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Erdogan — Oder: “Ter­ro­rismus” auf tür­kische Art

Am 19. März demons­trierte eine Gruppe von Stu­denten der Uni­ver­sität Boğaziçi in Istanbul, der füh­renden tür­ki­schen Hoch­schule, gegen eine Ver­an­staltung auf dem Campus. Die Ver­an­staltung, gegen die sie demons­trierten, wurde von der Gesell­schaft für Isla­mische For­schung orga­ni­siert, um die tür­ki­schen Sol­daten zu ver­tei­digen, die an der Invasion in Afrin teil­ge­nommen hatten. Während die regie­rungs­freund­lichen Stu­denten tür­kische Lecke­reien ver­teilten, ent­fal­teten die Gegen­de­mons­tranten ein Banner mit der Auf­schrift: “Inva­sionen und Mas­saker sind nicht mit Freuden zu feiern”.
(Von Uzay Bulut)
Der tür­kische Prä­sident Recep Tayyip Erdogan reagierte mit der Ver­haftung der Anti­kriegs­stu­denten wegen der Ver­breitung von “ter­ro­ris­ti­scher” Pro­pa­ganda. Am 3. April ver­haftete ein tür­ki­sches Gericht neun von ihnen und liess die anderen sechs bis zu ihrem Prozess frei.
Um gegen einen “beun­ru­hi­genden Trend der Kri­mi­na­li­sierung von poli­ti­scher Rede und Dissens in der Türkei” zu pro­tes­tieren, unter­zeich­neten über 1.800 renom­mierte Wis­sen­schaftler aus aller Welt, dar­unter Nobel- und Pulit­zer­preis­träger, einen “Offenen Brief zur Unter­stützung von Stu­denten, die an der Uni­ver­sität Boğaziçi ver­haftet wurden”. In dem Brief steht, unter anderem:
“Die Ver­haf­tungen auf dem Campus sowie die anschlie­ßenden Raids der Polizei auf Stu­den­ten­wohn­heime und Schlafsäle setzen einen beun­ru­hi­genden Trend der Kri­mi­na­li­sierung poli­ti­scher Äuße­rungen und Mei­nungs­ver­schie­den­heiten in der Türkei fort.
“Erdoğan hat diese Stu­denten zynisch als ‘Ter­ro­risten’ bezeichnet und geschworen, sie von der Uni­ver­sität Boğaziçi aus­zu­schließen und ihnen das Recht zu ver­weigern, an einer anderen Uni­ver­sität zu stu­dieren. Wir haben diese Art von ver­balen Angriffen schon einmal von Erdoğan gehört und es folgte die Inhaf­tierung von Tau­senden von Aka­de­mikern, Jour­na­listen, Künstlern und Menschenrechtsaktivisten.
“Wir fordern die tür­kische Regierung auf, alle Unter­su­chungen und Ver­haf­tungen von Stu­denten, die die poli­tische Rede ausüben, unver­züglich einzustellen.”
Die Ein­schränkung der Rede­freiheit ist in Erdogans Türkei nichts Neues. Wer es wagt, das akzep­tierte Nar­rativ der Regierung in Frage zu stellen, läuft Gefahr, ins Visier genommen und bestraft zu werden. Nicht­tür­kische Ein­wohner des Landes bilden da keine Ausnahme.
Nehmen wir den Fall der ame­ri­ka­ni­schen Aka­de­mi­kerin Norma Jeanne Cox. Nach einem Auf­bau­studium an der Uni­ver­sität Boğaziçi arbeitete Cox 1983 als Dozentin an der Uni­ver­sität Istanbul und anschließend an der Tech­ni­schen Uni­ver­sität Nahost in der Süd­türkei, wo sie mit ihren Stu­denten und Kol­legen über den Völ­kermord an den Arme­niern von 1915, die Zwangs­as­si­mi­lation der Kurden dis­ku­tierte und gegen den Film The Last Tempt­ation of Christ pro­tes­tierte. Für diese “Ver­brechen” wurde sie ver­haftet, ent­lassen und schließlich depor­tiert. Das Innen­mi­nis­terium behauptete, Cox sei wegen “ihrer sepa­ra­tis­ti­schen Akti­vi­täten, die mit der natio­nalen Sicherheit unver­einbar waren”, aus­ge­wiesen und von der Wie­der­ein­reise in die Türkei gesperrt worden. In einer Klage, die sie beim Euro­päi­schen Gerichtshof für Men­schen­rechte ein­ge­reicht hatte — der die Türkei 2010 wegen Ver­letzung ihrer Mei­nungs­freiheit ver­ur­teilte — argu­men­tierte Cox, dass ihre Rechte von der Türkei wegen ihres christ­lichen Glaubens und ihrer abwei­chenden Mei­nungen ver­letzt worden seien.
