Es ist Morgen, und obwohl die junge Frau in der Zelle weiß, dass sie wahrscheinlich heute hingerichtet werden wird, hat sie doch in der Nacht geschlafen. Und sie hatte einen Traum. Sie sieht sich, ein Kind im weißem Taufkleid im Arm, einen steilen Berg hinaufklettern. Urplötzlich steh sie an einer tiefen Gletscherspalte und schaut in den Abgrund. Sie rettet das Kind, indem sie es auf die anderen Seite der Gletscherspalte legt. Sie selbst stürzt in den Abgrund.
Ein paar Stunden später, am 22. Februar 1943 steht die junge Frau, Sophie Scholl, vor dem gefürchtetsten Richter der Zeit des Nationalsozialismus‘: Roland Freisler. Man kann sich kaum einen größeren Gegensatz an Charakteren vorstellen: Hinter dem Richtertisch ein gnadenloser Ideologe und Machtmensch, der in jedem, der seiner NS-Ideologie entgegenstand, einen persönlichen Feind und Untermenschen sah, der die Angeklagten einschüchterte, erniedrigte und niederbrüllte. Einer, der einen Brief an den „Großen Führer Adolf Hitler“ mit „In Treue, Ihr politischer Soldat Roland Freisler“ unterschrieb.
Zur Eröffnung des Prozesses schrie er den Angeklagten, den Mitgliedern der „Weißen Rose“ entgegen, dass der Nationalsozialismus gegen solche „Verräter“ überhaupt kein Strafgesetzbuch benötige. Er werde „ganz ohne Recht“ kurzen Prozess machen. Freisler bemerkte wohl, dass er sich selbst damit verriet und korrigierte sich: „ganz ohne Gesetz“. Als ihm ein Beisitzer trotzdem wortlos das Strafgesetzbuch reichte, schleuderte er es sofort weiter in Richtung der Anklagebank, wo sich Angeklagten wegducken mussten, um nicht am Kopf getroffen zu werden.
Tatsächlich stand das Todesurteil für die Mitglieder der „Weißen Rose“ schon von vorneherein fest. „Der Gauleiter bittet, die Aburteilung in den nächsten Tagen hier und die Vollstreckung alsbald darauf vorzunehmen“, hieß es in einer Anweisung des Gerichtes. Ideologen geht es nie um echte Gerechtigkeit, sondern immer um die Erniedrigung und Ausmerzung ihrer Feinde. So gerierte sich der vorsitzende Richter Freisler auch während des ganzen Prozesses „tobend, schreiend, bis zum Stimmüberschlag brüllend, immer wieder explosiv aufspringend“.
Auf der anderen Seite, auf der Anklagebank sitzen blutjunge Menschen, die Geschwister Hans und Sophie Scholl und ihre Freunde und Mitkämpfer. Andere Freunde wie Willi Graf, Hans und Susanne Hirzel, Heinz Kucharski, Traute Lafrenz, Hans Conrad Leipelt, Christoph Probst, Margaretha Rothe und der Universitätsprofessor Kurt Huber stehen ebenfalls hier vor Gericht. Sie standen gegen den Nationalsozialismus auf aus tiefster, innerer Überzeugung, weil ihnen ihr Gewissen und ihre Verantwortung vor Gott das auftrug, weil sie bereit waren, für die Freiheit und ihren christlichen Glauben und für die Ehre ihres Vaterlandes zu sterben. Sie waren aufrichtige, tiefe Patrioten, die Ihr Vaterland zutiefst liebten.
