Mehr als 400.000 Deutsche leiden unter post­trau­ma­ti­schen Belastungsstörungen

Psy­chische Trau­ma­folgen wurden bisher nur als Krank­heits­dia­gnose «post­trau­ma­tische Belas­tungs­störung» unter­sucht. Wie häufig diese in einer schwe­reren Form vor­liegt, zeigt ein UZH-Psy­cho­pa­thologe erstmals mit einer reprä­sen­ta­tiven Befragung: Mehr als ein halbes Prozent der Bevöl­kerung in Deutschland (413350) leiden unter einer kom­plexen post­trau­ma­ti­schen Belastungsstörung.
Die post­trau­ma­tische Belas­tungs­störung (PTBS) kann in einer besonders schweren Form vor­liegen – der soge­nannt kom­plexen post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­störung. Das psy­chische Leiden beider PTBS-Formen äussert sich in einer Über­ak­ti­vierung der Erin­ne­rungen an trau­ma­tische Erleb­nisse – in Form von Bildern, Gerüchen und Geräu­schen. Bei der kom­plexen PTBS leiden die Betrof­fenen unter Ver­än­de­rungen ihrer Per­sön­lichkeit und zwi­schen­mensch­lichen Bezie­hungen: ins­be­sondere ein tief­sit­zendes Miss­trauen, die Unfä­higkeit zur Inti­mität und ein stark redu­zierter Selbstwert. 

1,5 Prozent an klas­si­scher PTBS erkrankt

Gemeinsam mit deut­schen For­schenden führte Andreas Maercker, Pro­fessor für Psy­cho­pa­thologe an der Uni­ver­sität Zürich, eine reprä­sen­tative Umfrage durch. Dabei wurden rund 2’500 Erwachsene aus allen Alters­gruppen an über 250 Orten in Deutschland befragt – zu trau­ma­ti­schen Erleb­nissen wie Krieg, Ver­ge­wal­tigung, sexu­eller Miss­brauch in der Kindheit, schlimmer Unfall, Gewalt­hand­lungen, Natur­ka­ta­strophen, Ent­führung, Zeuge eines trau­ma­ti­schen Erleb­nisses oder andere trau­ma­tische Erleb­nisse. Bei rund 0,5 Prozent der befragten Frauen und Männer dia­gnos­ti­zierten die Unter­su­che­rinnen und Unter­sucher eine kom­plexe PTBS. Bei 1,5 Prozent fanden sie die klas­sische PTBS. «Ich gehe davon aus, dass in der Schweiz die beiden PTBS-Formen ähnlich häufig vor­kommen», sagt Andreas Maercker.

Sexu­eller Miss­brauch in Kindheit ausschlaggebend

«Wir fanden die kom­plexe Form am häu­figsten bei den­je­nigen Per­sonen, die einen sexu­ellen Miss­brauch in ihrer Kindheit oder fort­ge­setzte sexuelle Über­griffe als Jugend­liche oder Erwachsene erleiden mussten», erklärt Andreas Maercker. Die schon länger bekannte klas­sische PTBS wurde dem­ge­genüber am häu­figsten von Men­schen berichtet, die schwere Unfälle erlitten hatten oder die direkte Zeugen eines trau­ma­ti­schen Geschehens geworden waren.

Maerckers Stu­di­en­ergeb­nisse sind ver­gleichbar mit Befunden in Mit­tel­europa, wo die kom­plexe PTBS haupt­sächlich durch sexua­li­sierte Gewalt­er­leb­nisse wie Kin­des­miss­brauch ver­ur­sacht wird. «In anderen Welt­re­gionen, wo es die kom­plexe PTBS schät­zungs­weise häu­figer gibt, wird sie zusätzlich durch anhal­tende Kriegs­er­leb­nisse, Ver­folgung, Gei­selhaft und Folter aus­gelöst», ergänzt der UZH-Professor. 

Auf­nahme in Krank­heits­liste der WHO

Andreas Maercker schlug der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation (WHO) im Jahr 2013 gemeinsam mit einer inter­na­tio­nalen Arbeits­gruppe die zusätz­liche Dia­gnose einer kom­plexen PTBS vor. Das psy­chische Krank­heitsbild wird im Frühjahr 2018 auf die Krank­heits­liste der WHO aufgenommen.

 


Quelle: Schweizer Mor­genpost