungshunger der Koreaner.
In kaum einem Land wird Bildung eine so große Bedeutung beigemessen wie in Südkorea. Mit rund 20 Prozent ist der Bildungsetat der größte Posten im Staatshaushalt. Dieser Anteil hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten kaum verändert. Und das sind nur die staatlichen Investitionen. Addiert man die beträchtlichen privaten Ausgaben von etwa drei Prozent des Bruttosozialproduktes dazu, dann ist Südkorea bei den Bildungsausgaben internationaler Spitzenreiter. Gerade im Bildungsbereich ist Südkorea viel stärker marktwirtschaftlich strukturiert als die meisten anderen Länder. Rund 80 Prozent der Hochschulen sind in privater Trägerschaft. Die Qualität dieser Hochschulen ist erstklassig. Acht koreanische Universitäten befinden sich unter den 100 innovativsten Universitäten der Welt. Die Technische Universität KAIST schaffte es als einzige nicht US-amerikanische Universität in die Liste der Top 10.
Trotz dieser erstklassigen Qualität der Universitäten können sie den Lerneifer der koreanischen Studenten nicht stillen. Insbesondere bei Schülern und Studenten aus wohlhabenderen Familien ist es inzwischen zur Gewohnheit geworden, ihre Bildungslaufbahn mit Abschlüssen an einer ausländischen, zumeist amerikanischen, Hochschule zu krönen. Das Examen von einer südkoreanischen Eliteuniversität in Kombination mit einem längeren Studienaufenthalt in den USA ist zur zentralen Qualifikation für eine erfolgreiche Karriere geworden. Fast alle führenden Positionen in Politik und Wirtschaft sind mit Personen besetzt, die ihren Doktortitel an einer Universität der USA erworben haben.
Auch im Schulwesen spielen private Schulen eine große Rolle. Es gibt fast 100.000 private Nachhilfeschulen (Hagwon) und 77 Prozent der Schüler verbringen an ihnen im Durchschnitt zusätzlich 10,2 Stunden wöchentlich neben dem normalen Schulunterricht. Die Familien geben durchschnittlich 800 Dollar im Monat für die private Schulbildung ihrer Kinder aus. Dabei sind auch die staatlichen Schulen sehr gut und gehören zu den fortschrittlichsten der Welt. Bereits im Jahr 2001 waren alle Grund‑, Mittel- und Oberschulen an das Internet angeschlossen, jeder der 340.000 Lehrer hatte einen eigenen PC und bis 2003 waren 14 „Cyber-Universitäten“ ans Netz gegangen.
Der Bildungseifer führt zu entsprechenden Ergebnissen, beispielsweise bei dem PISA-Test. Südkoreas Schüler stehen bei den Naturwissenschaften auf Platz elf von 70 Nationen (Deutschland Platz 16, USA Platz 25), im Bereich Mathematik sogar weltweit auf Platz sieben. Beeindruckend ist besonders: Während der Anteil besonders leistungsstarker Schüler im OECD-Durchschnitt bei 15,3 Prozent liegt, ist er in Südkorea mit 25,6 Prozent weit überdurchschnittlich. Umgekehrt: Im OECD-Durchschnitt gelten 13 Prozent der Schüler als leistungsschwach, in Korea sind es nur 7,7 Prozent.
Darin spiegelt sich der ungeheure Fleiß der Koreaner wider. Die in Südkorea im Zusammenhang mit den Aufnahmeprüfungen für die Universität gebräuchliche Redewendung sadang orak (wörtlich: Vier-Bestehen, Fünf-Durchfallen), steht für die Ansicht, man müsse mit vier Stunden Schlaf auskommen, denn wer sich fünf Stunden Ruhe gönne, werde durchfallen. Der typische Tag eines Schülers in Südkorea sieht so aus, dass er um sieben Uhr aufsteht, um neun Uhr in der Schule und um 17 Uhr wieder zu Hause ist. Dann macht er Schulaufgaben, beschäftigt sich mit dem Internet usw. Zwischen dem zehnten und zwölften sowie dem 16. und 18. Lebensjahr geht die überwiegende Mehrheit von 20 bis 22 Uhr in die bereits erwähnten Privatschulen (hagwon), die auf die Eintrittsexamina für die begehrtesten Oberschulen und später für die Universität vorbereiten.
Es sind solche kulturellen Prägungen, die entscheidend zum Erfolg von Südkorea und von anderen asiatischen Staaten beigetragen haben. Erfolgreich ist jedoch nur die Kombination einer kapitalistischen Wirtschaft einerseits und dieser kulturellen Werte andererseits. Denn die jahrhundertealten Traditionen sind ja für Nord- und Südkoreaner identisch. In einem ineffizienten Wirtschaftssystem wie dem von Nordkorea können sich diese positiven Faktoren nicht entsprechend auswirken oder werden fehlgeleitet in ideologische Zeremonien, Drill und Waffenproduktion.
Südkorea, das noch in den 60er-Jahren ein Entwicklungsland mit einem ähnlichen Lebensstandard wie heute viele afrikanische Länder war, ist nicht durch Entwicklungshilfe zum Wohlstand gekommen, sondern durch kapitalistische Reformen. Kapitalismus + Bildungshunger wirkt Wunder.
Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung von Kapitel 4 des neuen Buches von Rainer Zitelmann
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