In einem ihrer Flugblätter stand: „Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues, geistiges Europa aufrichtet.“
Willi Graf schrieb in seiner Todeszelle, wenige Tage vor seiner Hinrichtung, in einem Brief: „Aber die Liebe zu Deutschland wächst von Tag zu Tag, und ich nehme schmerzvollen Anteil an seinem Geschick und seinen großen Wunden.“
Der Kommissar Robert Mohr, der Sophie Scholl stundenlang verhört hatte, erinnert sich an die Aussagen Sophie Scholls in ihren letzten Stunden: „Sie entschuldige sich ihrer Tränen, indem sie mir mitteilte: ‘Ich habe mich gerade von meinen Eltern verabschiedet, und sie werden begreifen. (…) Ich kann nur wiederholen, dass dieses Mädel, wie auch ihr Bruder, eine Haltung bewahrt hat, die sich nur durch Charakterstärke, ausgeprägte Geschwisterliebe und eine seltene Tiefgläubigkeit erklären lässt.“
Die Verteidigung und Liebe zu diesen fundamentalen Werten der Heimatliebe, der Menschenliebe und des tiefen, christlichen Glaubens gaben diesen jungen Leuten die Charakterstärke, erhobenen Hauptes auch dafür in den Tod zu gehen.
„Es lebe die Freiheit!“ sagte Hans Scholl, als er am Nachmittag des 22. Februar 1943, einige Minuten nach fünf Uhr auf der Hinrichtungsstätte stand. Dann legte er seinen Kopf unter das Fallbeil. Wenige Minuten vorher war seine Schwester Sophie ebenso hingerichtet worden. Es folgten weitere Enthauptungen.
„Freiheit“ war auch das Wort, das Sophie Scholl auf die Rückseite ihrer Anklageschriftsorgfältig, in großen Lettern geschrieben hatte. Hans’ und Sophies Schwester Inge Aicher-Scholl erinnert sich an die Schilderung ihrer Eltern, als diese sich von den beiden zum Tode verurteilten verabschiedeten: „Da war diese wundersame Bereitschaft, mit der sich Sophie von ihrem Leben löste, und ihr strahlendes Lächeln, als schaue sie in die Sonne“. Und weiter schreibt die Schwester: „Nach dem Abschied gingen sie dann ganz furchtlos, gelassen und von einem tiefen Enthusiasmus erfüllt.“
“Ich habe noch nie jemanden so sterben sehen”, sagte der Henker Johann Reichhart, der 3000 Menschen in der Nazizeit köpfte, nach dem Krieg staunend über Sophie Scholl.
Bei der Beerdigung der Geschwister segnete der Gefängnispfarrer Karl Alt Sophie und Hans mit den Worten des Johannes-Evangeliums aus: „Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben hingibt für seine Freunde.“
Die Helden der „Weißen Rose“ werden heute auf ihren antifaschistischen Aspekt und den Widerstand gegen die Nationalsozialisten reduziert. Zahlreiche Straßen, Plätze, Schulen sind nach ihnen benannt. Zu Recht.
Dieser Widerstand war aber nicht ein Wert an sich, sondern eine Konsequenz aus den tiefempfundenen Werten, die das Leben und den Charakter der Geschwister Scholl und ihrer Freunde bestimmten und aus denen sie die Kraft schöpften, gegen Unterdrückung, Rassismus, Faschismus, Mord, Krieg und Unfreiheit aufzustehen.
Gerade die „Weiße Rose“ und die Geschwister Scholl zeigen klar auf, dass Patriotismus nichts, aber auch gar nichts mit Faschismus zu tun hat. Denn die tief empfundene Liebe zum eigenen Volk, zur Heimat, zur eigenen Kultur, Religion, Sprache, Musik, Landschaft, ihren Menschen, die all dies leben und weitergeben, trägt ja schon in sich, dass jeder, der so empfindet, dieselben Empfindungen auch bei allen anderen Völkern achtet und mit Respekt betrachtet.
