Mifid II und Warn­hin­weise vor Gräten im Fisch — Oder: Für den Gesetz­geber sind alle Bürger Vollidioten

Nach der EU-Richt­linie Mifid II, die seit Januar gilt, sind offenbar alle Bank­kunden unmündige Voll­idioten. Damit liegt diese Richt­linie im Trend, immer mehr zum Wohl des unmün­digen Bürgers zu regulieren.
(Von Dr. Reiner Zitelmann)
Jeder, der schon einmal einen Kredit für eine Immo­bilie auf­ge­nommen hat, kennt die „Selbst­aus­kunft“, bei der er alle monat­lichen Ein­nahmen und Aus­gaben auf­listen muss. Wie viel gebe ich für Lebens­ver­si­che­rungen oder Bau­spar­ver­träge aus, wie viel Ver­mögen habe ich gespart, wie hoch sind meine pri­vaten monat­lichen Aus­gaben, wo habe ich Schulden und wie hoch sind diese, welche Immo­bilien besitze ich und wie hoch sind die Miet­ein­nahmen usw.usf.
All diese Fragen (und noch sehr viel mehr) müssen Sie jetzt bei jeder Geld­anlage beant­worten, da die Bank gemäß der Richt­linie Mifid II gezwungen ist, nicht nur zu prüfen, welche Ver­luste Sie zu tragen bereit sind, sondern auch, welche Ver­luste Sie nach Meinung der Bank maximal tragen könnten. Zudem muss der Bank­be­rater prüfen, ob Sie intel­lek­tuell in der Lage sind, zu ver­stehen, was er sagt.
Die Banken müssen jedes Tele­fon­ge­spräch mit Ihnen auf­nehmen, wenn dieses Gespräch viel­leicht dazu führen könnte, dass Sie ein bestimmtes Wert­papier, einen Fonds oder irgendeine andere Anlage kaufen oder ver­kaufen. Der Gesetz­geber hat dabei sogar aus­drücklich fest­gelegt, dass Sie sich nicht dagegen wehren können: Wer nicht will, dass das Gespräch auf­ge­zeichnet wird, bekommt halt nichts ver­kauft. Nach dem Gespräch bekommen Sie einen Haufen Papier zuge­schickt – nicht selten sind es 50 Seiten oder auch mehr. Genervt sind davon Banken wie ihre Kunden glei­cher­maßen. Zufrieden sind nur die Poli­tiker sowie die Beamten, die die Richt­linie ver­fasst haben.
Das alles läuft unter der Über­schrift der Regu­lierung zum Schutz des Ver­brau­chers. Zudem soll es die Haf­tungs­ri­siken der Banken redu­zieren, weil ja künftig genau doku­men­tiert ist, wie das „Bera­tungs­ge­spräch“ ver­laufen ist.
Der unmündige Bürger
Schon jetzt kann man vor­her­sagen, dass damit weder dem Ver­braucher noch der Bank gedient ist. Das wissen wir aus der Ver­gan­genheit, wo Fonds­pro­spekte mit teil­weise über 200 Seiten und exzes­siven Risi­ko­hin­weisen ebenso wenig vor Fehl­in­vest­ments bewahrt haben wie die Bera­tungs­pro­to­kolle, die die Berater anfer­tigen mussten.
Hinter all dem stehen fol­gende Über­zeu­gungen der Politik:
1. Ver­braucher sind unmündig und müssen vor Fehl­ent­schei­dungen geschützt werden.
2. Je mehr staat­liche Regu­lierung desto besser.
Ich meine: Wer von einem „Bank­be­rater“ eine sach­kundige und objektive „Beratung“ erwartet, ist selbst schuld. Ich selbst habe schon vor vielen Jahren allen meinen Banken erklärt, dass ich auf keinen Fall irgendeine Art von Beratung haben möchte. Ich fürchte, künftig bekomme ich genau das auf­ge­zwungen und muss meine wert­volle Zeit damit ver­plempern, mir das Halb­wissen von Bank­be­ratern über Geld­anlage anzu­hören, die nur einen Bruchteil von dem Geld haben und ver­dienen, das ich durch meine Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dungen ver­dient habe.
Wer sich mit Finanzen beschäftigt, sollte wissen, was er haben möchte – und den Bank­be­rater nach dem ent­spre­chenden Produkt fragen. Wer keine Zeit und Lust hat, sich mit Geld­dingen zu befassen, keine Bücher dazu liest und sich auch sonst nicht infor­miert, sondern sich auf die „Beratung“ der Bank ver­lässt, sollte sich nicht hin­terher beschweren, wenn er falsche Anla­ge­ent­schei­dungen trifft. Es ist wie in jedem Lebens­be­reich: Wer mehr Ahnung hat ist dem Ahnungs­losen überlegen.
Aufgabe des Staates sollte es lediglich sein, gegen Betrüger vor­zu­gehen. Und dafür gibt es aus­rei­chend gesetz­liche Grundlagen.
