Am Ostermontag 2010 fährt Containerschiff „Taipan“ unter deutscher Flagge vor Somalias Küste. Sie ist auf dem Weg von Dschibuti nach Mombasa. Die gefährlichste Stelle, den Golf von Aden, hat das Schiff glücklich hinter sich gebracht. Plötzlich bemerkt die Besatzung der Taipan ein traditionelles, arabisches Holzsegelschiff, eine Dhau, wie sie gern als „Mutterschiff“ für Piraten genutzt wird. Von diesem größeren, flachen Holzschiff lösen sich sofort zwei kleinere Motorboote und halten in voller Fahrt auf den Frachter zu.
Auf der Brücke der Taipan legt der Kapitän sofort die Hebel auf den Tisch, er beschleunigt den massigen Frachter, was die Maschinen hergeben, doch mehr als 17 Knoten (ca. 31 km/h) schafft der Pott nicht. Der Kapitän schießt zwei Signalraketen ab, was die sich nähernden Boote mit Schüssen aus Sturmgewehren beantworten. Eins der Motorboote beschießt das Deck des Frachters, so dass die Besatzung Schutz suchen muss, das zweite Boot entert – trotz Umwickelung mit NATO-Draht — das Schiff mit Leitern und Seilen. Der Kapitän setzt einen Notruf ab, stoppt die Maschinen, damit das Schiff manövrierunfähig wird und die fünfzehn Mann Besatzung der Taipan verschanzen sich im Panic Room.
Doch Hilfe kommt. Mittlerweile gibt es die Anti-Piraten-Mission „Atalanta“der Europäer, und die niederländische Fregatte „Tromp“ ist innert drei Stunden vor Ort. Scharfschützen nehmen die Brücke der Taipan unter Beschuss, ein Hubschrauber lässt trainierte, bis an die Zähne bewaffnete Spezialkräfte per Seil auf den Frachter herunter. Die Somalier geben auf und werden verhaftet. Da der Heimathafen der Taipan Hamburg ist und der Frachter der Reederei Komrowski gehört, werden die Piraten nach Deutschland ausgeliefert und stehen in Hamburg vor Gericht.
Die Beweislage ist eindeutig. Die zehn Männer wurden während der Tat gefangengenommen. Sie haben das Schiff „unter Gewehrfeuer gekapert“ und Lösegeld von der Reederei erpresst. Es geht also um einen „gemeinschaftlich verübten Angriff auf den Seeverkehr“ und „erpresserischen Menschenraub“.
Natürlich schreibt die Presse schon fast mitleidig, wie schmächtig und dünn, ja ängstlich die jungen Somalier wirken, wie schlimm die Lebensbedingungen in Somalia sind, wie arm das Land — und dass man irgendwie schon fast verstehen müsse, dass die jungen Männer – ja fast noch Kinder — in ihrer Verzweiflung und Armut zu Piraten werden und vielleicht gar nicht so richtig wissen, dass sie etwas Falsches tun, wenn sie mit ihren alten Kalaschnikows und morschen Booten hinausfahren, um ein bisschen Geld zum Überleben zu ergattern. So schreibt der Spiegel:
„Mit unsicherem Gang und ängstlichem Blick betreten die Angeklagten den gut gefüllten Raum. Zum ersten Mal sehen die Somalier ein deutsches Gericht von innen, sie wirken völlig verloren. Fast alle sind schlank gewachsen, beinah schmächtig, sie tragen Jogginganzüge oder Kapuzenpullis, die ihnen um die Leiber schlabbern. Einem der Männer huscht ein erleichtertes Lachen übers Gesicht, als sein Verteidiger auf ihn zukommt und ihn zu seinem Platz führt.
Wird hier wirklich zehn Piraten der Prozess gemacht?“
Dazu wäre zu bemerken, dass die lieben Kleinen fünf vollautomatische Kalaschnikow-Sturmgewehre, zwei russische Raketenwerfer, Panzerfäuste, zwei Pistolen, zwei Messer, mehr als 20 Magazine Munition, zwei Handys, ein Fernglas und zwei Enterleitern mit sich führten. Desweiteren sind bei der zum Spiegel-Artikel zugehörigen Fotostrecke ein paar Bilder, die den aufmerksamen Betrachter doch verblüffen. So sehen wir hier zwei Piraten, die mit Kalaschnikows AK47 ein Metallboot besteigen, an dem ein offensichtlich nagelneuer 25PS Yamaha Enduro Bootsmotor hängt: Solche Motoren kosten um die 5000 Euro. Wer kann sich im reichen Deutschland so etwas leisten? Die Schwarzmarktpreise für russische Raketenwerfer sind mir gerade nicht so geläufig, man wird sie aber sicher nicht für Cent-Beträge bekommen.