Seither hat sich wenig geändert. Am 11. Januar 2016 wurden Mit­glieder von “Aka­de­miker für den Frieden”, die eine Erklärung zur Gewalt­lo­sigkeit zwi­schen der tür­ki­schen Regierung und den Kurden unter­zeich­neten, von der Polizei fest­ge­nommen, für Aus­land­reisen gesperrt, admi­nis­tra­tiven Unter­su­chungen aus­ge­setzt und wegen “Pro­pa­ganda für eine ter­ro­ris­tische Orga­ni­sation” entlassen.
Am 13. Januar 2017 wurde ein arme­ni­scher Par­la­ments­ab­ge­ord­neter, Garo Paylan von der Oppo­si­ti­ons­partei HDP, wegen einer Rede, in der er davor warnte, die Fehler der Ver­gan­genheit zu wie­der­holen, von drei Par­la­ments­sit­zungen sus­pen­diert. “Zwi­schen 1913 und 1923 wurden Armenier, Griechen, Syrer und Juden.… ent­weder mit Völ­ker­morden und großen Mas­sakern ins Exil geschickt, oder einem Bevöl­ke­rungs­aus­tausch unter­zogen”, sagte er. Alle Erwäh­nungen, die er über den Völ­kermord an den Arme­niern machte, wurden aus dem Par­la­ments­pro­tokoll gestrichen.
Am 5. Januar 2018, während einer gemein­samen Pres­se­kon­ferenz mit dem fran­zö­si­schen Prä­si­denten Emmanuel Macron im Élysée-Palast in Paris, beschul­digte Erdogan Mit­glieder der Medien, den Ter­ro­rismus zu fördern, als Reaktion auf Macrons Besorgnis über das Vor­gehen der tür­ki­schen Regierung gegen Stu­denten, Lehrer und Journalisten:
“Terror bildet sich nicht von selbst. Terror und Ter­ro­risten haben Gärtner. Diese Gärtner sind die Men­schen, die als Denker ange­sehen werden. und eines Tages tauchen diese Leute als Ter­ro­risten vor Ihnen auf.”
Erdogans Defi­nition von Ter­ro­rismus ist so ver­zerrt wie die Anti-Terror-Gesetze der Türkei, die häufig von der Regierung benutzt und miss­braucht werden, um fried­liche Demons­tranten fest­zu­nehmen und ein­zu­sperren — eine Praxis, die in einem Bericht von Human Rights Watch (HRW) von 2010 mit dem Titel: “Pro­tes­tieren als ter­ro­ris­tische Straftat” kri­ti­siert wird.
Unter­dessen ver­schließen die tür­ki­schen Behörden die Augen vor den tat­säch­lichen ter­ro­ris­ti­schen Akti­vi­täten im und für das Land. Ankara tut nichts, um ISIS daran zu hindern, Jes­si­den­frauen und ‑kinder in der Türkei zu ver­kaufen; erlaubt es einer unbe­stimmten Anzahl von Men­schen, tür­ki­sches Ter­ri­torium als Ein­tritts­punkt nach Syrien und in den Irak zu nutzen, um sich ISIS oder anderen dschi­ha­dis­ti­schen Gruppen anzu­schließen; beher­bergt und unter­stützt die Hamas, eine ter­ro­ris­tische Orga­ni­sation, die stolz auf Zivi­listen zielt und geschworen hat, Israel zu ver­nichten; und ermög­licht den Dschi­ha­di­ter­ro­rismus durch den Ölhandel.
Die Türkei, ein NATO-Ver­bün­deter, der sich als wür­diger Kan­didat für die EU-Mit­glied­schaft betrachtet, begrüßt und unter­stützt Ter­ro­risten, die Völ­kermord gegen die Mensch­lichkeit begehen, ver­folgt aber gewalt­freie Aka­de­miker und Jour­na­listen, deren Ansichten von denen des Regimes abweichen. Die Inversion ist nicht nur surreal, sie ist tödlich
 


Quelle: Gatestone Institute — Uzay Bulut ist eine tür­kische Jour­na­listin, die in der Türkei geboren und auf­ge­wachsen ist. Sie ist derzeit in Washington D.C. ansässig.