Warn­hin­weise vor Gräten im Fisch
Die Mifid II steht nur für einen all­ge­meinen Trend, immer mehr staatlich zum Wohle des unmün­digen Bürgers zu regu­lieren. SPIEGEL-Redakteur Alex­ander Neu­bacher bringt in seinem sehr lesens­werten Buch „Total beschränkt” fol­gende Bei­spiele, die in eine ähn­liche Richtung zielen:
• Ein Fisch­händler in Hamburg wurde vom Amts­ge­richt Altona zu einem schrift­lichen Hinweis ver­donnert: „Wir müssen Sie darauf hin­weisen, dass im Fisch Gräten vor­kommen können.“ Ein Kunde hatte sich beim Verzehr an einer Gräte ver­schluckt und auf Kör­per­ver­letzung geklagt.
• Auf Bügel­eisen findet man den Warn­hinweis: „Kleidung nicht am Körper bügeln“. Her­steller von Erd­nuss­ver­pa­ckungen müssen, wenn sie keine ent­spre­chenden Pro­zesse ris­kieren wollen, auf der Ver­pa­ckung darauf hin­weisen: „Kann Spuren von Nüssen enthalten“.
• Der Ober­bür­ger­meister und das Amt für Ver­kehrs­ma­nagement der Stadt Düs­seldorf haben einen aus­führ­lichen Leit­faden her­aus­ge­geben, in dem auf acht Seiten erklärt wird, wie man als Fuß­gänger richtig über die Ampel geht. Unter der Über­schrift „Die Ampel springt auf Grün“ wird erläutert, dies sei „der ideale Zeit­punkt für alle Fuß­gänger, jetzt loszugehen“.
• Auf eine EU-Vor­schrift zurück geht die Vorgabe, dass sich Men­schen, die mit einem Press­luft­hammer arbeiten, an Grenz­werte für „Hand‑, Arm und Ganz­kör­per­schwin­gungen“ zu halten haben, berechnet nach fol­gender Formel: „Qua­drat­wurzel aus der Summe der Qua­drate der Effek­tiv­werte der fre­quenz­be­wer­teten Beschleu­nigung in den drei ortho­go­nalen Rich­tungen“ (Richt­linie 2002/44).
• Eine quasi staat­liche Namens­be­ra­tungs­stelle an der Uni­ver­sität Leipzig weist junge Eltern darauf hin, dass man sein Kind Calibra, Alfa oder Romeo nennen darf, aber nicht Manta, Skoda oder Fiat.
• In Berlin und vielen anderen Kom­munen bekommen Eltern nach der Geburt eines Kindes
Kon­troll­be­suche vom Amt. Die Beamten müssen fest­stellen, ob zu Hause auch alles in Ordnung ist.
• Arbeits­schutz­ver­ord­nungen ent­halten immer detail­liertere Vor­schriften, so u.a. auch dazu, wie die Toi­lette im Pau­senraum beschaffen sein muss: Die Beleuchtung muss min­destens 100 Lux, die Raum­tem­pe­ratur min­destens 21 Grad und die Belüftung min­destens 15 Kubik­meter Frischluft pro Stunde betragen.
• Die Flens­burger Arbeits­schutz­be­hörde wollte einen Foto­grafen zwingen, ein Fenster in seine Dun­kel­kammer einzubauen.
• In Berlin gibt es keinen Kar­ne­vals­umzug mehr, weil die Behörde fest­legte, dass die Kar­ne­va­listen nur noch mit einer Laut­stärke von maximal 75 Dezibel durch die Straßen ziehen dürfen. Für andere Umzüge, wie etwa den Chris­topher Street Day, galt dies jedoch nicht.
• Das Anti-Dis­kri­mi­nie­rungs­gesetz führt zu absurden Blüten: Ein Diplom-Ver­wal­tungswirt bekam bereits acht Mal vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt Recht, weil er klagte, dass er nicht zum Bewer­bungs­ge­spräch ein­ge­laden worden war. Er führte das auf seine Behin­derung zurück. Jeder Arbeit­geber, der ihn nicht zum Bewer­bungs­ge­spräch einlud und dann vor Gericht unterlag, musste drei Monats­ge­hälter Scha­den­ersatz zahlen.
Die Liste der Bei­spiele ließe sich fort­setzen. Es handelt sich nicht um kuriose Ein­zel­fälle, sondern in diesen Bei­spielen wird eine bestimmte Men­ta­lität deutlich: Der Staat glaubt, besser zu wissen, was gut für die Men­schen ist als die Men­schen selbst. Der Gesetz­geber und der Beamte in seiner Amts­stube nimmt den Men­schen das Denken ab, ent­scheidet, welcher Lebens­wandel der Richtige ist und nimmt ihnen zunehmend alle Ent­schei­dungen ab. So werden die Bürger sys­te­ma­tisch zur Unmün­digkeit erzogen.
 


Dr. Rainer Zitelmann für TheEuropean.de