Daher stellt sich die Frage, woher die bettelarmen, halbverhungerten somalischen Teenies, deren Jahreseinkommen in Somalia keine 300 Dollar beträgt, an diese Ausrüstung kommen, und wer sie im Gebrauch von Raketenwerfern, Panzerfäusten und in den Techniken des Enterns eines turmhohen Frachters ausgebildet hat. Die Entertechniken haben sich nämlich im Laufe der Zeit und mit den verstärkten Abwehrmaßnahmen der Europäer deutlich verbessert.
Tatsächlich hat sich die Piraterie vor der somalischen Küste seit 2002 erheblich professionalisiert. Es entstanden Strukturen an Land mit Warlords, die mehrere Piratengruppen aufbauten und eine Syndikat-ähnliche Struktur entwickelten. Es gibt klare Hierarchien und Fachleute, die nur zu dem Zweck zusammenarbeiteten, Schiffe aufzubringen und Lösegelder zu erpressen.
Unterstützung erhielten diese Syndikate von erfahrenen Piraten (Vgl. Stig Jarle Hansen, The Dynamics of Somali Piracy, in: Studies in Conflict & Terrorism, Vol. 35 (2012) 7–8, S. 523–530) sowie ehemaligen Küstenwächtern und Milizionären. 2007 gab es noch 31 Angriffe, wobei 11 Schiffe und 154 Besatzungsmitglieder betroffen waren, 2008 waren es bereits 111 Angriffe mit 42 erfolgreichen Schiffsentführungen mit Hunderten von Betroffenen.
Die Operation Atalanta führte zu keinem Erfolg. Die Angriffe ließen kaum nach und das Operationsgebiet der Piratenbanden wurde größer. Dadurch manövrierten sie die Schiffe der Operation Atalanta aus, denn ein Gebiet, was etwa 10 mal so groß ist, wie Deutschland, kann man mit wenigen kampffähigen Schiffen nicht sichern. Die Strecken sind zu groß und die Schiffe zu langsam. 2009 ereigneten sich daher schon 217 Attacken mit 47 Schiffen und 867 entführten Seeleuten. Auch die Lösegeldpreise stiegen erheblich. Um 1990 herum „kostete“ so ein Frachter noch ein paarhunderttausend Dollar, 2009 waren es schon über drei Millionen und 2010 mehr als 5 Millionen US$. Das Geld steckten größtenteils die Warlords und Organisatoren ein. Die internationalen Strukturen waren dafür aufgebaut. Solche Summen müssen ja auch über sichere Wege an die Piratensyndikate gelangen, wofür man Verbindungen und Leute braucht, die die Wege des Geldes sicher leiten können.
Die Piraten auf See verdienten damit sehr gut, bekamen aber nur ihr Beutegeld, wenn sie auch erfolgreich waren. Damit war sichergestellt, dass die Seeräuber so lange unterwegs blieben auf See, bis sie erfolgreich waren.
Auch die Verteilung der erbeuteten Millionen wurde professionell gehandhabt:
„Syndikate können dabei grob über vier Hierarchieebenen charakterisiert werden. Investoren, die erhebliche Summen für die Beschaffung von Skiffs, Ausrüstung, Logistik und Schutzmaßnahmen bereitstellen, sowie für die Dauer der Lösegeldverhandlungen die notwendigen Auslagen tätigen, stehen an erster Stelle. Sie erhalten ihr Investment mit teils erheblichen Gewinnmargen zurück. Auf der zweiten Stufe finden sich lokale Anführer, die für das operative Vorgehen zuständig sind und dabei oft mehrere Angreifertrupps organisieren. Die eigentlichen Piraten auf See können in einer dritten Gruppe verortet werden, wobei sich auch hier der Anteil an der jeweiligen Rolle des Einzelnen orientiert – etwa zwischen dem Koch auf einem Mutterschiff oder dem Piraten, der als erster ein Schiff entert. Auf der letzten Stufe finden sich diejenigen, welche die entführten Schiffe sowie die Ausgangsbasen an Land absichern.“
Soviel zu der Saga der armen, einsamen, verwirrten Jungs, die irgendwie und ohne was Böses zu wollen, mehr aus Zufall und der Kraft der Verzweiflung auf die „Taipan“ gekommen sind, nur weil sie ein paar Dollar zum Leben brauchen. Sie sind Mitglieder von skrupellosen Verbrechersyndikaten und Romantik hat hier keinen Platz. Zwischen 2008 und 2001 wurden mehr als 3100 Seeleute nach Angaben des International Maritime Bureau als Geiseln genommen, erniedrigt, gequält und zum Teil auch getötet.