Der 2006 verstorbene Hans Hirzel war einer der Kameraden aus dem Umfeld der „Weißen Rose“. In einem Interview sagte er: „Bei meiner ersten Begegnung mit Hans Scholl, im Februar 1942, sprachen wir über die – unserer Einschätzung nach – Deutschland bevorstehende Katastrophe. Und auch über die Frage, ob junge Leute wie wir deshalb im „hitler-gegnerischen“ Sinn etwas unternehmen sollten, und wenn ja, was. [ … ] Unser Widerstand war ausgesprochen patriotisch: Über meine Motive habe ich schon gesprochen, denken Sie aber auch an Willi Grafs vorletzten Brief, in dem er von seiner „Liebe zu Deutschland“ sprach.“
Antifaschismus und Antirassismus sind kein Wert an sich. Denn ohne die wahren, dem Faschismus und Rassismus entgegenstehenden, tieferen Werte wie Liebe zu den Menschen, zu Gott und seiner Schöpfung, zur Heimat, zur Familie, zur Freiheit, sind Antifaschismus und Antirassismus ja ebenfalls nur Ideologien und „Bewegungen“, die ihre einzige Legitimation aus der Definition des Feindbildes und dessen Vernichtung herleiten. Und um den Feind zu zerschmettern, bedient man sich genau desselben Instrumentariums, weswegen man den Feind ja so verurteilt: Gewalt, Hass, Ausgrenzung, Entwürdigung, Terror, Unterdrückung, Benachteiligung oder Bevorzugung aufgrund von Hautfarbe, Vorverurteilung, Intoleranz.
Genau das führen uns die Antifa und extremen Linken ja vor. Die Ideologie, die sich heute Antifaschismus nennt, verhält sich ja lupenrein faschistisch und das, was im Namen des Antirassismus geschieht ist einfach nur umgekehrter, anti-weißer Rassismus.
Menschen mit Werten, wie sie die Geschwister Scholl lebten, brauchen keine Ideologiekonstrukte wie „Antrassismus“, „Antifaschismus“ oder „Antikapitalismus“, weil sie von ihren Überzeugungen, ihren Werten und ihrem Glauben her gar nicht rassistisch, kapitalistisch oder faschistisch sein können.
Das Problem des Zustandes unserer heutigen Gesellschaft liegt darin, dass wir keine echten Werte mehr leben, sondern uns in einem Pseudo-Wertesystem der Political Correctness eingerichtet haben. Die PC hat Recht, Gesetz, Moral, Werte, Philosophie und Religion, ja, sogar Gott ersetzt. Sie ist die D‑Produktion des menschlichen Geistes. Sie ist eine billige Plastikverschalung, die eine Bruchbude als solides Ziegelsteinhaus erscheinen lässt. Sie ist von echten Werten soweit weg, wie eine aufblasbare Sexpuppe von der liebenden und geliebten Frau.
Wäre der durchschnittliche, junge Mensch heute noch bereit, für seine Werte zu sterben? Und welche sind die?
Die Shell Jugendstudie, durchgeführt von TNS Infratest Sozialforschung 2015 befragte 12–25 jährige Deutsche, was ihre Prioritäten sind. (Nach Werten fragt man heute offenbar nicht mehr.) Was würde man erwarten?
Liebe zu Gott und seiner Schöpfung?
Dem eigenen Land zu dienen?
Jedermann gegenüber hilfsbereit und gerecht zu sein?
Einen liebenden Menschen als Lebenspartner zu finden?
Eine Familie zu gründen und für sie da zu sein?
Edel zu sein, hilfreich und gut?
Die zehn Gebote zu beachten?
Sich weiter zu entwickeln?
Das sind keine Werte. Das meiste ist eher egozentrisch. Eine hübsche Mischung aus Egoismus, guten Vorsätzen, persönlichen Ambitionen, Träumen, Lifestyle und PC.
Sophie Scholl hat das Kind im weißen Taufkleid auf die anderen Seite des Abgrundes der Zeit unter Hingabe ihres eigenen Lebens gerettet. Es ist ihr Vermächtnis, die Zukunft, die Unschuld, unser aller Kind, ein neuer Anfang.
Gehen wir zu ihm und heben es in Liebe auf.
Ich bin nach wie vor der Meinung,
das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte.
Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht
und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen
auf mich nehmen.
(Sophie Scholl)