Zehn dieser Piraten wurden also im Oktober 2012 in Hamburg zu Haftstrafen zwischen zwei und sieben Jahren verurteilt. Das war seit dem Prozess gegen Klaus Störtebekker vor 400 Jahren der erste Piraterie-Prozess in Hamburg. Störtebekker wurde damals geköpft.
Jetzt erfahren wir aus den Medien, dass alle zehn Verurteilten wieder auf freiem Fuße sind. Vier aus der Haft entlassene Piraten sind freiwillig zurück nach Somalia gereist, ein weiterer nach Schweden. Die fünf restlichen leben in Hamburg und erhalten Leistungen aus dem Asylbewerbergesetz. Deutschland, Schlaraffenland für Verbrecher aus aller Welt.
Gegen alle von ihnen wurden Ausweisungsverfügungen erlassen. Eine davon sei durch „einen gerichtlichen Vergleich“ wieder aufgehoben worden. Ein anderes Verfahren ist noch nicht rechtskräftig entschieden, schreibt der Focus. Zwei Somalier haben eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, da sie „schützenswerte Beziehungen zu bleibeberechtigten Familienmitgliedern haben. Der letzte der fünf Somalis sei zwar de jure rechtskräftig ausgewiesen, kann aber nicht abgeschoben werden.
Keiner der Somalis hat einen Pass. Die somalische Botschaft stellt in Deutschland keine Reisedokumente aus. Ist ja auch vollkommen ungewöhnlich für Botschaften, so etwas Abwegiges zu machen. Außerdem verbietet das deutsche Asyl-Gesetz, Menschen in Bürgerkriegsländer zurückzuschicken, wo ihnen ja etwas passieren könnte — auch dann, wenn diese Bleibeberechtigten gerade die sind, die zu Hause bewaffnet herumlaufen und in ihrer Heimat Straftaten begehen. Egal, das Gesetz lautet so.
Seltsamerweise ist es in Deutschland kein Problem, Gesetze zu missachten oder abzuschaffen, wenn es opportun erscheint. Beispielsweise hat man den wirklich wichtigen Strafgesetzbuch-Paragraphen 80 StGB „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ gerade passend vor der Vorbereitung eines Angriffskrieges gegen Syrien abgeschafft, aber die widersinnigen Gesetze, die es verbieten, kriminelle und gewalttätige ausländische Täter in ihre Heimatländer abzuschieben, die sind sakrosankt.
Noch ein wichtiger Grund, warum das nicht geht: Es gibt keine zur Rückführung geeigneten Flüge nach Somalia. Das sind natürlich unüberwindliche Hindernisse, oder? Einmal das Internet bemüht, finden sich da sehr wohl Flüge.
Die Beute für die aufgebrachte „Taipan“ mag den fünf Piraten ja entgangen sein. Dafür haben sie aber einen viel größeren Preis gewonnen, eigentlich den Jackpot. Sie können jetzt, ohne sich irgendwelchen Gefahren auszusetzen, ziemlich sicher lebenslang auf Kosten des deutschen, steuerzahlenden Packs sehr bequem in Deutschland leben und bleiben.
Das scheint sogar bei manchen Behörden zu Nachdenken zu führen. So drängt die Ausländerbehörde vor dem Verwaltungsgericht auf Ausweisung. Das soll die Leute in Somalia davon abhalten, deutsche Schiffe zu überfallen. Denn die Alternativen für solche Piraten seien ja dann in jedem Fall verlockend. Entweder satte Beute, oder ein Platz in der Hängematte bei Vollverpflegung im schönen, reichen Deutschland.